Banken beschäftigen sich schon länger mit dem Thema Nachhaltigkeit. Doch für eine umfassende Strategie fehlt es den Instituten an verlässlichen Kriterien, erläutern die Branchenexperten Hanjo Seibert und Friederike Stradtmann im Interview.
Die von der Bafin geforderte Konzentration auf Nachhaltigkeitsrisiken trifft die Banken nicht ganz unerwartet. Nun haben sie bis November Zeit, sich zum geplanten Leitfaden zu äußern. Wie gut haben sich die Häuser vorbereitet?
Friederike Stradtmann: Das Merkblatt der Bafin trifft den Zeitgeist politischer und gesellschaftlicher Diskussion. Diese Entwicklung kommt für Finanzinstitute nicht unerwartet. Im Asset Management bieten Banken bereits heute eine Vielzahl nachhaltiger Produkte an, mit zunehmender Nachfrage im Markt. Zur Erfüllung der Bafin Anforderungen reicht dies jedoch nicht aus. Vor allem im Kreditbereich bestehen offene Fragen. Wie definiert und bewertet ein Institut Nachhaltigkeit? Welchen Einfluss haben ESG-Kriterien (Environmental, Social und Governance) auf die Kreditvergabe und -entscheidung? Wie fließt dies ins Risikomanagement ein? Woher bezieht eine Bank die dafür notwendigen Daten?
In der Versicherungsbranche hat schon länger ein Umdenken beim Thema Nachhaltigkeit eingesetzt, nicht zuletzt, weil die Kosten zur Schadensbehebung nach Naturkatastrophen kaum noch überschaubar sind. Auch Banken könnten Unternehmen etwa durch Kreditvorgaben zum nachhaltigeren Wirtschaften drängen und auch selbst stärker in nachhaltige Branchen investieren. Diese Entwicklung macht es wahrscheinlich, dass auch die Bafin-Vorgaben zum neuen Branchenstandard werden, oder?
Hanjo Seibert: Aufgrund fehlender Standards lässt sich heute eine Tendenz zum 'green washing' beobachten – ein Standard wird also definitiv gebraucht. Ähnlich war dies in der Vergangenheit beim Umgang mit Reputationsrisiken zu beobachten: Ab 2009 wurden Reputationsrisiken in den KYC-Prozess (Know-Your-Customer) integriert und somit systematisch bei Geschäftsentscheidungen berücksichtigt. Ebendies ist beim Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken zu erwarten. Banken müssen klare ESG-Standards definieren – und analysieren, was diese für ihre Investitions- und Kreditentscheidungen bedeutet. Einige Finanzinstitute ziehen bereits heute ESG-Kriterien in den Kreditvergabeprozess mit ein und auch im Fördergeschäft gibt es klare Kriterien. Dies sind erste Ansätze, es müssen aber verbindliche Vorgaben für die gesamte Finanzbranche definiert werden, um einen einheitlichen Standard beim Umgang mit Nachhaltigkeitsfaktoren zu setzen.
Wenn es um Nachhaltigkeitsrisiken geht, sind die Probleme vielfältig – außerhalb und innerhalb der Institute. Wie sehen aktuell die Strategien der Banken aus?
Friederike Stradtmann: Finanzinstitute stehen vor der Herausforderung, Nachhaltigkeit und Ökonomie in Einklang zu bringen – war Nachhaltigkeit zunächst ein Nischenthema, wird es in Zukunft vermehrt das Kerngeschäft der Banken beeinflussen. ESG-Kriterien müssen dabei zunehmend in die Geschäftsentscheidungen einbezogen werden. Im Asset Management führen ESG-Kriterien zu einer Selektion – sie dürfen aber gleichzeitig die Auswahl nicht so stark eingrenzen, dass die Risikostreuung beeinträchtigt wird. In der Kreditvergabe wird Banken die zentrale Rolle zukommen, die Transformation der Realwirtschaft hin zur mehr Nachhaltigkeit zu finanzieren. Das stellt Finanzinstitute vor die Schwierigkeit, dass die Anpassung ihres Geschäftsportfolios an Nachhaltigkeitskriterien auch davon abhängt, wie schnell die Industrie sich umstellt.
Wo liegen die größten Hürden bei der Umsetzung im Hinblick auf die Gesamtstrategie, aber auch die tägliche Praxis?
Hanjo Seibert: Die Umsetzung der Anforderungen wird aktuell aus Mangel einheitlicher Vorgaben zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken erschwert. Die dadurch entstehende Unsicherheit kann sich aufgrund unklarer Risiken negativ auf die Kreditvergabe an bestimmte, weniger nachhaltige Branchen auswirken. Um dem entgegenzuwirken, müssen Banken klare Entscheidungskriterien und Kontrollmechanismen im Risikomanagement und Kreditvergabeprozess verankern. Ähnlich wie bei der Prüfung von Reputationsrisiken im KYC-Prozess müssen ESG-Faktoren im Zuge der Kreditvergabe sowie im Bestandsmonitoring geprüft und bewertet werden. Eine große Hürde bei der Umsetzung in die tägliche Praxis wird dabei der Zugang zu den notwendigen Daten sein – und gleichzeitig erfordert die Überwachung der Einhaltung eine hohe Automatisierung, um den operativen Aufwand zu begrenzen.