Wollen sich Finanzdienstleister zu Innovationstreibern entwickeln, müssen sie das auf mehreren Ebenen tun. Wie Digitalisierung in der Branche gelingen kann, beschreibt Garry Krugljakow im Interview.
Springer Professional: Schon früh wurden bei Banken Innovation Labs ins Leben gerufen und Versuche mit Künstlicher Intelligenz gestartet. Dennoch haben branchenfremde Unternehmen bei vielen Themen die Nase vorn. Ein aktuelles Beispiel ist das Bezahlmanagement im Einzelhandel. Diesen Markt beherrschen Unternehmen wie Wirecard. Woran liegt das?
Ein Innovation Lab ist noch kein Garant für neue erfolgreiche Produkte oder Methoden. Diese müssen wegen einigen – doch schon eingefahrenen – Prozessen und langen Entscheidungswegen bei großen Konzernen wie Banken eher extern als intern konzipiert, entwickelt und getestet werden, damit man auch im Zweifel schnell das Geschäftsmodell oder das Produkt anpassen und so viel wie möglich mit Kunden diverse Use Cases testen kann. Das klappt schneller, effizienter und zum Teil günstiger in einem Start-up oder branchenfremden Firmen.
Um digitale Innovationen zu etablieren, müssen Management und Mitarbeiter an einem Strang ziehen. Wie müssen die internen Prozesse bei den Banken aussehen?
Sie müssen deutlich schlanker sein als sie derzeit sind. Die Entscheidungswege sollten kurz sein und das Management muss sich schnell neuen Gegebenheiten anpassen können. Das muss von oben kommen. Die strategische Ausrichtung beziehungsweise Kultur muss gegeben sein. Außerdem sollte es auch eine Kultur des Scheiterns geben. Mit dem ersten Test oder Produkt ist nicht garantiert, dass es beim Kunden gut ankommt. "Viel ausprobieren" lautet deshalb das Credo. Man sollte zum Beispiel zwei ähnliche Produkte testen und schauen, welches besser von den Kunden angenommen wird. Des Weiteren sind Kundenprofile zu erstellen, Nutzer zu befragen und auf Basis dieser Interviews gegebenenfalls Anpassungen zur Optimierung vorzunehmen.
Nicht alle Veränderungen können innerhalb einer Organisation entwickelt und umgesetzt werden. Wo sehen Sie sinnvolle Schnittstellen zu externen Dienstleistern, speziell zu Fintechs?
Schnittstellen ergeben sich etwa im Austausch zu strategischen Punkten und der Ausrichtung des Geschäftsmodells sowie der zuvor genannten externen Konzeption und dem Testen neuer Geschäftsmodelle, wie es beispielsweise bei VAI Trade zum Tragen gekommen ist.
Zudem braucht es Kooperationsnetzwerke, mit Partnern, die sinnvoll sind. Natürlich ist im Zweifel auch eine finanzielle Unterstützung sinnvoll, weil es für die Banken wiederum ein Investment in ihre Zukunft ist, wenn sie ein digitales Produkt außerhalb ihres üblichen Portfolios in Betracht ziehen. Eine weitere Schnittstelle findet auf technischer Ebene statt – entweder man konstruiert diese selbst oder holt sich die Expertise von externen Anbietern.
Gute IT-Experten sind Mangelware. Insbesondere, wenn sie noch zusätzlich bankspezifische Erfahrungen haben sollen. Was bedeutet das für die Personalpolitik der Geldhäuser?
Finanzinstitute müssen umdenken. Die Kultur in einigen Unternehmen muss sich dementsprechend verändern und an die neuen Marktgegebenheiten anpassen, damit Entwickler, technische Projektmanager und diverse andere IT-Experten Banken als ähnlich attraktiven Arbeitgeber ansehen wie ein IT-Start-up. Zudem steht oft das Thema Gehalt nicht an vorderster Stelle, sondern beispielsweise eine ausgeglichene Work-Life-Balance oder vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten und mehr Verantwortung.
Wo sehen Sie die Grenzen der Digitalisierung in der Finanzbranche bezogen auf die internen Prozesse, aber auch im Hinblick auf den Kundennutzen?
Man kann den zwischenmenschlichen Kontakt mit einer Maschine bisweilen nicht ersetzen, auch wenn sich das Kundenverhalten dahingehend derzeit verändert. Komplexe, strukturierte Finanzprodukte brauchen oft intensivere Beratung und das Thema Vertrauen ist weiterhin durch einen persönlichen Ansprechpartner am einfachsten zu bewerkstelligen. Außerdem können Maschinen geschäftspolitische Entscheidungen, die intern getroffen werden müssen, kaum übernehmen.
Grundsätzlich bin ich jedoch der Meinung, dass die Digitalisierung dem Kunden mittel- bis langfristig eine deutlich bessere und kompatiblere Produktpalette beziehungsweise Plattform bieten wird. Der technische Fortschritt, welcher exponentiell verläuft und derzeit nahezu jährlich das Nutzerverhalten beeinflusst, kennt kaum Grenzen und wird daher zurecht als Revolution für unser aller Leben wahrgenommen.