Die Bafin steht vor einer tiefgreifenden Umstrukturierung. Was die Wirecard-Affäre damit zu tun hat und was die Erwartungen an die Bankenaufsicht beinhalten, erklärt Klaus Nieding, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, im Interview.
Springer Professional: Die Wirecard-Affäre hat die Arbeit der Bafin in Misskredit gebracht. Wie lauten die konkreten Vorwürfe an die Bankenaufseher?
Klaus Nieding: Soweit für mich ersichtlich, werden der Bafin diverse Mängel bei ihrer Arbeit im Zusammenhang mit der Wirecard-Affäre vorgeworfen.
Dies betrifft zunächst den Umstand, dass die Bafin nach §§ 107, 108 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) die Befugnis besitzt, eine Prüfung der Rechnungslegung von Unternehmen durch die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung e.V. (DPR) anzuordnen, "soweit konkrete Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen Rechnungslegungsvorschriften vorliegen". Diese Prüfung dient der Sachverhaltsermittlung. Der Bafin wird diesbezüglich vorgeworfen, keine solche Prüfung bei der Wirecard AG initiiert zu haben, obwohl dies angebracht gewesen wäre und ggf. zu einer früheren Aufdeckung der Unregelmäßigkeit hätte geführt haben können.
Weiterhin wird auch verschiedentlich der Vorwurf geäußert, dass die Bafin die Wirecard AG nicht als so genannte Finanzholding im Sinne des EU-Finanzaufsichtsrechts (genauer: im Sinne der Capital Requirements Regulation (CRR)-Verordnung (EU) Nr. 575/2013 eingeordnet hatte, obwohl dies angesichts ihrer Tätigkeit und Struktur eigentlich angezeigt gewesen sei. Die Argumentation der Kritiker: Wäre eine solche Einstufung erfolgt, hätte die Bafin weitreichendere Prüfungsmöglichkeiten in Bezug auf die Wirecard AG gehabt, was nach Ansicht derjenigen, die diesen Vorwurf vorbringen, dazu geführt hätte, dass die Wirecard-Affäre früher aufgeflogen wäre.
Außerdem wird noch der Vorwurf geäußert, dass die Bafin generell nicht ausreichend die Einhaltung der Vorschriften, die zum Schutz des Kapitalmarktes erlassen wurden (Stichwort Marktmanipulation und ordnungsgemäße Information des Kapitalmarktes über die Angelegenheiten des Unternehmens), in Bezug auf Wirecard überprüft hätte. Schließlich existiert auch noch der Vorwurf gegen einen Mitarbeiter der Bafin, welcher von der Behörde selbst wegen Insiderhandels mit Finanzprodukten, die Wirecard als Underlying hatten, angezeigt und auch freigestellt wurde.
Alle Vorwürfe beinhalten komplexe Tatsachen- und Rechtsfragen, welche bereits bei perfekter Information nicht einfach zu beantworten wären. Das betrifft insbesondere die Frage, ab welchem Zeitpunkt genau die Bafin verpflichtet gewesen wäre, welche Handlungen zur näheren Sachverhaltsermittlung durchzuführen und ab wann ein Nichteinleiten dieser Maßnahmen ein Verstoß gegen das Gesetz dargestellt hat. Das dürfte nicht so einfach zu klären sein.
Warum ist die Nähe der Finanzaufsicht zur Politik problematisch?
Generell ist die Problematik bei derlei Fällen stets die Frage der Unabhängigkeit. Kann die Politik, offen oder verdeckt, Einfluss darauf nehmen, wann Ermittlungen gegen wen eingeleitet oder eingestellt werden, und wie ein Ermittlungsverfahren, gleich welcher Art, zu führen ist? Diese Problematik hat zwei Dimensionen: Zunächst gibt es natürlich den klareren Fall, wenn eine solche Einflussnahme tatsächlich geschehen ist. Dann ist nur fraglich, ob diese Einflussnahme erstens rechtlich erlaubt und zweitens frei von sachfremden Erwägungen war. Die zweite Dimension ist der "böse Schein". Wenn von Gesetzes wegen die Möglichkeit einer Einflussnahme auf die Arbeit der Bafin eingeräumt wird, kann allein dies bei der Bevölkerung ein ungutes Gefühl auslösen und das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Bafin als Institution beschädigen. Ein Beispiel hierfür ist die derzeitige Diskussion über die Weisungsbefugnis der Justizminister des Bundes und der Länder gegenüber den deutschen Staatsanwaltschaften (§§ 146, 147 GVG). Es ist kein größerer Fall bekannt, in welchem tatsächlich über diese Weisungsbefugnis Einfluss auf Ermittlungsverfahren genommen wurde. Jedoch ist bereits die Möglichkeit beziehungsweise der böse Anschein, dass dies missbraucht werden könnte, ausreichend, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Unabhängigkeit der Institution zu gefährden.
Wie und weshalb schlägt sich die Wirecard-Affäre in Konsequenz auf die Personalie Hufeld nieder?
Es wurde insoweit öffentlich kommuniziert, dass es zu einer Neuaufstellung der BaFin kommen soll, wobei damit auch eine Personalveränderung an der Spitze der Bafin verbunden sein soll. Die Trennung der Bafin von Herrn Hufeld soll insoweit einvernehmlich geschehen sein. Ob es sich hierbei lediglich um eine Publicity-Maßnahme gehandelt hat, welche auf Druck der Kritiker vorgenommen wurde und die Neuaufstellung besser nach außen demonstrieren soll, oder ob es hier intern auch andere Gründe gab, wird sich eventuell in der Zukunft klären. Zum jetzigen Zeitpunkt steht jedoch die Öffentlichkeitswirkung dieser Maßnahme im Fokus. Dass diese Reorganisationsmaßnahmen wohl hauptsächlich aufgrund der Wirecard-Affäre und der Rolle der Bafin darin vorgenommen werden, dürfte wohl außer Frage stehen. Ob es darüber hinaus jedoch noch konkretere Verbindungen zwischen der Wirecard-Affäre und der Person des Herrn Hufeld gibt, kann wohl nur die Zeit zeigen. Ob der vielgeäußerte Vorwurf, dass Herr Hufeld "seinen Laden nicht in Griff hatte" beziehungsweise schuldhaft untätig geblieben ist, zutrifft, muss man erst sehen. Bedenken muss man auch, dass wir uns in einem Wahljahr befinden. Es ist daher auch nicht ausgeschlossen, dass Herr Hufeld (und Frau Rögele) als Bauernopfer dienen, um den Kanzlerkandidaten der SPD nicht zu belasten, in dessen Ressortverantwortung diese Vorkommnisse um Wirecard zu verorten sind.
Was erwartet den oder die Nachfolgerin von Herrn Hufeld, und was sollte der- oder diejenige für den Posten des Präsidenten der Bafin bestenfalls mitbringen?
Die neue Führung der Bafin muss jetzt vor allem persönliche Stärke und Durchsetzungsfähigkeit mitbringen. Die Erwartung der Öffentlichkeit klar: Es müssen jetzt schnell Ergebnisse her. Eine Aufklärung der Wirecard-Affäre kann nicht wie die Aufklärung des Dieselskandals verbummelt werden, sondern muss schnell, genau und vollständig erfolgen. Gleichzeitig muss die Neuorganisation der Bafin vorangetrieben werden, und es muss gezeigt werden, dass diese neue Struktur besser ist als die alte. Das ist ein immenser Druck und bedeutet viel Arbeit. Hierfür ist persönliche Stärke und Durchsetzungsfähigkeit wichtig, jedoch meine ich hierbei noch eine weitere Dimension.
Es ist jetzt verlockend, eine schnelle Aufklärung der Wirecard-Affäre und die Verwicklung der Bafin in diese durch öffentlichkeitswirksame Schritte und die Statuierung von Exempeln voranzutreiben. Dies sieht von außen nach Aktion und schneller, erfolgreicher Arbeit aus. Der Fall Wirecard ist aber, nach allem was bereits jetzt bekannt ist, kein Sachverhalt, welcher durch ein paar schnelle Schritte geregelt ist. Es stehen wichtige Probleme auf der Agenda, welche einerseits den Fall Wirecard konkret, anderseits aber auch Grundsatzfragen betreffen. Ein solch kompliziertes Netz an Problemstellungen hat – wie in den meisten Fällen – keine einfachen Lösungen.
Deshalb bin ich auch etwas vorsichtig, was das Schreien der Bafin-Kritiker nach einem Austausch der Führung und die Neustrukturierung angeht. Nicht, weil ich diese Maßnahmen nicht befürworte, sondern weil ich befürchte, dass es bei einigen Strohfeuern bleibt, um Aktivität nach außen zu signalisieren, aber dass die komplizierten, langwierigen, jedoch notwendigen eigentlichen Reform- und Aufklärungsmaßnahmen unter den Tisch fallen. Deshalb braucht es in der neuen Führung des Bafin starke Persönlichkeiten, die die Kraft haben, auch unpopuläre Schritte zu gehen. Ob das vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Causa Wirecard auch eine politische Dimension hat, überhaupt möglich ist, wird sich zeigen.
Was ist vom geplanten Bafin-Umbau zu erwarten?
Das ist die große Frage, die man jetzt noch nicht absehen kann. Wichtig wird wohl sein: mehr Transparenz, mehr Kontrolle, strengere Compliance. Ich würde mir wünschen, dass – wenn jetzt tatsächlich die Bafin mit mehr Kompetenzen ausgestattet wird – die Kontrollmechanismen für die handelnden Personen auch verstärkt werden. Mehr Macht kann im Rechtsstaat nur mit mehr Kontrolle einhergehen. "Checks and Balances" ist das Stichwort. Die Handlungen der Bafin dürfen keine Blackbox sein, in die keiner hineinschauen kann. Wenn solche Kontrollmechanismen umgesetzt werden können, hat der Wirecard-Skandal im Nachhinein vielleicht auch etwas Gutes, weil er Probleme aufgezeigt hat, welche mangels öffentlichem Interesse an der Materie vielleicht ansonsten niemals ans Licht gekommen wären.
Was kann eine neue supranationale Aufsichtsbehörde, etwa die geforderte ESCMS, künftig besser machen als die BaFin?
Dabei bin ich noch etwas zurückhaltend. Natürlich ist es für eine nationale Behörde wie die Bafin – auch im europäischen Kontext – schwierig, internationale Konzerne zu kontrollieren. Hier wäre eine stärkere internationale Zusammenarbeit (und vielleicht auch eine Pflicht zur Kooperation) definitiv wünschenswert, jedoch sehe ich eine ständige Verlagerung der Kompetenzen auf die europäische Ebene als kritisch. Dies rückt die Arbeit der Behörden stärker aus dem Fokus der Bevölkerung und macht Themen teilweise komplexer, bürokratischer und undurchdringlicher. Ich lasse mich gerne durch positive und gute Reformvorschläge eines Besseren belehren und sehe durchaus Potential in der Idee einer solch zusätzlichen europäischen Aufsicht. Jedoch wird die Verlagerung auf die europäische Ebene auch gerne mal als Allzweckwaffe missbraucht, was sie jedoch nicht ist. Nur weil etwas für den Bürger weniger fassbar ist, heißt das nicht, dass Probleme plötzlich verschwinden. Europäische Institutionen haben unter den gleichen Problemen zu leiden wie deutsche Behörden. Man sollte sich nicht der Illusion hingeben, dass, nur weil man es plötzlich mit einer europäischen Behörde zu tun hat, dies alle Mängel behebt.