"Die Auseinandersetzungen um Stuttgart 21 hatten wenigstens eine positive Seite: In Politik, Verwaltung und auch bei den Bauträgern werden zunehmend mitwirkende Bürgerbeteiligungsprozesse bei öffentlichen Planverfahren diskutiert und in der Praxis angewendet. Dabei genügt es nicht, die Bürger frühzeitig besser zu informieren", schreibt die Stadtplanerin und Mediatorin Ilse Erzigkeit im Kapitel "Bürgerbeteiligung im Planen und Bauen und die Rolle der Mediatoren" des Springer-Fachbuchs "So funktioniert Mediation im Planen + Bauen".
Dabei mahnt sie auch an, dass sich die Politikverdrossenheit noch verstärken werde, sollten die Länder- und Kommunalverwaltungen ihre Kommunikationsprobleme allein damit lösen wollen, indem sie die Bürger zu Beginn der Planverfahren mit Informationsmaterial überhäufen. Die Bürger seien heute jedoch nun noch dann bereit, sich aktiv für Veränderungsprozesse einzusetzen, wenn sie ihre Bedürfnisse und Sorgen in den Meinungsfindungsprozess einbringen und die Projekte tatsächlich mitgestalten und mitbestimmen können.
Plastische Darstellung von Bauvorhaben
Dies stellt eine Situation dar, die das Fraunhofer IAO und die Universität Hohenheim mit zum Anlass genommen haben, das interdisziplinäre Forschungsprojekt "Visualisierung in Bürgerbeteiligungsverfahren", kurz VisB+, ins Leben zu rufen. So werde es bei Bauvorhaben immer wichtiger, Projekte so zu planen und zu kommunizieren, dass Gräben in der Öffentlichkeit nicht vertieft, sondern überbrückt werden. Zwar würden Vorhabenträger mit Computer- oder Architekturmodellen versuchen, einen Eindruck von der zukünftigen Wirklichkeit zu vermitteln – dabei jedoch nicht selten auf die Kritik, die Darstellungen seien geschönt und reine Werbung, stoßen.
Untersuchen wird daher, wie sich unterschiedliche Formen von Visualisierungen auf die Glaubwürdigkeit und Verständlichkeit von Bauplanungen auswirken. "Richtig umgesetzt, sind Visualisierungen eine echte Chance, Bauvorhaben plastisch zu machen. Wir fragen: Was braucht es, damit Visualisierungen als glaubwürdig anerkannt werden? Und wie können sie eine konstruktive Diskussion über Planungsalternativen ermöglichen?", sagt Professor Frank Brettschneider, Kommunikationsexperte und verantwortlich für VisB+ auf Seiten der Uni Hohenheim.
Eintauchen in virtuelle Realitäten
So sind nach Auffassung der beiden Forschungseinrichtungen die technischen Möglichkeiten in den letzten Jahren enorm gestiegen: Neben herkömmliche Architektenplänen und Computeranimationen gebe es beispielsweise heute sogenannte immersive 3D-Modelle, in denen der Betrachter vollkommen in eine virtuelle Realität eintauchen könne. Vorausgesetzt, dass die Planungsdaten in geeigneter Form vorliegen, sei es möglich, mit einem Mausklick verschiedene Varianten eines Bauvorhabens darstellen und von Bürgern virtuell begehen zu lassen. "Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten für die Diskussion, zum Beispiel bei Planungswerkstätten", ist Günter Wenzel, Projektleiter für VisB+ auf Seiten von Fraunhofer IAO, überzeugt
Bei ihren Untersuchungen haben die Wissenschaftler aber nicht nur die technischen Möglichkeiten im Blick, sie testen auch, welche Visualisierungstechniken mit verhältnismäßigem Aufwand im Zuge kleinerer Bauvorhaben eingesetzt werden können. Zudem sollen aufbauend auf den Forschungsergebnissen schließlich Standards für den Einsatz von Visualisierungstechniken im Rahmen der Bürgerbeteiligung formuliert werden.