Erstmals wird in Deutschland ein Mehrfamilienhaus nach dem Energiesprong-Prinzip seriell saniert – industrielles Sanieren auf den NetZero-Standard. Und das sozialverträglich. Ein Pilotprojekt, das zum Vorbild werden soll.
Das Energiesprong-Prinzip, nach dem in Deutschland nun erstmals ein Mehrfamilienhaus im seriellen Verfahren saniert und auf den NetZero-Standard gebracht wird, wird in Holland schon länger praktiziert. Im Kapitel "Niederländischer Energiesprong" des Springer-Fachbuchs "Emissionsfreie Gebäude" wird beschrieben, dass die niederländische Regierung mit dem Energiesprong-Projekt Baufirmen, Bauträger, Fertighausbauer, Baugenossenschaften, Universitäten und Finanzierer zusammenbrachte, damit sie gemeinsam ein kostengünstiges und schnell umsetzbares Null‐Energie‐Sanierungspaket entwickeln. Bisher hätten die Haushalte in Holland jährlich 13 Milliarden Euro für Energie verbraucht, mit dessen Potenzial nun das Sanierungsmodell finanziert werde, schreibt Autor und Architekt Stefan Oehler. Denn: Mieter "bezahlen weiterhin die bisherigen hohen Nebenkosten des unsanierten Gebäudes, und der Bauträger finanziert den Umbau mit den eingesparten Heizkosten".
Nach diesem Prinzip wird derzeit auch im niedersächsischen Hameln im Wohnquartiert "Kuckuck" das erste Mehrfamilienhaus in Deutschland saniert – umgesetzt von der Ecoworks GmbH. Eigentümer des in den 1930er-Jahren gebauten Wohnblocks, der aus drei Gebäuden mit je zwei Stockwerken und insgesamt zwölf Wohnungen besteht, ist die Arsago Gruppe. Begleitet wird das Pilotprojekt von der Deutschen-Energie-Agentur (dena).
Großes Potenzial für Energiesprong-Prinzip in Deutschland
Saniert wird das Mehrfamilienhaus mit vorgefertigten Dach- und Fassadenelementen – bei Letzteren handelt es sich um Fassadenteile mit Lärchenholz-Verschalung, die neben einem umfassenden Dämmpaket aus Recycling-Glaswolle auch die Fenster und dezentrale Lüftungselemente mit Wärmerückgewinnung enthalten – sowie einer nachhaltigen Heiztechnik und Stromerzeugung. So sollen die drei Gebäude auf den Net-Zero-Standard gebracht werden. Die Orientierung dabei ist laut dem Kapitel "Energieeffizientes Bauen – Energetische Sanierung" im Springer-Fachbuch "Sanierung von baulichen Anlagen", "dass keine zusätzliche Energiemenge für Heizung, Warmwasser, Beleuchtung und elektrische Hausgeräte in der Jahressumme notwendig ist". Beziehungsweise: "Wird durch den Einsatz regenerativer Energien genau die Menge Energie erzeugt, die das Haus für den Betrieb selbst benötigt, so spricht man von einem Nullenergiehaus", schreibt Autor Dr. Michael Stahr.
In Hameln wird CO2-neutraler Strom mit auf dem Dach installierten Photovoltaikanlagen erzeugt. Eine Wärmepumpe mit zwei Wärmespeichern versorgt die drei Gebäude des Wohnblocks mit Heiz- und Warmwasser. Alle Wohnungen erhalten zudem neue Heizkörper. Eine Ultra-Filtrationsanlage soll einwandfreies Trinkwasser und einen effizienten Betrieb der Wärmepumpe garantieren.
Ecoworks will zudem zusammen mit seinen Zulieferunternehmen den Systemansatz weiterentwickeln, der ab 2020 in Serie gehen soll. Die Sanierungsarbeiten im Pilotprojekt von Hameln sollen bis Februar 2020 abgeschlossen sein. Für Deutschland schätzt die dena allein das Potenzial für kleinere bis mittlere Mehrfamilienhäuser der 1950er- bis 1970er-Jahre, die nach dem Energiesprong-Prinzip saniert werden könnten, auf rund 500.000 Gebäude. Am 25. November 2019 war mit einem Volume-Deal, einer gemeinsamen Absichtserklärung von Wohnungswirtschaft und Bauwirtschaft, ein erster Durchbruch bei der Marktentwicklung serieller Sanierungslösungen in Deutschland gelungen. 22 Wohnungsunternehmen stellen danach 11.635 Wohnungen bereit, die in den nächsten vier Jahren seriell saniert werden sollen. Vier Bauunternehmen werden im Rahmen der Vereinbarung bis März 2020 verstärkt an der Entwicklung wirtschaftlich attraktiver und skalierbarer Komplettlösungen arbeiten.