Skip to main content

01.02.2022 | Automobilwirtschaft | Interview | Online-Artikel

"Elon Musk braucht die deutschen Hidden Champions"

verfasst von: Christiane Köllner

6 Min. Lesedauer

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche, um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
print
DRUCKEN
insite
SUCHEN
loading …
Interviewt wurde:
Prof. Dr. Jan-Philipp Büchler

ist Inhaber der Professur für Unternehmensführung und Global Business Management sowie Direktor des interdisziplinären Center for Applied Studies & Education in Management (CASEM) an der Fachhochschule Dortmund.

Hidden Champions konzentrieren sich auf ausgewählte Nischenmärkte und besetzen dort mit technologischer Kompetenz und innovativen Produkten führende Marktpositionen. Jan-Philipp Büchler von der FH Dortmund hat die Kooperation deutscher Hidden Champions mit Tesla analysiert. Im Interview erläutert der Wirtschaftsexperte, wie viel deutsches Know-how im US-Elektroautobauer steckt.

Springer Professional: Sie haben in einer Studie die Zusammenarbeit deutscher Hidden Champions mit dem US-amerikanischen Elektroautobauer Tesla untersucht. Was war der Anlass für Ihre Studie? 

Büchler: Hidden Champions stellen grundsätzlich ein besonders interessantes und relevantes Untersuchungsobjekt dar, weil sie Höchstleistungen erbringen und vielfach als Vorbild für erfolgreiche Unternehmensführung genannt werden. Insofern steht zunächst die Identifikation der strategischen Entscheidungsmuster für den Unternehmenserfolg im Vordergrund. Dazu forsche, lehre und berate ich seit vielen Jahren. Konkreter Anlass für die spezifische Studie zu den Hidden Champions, die Tesla beliefern, war der Bau und die geplante Eröffnung der Gigafactory in Grünheide

Empfehlung der Redaktion

2018 | Buch

Fallstudienkompendium Hidden Champions

Innovationen für den Weltmarkt

Das Lehrbuch behandelt in 15 realen Fallstudien typische Managementaufgaben von mittelständischen Unternehmen. Jede Case Study wird ergänzt um eine Übersicht zu Inhalt, Voraussetzungen, Lernzielen und Zielgruppe. Dies dient der vereinfachten und gezielten Konzeption von Lehrveranstaltungen mit dem Fallstudienkompendium, das sowohl für den ausgewählten Einsatz einzelner Fallstudien für eine Lehrveranstaltung als auch für den vollständigen Einsatz semesterbegleitend und als „Case Series“ in einem Vertiefungsfach geeignet ist.

Welche Informationsquellen lagen Ihrer Untersuchung zugrunde?

Meine Hidden-Champions-Datenbank wird seit mehreren Jahren im Rahmen eines langfristig angelegten Projektes zur Erforschung von Wachstumspfaden mittelständischer Weltmarktführer aufgebaut. Das Ziel des Forschungsprojektes ist es, die Bedeutung und Gewichtung der Wachstumshebel "Innovation" und "Internationalisierung" sowie externes und internes Wachstum im Kontext strategischer Unternehmensentscheidungen im Mittelstand zu verstehen. 

Die Datenbank ist auf primären Quellen aufgebaut, d.h. originäre Unternehmensdaten aus Geschäftsberichten, Bundesanzeiger, Patentdatenbanken und ergänzt um Interviews mit Eigentümern, und Geschäftsleitung. Zusätzlich werden Informationen aus sekundären Quellen ergänzt wie etwa von Messeauftritten, aus Pressemitteilungen, Verbandsnachrichten, einschlägigen Marktdatenbanken oder Publikationen in Fachzeitschriften oder auf Konferenzen.

Dieses Forschungsprojekt wird in meinem Institut CASEM (Center for Applied Studies & Education in Management) an der FH Dortmund durchgeführt.

Wer sind die Hidden Champions und was zeichnet sie aus? 

Wir haben in einem mehrstufigen Filterprozess fünfzig Unternehmen mit führenden Marktpositionen aus dem deutschsprachigen Raum identifiziert, die Tesla beliefern. Davon sind 41 Unternehmen eindeutig Hidden Champions. Die restlichen neun sind große Weltmarktführer, also "Big Champions", die bis vor wenigen Jahren teils noch selbst Hidden Champions waren. Beispiele dafür sind Freudenberg, Hella, Schaeffler oder ZF. Von den 41 klassischen Hidden Champions in der Untersuchung kommen 38 aus Deutschland und davon wiederum 14 aus NRW und 13 aus Baden-Württemberg. Es gibt also starke regionale Konzentrationen, bedingt durch die Automobil-Cluster, wie wir sie zum Beispiel im Bergischen Land finden. Auch die Rhein-Ruhr-Schiene hat eine hohe Innovationskraft. Das hängt zum Teil mit ehemals starken Automobilstandorten zusammen wie etwa Bochum. Das hängt aber auch mit der Vergangenheit der Montanindustrie zusammen. Wir haben wichtiges Know-how in unserer Region.

Wie lässt sich die Zusammenarbeit der Hidden Champions mit Tesla charakterisieren?

Innovationsverliebt. Entwicklungsfreudig. Sehr fordernd und sehr schnell. Insgesamt begegnen die Hidden Champions den hohen Anforderungen der Kalifornier auf Augenhöhe und bewerten die Zusammenarbeit als sehr fruchtbar. Sie wissen, dass es in entscheidendem Maße auf sie ankommt, um den ambitionierten "Game Change" in der Mobilitätsindustrie zu erreichen. Darüber hinaus besteht eine hohe Entsprechung zwischen den Hidden Champions und Tesla. Sie haben viele Gemeinsamkeiten, was die Herangehensweise bei Innovationen angeht. Sie wollen neue Standards setzen. Dass Tesla dabei derart fordernd ist, spornt die Hidden Champions zusätzlich an. 

Die Innovationsquote der Hidden Champions, die Tesla beliefern, liegt mit rund neun Prozent deutlich über allen Benchmarks und die Innovationsleistung gemessen an rund 50 Patenten pro 1.000 Mitarbeiter in der Stichprobe ebenso. Diese hohe Innovationsorientierung wird durch eine bemerkenswerte Ausgewogenheit von Kundenfokus (Bedürfnisorientierung) und Entwicklungsfokus (Technologieorientierung) angetrieben.

So zeichnet es sich ab, dass Tesla auf längerfristige Beziehungen setzt. Die Hoffnung auf attraktive Folgeaufträge rund um den Globus ist daher nicht unberechtigt. 

Wieviel Technik, Fahrzeugkomponenten und Produktionstechnologie der Hidden Champions steckt in Tesla?

Tesla sucht gezielt die Technologie und das Know-How der deutschen Hidden Champions in allen Bereichen der Wertschöpfung. Das betrifft natürlich nicht nur das Fahrzeug und seine Komponenten, sondern vor allem auch die Produktionsanlagen, Fertigungsprozesse und intelligente Produktionssteuerungssysteme. 

Dabei zeigt Tesla ein grundsätzlich anderes "Mindset" als die etablierten Automobilhersteller. Letztere setzen in der Zusammenarbeit mit Zulieferern stark auf Kostensenkung. Der resultierende Druck wird in der Zulieferpyramide nach unten weitergegeben. Bei Tesla geht es zwar auch um Kosteneffizienz, aber die Priorität liegt immer auf der Leistungsfähigkeit der Komponenten oder Produktionsanlagen. Gefragt sind Innovation und Schnelligkeit. Gesucht werden ausschließlich Top-Performer. Insbesondere bei direkten Partnern, die Systeme, Module und Baugruppen verantworten. Darunter sind Unternehmen wie Bossard, Engel, Manz oder Kiekert, aber auch deren Zulieferer wie Beko und ifm. 

Wie hoch ist der Anteil deutscher Technologie am Tesla Model 3?

Mehr als ein Drittel der Komponenten und Teile des Model 3 wird von Hidden Champions aus dem deutschsprachigen Raum geliefert. Das beginnt mit den für die Kunden unsichtbaren Bauteilen wie zum Beispiel ultrahochfeste Verbindungselemente mit hochwertigen Spezialbeschichtungen, die das Batteriepack bei einem Unfall sicher an Ort und Stelle halten und denen Batterieleckagen nichts anhaben können. Natürlich kommen viele sichtbare und beeindruckende Komponenten, wie etwa die Türschließsysteme mit versenkbaren Türgriffen oder das leistungsfähige Onboard-Ladesystem ebenfalls von deutschen Hidden Champions. 

Wie wirkt sich die Zusammenarbeit von Tesla und der Hidden Champions auf die Innovations- und Unternehmenskultur der beteiligten Firmen aus?

Es spornt an. Man versteht sich. Es geht häufig um grundlegende Verbesserungen und vollkommen neue Ansätze wie zum Beispiel neuartige Pressverfahren und -anlagen, welche die Herstellung einer einteiligen Karosserie erlaubt. Diese drastische Reduktion in der Karosseriefertigung ist mit erheblichem Entwicklungsaufwand aber auch Kostenvorteilen verbunden. Diese radikale Form der Produktionsvereinfachung ist eine hochkomplexe Entwicklungsarbeit. Einfachheit ist meistens die schönste und anspruchsvollste Form der Komplexität. Tesla strebt nach Einfachheit und lebt dafür eine Innovations- und Leistungskultur, die bei den Hidden Champions eine Entsprechung findet. 

Befördert diese Zusammenarbeit auch den Innovationsdruck auf die deutsche Automobilindustrie im Allgemeinen?

Die Untersuchung macht deutlich, dass Tesla mit einer sehr viel größeren Wucht als allgemein angenommen die Industrie verändert – und die Hidden Champions dabei sehr gut mitziehen. Sie ticken wie Tesla. Dabei ist Tesla der absolute Gamechanger. Das Unternehmen ist unfassbar innovationsfreudig. Und diese Einstellung entspricht jener der Hidden Champions. Sie performen immer dann am besten, wenn sie anspruchsvolle Kunden haben, die Höchstleistungen verlangen. Zugleich braucht Elon Musk die deutschen Hidden Champions, um seine ambitionierten Ziele zu erreichen. Es ist also keine einseitige Abhängigkeit.

Ob sich infolgedessen auch die deutschen Fahrzeughersteller verändern, steht auf einem anderen Blatt. Vielleicht müssen die Hersteller in Zeiten von technologischen Umbrüchen umdenken, um Neuheiten schneller und überzeugend auf die Straße zu bekommen. Die Desintegration der deutschen Hersteller kann in der jetzigen Zeit zum Erschwernis werden, weil die Konzerne langsamer in der Transformation sind. Das kann sich zwar später durchaus wieder ändern, es bleibt aber die Frage, wie viel Wasser Tesla gerade jetzt den deutschen Fahrzeugherstellern abgräbt. Wir können aber sicher sein, dass die deutschen OEMs Tesla nicht nur gespannt beobachten, sondern schon jetzt dabei sind, sich einiges abzuschauen und zu verändern. 

print
DRUCKEN

Weiterführende Themen

Die Hintergründe zu diesem Inhalt

Das könnte Sie auch interessieren