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2021 | Buch

Autopolitik

Europa vor der T-Kreuzung

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Über dieses Buch

​Die Automobilindustrie von heute ist das Ergebnis von einem Jahrhundert Automobilpolitik. Dabei ging es weltweit um den steigenden Beitrag der Branche zu Beschäftigung und Wachstum und zugleich um die Eindämmung der vom Auto ausgehenden Schäden. Das passierte bisher in stabilen politischen Silos und weltweit nahezu synchron mit Europa als zentralem Spieler. Heute stellen neue Technologien und politische Fragestellungen und Konflikte die Zukunft von Unternehmen und die bisherige politische Logik fundamental in Frage.
Dieses Buch beleuchtet Geschichte und Gegenwart der Politik rund um das Automobil, um aufzuzeigen, wo und wie Europa in Zukunft entscheiden muss, um seine Rolle im Vergleich zu China und den USA zu finden.
Der Autor analysiert die Transformation von Antriebstechnologien nicht nur als klimapolitische Frage sondern in ihrer industriepolitischen Dimension. Im digital organisierten Verkehrssystem der Zukunft geht es auch um die grundlegende Neuverteilung kritischer Kompetenzen in der Wertschöpfungskette im Wettbewerb zwischen Europa, den USA und China. Nach innen muss die EU das Verhältnis zwischen Gemeinschaft, Mitgliedsstaaten und Städten neu ausrichten. Europa steht hier gleichzeitig vor mehreren wegweisenden Entscheidungen.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1. Worum es heute geht – Europa, China, USA
Zusammenfassung
Gesamtüberblick über das Buch: Die Rolle des Automobils als Kern des Mobilitätssystems, als Schlüsselfaktor industrialisierter Volkswirtschaften und als Wachstums- und Innovationsmotor ist im 20. Jahrhundert im Wechselspiel zwischen industrieller Innovation und politischer Entscheidung entstanden. Eine technologische Führungsrolle der europäischen und besonders der deutschen Autohersteller ging mit einem weltweit konvergierenden Regulierungsmodell einher. Dieses Grundmodell verändert sich jetzt fundamental, wobei die USA und China in eine Treiberrolle gerückt sind. Europa steht deshalb jetzt vor fünf Richtungsentscheidungen in Schlüsselfragen für die Zukunft der Industrie aber auch für die Mobilität seiner Bürger: 1. Der Antriebstechnologie, 2. der Machtverteilung im Mobilitätssystem, 3. dem Verhältnis zu den USA und zu China, 4. der Rollenverteilung zwischen europäischer, nationaler und städtischer Ebene und schließlich 5. dem Prozess politischen Entscheidens und der Ausgestaltung des regulatorischen Instrumentenkastens. Auf der Basis eines konzeptionellen Rahmens (Kapitel 2–6) werden die wichtigsten politischen Handlungsfelder (Kapitel 7–14) dargestellt und anschließend die zentralen Schlussfolgerungen (Kapitel 15–18) abgeleitet.
Thomas Becker
2. Wie die Autoindustrie gemacht wurde
Zusammenfassung
Konzeptioneller Rahmen – historische Interdependenzen: Dass das Automobil sich aus der Nische eines Fortbewegungsmittels für wenige Reiche zu einem demokratisierten Massenfortbewegungsmittel entwickelt hat, das umfassende Mobilität mit Individualität und Freiheit verband, ist strategisch-konzeptionellen Innovationen aus der Industrie mindestens ebenso sehr zu verdanken wie einer staatlichen Infrastrukturpolitik, welche die Mobilisierung dieses Potenzials erst ermöglicht hat. Die massiven Investitionen in eine autogerechte Infrastruktur waren nur legitimierbar, weil das Auto Chancen versprach, die Politik nicht ungenutzt lassen konnte. Während das Automobil als Produkt ein Jahrhundert lang global immer weiter expandierte, war seine Industrie zutiefst von nationalen politischen Entscheidungen geprägt. Diese reichten von der gezielten Subventions- und Strukturpolitik des Deutschen Reiches über die spezifischen arbeitsmarktpolitischen Spielregeln des „Biotops Detroit“ bis hin zu der Schlüsselrolle bei der Öffnung Chinas unter Deng Xiaoping.
Thomas Becker
3. Politik
Zusammenfassung
Konzeptioneller Rahmen – politischer Prozess und Instrumente: Die weltweiten Gesetzgeber haben eine umfassenden Instrumentenkasten entwickelt, mit dem die technischen Eigenschaften des Fahrzeugs und seine Nutzung immer enger regulatorisch beeinflusst wurden. Auf der Angebotsseite reicht das Spektrum von ordnungsrechtlich-technischen Vorgaben in Sachen Sicherheit und Umweltschutz bis hin zur Verwertung und zur Steuerung des CO2-Ausstoßes in der Flotte. Zugleich definieren Zulassungsregeln, Höchstgeschwindigkeiten, aber auch Zugangsbegrenzungen sowie Privilegien und Nachteile für definierte Fahrzeug- und Nutzerkategorien die Nachfrage nach Automobilen ganz wesentlich mit. Die steuerliche Behandlung des Fahrzeugs bei seinem Erwerb und seiner Nutzung aber auch Steuern auf das Einkommen des Nutzers oder auch den Kraftstoff, kommt hinzu. All diese Regeln sind Ausdruck eines politischen „Produktionsprozesses“, der von konkurrierenden politischen Parteien immer wieder neu geformt wurde. Dabei haben zuerst die Nutzung der mit dem Automobil verbundenen Chancen, zunehmend aber auch die von ihm ausgehenden Risiken die Legitimation für politische Intervention geliefert. Der Wandel der Medienlandschaft, die Rolle wissenschaftlicher Analysen aber auch der Einfluss von Interessengruppen spiegeln die Unterschiede der politischen Prozesse zwischen Europa, den USA und China.
Thomas Becker
4. Das Auto und die Wirtschaftssysteme
Zusammenfassung
Konzeptioneller Rahmen – Automobilindustrie und Wirtschaftsordnung: Die politische Systemauseinandersetzung um die Soziale Frage des späten 19. und 20. Jahrhunderts spiegelt sich in der Geschichte der Automobilindustrie. Diese ist ebenso ein Schlüsselfaktor für die Entwicklung starker Gewerkschaften gewesen wie für die totalitäre Behauptung eine Aufhebung des Konflikts zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen. Der „Sozialdemokratische Kompromiss“ und die Nachkriegsordnung gerade der Bundesrepublik Deutschland wurden durch den Erfolg der Automobilindustrie gestärkt und abgesichert, waren zugleich aber dessen Beschleuniger. Der Sozialismus sowjetischer Prägung scheiterte umgekehrt kaum in einem anderen Sektor so sichtbar wie im Automobilbau. Die europäische Integration hat mit der Vereinheitlichung der technischen Anforderungen zur Stärkung der Industrie, und wiederum vor allem der deutschen, beigetragen. In den USA dagegen sind die arbeitsmarktpolitischen Spielregeln bis heute Teil des Standortwettbewerbs zwischen den Bundesstaaten und waren (mit einer Unterbrechung durch Donald Trump) auch klares Differenzierungsmerkmal der beiden politischen Lager. In China demgegenüber steht das enorme Wachstum der Automobilindustrie für die zentrale politische These, dass marktwirtschaftliche Organisation von industrieller Produktion und parlamentarische Demokratie einander weder bedingen noch voraussetzen. Der Erfolg des Automobils bei der Stabilisierung von Volkswirtschaften (unabhängig von deren politischer Verfassung) hat sich weltweit auch in der Bereitschaft zu erheblichen staatlichen Interventionen zu Gunsten der Industrie niedergeschlagen.
Thomas Becker
5. Der Aufstieg der Umweltfrage
Zusammenfassung
Konzeptioneller Rahmen – Gamechanger Umweltpolitik: Die Bedrohung der natürlichen Umwelt hat sich zu dem weltweit stärksten Treiber der politischen Intervention in die Automobilindustrie entwickelt. Die Umweltfrage hat nicht nur die technischen Anforderungen an das Auto immer weitergetrieben, sondern stellt auch zunehmend seine Rolle an sich in Frage. In Europa liegt die institutionelle Hauptrolle inzwischen kaum noch bei den Mitgliedsstaaten, sondern bei Kommission, Rat und Parlament, zu deren „Markenkern“ der Umwelt- und Klimaschutz gehört. Das Auto ist dabei nicht nur Objekt immer tiefer greifender Intervention, sondern spielt gerade in Deutschland auch eine symbolische Rolle für fundamentale ideologische Standpunkte. Der politische Mechanismus funktioniert in den USA und in China nach anderen Regeln, hat aber ebenfalls zu immer tiefer greifenden Debatten und geänderten Anforderungen geführt. So war die Politik in den USA über Jahrzehnte vom Dualismus zwischen dem Staat Kalifornien und dem Bund geprägt, allerdings mit einer wesentlich stärker technologie- und innovationszentrischen Logik als in Europa. In China erfolgt der Abgleich konkurrierender Ziele und Interessen - von der Sicherung der Akzeptanz des politischen Systems, über die binnen- und außenwirtschaftlichen Ziele bis hin zu Umwelt- und Industriepolitik - dagegen nicht über die öffentliche und medial verstärkte Konkurrenz von Institutionen, Parteien und Personen, sondern innerhalb der Apparate von Partei und Verwaltung.
Thomas Becker
6. Manager und Politiker
Zusammenfassung
Konzeptioneller Rahmen - Unternehmensführung im politischen Kontext: Die Fähigkeit, die Legitimität des eigenen Handels und das Vertrauen in das eigene „Wollen“ und das „Können“ bei der Erfüllung gesellschaftlicher Erwartungen abzusichern, ist zum Engpassfaktor für die Automobilindustrie geworden. Die Berufung auf den marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen reicht ebenso wenig aus, wie der bloße wirtschaftliche Erfolg und die Sicherheit von Arbeitsplätzen. Vielmehr ist die Fähigkeit zur Transformation angesichts umfassend veränderter Umfeldbedingungen zur Voraussetzung für eine Einwirkungsmöglichkeit auf politische Prozesse geworden. Die Glaubwürdigkeit der Führung ist stärker gefordert denn je – und ihr Verlust hat schwerere Folgen als früher (siehe Volkswagen). Dabei ist eine bloße Anpassung im Modus des „Müssens“ im Verhältnis zur Politik immer weniger tragfähig – es geht um glaubwürdiges „Wollen“ auch unter Inkaufnahme unternehmerischer Risiken.
Thomas Becker
7. Handels- und Standortpolitik
Zusammenfassung
Politische Handlungsfelder – Handels- und Standortpolitik: Die Automobilindustrie ist durch ihren hohen Beschäftigungs- und Investitionsmultiplikator früh zu einem Schwerpunkt nationaler Industriepolitik und des Wettbewerbs der Staaten geworden. Zugleich stand sie schon früh im Mittelpunkt handelspolitischer Auseinandersetzungen. Zölle und technische Handelshemmnisse spielten bei der Ansiedlung von Automobilproduktion weltweit eine erhebliche Rolle. Nach dem Ende der WTO-Liberalisierungsrunde hat vor allem die erfolgreiche Lokalisierungspolitik Chinas eine Vielzahl von Nachahmern insbesondere in Schwellenländern gefunden. Eine Zuspitzung und national-symbolische Aufladung von Automobilthemen erfolgte mit der handelspolitischen Kehrtwende der Trump-Administration. Sie betraf die Autoindustrie ganz direkt transatlantisch, aber auch indirekt in der Auseinandersetzung mit China. Parallel stellte der Brexit die in der Europäischen Union selbst geschaffenen Grundlagen des Zugangs zum gemeinsamen Markt infrage. In der Zukunft wird die Kontrolle von technologischen Schlüsselkompetenzen bis hin zum Management des Verkehrssystems zu einem neuen Feld der handels- und standortpolitischen Auseinandersetzung. Die Durchsetzung der umweltpolitischen Ziele der EU mit handelspolitischen Mitteln könnte ein weiteres neues Konfliktfeld eröffnen.
Thomas Becker
8. Produktpolitische Evolution
Zusammenfassung
Politische Handlungsfelder – Produktpolitik im Überblick: Die politische Umgestaltung des Produkts Automobil vollzieht sich in zwei Dimensionen. Angebots- und nachfragezeitige Interventionen können in unterschiedlichen Ausprägungen miteinander kombiniert werden. In beiden gibt es die Alternative von restriktiven und motivationsorientierten Maßnahmen. Die produktpolitische „Evolution“ begann im Handlungsfeld Sicherheit, entwickelte einen zweiten Schwerpunkt bei der Bekämpfung von Luftschadstoffen und wird aktuell von der Klimapolitik dominiert. Zugleich wechselten weltweit die Treiberrollen: Fahrzeugsicherheit und Schadstoffbegrenzung wurden in den USA zuerst vorangetrieben. Die EU führte bei der Entwicklung von Flottenregulierungen zur Senkung des CO2-Ausstoßes. Den Anschub zur Elektrifizierung als Lösungspfad für Schadstoffe und Klima zugleich gaben dagegen Kalifornien und China.
Thomas Becker
9. Klimapolitik – Was bisher geschah
Zusammenfassung
Politische Handlungsfelder – Evolution der globalen Klimapolitik: Die imperative des Klimaschutzes wirken sich fundamentaler auf das Automobil aus als alle vorangegangenen Politiken. Die Automobilindustrie gehört nicht nur zu den wichtigsten CO2-Emittenten, sondern befindet sich auch in einer ganz spezifischen politischen Konstellation im Vergleich zu anderen Wirtschaftssektoren. Automobil-Klimapolitik war von Anfang an industriepolitisch überlagert und daher konfliktbehafteter als die Themen Sicherheit und Schadstoffe. Während in der EU über mehrere Regulierungsrunden hinweg nationale Interessen (vor allem Deutschlands und Frankreichs) konkurrierten, war in der US-Debatte das Selbstverständnis und der umweltpolitischen Gestaltungsanspruch des Bundesstaates Kalifornien die treibende Kraft. Hier wurde auch der die heutige Diskussion bestimmende Schwenk von einer technologieneutralen Regulierungslogik zur Erzwingung neuer Antriebsformen vollzogen. Die Übernahme dieses Ansatzes durch China hat Klimaschutz zum integralen Bestandteil der industriepolitischen Agenda gemacht. Elektrifizierung ist ein Kernelement der Strategie für eine weltweite Expansion der chinesischen Automobilindustrie.
Thomas Becker
10. CO2 – aktuelle Debatten im Vergleich
Zusammenfassung
Politische Handlungsfelder – State of Play CO2: Die Debatte um einen Ausstiegsplan aus der Verbrennertechnologie wird unter der Überschrift des „Green Deal“ (mit der Corona-Krise als Beschleuniger) die bestimmende Debatte in Europa in den kommenden Jahren sein. Dabei wird auch die Zukunft von Alternativpfaden wie Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen verhandelt. In den USA hat die Konfrontation zwischen der Trump-Administration und dem Staat Kalifornien über die bisherige Flotten-CO2-Logik zu einer offenen Spaltung der Automobilindustrie zwischen beiden Lagern geführt. Für die Biden-Administration wird das Verhältnis zwischen den inzwischen angekündigten Verbrenner-Ausstiegsplänen Kaliforniens und einem künftigen bundesgesetzlichen Rahmen zur zentralen Herausforderung. China hat derweil in punkto Volumen die Führungsrolle im Bereich elektrischer Mobilität übernommen und zugleich als erster Markt den Einstieg in eine Effizienzregulierung für elektrische Fahrzeuge anstelle einer reinen, mit steigender Elektrifizierung immer fragwürdigeren CO2-Logik eröffnet. Die Debatte darüber, mit welcher alternativen Steuerungslogik Energieeffizienz und indirekter Klima-Fußabdruck von Autos ohne eigene Emissionen gesteuert werden können, ist zentral für den künftigen politischen globalen Konzeptwettbewerb
Thomas Becker
11. Luftqualität
Zusammenfassung
Politische Handlungsfelder – Luftqualität: Der VW-Abgasskandal hat in Europa jahrelang die Debatte um die Weiterentwicklung der Schadstoffanforderungen an die Verbrennungsmaschine bestimmt und zugleich die Elektrifizierungsagenda deutlich beschleunigt. Anders als in den USA und China hat die fehlende Synchronisierung zwischen fahrzeugseitigen Emissionsanforderungen auf der einen, Vorgaben für die in Städten zu erreichenden Immissionsniveaus auf der anderen Seite zu einer Zuspitzung der Debatte bis hin zur Androhung weitgehender Fahrverbote beigetragen. Die relative Entspannung im Corona-Jahr 2020 ist der auch durch zusätzliche Anreize beschleunigten Durchdringung des Fahrzeugbestands mit neueren und zunehmend elektrischen Fahrzeugen zu verdanken. Gerade in Deutschland stellen die vergangenen fünf Jahre allerdings eine erhebliche politische Hypothek nicht nur für die Industrie, sondern auch für die politischen Entscheider dar. Und sie zeigen die Grenzen der etablierten Gesetzgebungsverfahrens beim Management eines komplexen urbanen Verkehrssystems auf.
Thomas Becker
12. Elektromobilität
Zusammenfassung
Politische Handlungsfelder – Elektromobilität: Die Elektrifizierung des Antriebs ist nicht nur eine technische Umstellung, wie etwa die von Kohle auf Windkraft. Sie ist ein unmittelbar den Kunden mit seinen Erwartungen an das Auto betreffender Wandel mit fundamental neuen Anforderungen an die Grundinfrastruktur des Automobils. Zugleich wird die Wettbewerbslandschaft innerhalb der Industrie verändert. Mit dem kalifornischen ZEV-Mandat und dem dort eingebauten Kredit-Handelsmechanismus wurde Tesla überhaupt erst ermöglicht. Für die etablierten Automobilhersteller ist die Transition in den elektrischen Antrieb zugleich zur größten strategischen Herausforderung geworden. Trotz der aktuellen Beschleunigung der Elektrifizierung sind die Voraussetzungen für einen nachhaltigen, dauerhaften Hochlauf unsicher. Die Ladeinfrastruktur ist in weiten Teilen der EU unzureichend, verbindliche Anforderungen an Staaten, Regionen und Städte fehlen. Diese entscheiden aber darüber, ob und wie schnell Elektrifizierung auf den CO2-Fußabdruck der europäischen Bestandsflotte durchschlägt oder aber ob eine aggressive angebotsseitige Politik an fehlender Symmetrie auf Nachfrageseite scheitert. Die Ansiedlung von und die umweltpolitischen Anforderungen an die Batterieproduktion in Europa sind zugleich zum Schnittpunkt von Umwelt- und Industriepolitik geworden.
Thomas Becker
13. Digitalisierung
Zusammenfassung
Politische Handlungsfelder - Digitalisierung: Digitale Technologien und auf ihnen aufbauende Geschäftsmodelle verändern das Automobil von außen. Es wird zum Marktplatz für digitale Dienstleistungen, der Betrieb von Autos wird zugleich um Dienstleistungsoptionen jenseits von Taxi, Mietwagen und öffentlichem Verkehr erweitert. Und die Ersetzung des Fahrers als alleinigem Entscheidungsträger für das Wo? Wohin? Wann? Wie schnell? des Autofahrens wird zur Option. Alle drei Momente erfordern politische Gestaltung, die von der rechtlichen Ermöglichung neuer technischer Optionen bis hin zur Regulierung des Verkehrs mit völlig neuen Managementoptionen reicht. Dazu gehört eine Marktordnungspolitik mit Rechten und Pflichten etablierter und neuer Akteure am Markt, aber auch die Regelung der Zugriffsrechte auf die in Fahrzeugen erzeugten Daten. Schließlich wird Politik darüber entscheiden, ob das „autonome“ Fahren letztlich faktische „Fernsteuerung“ bedeuten wird. Vieles spricht dafür, dass China in diesem Handlungsfeld ein mindestens so starker Treiber sein wird wie die US-Industrie. Zugleich wird für Europa die Rolle als Austragungsort eines amerikanisch-chinesischen Technologie- und Systemwettbewerbs erstmals in der automobilen Geschichte zu einem realen Szenario - ungeachtet der politischen Beschwörung „digitaler Souveränität“.
Thomas Becker
14. Städte – Brennpunkte und Kampfplätze
Zusammenfassung
Politische Handlungsfelder – Urbane Mobilität: Die Städte sind der „Ballungsraum“ der Überlastung des Verkehrssystems und der Umweltauswirkungen der Mobilität. Viele Metropolen sehen sich zugleich als Treiber der klimapolitischen Veränderung. Mobilitätsdienstleistungen („car as a service“ und „on demand mobility“) zielen vor allem auf das urbane Kundenpotenzial, haben aber bisher die umfassenden Versprechungen für eine nachhaltigere Mobilität nicht einlösen können. Umgekehrt hat auch der durch Corona beschleunigte Schub in Richtung von Beschränkungen des Verkehrsraums mit den „analogen“ Mitteln von „Blech am Straßenrand“ und „Farbe auf Asphalt“ nicht zu einer nachhaltigen Veränderung des Mobilitätsverhaltens geführt. Die These lautet daher, dass die sehr unterschiedliche Motivationen für die Nutzung eines Autos im städtischen Raum mit dem etablierten Instrumentarium nicht wirksam adressiert werden können. Stattdessen muss das mit digitalen Technologien geschaffene Potenzial weit differenzierterer Anreiz- und Steuerungssysteme genutzt werden, um individuelle Mobilität mit deutlich verringerten Belastungen für die Städte zu ermöglichen. Im Vergleich zu den USA und China weitet sich jedoch in Europa die Lücke zwischen einem behaupteten politischen Gestaltungsanspruch auf der einen, unzureichender instrumentell–technologischer Kompetenz auf der anderen Seite.
Thomas Becker
15. Neue Zusammenhänge – die ersten drei T-Kreuzungen
Zusammenfassung
Schlussfolgerungen – Ende der Silos: Die zuvor dargestellten Handlungsfelder überlappen sich zunehmend. Industriepolitische Entscheidungen Chinas und der USA beeinflussen das Mobilitätssystem in Europa. Vernetzung wird erfolgsentscheidend für die Umstellung von Antriebssystemen. Die industrielle Wertschöpfungskette verändert sich mit einer neuen Rollenverteilung der Hauptmärkte. Handels- und Standortpolitik wird mit der Machtverteilung im Mobilitätssystem und dessen Schlüsseltechnologien gemacht. Europa steht vor der Herausforderung, diese Themen in ihrer Interaktion zu analysieren und die richtigen Entscheidungen zu treffen - an drei „T-Kreuzungen“: Erstens ist zu entscheiden ob technische Angebotsregulierung der einzige EU-weite Pfad für die Umstellung der Antriebssysteme bleibt. Oder ob dieser die letzten zwei Jahrzehnte dominierende Weg durch eine breitere Strategie ersetzt wird, welche die Nachfrageseite integriert und dabei die staatlichen Ebenen der EU verklammert. Zweitens geht es um die Definition der Spielregeln und damit die Machtverteilung im künftigen Mobilitätssystem und die Wahl zwischen dem bloßen Reagieren auf neue Technologien und Geschäftsmodelle oder einer gestaltenden, eigenen politischen Strategie. Drittens muss Europa wählen zwischen der Akzeptanz einer dominierenden Rolle der USA und Chinas (und dem Versuch, mit diesen gemeinsame Regeln zu vereinbaren) und der Durchsetzung des Anspruchs auf eigene Gestaltungsfähigkeit - auch unter Inkaufnahme von Konflikten.
Thomas Becker
16. Der Mindset entscheidet – wo es „hakt“
Zusammenfassung
Schlussfolgerungen – Hindernisse: In mehreren Handlungsfeldern haben die politisch-historischen Prozesse der letzten Jahrzehnte erhebliche Hypotheken hinterlassen, die neuen wirksameren Lösungen im Wege stehen. Die Grenzen der Legitimierbarkeit analoger, restriktiver Interventionen, die ideologische Beschränkung des Lösungsraums, die Zuspitzung und Verengung auf einzelne Instrumente, aber auch die gemessen an der technologischen Entwicklung zu niedrige Geschwindigkeit des politischen „Designprozesses“ erfordern die Überprüfung des eigenen Handelns von allen am politischen Prozess Beteiligten. Und sie verlangen die Öffnung der Debatte für Innovationen im politisch-institutionellen Bereich, aber auch bei der Weiterentwicklung des administrativ-regulatorischen Werkzeugkastens.
Thomas Becker
17. Politisch-Instrumentelle Innovation oder Stagnation
Zusammenfassung
Schlussfolgerungen – politisches Mehrebenenmodell und neue Instrumente: Die letzten beiden „T Kreuzungen“ der europäischen Politik betreffen ihren „Modus Operandi“. Es ist an der vierten Kreuzung zu entscheiden, ob die Umgestaltung des Mobilitätsystems im offenen Wettbewerb unabgestimmter lokaler, regionaler und nationaler Politiken erfolgt, und so den in Jahrzehnten realisierten Binnenmarkt für Automobile und deren Nutzung nachhaltig infrage stellt. Oder ob ein europäischer Rahmen Spielregeln setzt, die mit hinreichender Flexibilität durch die Mitgliedsstaaten und die Kommunen ausgefüllt werden. Schließlich geht es an der fünften Weggabelung darum, ob die bisherige Dominanz von analogen Ge- und Verboten mit wenigen Inseln starrer Maut-Systeme um ein differenziertes, digitales Ordnungs- und Bepreisungssystem ergänzt wird. Dieses könnte in flexibler, lokal anpassungsfähiger und für die Bürger nachvollziehbar Form die Nutzung knapper öffentlicher Güter effizienter als heute steuern. Hinzu kommt die Frage, ob der politische Prozess um zusätzliche Dialogformate zwischen entscheidenden Stakeholdern auf der einen Seite, neue Möglichkeiten für unmittelbare digitale Bürgerpartizipation andererseits, ergänzt wird. Dabei ist auch zu entscheiden, ob die heute bestehenden Bremsfaktoren für die Nutzbarkeit von Mobilitätsdaten erweitert werden oder nicht.
Thomas Becker
18. Zum Schluss
Zusammenfassung
Schlussfolgerungen – gegenseitige Abhängigkeit und Führung: Alle anstehenden Weichenstellungen haben eines gemeinsam - die Abhängigkeit der Automobilindustrie von der politischen Entwicklung steigt in historisch beispiellosem Umfang. Umgekehrt übernimmt die Politik in ebenso beispielloser Weise die Haftung für die Zukunft ihres wichtigsten Industriesektors. Angesichts ebenso neuartiger potentieller Abhängigkeitsverhältnisse zu den großen globalen Wettbewerbern China und den USA wird die Schaffung von neuem Vertrauen zwischen Politik und Industrie zu einem entscheidenden Erfolgs- und Misserfolgsfaktor für die EU. Diese Umbruchphase und die mit ihr einhergehende Verunsicherung bisher sicherer Fundamente für das Handeln von Unternehmen verlangt auch von deren Management ein anderes Agieren und vor allem eine andere, glaubwürdigere Haltung - gegenüber Öffentlichkeit und Politik aber auch gegenüber den eigenen Mitarbeitern.
Thomas Becker
Metadaten
Titel
Autopolitik
verfasst von
Dr. Thomas Becker
Copyright-Jahr
2021
Electronic ISBN
978-3-658-32880-1
Print ISBN
978-3-658-32879-5
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-32880-1

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