Der Einheitliche Aufsichtsmechanismus wird im November zehn Jahre alt. Er gilt als Meilenstein für die europäische Bankenaufsicht. Doch Immobilien-, Cyber- oder ESG-Risiken stellen auch künftig Aufseher wie Institute vor große Herausforderungen.
In einem Interview mit dem "Bafin-Journal" schwärmt Sabine Lautenschläger, ehemaliges Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB) und Ex-Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank, von der "tollen Aufbruchstimmung", die es 2014 rund um den Start des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus für Banken der Eurozone gab. Der Single Supervisory Mechanism, kurz SSM, ist Teil der europäischen Bankenunion und wird durch den Restrukturierungs- und Abwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism, SRM) als zweite Säule ergänzt.
Fünf Jahre nach der Finanzkrise war die neue Struktur der Bankenaufsicht geschaffen worden, um die Sicherheit und Solidarität im Bankensystem Europas zu gewährleisten, die Finanzintegration und -stabilität zu stärken und eine einheitliche Aufsicht sicherzustellen. Diese übt die EZB gemeinsam mit den nationalen Aufsichtsbehörden der Euro-Länder derzeit über rund 120 als bedeutend eingestuften Institute aus. Mitgliedstaaten außerhalb des Euroraums können sich freiwillig beteiligen. Seit 1. Oktober 2020 arbeitet die EZB auf dieser Basis mit Bulgarien und Kroatien zusammen.
SSM bringt komplexe Bankensysteme unter einen Hut
Zu Beginn stellte gerade die große Vielfalt der nationalen Bankenlandschaften eine zentrale Herausforderung dar. Allen voran sorgte der deutsche Bankensektor, geprägt durch öffentlich-rechtliche Institute, Genossenschaftsbanken und Privatbanken, für Bedenken.
Am Anfang waren wir erschrocken darüber, wie unterschiedlich manche Dinge angegangen wurden. Und das, obwohl es bereits ein einheitliches europäisches Regelwerk gab, das Single Rulebook. Wenn man nach nur zwei Wochen sieht, wie uneinheitlich die Aufsichtsbehörden der einzelnen Länder europäisches Recht interpretieren, wird deutlich, wie wichtig und notwendig der SSM ist", erklärt Lautenschläger.
Von unterschiedlichen Erfahrungen profitieren
Der SSM hat nach Einschätzung der Expertin die europäische Finanzstabilität nachhaltig gestärkt. Insbesondere bei der Überwachung notleidender Kredite und der Modellprüfung habe er erhebliche Fortschritte gebracht. Hierbei sei die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Aufsehern aufgrund ihrer unterschiedlichen Erfahrungshorizonte besonders fruchtbar gewesen. Beispielsweise profitierten deutsche Bankenprüfer von den Erfahrungen französischer und spanischer Kollegen, etwa in Bezug auf Marktrisiken und Immobilienkrisen.
In Deutschland bringen Lautenschläger zufolge die Bundesbank Analysepraxis und erfahrene Prüfer und die Aufsichtsbehörde Bafin „mit ihrem juristischen Wissen eine ganze Menge an zusätzlichem Know-how“ unterschiedliche Stärken ein, betont Lautenschläger.
Schwerpunkte der Prüfung
Zu den Prüfungsschwerpunkten der EZB und ihrer Joint Supervisory Teams (JST) gehören laut Springer-Autor Christian Grabmair folgende Aspekte:
- Einhaltung von Bestimmungen in Bezug auf Eigenmittelanforderungen, Großkreditbeschränkungen, Liquiditätsthematiken, Verschuldungsgrad sowie deren Melde- und Veröffentlichungspflichten.
- Wahrung der entsprechenden Sorgfaltspflichten für adäquate Unternehmensführung und Eignungskriterien für Geschäftsführer, Einhaltung Vergütungspolitik und -praktiken, angemessene Risikomanagementsysteme und interne Kontrollverfahren, Verfahren zur Bestimmung der Angemessenheit des internen Kapitals sowie Modellaufsicht über interne Ratingverfahren.
- Durchführung des aufsichtlichen Überprüfungsprozesses (Supervisory Review und Evaluation Process, kurz SREP) mit Schwerpunkt auf ausreichender Eigenmittelausstattung, Risikomanagement und Risikoabdeckungspotential und Durchführung von Stresstests.
- Mitwirkung in Bezug auf Sanierungspläne bei Instituten, die die aufsichtsrechtlichen Vorschriften nicht erfüllen oder möglicherweise nicht erfüllen können, im Sinne von Früherkennung und -intervention.
Nachhaltigkeit und systemische Risiken im Fokus
Laut Grabmair liegt ein zentraler Fokus der zukünftigen Bankenregulierung im Bereich der Nachhaltigkeit. Die Integration von Umwelt-, Sozial- und Governance-Risiken (ESG-Risiken) in ihr Risikomanagement schließt zum Beispiel regelmäßige Klimastresstests ein.
Ein weiterer Aspekt sei die Stärkung der Aufsichtsinstrumente, um Bankenkrisen frühzeitig erkennen und abwenden zu können. So belege die Einführung von Instrumenten zur Reduzierung systemischer Risiken, insbesondere im Immobiliensektor, dass die Aufsicht weiterhin einen großen Fokus auf Stabilität und Krisenprävention hat.
Basel-III-Reformen führen zu weiteren Anpassungen
In den kommenden Jahren werde die Bankenlandschaft vor mehreren Herausforderungen stehen. Infolge der fortschreitenden Basel-III-Reformen werden Kapital- und Liquiditätsvorgaben angepasst. Das gilt als Belastung vor allem für kleinere Geldhäuser. Zudem erfordert die wachsende Bedeutung von ESG-Risiken massive Investitionen in IT-Infrastrukturen und Personal, um neue Berichtspflichten zu erfüllen und Klimabedrohungen angemessen zu bewerten.
Auch wenn der SSM laut Grabmair "als eine der fundamentalsten Änderungen in der nationalen Bankenaufsicht angesehen werden darf", verlangt die wachsende Komplexität der Regulierung und zahlreiche neuen Herausforderungen weiterhin eine enge Zusammenarbeit zwischen nationalen und europäischen Aufsichtsbehörden.