Wie können Unternehmen die Herausforderungen der Transformation in der Automobilindustrie besser bewerkstelligen? Drei Impulse von Robert Minge, Direktor bei Atreus.
Die Transformation der Automobilindustrie erfordert Anpassungen beim Management.
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Hausgemachte Krisenbeschleuniger in der Automobilindustrie können vielfältig sein. Die Führung von Unternehmen in Richtung Zukunftsfähigkeit erfordert heutzutage Flexibilität bei gleichzeitiger Organisationsperformance.
1. Innovationsprozesse überdenken
Der Trend der Automobilindustrie ist durch eine maßgebliche Entwicklung geprägt: Eine steigende Produktvariantenvielfalt, sowie eine Verkürzung des Produktlebenszyklus setzen den deutschen Automobilsektor zunehmend unter Zeit- und Innovationsdruck. Gleichzeitig heißt es oftmals, dass der Reifegrad digitaler und softwarebasierter Produkte asiatischer oder amerikanischer Wettbewerber gegenüber europäischen Anbietern weit ausgeprägter ist. Der Fahrzeugendkunde ist es aus anderen High-Tech- und Konsumgüterindustrien gewöhnt, beispielsweise alle 2 Jahre ein Smartphone-Upgrade mit innovativen Hard- und Software-Eigenschaften zur gewohnten Premiumqualität zu erhalten. Diese Schnelllebigkeit im Markt erfordert ein Über- oder gar Umdenken in Automobilunternehmen (OEM, Zulieferer), was Abläufe für Innovationsmanagement wie auch Applikationsentwicklungen anbetrifft. "Time to Market" ist wichtiger denn je.
Entwicklungsperformance beschleunigen
(1) Um den Produktentstehungsprozess zu verkürzen, können die Möglichkeiten software-basierter Versuchsträger/digitaler Prototypen genutzt werden. Lang andauernde Entwicklungsabschnitte sollten zudem "als ein Abschnitt" überdacht und durch mehrere Meilenstein-Iterationen erweitert werden, um Zeit zu sparen und Risiken zu reduzieren. Um den interdisziplinären Teamgeist – in meist globalen Organisationen – zu fördern, wird ein nahbarer Führungsstil benötigt, der auch schnelle Entscheidungen zulässt.
(2) Ein "weicher" und dennoch entscheidender Faktor soll in diesem Kontext auch angesprochen sein: Die Haltung der Entwicklungsingenieure muss durch Mut, Zuversicht und ein "gesundes Risikobewusstsein" geprägt sein, jedoch darf der Qualitätsgedanke nicht beeinträchtigt werden. Etablierte Routinen als Haltung einer schnelleren Entwicklungszeit sind oftmals hinderlich.
(3) Um Innovationen zu skalieren, wird Marktintelligenz benötigt. Diese muss – von der Idee, über Produktfreigabe, bis zur Industrialisierung – durch Vertrieb und Marketing einfließen, um Kundenakzeptanz, Nachfragepotenzial und somit Marktfähigkeit der neuen Produkte sicherzustellen. Ebenso darf keine Selbstgefälligkeit der geschaffenen Innovationen durch die Produktentwickler zugelassen werden. Anderenfalls belegen zahlreiche Beispiele, dass hohe und lange Entwicklungsaufwände niemals einen ROI (Return on Investment) haben werden.
2. ESG-Programme sind wichtig
Da die Definition von Nachhaltigkeit sowie die Identifikation von ESG-Themenstellungen nach wie vor – industrieübergreifend – umstritten sind, ist auch die Akzeptanz einer ESG-Strategie in der derzeit "gestressten" Automobilindustrie unterschiedlich ausgeprägt. Dafür ursächlich sind oftmals nicht standardisierte oder unterschiedliche Bewertungskriterien und Gewichtungen des Rahmens – sowohl national als auch global. Komplexität und Konfusion sind groß – der Aufwand scheint höher als der Nutzen. Fakt ist dennoch: Wer im Jahr 2025 noch immer keine ernst gemeinte ganzheitliche ESG-Roadmap in die Unternehmensstrategie integriert, wird noch in diesem Jahrzehnt markant an Unternehmenswert verlieren. ESG ist "Chefsache" und betrifft das ganze Unternehmen.
Anregungen für eine Nachhaltigkeits-Agenda
(1) Eine ESG-Agenda in die DNA des Unternehmens zu implementieren, ist eine komplexe und interdisziplinäre Aufgabenstellung, wofür es Programmstruktur und einen hohen Umsetzungsgeist erfordert. Da diese Mission nur dann erfolgreich wird, wenn alle Hierarchien und alle Funktionen aktiv involviert werden, sollte der ESG-Verantwortliche Seniorität und Erfahrung mitbringen, um die erforderlichen Transformationsschritte ganzheitlich cross-funktional zu implementieren.
(2) ESG-Konformität geht mit einer hohen Komplexität, einer intransparenten Landschaft an Vorgaben/Vorschriften/Gesetzen, zahlreichen Reporting-Anforderungen sowie einem anfangs nur schwer messbaren Kosten-Nutzenverhältnis einher. Diese oftmals viel zitierten hohen Bürokratieanforderungen können überfordernd und "unerreichbar" wirken, was vielmals zu Unsicherheit oder Ablehnung von Initiativen führt. Wichtig hierbei ist, Pragmatismus bei der Umsetzung mitzubringen.
3. Automotive-Wandel und Organisation aufeinander abstimmen
Neue Antriebstechnologien, disruptive und fluktuierende Märkte, zunehmender Druck vom Kunden und Wettbewerb sind drei von mehreren komplexen Herausforderungen, die derzeit auf die Automobilindustrie einwirken. Um die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen zu erlangen/optimieren, sind aktuell zahlreiche Programme im Bereich der Restrukturierung, Refinanzierung, sowie Reorganisation unumgänglich, um die kurz- und langfristige Profitabilität abzusichern. Doch bei der Optimierung der Organisationsform geht es nicht nur um operative Effizienz, sondern es gilt zudem, Innovationsgeist, Flexibilität und Entscheidungsfokus zu fördern. Zweifelsohne wirkt sich jedwede strukturelle Anpassung der Organisationsform auf die Unternehmensleistung aus. Neben den rationalen Gegebenheiten ist es wichtig, emotionale Begleiterscheinungen einer Organisationsveränderung einzuschätzen und zu berücksichtigen. Ängste, Unsicherheit, Unklarheit und persönliche Befindlichkeiten können in Transformationsprozessen den gewünschten Effekt negativ beeinflussen. Die Qualität der Führungskompetenz entscheidet über den Erfolg des Unternehmens.
Einflussfaktoren auf die Wirksamkeit einer Organisation
(1) Um eine existierende Organisation in ein Target Operating Model zu transformieren, müssen viele Dinge richtig umgesetzt werden: die Definition des Organisationsdesigns, ein Projektplan zur Implementierung sowie ein einheitliches Kommunikationskonzept sind nur drei Aufgabenpakete eines solchen Organisationsvorhabens. Dabei ist es wichtig, dass HR und die Business-Organisation(en) stets abgestimmt agieren und gemeinsam für Klarheit sorgen, was die Dimensionen der Aufgaben, Verantwortung und Kompetenzen in beispielsweise einer mehrdimensionalen Matrixorganisation anbetrifft. Oftmals unterstützen externe Organisationsberatungen den komplexen Implementierungsprozess. Um ein nachhaltiges Erfolgsergebnis zu erlangen, sollte die Zielorganisation jedoch "von innen" heraus entwickelt werden und dieser Transformationsprozess von einem erfahrenen Organisationsexperten inhaltlich geführt werden.
(2) Das Wachstum eines Unternehmens wird primär durch die Vertriebsorganisation beeinflusst. Der Erfolg der Vertriebsaktivitäten hat zahlreiche Abhängigkeiten und wird maßgeblich durch zwei Komponenten geprägt: die Geisteshaltung und Methodik der Salesforce, wie ein Markt "erobert" werden soll. Die letzten 20 Jahre sind geprägt durch relativ konstantes Wachstum, überwiegend planbare Abrufe und ein transparentes Wettbewerbsumfeld. Die derzeitigen Marktveränderungen im Automotive-Segment erfordern eine grundlegende Änderung der Haltung, was das Bearbeiten von Kunden und Zielkunden anbetrifft. Der Vertrieb muss in der Lage sein, aufgebaute Marktintelligenz im Unternehmen schnell zu spiegeln, um die Paramater der Wettbewerbsfähigkeit und Kundenbedürfnisse in der Organisation kritisch reflektieren und ggfs. Strategieanpassungen einfließen zu lassen. Es bedarf heute eines "2.0" der Haltung und Technik eines Sales Managers, die Extra-Meile zu gehen, und schnell entscheidungsfähig zu sein.
(3) Dass man Probleme niemals mit der Denkweise lösen kann, durch die sie entstanden sind, hat bereits einst Albert Einstein formuliert. Dieses Zitat trifft noch heute auf zahlreiche gravierende Herausforderungen in Unternehmen der Automobilindustrie zu. Noch nie dagewesene, oder besonders komplexe einmalig bevorstehende Veränderungsvorhaben, die den weiteren Unternehmensfortbestand maßgeblich beeinflussen, erfordern eine Umsetzung durch erfahrene Führungskräfte in der jeweiligen "Disziplin".
Fazit
Disruption, neue Megatrends und sich wandelnde Umfeldbedingungen erfordern eine tiefgreifende Transformation der Automobilindustrie. Statuten der vergangenen Jahre sind heute kein automatischer Erfolgsgarant mehr für morgen. Unternehmen sollten ihre Kultur und Führungsprinzipien an den neuen Zeitgeist anpassen. Die Qualität der kurzfristigen Umsetzung von Managementherausforderungen sticht die "Strategie 2030".