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05.05.2021 | Bank-IT | Interview | Online-Artikel

"Oft bleibt nur Raum für punktuelle Digitalisierung"

verfasst von: Swantje Francke

6 Min. Lesedauer

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Interviewt wurde:
Edeltraud Leibrock

Edeltraud Leibrock ist Managing Partner und Group Vice President Financial Services beim Beratungshaus Publicis Sapient. Die Expertin für Digitale Business Transformation verantwortet die Leitung der Financial Services Practice in der DACH-Region.

Das Beratungshaus Publicis Sapient hat in einer Studie den Reifegrad der digitalen Transformation in der Bankenbranche untersucht. An welchen  Punkten es noch hakt, erläutert Edeltraud Leibrock im Gespräch.

Springerprofessional: In der Finanzindustrie ist bereits seit Jahren die Digitalisierung das bestimmende Thema. Ein Jahr nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie ist allen Marktteilnehmern im Bankengeschäft endgültig klar, dass es keine Zukunft ohne Digitalangebote geben wird. Zwar sind sich die für Ihre Studie gefragten Entscheider dessen bewusst, nur sind die Digitalisierungsagenden noch immer in Bearbeitung. Wie weit sind Banken bisher gediehen?

Edeltraud Leibrock: Da muss man etwas differenzieren: die Mehrheit der von uns befragten Banken, 83 Prozent, hat zwar inzwischen eine klar formulierte Strategie für ihre digitale Transformation, jedoch beklagt mehr als die Hälfte, nämlich 60 Prozent, dass sie bei der Umsetzung dieser Strategie noch keine nennenswerten Fortschritte gemacht haben. Dennoch: es gibt eine – wenn auch mit einem 14 prozentigen Anteil immer noch relativ kleine – Gruppe von Banken, die wir in unserer Studie als Transformation Leaders einordnen. Den größten Teil mit rund 70 Prozent bilden allerdings die Slow Starters.

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Unterschieden wird in Ihrer Studie zwischen den Feldern Customer Experience und Operational Transformation. Auf welchem der beiden schreitet die Entwicklung schneller voran? Und warum?

Auch das kann man nicht pauschal beantworten. Die Transformation Leaders sind definitionsgemäß überall ganz vorn mit dabei, während sich die beiden Gruppen, die entweder in der einen oder in der anderen Dimension besonders gut vorankommen sind, sich nahezu die Waage halten. Individuell hängt das stark vom Geschäftsmodell der jeweiligen Bank selbst und vom Umfeld ab. So wird eine Bank, die aktiv neue Kunden oder Kundengruppen gewinnen will, normalerweise stärker in Customer Experience investieren, während regulatorische Vorgaben wie zum Beispiel schon BCBS 239 oder aktuell ESG eher in Richtung Datenintegration und damit auf Operational Transformation wirken – zumindest, wenn sie gut umgesetzt werden. Im Grunde sind aber die beiden Dimensionen nicht unabhängig voneinander zu sehen. Es geht ja bei der digitalen Transformation nicht um Einzelmaßnahmen, sondern darum, neue, kundenzentrierte Angebote zu bauen und umzusetzen. Dazu gehören auch die dahinterliegenden Prozesse. Und Daten brauche ich eben nicht nur für die Aufsicht, sondern vor allem auch, um meinem Kunden den bestmöglichen Service zu bieten.

Laut Studie sagten 70 Prozent der Befragten aus, dass die Pandemie Schwächen in der Customer Experience offengelegt habe. Für 81 Prozent habe Covid-19 die Dringlichkeit zum Handeln erhöht. Worin genau bestehen besagte Schwachstellen?

Die Pandemie hat die Schwachstellen in der aktuellen Kundenerfahrung vieler Banken aufgezeigt und die Banken gezwungen, ihre digitalen Fähigkeiten zu verbessern und deutlich agiler zu werden. Arbeitsweisen mussten sehr schnell angepasst werden, aus Büro wurde Homeoffice, aus persönlich wurde virtuell, aus manuell zumindest teilautomatisiert. Und alle sehen, dass es eben doch geht, wenn es sein muss. 82 Prozent der Befragten sagen sogar, dass sich ihr Unternehmen schnell auf neue Kundennachfragen einstellt – und die Kunden sind digital aufgeschlossener denn je. Andererseits befürchten 49 Prozent der Befragten, dass die Pandemie ihre Prioritäten für die digitale Transformation unbrauchbar gemacht hat. Banken, die sich diesen Herausforderungen nicht stellen, haben, beschleunigt durch Covid, bereits jetzt erheblich an Boden im Wettbewerb verloren. Denn auch Post-Covid wird es keine Rückkehr zum Status quo ante geben.

Sie identifizieren vier Gruppen bei der Transformation: die Transformation Leaders, die Customer Champions, die Operational Evangelists und die Slow Starters. Was definiert diese vier Gruppen?

Die Customer Champions haben eine kundenorientierte Kultur, eine 360-Grad-Sicht auf Kundendaten, einen plattformbasierten Ansatz, sie liefern Omnikanal-Services und bieten personalisierte Erfahrungen und Produkte. Die Operational Evangelist zeichnen sich durch operative Exzellenz und eine entsprechende Cost-Income-Ratio aus, durch Technologieführerschaft, dazu gehören Cloud, umfassende Automatisierung und der Einsatz von KI. Sie arbeiten in Ökosystemen mit Fintechs und Technologiepartnern, nutzen agile Tools und Services, und sie investieren in die Tiefe und Breite ihres Talentpools. Damit sind auch die anderen beiden Gruppen erklärt: die Transformation Leaders sind überall führend, die Slow Starters müssen in beiden Dimensionen noch aufholen.

Wo stehen die deutschen Institute bei der Digitalisierung ihrer Geschäftsmodelle im internationalen Vergleich? Woran hakt es speziell bei den deutschen Instituten?

Die meisten deutschen Institute sind in der größten Gruppe zu finden, bei den Slow Starters. Das soll jetzt keine Wertung sein, denn viele Häuser haben über die Jahre durchaus große Summen in die Weiterentwicklung ihrer IT investiert, schon um mit den regulatorischen Anforderungen Schritt halten zu können. Und je komplexer das Haus und die bestehende Architektur, je mehr Historie und Legacy im Bestand und in der Systemlandschaft, desto aufwändiger und riskanter sind große Umbauten. Kaum ein etabliertes Haus hat den Luxus, auf der grünen Wiese starten zu können. Viele sind mit der Sicherstellung des laufenden Betriebs und der Erfüllung der Regulatorik schon ziemlich ausgelastet, da bleibt oft nur noch Raum für punktuelle Digitalisierungsexperimente, die jedoch nicht den Durchbruch bringen. Ich bin aber nicht so pessimistisch, wie das klingt, denn zum einen hat in den letzten Jahren ein deutlicher kultureller Wandel eingesetzt, hin zu mehr Agilität und Kooperationen. Und eine Reihe von Häusern setzt sich inzwischen sehr ernsthaft und intensiv mit Cloud-Technologien auseinander. Diese Banken haben Transformations-Programme gestartet und erfinden sich Schritt für Schritt neu als digitale Plattform in der Cloud. Das könnte der ersehnte Befreiungsschlag werden, es gibt keinen Weg zurück.

Wie sähe eine digitale Zukunft nach Abschluss der noch ausstehenden Aufgaben aus? Beschreiben Sie bitte das Wunschziel einer fertig durchdigitalisierten Bank und die operativen Vorteile, die sich für daraus ableiten?

Die Bank der Zukunft ist ein Tech-Unternehmen, eine Cloud- und datenbasierte Tech-Plattform. Erst das ermöglicht eine radikale Kundenzentrierung sowohl in den Angeboten als auch in Service und Prozessen. Alles wird darauf zugeschnitten, was die Kunden brauchen, egal ob Privat- oder Firmenkunde. Heutige Produktentwicklungsprozesse sind da völlig ungeeignet. Banking wird als Microservice in alle Alltagsprozesse integriert sein, ohne dass wir als Kunden groß darüber nachdenken. Auch, wenn wir noch ganz am Anfang stehen, und das heute wie ferne Zukunftsmusik klingt, die operativen Vorteile im Zielbild liegen auf der Hand: Angebot und Nachfrage sind perfekt aufeinander abgestimmt, neue Ertragsquellen jenseits von Zinsarbitrage entstehen, Skaleneffekte werden tatsächlich gehoben, Ertrags-, Kosten- und Risikoposition sind transparent und sogar Daten- und Informationssicherheit können viel besser gewährleistet werden. Mit der klassischen Bank, wie wir sie heute noch kennen, hat das nicht mehr viel zu tun.

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