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2019 | Buch

Bauen mit Sinn

Schritte zu einer Philosophie der Architektur

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Über dieses Buch

Architektur ist mehr als die technisch-funktionale Lösung eines praktischen Problems. In Bauwerken drückt sich immer auch ein Weltverhältnis aus - und macht zugleich ein bleibendes Sinn-Angebot. Architektur ist deswegen ein Anstoß, manchmal auch ein Apell, über sehr unterschiedliche Fragen nachzudenken, sich zu ihnen zu verhalten und sich dabei geistig zu verorten.

In diesem Buch begegnen sich eine Vielfalt der Deutungs- und Annäherungsmöglichkeiten durch Vertreter unterschiedlicher Kultur- und Geisteswissenschaften. Die Eigenart der Wahrnehmungen und unterschiedlichen methodischen Herangehensweisen kommen so in ein Gespräch. Es soll zu einem besseres Verstehen, aber auch Bewerten führen. Denn wenn Bauwerke Sinn-Angebote machen, lassen sich diese auch beurteilen, da sie Ideale und mögliche Lebensweisen ausdrücken machen, die nicht alle gleichwertig sind.

Der Inhalt

Schritte zu einer Philosophie der Architektur · Die Struktur des Raumes und die urbane Gemeinschaft · Das ‚Architektonische‘· Zur Aufgabe einer Philosophie des Bauwerks · Geometrische Muster zwischen frühneuzeitlicher Utopie und russischer Avantgarde · Moderne oder historisierende Architektur in der alten Stadt · Die Architektur des Heiligen · Meta Sudans, oder: Akustik und Geruch im antiken Rom -· Die Verallgemeinerung des Besonderen. Die Dresdner Frauenkirche und der gegenwärtige Rekonstruktionsfuror · Die Architektur der Schöpferischen Zerstörung · Architektur und Bild · Stadtbaukunst · Was ist gute Architektur? · Über Wahrheit und Lüge im architektonischen Sinn · Rekonstruktion in historischer und aktueller Perspektive · Wie gefährlich sind Rekonstruktionen? · Wie sollen wir bauen?

Der Herausgeber

Dr. Christian Illies ist Professor für Philosophie an der Universität Bamberg.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Einleitung: Bauen mit Sinn Schritte zu einer Philosophie der Architektur
Zusammenfassung
Architektur erregt, Architektur empört, Architektur entzweit. Gerade n den letzten Jahren haben sich viele gesellschaftliche Debatten und Kontroversen an geplanten und errichteten, neuen, alten und rekonstruierten Bauwerken entwickelt. Stuttgart 21 oder das Berliner Stadtschloss sind nur zwei von vielen Beispielen. Aber woran liegt das? Christian Illies schaut in seinem, den Band einleitenden Vorwort auf diese Empörungskraft der Architektur. Er erklärt sie damit, dass die Weise zu bauen Ausdruck einer fundamentalen Weltsicht sein kann, sodass Baustile und Bauweisen mit unseren tiefsten Überzeugungen zusammenhängen – über die wir nicht unbedingt zu Späßen aufgelegt sind.
Aber vielleicht hilft es gerade da, einen komplexeren Blick auf die Architektur zu werfen und sie aus umfassender Perspektive zu begreifen. Das mag erlauben, seinen eigenen Standpunkt gelassener einordnen zu können. Dazu einen kleinen Beitrag zu leisten, ist das Anliegen dieses Sammelbandes.
Christian Illies

Architektur bedenken

Frontmatter
Die Struktur des Raumes und die urbane Gemeinschaft – Philosophische Betrachtungen zum Thema Stadt und Städtebau
Zusammenfassung
In dem Beitrag denkt der Philosoph Gerhard Stamer über das Wesen der Stadt nach, also über ihre besonderen Eigenschaften und deren bestmögliche Verwirklichung. Dafür beginnt er mit einem Blick auf den Menschen. Denn wie schon Platon die Polis in Analogie zur menschlichen Seele deutete, so sieht auch Stamer in der Stadt „ein verobjektiviertes Bild“ des Menschen, da die Stadt in besonderer Weise die von uns erst in einen Zusammenhang gebrachte Welt sei. Jede Stadt sei dabei ein Knotenpunkt, in dem sich wie im Menschen selbst Allgemeinheit bzw. Universalität und Individualität verbänden. Was das genau bedeuten könnte, wurde freilich unterschiedlich aufgefasst – Stamer greift in Exkursen zum Beispiel auf Karl Marx’ These zurück, dass Differenzierung durch Arbeitsteilung entstehe, die in der Stadt ermöglicht werde, oder auf Ortega y Gasset, der die Bedeutung des öffentlichen Platzes betont. Die im Menschen angelegte, in der Stadt gebaute Polarität beschreibt Stamer schließlich als Chance für eine gelungene Stadt („Verlebendigung“, „Genuss der Vielfalt“, das „Offene und Mögliche, das mit dem Leben in der Gemeinschaft gegeben ist“), der er auch zutraut eine egoistische, sich von der Universalität abschirmende Individualität zu überwinden. Das wiederhole sich dann noch einmal auf höherer Ebene: Auch eine Stadt ist eine Art Individuum gegenüber einer Weltgemeinschaft und muss hier ihren Ort zwischen individueller Verwirklichung bestimmter Möglichkeit und globalen Zusammenhang finden.
Gerhard Stamer
Die Architekturen der Gesellschaft
Zusammenfassung
Der Beitrag skizziert eine soziologische, Gesellschafts-vergleichende Perspektive auf die Architektur. Im Unterschied zu normativen oder ästhetischen Perspektiven geht es bei dieser soziologischen Analyse um die faktische Gestalt einer architektonischen Kultur, im Blick auf die in ihr mitkonstituierte Gesellschaft oder kollektive Existenz (die architektonische Teilung und Verortung von Individuen, die Erzeugung einer Geschichte, die Trennung von Natur und Kultur, usw.). Neben einer Gesellschaftstheorie, die das Architektonische derart als sozial konstitutiv zu verstehen erlaubt, geht der Beitrag auf die Verschiedenheit der architektonischen Kulturen und damit von Gesellschaft ein; und skizziert schließlich differente architektonische Bewegungen europäischer Gegenwartsgesellschaften.
Heike Delitz
Zur Aufgabe einer Philosophie des Bauwerks
Zusammenfassung
Philosophen sind bekanntermaßen Experten für Elfenbeintürme, aber was kann die Philosophie zum Verstehen des Einzelbauwerks beitragen? In dem Beitrag werden drei Aspekte bzw. Schritte unterschieden, auf denen sich die Philosophie dem Bauwerk nähern kann: Sie soll eine genaue Wahrnehmung des konkreten Bauwerks vollziehen, dann eine Reflektion des Wahrgenommenen, bei der dieses adäquat kategorisiert, in allgemeine Zusammenhänge eingebettet und interpretiert wird. Schließlich müssen die einzelnen Einsichten zu einem Gesamtverständnis und dessen abschließender Bewertung zusammengeführt werden. Denn die Philosophie ist normativ; sie bewertet ihre Gegenstände. Die damit umschriebene Aufgabe ist durchaus anspruchsvoll, was vielleicht erklärt, warum die Philosophie der Architektur eine so junge Disziplin ist. Denn einerseits sind Bauwerke Knotenpunkt so unterschiedlicher und vielfältiger Erwartungen und Anforderungen, dass eine philosophische Reflexion alle Teildisziplinen der Philosophie im Auge behalten muss (von der Sozialphilosophie bis zur Ästhetik). Andererseits scheint keines der vorhandenen normativen Kriterien ganz zu passen: Gute Architektur ist nicht nur ein ästhetisches, funktionales oder ethisches Urteil, sondern verlangt eher eine eigene Kategorie, von deren adäquaten Erfassung wir aber noch weit entfernt sind.
Christian Illies

Architektur verstehen

Frontmatter
Geometrische Muster zwischen frühneuzeitlicher Utopie und russischer Avantgarde
Zusammenfassung
Utopische Stadtmodelle und Idealstadtplanungen basieren auf einer gemeinsamen Schnittmenge, nämlich der Rezeption antiker Modelle und Schriften. Früh schon verknüpften sich auch Gesellschaftslehren bzw. ideale Staatsentwürfe mit entsprechenden Stadtmodellen. Erst im Frühhumanismus weist die Stadtbaugeschichte Idealstadtkonzeptionen auf; zeitgleich werden die erste nachantike Architekturtheorie verfasst und die erste Stadt errichtet, die wohl mit dem Begriff Idealstadt bezeichnet werden kann, und auch die erste literarische Utopie geschrieben. Die Stränge laufen seither parallel. Wird in der utopischen Literatur nicht mehr die Veränderung auf eine ins Jenseits projizierte heilsgeschichtliche Konzeption des „himmlischen Jerusalem“ verlagert, sondern der gewollte Traditionsbruch vorgestellt, so wandeln sich auch Architektur und Städtebau unter dem Einfluss humanistischer Vorstellungen von einer hinzunehmenden Seinsgegebenheit zu einer aktiven Gestaltungsaufgabe für die städtische oder staatliche Obrigkeit. Ihre Wirkung und weitreichende Entsprechung konnten solche Vorstellungen sowohl in den Utopien als auch im frühneuzeitlichen Staat auf einer tabula rasa entfalten – also bei Stadtneugründungen, in denen das Ideal der wohlangelegten, geordneten, sauberen steinernen Stadt durch vorhergehende Planung umsetzbar war.
Das Tabula-rasa-Verfahren hat in den Utopien und insbesondere in Morus’ Utopia gleichfalls paradigmatische Bedeutung. Nur in einem Raum, der sich nach außen abschottet, kann der Versuch gelingen, die Lebensbedingungen der Menschen und diesen selbst radikal, d.h. von Grund auf neu zu gestalten und die utopische Stadt gleichsam auf einer tabula rasa zu imaginieren. Die streng geometrischen Stadtgrundrisse waren rational erklärbar, mathematisch überprüfbar und sind zugleich Ausdruck guter Ordnung in einem funktionierenden, geregelten, quasi perfekten Gemeinwesen für den „Neuen Menschen“.
Die Autoren werfen abschließend einen Blick auf die russische Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts (Suprematismus und Konstruktivismus), welche die geometrische Formensprache vierhundert Jahre später noch einmal aufgriff und teilweise mit neuen Ideen verband, teilweise diese radikalisierte.
Der Aufsatz wurde 1996 modellhaft zugespitzt formuliert. Die sich daran anschließende Diskussion um Utopie und Architektur wurde maßgeblich durch die Arbeiten der Autorin und gemeinsame Schriften beider Autoren befördert und hat inzwischen insbesondere die Utopieforschung, die Film- und Mediengeschichte, die Literaturwissenschaft wie auch die Architekturgeschichte und Stadtplanung zu weiterer Auseinandersetzung und Arbeiten angeregt.
Richard Saage, Eva-Maria Seng
Moderne oder historisierende Architektur in der alten Stadt – Lehren aus der Geschichte?
Zusammenfassung
Zur Frage des Bauens in alten Städten gibt gegensätzliche Meinungen: Altstadtfreunde fordern die Bewahrung des überlieferten Zustandes und wünschen, dass notwendige Neubauten formal angepasst werden, wie es frühere Baumeister ja auch verstanden hätten. Andere betonen, dass Bauen in der Altstadt unserer eigenen Zeit Ausdruck verleihen müsse. Gute moderne Bauten würden sich mit dem Alten schon vertragen. Auch hierfür wird auf historische Vorbilder verwiesen, jede Epoche habe ihre eigenen Beiträge zur Stadtbaukunst geleistet. Beide Gruppen berufen sich auf die Geschichte, doch mit konträren Schlussfolgerungen. Sehen die einen das Ergebnis, die Stadt als Monument, so erscheint sie den andern als historischer Prozess. Welche Lehren lassen sich daraus ziehen?
Thesenhaft sollen einige Entwicklungslinien benannt werden: die Bedeutung des historischen Bestands als Entwurfskriterium der Moderne; der Einsatz von historisierender Architektur, um sich der in Auflösung geratenen Stadt noch einmal bildhaft zu vergewissern; und die Rolle der solchermaßen überformten „Altstadt“ als Allegorie des Geschichtlichen.
Thomas Will
Die Architektur des Heiligen – Salomonischer Tempel und Felsendom in Jerusalem
Zusammenfassung
Kann Ernst Cassirers Kategorie des „mythischen Denkens“ helfen, den Salomonischen Tempeln und Felsendom in Jerusalem besser zu verstehen? Ja, so zeigt Klaus Bieberstein in diesem Beitrag: Cassirer hatte betont, dass mythisches Denken im Raum polare Akzente setzt, vor allem „Zentrum und Peripherie, Sacrum und Profanum“ unterscheidet, um so das Heilige vom Profanen abzutrennen. Genau diese Unterscheidung kann als Schlüssel dienen, die „Verräumlichung an sich unanschaulicher Größen in den [...] Erinnerungslandschaften Jerusalems in ihrer eigentümlichen Umsetzung […] in Stein, lesbar zu machen.“ In einer großen Übersicht zeigt Bieberstein zunächst, wie seit dem Chalkolithikum in der südlichen Levante die Tempel eine Tendenz aufweisen, den heiligen Raum vom Profanen immer weiter zu entfernen, etwa durch dickere Mauern, angefügte Vorhallen oder Vorhöfe. Auf diese Weise wird auch die Baugestalt des sogenannten „Salomonische Tempels“ verständlich, der den Ort des Allerheiligsten „als mythisches Zentrum der Stadt“ markierte. Eine Analyse des Bildprogramms des Tempels unterstützt diese Lesart, da auch hier auf das Heilige im Sinne einer „Fülle des Lebens“ verwiesen wurde und der Tempel so auch als „räumliche Inszenierung des Paradieses“ verstanden werden kann. Zusätzlich findet sich, so zeigt Bieberstein, eine Verlagerung des Heiligen in die Vertikale hinzu, wodurch schließlich der neue Tempel und das neue Jerusalem als Gebäude konzipiert werden, die einmal vom Himmel kommen werden. In verschiedener Hinsicht zeigt der Text so die hermeneutische Kraft der Kategorien Cassirers.
Klaus Bieberstein
Meta Sudans, oder: Akustik und Geruch im antiken Rom. Kritische Bemerkungen zu einer archäologischen Urbanistik der Sinne
Zusammenfassung
Der Klassische Archäologe Andreas Grüner diskutiert die Einbeziehung der Sinne in die Erkundung historischer Architektur. Erst die Summe der Sinnesreize führt zur spezifischen Atmosphäre eines Gebäudes oder einer Stadtstruktur. Deswegen blickt Grüner nicht nur auf die baulichen Reste der antiken Welt, sondern öffnet seine Nase und spitzt die Ohren. Aber gerade der Archäologe steht hierbei vor besonderen Problemen, wie der Autor in seinem Aufsatz zeigt: Von den meisten Sinneseindrücken gibt es keine Spuren mehr, sie sind im Lauf der Jahrtausende für immer vergangen. Dazu kommt, dass die Fülle der Sinneseindrücke kaum objektiv fassbar ist; wir wissen zum Beispiel nicht sicher, wie ein bestimmter Geruch von einer antiken Nase beurteilt wurde. Wie man dieses hermeneutische Doppelproblem lösen könnte, entdeckt Grüner in dem antiken Text „Über die Gerüche“ von Theophrast, mit dem er eine ganz neue Herangehensweise an eine sensualistische Archäologie entwickelt.
Andreas Grüner
Die Verallgemeinerung des Besonderen. Die Dresdner Frauenkirche und der gegenwärtige Rekonstruktionsfuror
Zusammenfassung
Wie konnte der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche zum „Paradigma“ einen ganzen „Rekonstruktionsboom“ initiieren, fragt Hans-Rudolf Meier. Dafür klärt er zunächst den gesellschaftspolitischen Kontext der Diskussionen und Initiativen um die Frauenkirche seit dem Krieg – der schon zu DDR-Zeiten angestrebte Wiederaufbau und die Diskussionen, bei denen die Frauenkirche zu einem Symbol der Wende und Nachwendezeit wurde. Meier hält dies für eine Ausnahmesituation, die durchaus eine Rekonstruktion rechtfertigt, aber zu einer Rekonstruktionsbegeisterung in anderen Kontexten führte, die Will kritisch anhand der Debatten kommentiert. So würden einige seit 1900 geltenden „Grundprinzipien der modernen Denkmalpflege“ seitdem wieder infrage gestellt, etwa die weitgehende „Ablehnung jeglicher Nachahmung“. Probleme sieht Meier zudem darin, dass „der Zugriff der Gegenwart in der Regel mit dem Verlust der Reste der Vergangenheit“ einhergehe Außerdem könne jede Rekonstruktion ein Gebäude nur so wiederherstellen könne, wie es zu einer Zeit gewesen sei und vernichte oft andere Zufügungen. Und nach Meier nimmt wegen der verbraucherfreundlichen Gestaltung der modernen Rekonstruktionen auch die Bereitschaft ab, die Besonderheiten und Eigenwilligkeiten wirklich alter Gebäude in Kauf zu nehmen.
Hans-Rudolf Meier
Die Architektur der schöpferischen Zerstörung
Zusammenfassung
Der Kunstwissenschaftler Stephan Albrecht wendet sich Bankgebäuden als einem besonderen Architekturtyp zu. Es geht darum, ihre Baugestalt zu deuten; seine Leitfrage ist dabei, wie sich an der Gestalt dieser Gebäude „die religiöse Natur einer Wirtschaftsordnung, die Lebensordnung geworden ist“ ablesen lasse. Gerade weil das Geldgeschäft letztlich auf dem Vertrauen beruhe, sein Vermögen bei einer Bank sicher verwahrt zu wissen, sei die bauliche Selbstinszenierung von herausragender Bedeutung. Albrecht unterscheidet dabei drei Phasen seit dem Aufkommen der modernen Großbanken im späten 19. Jahrhundert: In der Periode bis zur Weltwirtschaftskrise (1929–1933) sei es vor allem um den Ausdruck von „Reichtum, Macht und Sicherheit“ gegangen. Entsprechend erschienen Banken wie Festungen, oft mit Gitterfenstern und dicken Tresortüren, die zugleich im Innern die Pracht eines Opernsaales hatten. Die zweite Periode, vor allem in der Nachkriegszeit, verzichtete ganz auf diese historischen Bezüge und schuf Verwaltungsbauten, die vor allem Transparenz und Offenheit ausstrahlen. Barrieren sollen vermieden und der Kunde als Partner angesprochen werden. Die dritte Periode datiert Albrecht unmittelbar vor dem neuen Jahrtausend. Dem neuen Paradigma des Wirtschaftens entsprechend geht es seitdem um den Ausdruck von „Kreativität und Flexibilität“, also nicht um Tradition, sondern um den Aufbruch, um „Beweglichkeit und Aufgeschlossenheit dem Neuen gegenüber“ – durchaus im Sinne von Schumpeters „Schöpferischen Zerstörung“. Anhand zahlreicher Beispiele zeigt Albrecht so eindrücklich, wie sich die Bankgebäude als Ausdruck wechselnder Ideale bzw. unterschiedlicher Wirtschafts- und Lebensordnungen verstehen lassen.
Stephan Albrecht
Architektur und Bild
Zusammenfassung
Der Architekt und Architekturtheoretiker Cornelius Tafel diagnostiziert eine enge Korrespondenz zwischen moderner Baugestalt und ihrer fotografischen Darstellung: Gebäude werden zunehmend so gebaut, dass sie sich wirksam abbilden lassen. Das mag überraschen, da doch gerade die Moderne sich zunächst von der Fassade und Schauseite, wie von Haupt- und Nebenfronten verabschiedete und stattdessen Bauformen entwarf, die sich nur erschließen, wenn man sie tatsächlich begeht. Und doch scheint die Wahrnehmung prominenter Gebäude durch die Fotografie nicht zu verschwinden, sondern sogar die Baugestalt zu prägen, sodass sich „die spätmoderne Architektur ihrerseits in Richtung einer neuen Bildhaftigkeit verändert“. Tafel illustriert an Beispiele überzeugend, wie manche Gebäude primär durch ein Bild, einen besonderen Blickwinkel wahrgenommen werden, ja bereits auf diesen hin konzipiert werden (Hamburger Elbphilharmonie). Auch das neue Interesse an Fassaden bzw. Oberflächengestaltung lässt sich nach Tafel daraus erklären; etwa die bedruckten Fassaden zeigen die große Bedeutung, die der bildhaften Wahrnehmung von Gebäuden heute gegeben wird. Nach Tafel verstehen wir also die spätmoderne Baugestalt besser, wenn wir sie auf ihre fotografische Abbildbarkeit hin betrachten. Manche Bauwerke werden also auf eine zweidimensionale, perspektivisch einseitige Wahrnehmung, auf ein Fotografiert-Werden hin konzipiert. Das ist durchaus nicht unproblematisch.
Cornelius Tafel

Architektur beurteilen

Frontmatter
Stadtbaukunst – Die Kunst, Stadt zu bauen
Zusammenfassung
Wir sollten an der europäischen Stadt weiterbauen, fordert Christoph Mäckler in seinem Aufsatz „Stadtbaukunst – Die Kunst, Stadt zu bauen.“ Dass er explizit von einer Kunst spricht zeigt bereits die Stoßrichtung dieses Beitrags. Es geht darum, wie man schöne Stadträume wiedergewinnen könnte, in denen Menschen gerne leben, weil sie grundlegende Qualitäten wie Schönheit und Alterungsfähigkeit besitzen. Dass wir dies seit 60 Jahren kaum mehr können ist umso erstaunlicher, als es zuvor eine jahrhundertealte Tradition der europäischen Stadt gab, die sich dadurch auszeichnete, dass über Generationen trotz aller Veränderungen von Stil und Bauweise der Stadtraum architektonisch-städtebaulich geformt wurde. Heute dominieren stattdessen, so bilanziert Mäckler, „charakterlose Platzräume“, die „ohne identitätsbildende Gestalt“ sind und letztlich einen Abbruch der Idee der europäischen Stadt herbeigeführt haben. Die Ursache sieht er vor allem in der Einseitigkeit der Perspektive der beteiligten Akteure, die lediglich ausgebildet wurden, ein Spezialproblem der Stadt zu bearbeiten, aber keinen synthetischen Gestaltungswillen mehr zeigen. An vier Beispielen führt er das aus: Bau- und Kunstgeschichtler fokussieren auf die geschichtliche Dimension, sagen aber wenig dazu, wie man aus diesem Wissen heute an Städten weiterbauen soll (da vertreten sie meist standardmäßig die Forderung nach einer sich absetzenden Moderne, weil sie glauben, „das Alte damit am besten bewahren zu können“). Die Stadt und Raumplaner erheben dagegen gar keine ästhetischen Ansprüche. Ihnen fehlt jede architektonische Ausbildung, was sich auch daran zeigt, dass sie gar kein Verständnis mehr haben für die speziellen Anforderungen an Wohnhäuser, Industriebauten etc.: „Die Baufelder werden so großgezogen, dass jede Gebäudefunktion darin Platz findet. Damit aber wird der Anspruch an eine Formulierung des Stadtraumes, an Stadtbaukunst, aufgegeben.“ Wobei Mäckler hinzufügt, dass auch in der Architektenausbildung entscheidendes Wissen gerade städtebaulicher Details heute nicht mehr vermittelt wird, etwa wie man ein Eckhaus bauen sollte. Die Verkehrsplaner reagieren, drittens, allein auf die Bedürfnisse des Verkehrsraums. Dass dies nicht im Widerspruch zu ästhetischen Anforderungen stehen müsse, betont hier Mäckler, auch wenn es in der Realität so ist. Die Architekten schließlich besitzen zwar durchaus einen Gestaltungswillen, aber sie bauen einzelne Bauwerke, keine Stadträume oder Ensembles. Auch hier ist der Blick auf das Ganze verlorengegangen – und diese städtebauliche Qualität werden wir nach Mäckler erst wieder gewinnen, wenn „die Akteure der Stadtentwicklung auch über das erforderliche städtebauliche Wissen verfügen.“ So heißt es in der von Mäckler initiierten Kölner Erklärung von 2014, die den Gedanken seines Aufsatzes in diesem Band aufgreift. Und weiter: „Nicht einzelne Teildisziplinen, sondern umfassender Städtebau muss an den Hochschulen gelehrt werden. Die Stadt zuerst!"
Christoph Mäckler
Was ist gute Architektur? – Eine Annäherung
Zusammenfassung
Der Architekturkritiker Jürgen Tietz vertritt die These, dass wir eine Kultur des qualitätsbewussten Umgangs mit Bauwerken fördern sollten, die durchaus in der Schule beginnen müsste, um so unseren Blick für das Gute zu schärfen. Nur so, also gleichsam indirekt, lasse sich gute Architektur befördern. Denn eine Liste „absoluter Kriterien“, die gute Architektur erfüllen müsse, könne er nicht bieten, sondern nur Beispiele. Ausgehend von einer von ihm gerade herausgegebenen Sammlung von Beispielen guter Architektur stellt er einerseits fest, dass die Einschätzung individuell sehr unterschiedlich sei, es aber andererseits durchaus einen Diskurs darüber gebe, was gute Architektur ausmache. Und auch wenn dieser nicht zu eindeutigen Antworten komme, so sei eine „Baukulturdebatte“ schon für das Qualitätsbewusstsein förderlich – und damit für die Rahmenbedingungen, unter denen gute Architektur entstehe. Dann bietet der Text aber doch durchaus einige Gesichtspunkte für gute Architektur: Sie müsse heute ökologische Nachhaltigkeit einschließen (‚mehr bieten als verlangt wird‘), Funktionalität und handwerkliche Qualität und Flexibilität „für unterschiedliche Nutzungen“. Bei einem Bau, etwa einem Einkaufszentrum in einer Stadt, müsse ein verändertes Kaufverhalten in der Zukunft mitbedacht werden. Darüber hinaus können sehr unterschiedliche Merkmale gute Architektur ausmachen, bei der „einem der Atem stockt“. Tietz führt verschiedene Beispiele an, etwa die „Qualität des Ortes“, die sinnliche Dimension, oder die „Sehnsucht nach Heimat“, die ein Bauwerk befriedigen könne. Dass Tietz hier über verschiedenen Beispiele und Möglichkeiten guter Architektur spricht, wird man bereits als Teil jener von ihm eingeforderten Förderung einer qualitätsbewussten Auseinandersetzung mit Architektur in der breiten Öffentlichkeit verstehen: „Und je mehr gute Architektur wir kennen, je intensiver wir über sie reden, desto wahrscheinlicher wird es, dass künftig auch vermehrt gute Architektur in Deutschland entsteht.“
Jürgen Tietz
Falsche Moralisierungen in der Architektur am Beispiel der Lüge
Zusammenfassung
Dem Architekten und Philosophen Martin Düchs geht es darum, ungeeignete Maßstäbe der Bewertung von Bauwerken zu kritisieren. In seinem Beitrag „Falsche Moralisierungen in der Architektur am Beispiel der Lüge“ untersucht er den häufig in Rekonstruktionsdebatten zu findenden Einwand, eine wiederherstellende Architektur sei „verlogen“, eine „heuchlerische Attrappe“ oder ähnliches. Er zeigt in einer genauen Analyse der Auseinandersetzungen um das Berliner Stadtschloss, dass sich das Kriterium von „Ehrlichkeit“ überhaupt nicht sinnvoll anwenden lasse. Man möge zwar in bestimmten Fällen davon sprechen können, eine Bauweise zeige eine gewisse „Wahrhaftigkeit“, argumentiert Düchs, die Rede von „verlogen“ sei aber unangemessen, da keine Täuschungsabsicht vorliege. Andererseits sei auch der Verweis auf die Wahrheit verfehlt, wenn etwa das Stadtschloss als die „wahre Mitte“ Berlins gefordert werde. In beiden Fällen sei der moralische Maßstab unangemessen. Die Rekonstruktion des Stadtschlosses sei eine ästhetische oder gesellschaftliche Frage, aber keine moralische. Ein verwandter Einwand lautet, dass man „heute“ nicht mehr in einem bestimmten (historischen) Still bauen könne, weil das „unehrlich“ sei. In einer ideengeschichtlichen Verortung stellt Düchs heraus, wie in diesem häufig erhobenen Einwand geschichtsphilosophische Annahmen Hegels weiterleben, nach denen jede Zeit ihre eigene Bauweise habe – die dann aber als moralischer Imperativ verwendet würde: So darf man heute nicht mehr bauen! Aber wenig spricht dafür, Hegels Geschichtsphilosophie als Kriterium für die Beurteilung der Architektur zu nehmen, noch ist es klar, wer eigentlich die Autorität habe zu entscheiden, was zu einer bestimmten Zeit zu tun erlaubt sei. Deswegen taugt nach Düchs das Kriterium des „Zeitgemäßen“ nicht zur Verurteilung einer Architektur, die nicht den gängigen Stilen der Gegenwart verpflichtet ist.
Martin Düchs
Rekonstruktion in historischer und aktueller Perspektive
Zusammenfassung
Winfried Nerdinger, der im Münchner Architekturmuseum die erste umfassende Ausstellung zur architektonischen Rekonstruktion durch die Jahrhunderte ausgerichtet hat, versucht in seiner Rede einen differenzierten und klärenden Blick auf das Phänomen zu werfen. Warum wurden zu unterschiedlichen Zeiten Gebäude, die durch Feuer, Erdbeben, Krieg oder andere Einflüsse zerstört waren, wieder aufgerichtet? Nerdinger zeigt, dass es sich bei Rekonstruktionen um ein altes Phänomen handelt, dass „Nachahmung, Anpassung, Zitat und Wiederholung“ stets zur Architektur gehörten. Und warum ist in Deutschland schon nach dem Zweiten Weltkrieg und bis heute vor allem von Architekten und Denkmalpflegern, jedes Rekonstruktionsbestreben mit oft moralischen Kategorien (etwa „Lüge“) abgelehnt worden? Die starke Ablehnung erklärt er unter anderem aus der damaligen Hoffnung auf eine „neue, bessere Welt“, aus der Ablehnung des Historismus, und der Befürchtung, mit Rekonstruktionen werde die originale Bausubstanz entwertet. Dieser letzte Einwand sei aber, so Nerdinger, ein Missverständnis: Rekonstruktion habe „jedoch vielfach nichts mit ‚Denkmalpflege‘ zu tun, sondern ist ein von religiösen oder menschlichen Kategorien und Interessen geleiteter Vorgang einer epochen- und kulturspezifischen Erinnerungskultur.“ Dieses Bedürfnis nach einer Erinnerung bzw. ihrer baulichen Vergegenwärtigung finde man in verschiedenen Bereichen, von denen Nerdinger fünf beispielhaft anführt: Bei religiösen Bauten sei es schon immer zur Wiederherstellung verlorener Gebäude gekommen (so auch bei Sakralbauten nach dem Zweiten Weltkrieg). Zweitens fänden sich viele Beispiele bei Gebäuden die mit nationalen Erinnerungen verbunden sind (wie bei der Altstadt von Warschau). Es gehe oft auch, drittens, um die „Wiederherstellung von Bildern und Symbolen einer Stadt“ (wie jüngst die Altstadt in Frankfurt am Main). Ein vierter Beweggrund sei die Wiederherstellung der „Einheit eines Ensembles oder eines Raums“ und schließlich, fünftens, die besondere Bewahrung an Erinnerungen an „Personen oder Ereignisse“ (beispielsweise das rekonstruierte Geburtshaus von Goethe in Frankfurt). Rekonstruktionen, so zeigen diese Beispiele, sind immer schon Teil der Baugeschichte und besonders dort zu finden, wo sich Menschen in eine Kontinuität stellen wollen. Insofern das auch heute wieder zu finden sei, gehört es wieder stärker zum heutigen kulturellen Selbstverständnis. Oder mit Nerdingers Worten: Auch „diese konstruierte Erinnerung ist Teil zeitgenössischer kultureller Selbstkonstruktion“.
Winfried Nerdinger
Gegenrede: Wie gefährlich sind Rekonstruktionen?
Zusammenfassung
„Wie gefährlich sind Rekonstruktionen?“ fragt der Denkmalschützer Achim Hubel in seiner Gegenrede, deren Stoßrichtung eindeutig ist. Zwar beginnt er mit Beispielen, bei dem er die Rekonstruktion für eine akzeptable oder gar offensichtliche Lösung hält (St. Sebald in Nürnberg nach dem Krieg) oder als Ausdruck eines genuinen bürgerlichen Wollens für hinnehmbar hält (die Frauenkirche in Dresden). Doch dann wendet er sich Fällen aus der jüngeren Vergangenheit zu, bei denen er mit Rekonstruktionsbemühungen äußerst kritisch ins Gericht geht. So verwirft er die Rekonstruktion des Braunschweiger Stadtschlosses als Fassade eines Einkaufszentrums, die vornehmlich den ökonomischen Interessen folgte. Diesen Bau kritisiert Hubel auch deswegen, weil er eine Fassadenarchitektur sei: „Für mich ist die entscheidende Frage, ob es sich bei einer solchen Anlage um einen einheitlichen Baukörper handelt, mit allen Fassaden nach außen und der Abfolge der Innenräume einschließlich Ihrer Gestaltung, oder ob uns wie in Braunschweig nur Fassaden vorgeführt werden.“ Ein entscheidendes Kriterium der Legitimität einer Rekonstruktion ist für Hubel zudem ein dahinterstehender – oder fehlender – Bürgerwille. Beim Berliner Stadtschloss kritisiert er so den Prozess der Entscheidungsfindung und fragt sich, wer das Schloss eigentlich wolle. Bedenklich bei Rekonstruktionen sei aber auch, dass in Folge mit wirklichen Denkmälern weniger rücksichtsvoll umgegangen werde. Bedenken äußert er zudem hinsichtlich einer ausgeprägten Orientierung am Geschmack der jeweiligen Zeit, für die oft Vorhandenes geopfert werde. So sei für die teilrekonstruierte Frankfurter Altstadt das Technische Rathaus abgerissen worden, das durchaus seine Qualitäten gehabt habe, auch wenn es unserem Zeitgeschmack nicht mehr entspräche. Ein weiterer Kritikpunkt Hubels ist, dass oft für Rekonstruktionen die wirklichen Reste einer alten Bebauung zerstört würden; hier verweist er auf den Dresdner Neumarkt, bei dem barocke Kellerreste den Tiefgaragen der barockisierenden Neubebauung weichen mussten. Die Frage nach den oft sehr teuren Rekonstruktionen sei so als Teil des allgemeinen Umgangs mit Denkmälern zu bewerten und deswegen durchaus kritisch zu sehen.
Achim Hubel
Wie sollen wir bauen? – Gespräch zwischen Winfried Nerdinger und Achim Hubel (redaktionell leicht bearbeitete Mitschrift) Moderation: C. Illies
Zusammenfassung
Die Beiträge von Achim Hubel und Wilfried Nerdinger, die im Rahmen der Bamberger Hegelwoche 2010 an einem Abend vorgetragen wurden, führten zu einem moderierten Gespräch, welches hier wiedergegeben wird. Unter dem Thema „Wie sollen wir bauen?“ kommen die durchaus unterschiedlichen Perspektiven ins Gespräch. Wenn etwa Hubel die Fassadenarchitektur vieler Rekonstruktionen beklagt, wendet Nerdinger ein, dass man diese Fassadenarchitektur als Ausdruck unserer heutigen Zeit sehen müsse. „Dies ist ein Teil, ein durchaus kennzeichnender Teil davon, wie wir heutzutage bauen und mit Architektur umgehen“. Unterschiedlich wird von beiden auch bewertet, wie Menschen Rekonstruktionen wahrnehmen und sich von ihnen täuschen lassen (oder nicht). Auch hinsichtlich der genauen Rolle des Wissenschaftlers lassen sich zwei Positionen unterscheiden: Soll dieser primär beschreiben und erfassen, was er vorfindet, oder bewertend Stellung nehmen? Ist diese Stellungnahme Teil der Wissenschaft oder eine persönliche ästhetische Meinung? Und doch stimmen Nerdinger und Hubel bei der konkreten ästhetischen Beurteilung verschiedener Bauwerke ebenso wie bei der Bedeutung der Architektur für die Erinnerung überein.
Das Gespräch lässt hoffen, dass solch ein gemeinsames Nachdenken über Architektur und ihren Sinn, was ja das Kernanliegen einer Philosophie der Architektur ist, zu Brückenschlägen führt und einer Verständigung darüber den Weg bereitet, was gute Architektur ist und wie wir bauen sollten.
Winfried Nerdinger, Achim Hubel, Christian Illies
Backmatter
Metadaten
Titel
Bauen mit Sinn
herausgegeben von
Prof. Dr. Christian Illies
Copyright-Jahr
2019
Electronic ISBN
978-3-658-25489-6
Print ISBN
978-3-658-25488-9
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-25489-6