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28.04.2013 | Baukonstruktion | Interview | Online-Artikel

Lernen aus der (Bau-)Geschichte

verfasst von: Annette Galinski

7:30 Min. Lesedauer

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Kaum eine Kirche in Deutschland hat mit ihrem Wiederaufbau weltweit so viel Aufsehen erregt, wie die Frauenkirche in Dresden. Es war ein "Wiederaufbau unter archäologischen Gesichtspunkten mit behutsamen Hinzufügungen unserer Zeit". Welche besonderen Herausforderungen der Tragwerksplanung damit verbunden waren, erläutert Professor Dr.-Ing. Wolfram Jäger im Interview.

Springer für Professionals: Wie sind Sie an die Analyse der verbliebenen Ruinenteile herangegangen?

Wolfram Jäger: Wesentlich für die Analyse der Ruinenteile war die vorherige intensive Beschäftigung mit dem Tragwerk der alten Frauenkirche, das Studium der Baugeschichte, der Sanierungen sowie aller überhaupt zur Verfügung stehender Materialien und Informationen. Dies ging z.B. soweit, dass im Rahmen der archäologischen Enttrümmerung Augenzeugen gesucht und gefunden wurden, die die alte Kirche noch kannten bzw. die die Zerstörung Dresdens miterlebt hatten.

Über den ca. 17 m hohen Trümmerberg mit einer Ausdehnung von 70 x 80 m² Grundfläche ragten der Nord-West-Eckturm, der Chor und Mauerreste des südwestlichen Treppenturmes hinaus. Der Keller war fast vollständig verschüttet, jedoch in begrenzten Teilbereichen begeh- bzw. bekriechbar. Bereits vor der Enttrümmerung erfolgte eine Baugrunderkundung, eine erste Schadensanalyse sowie Erkundung der verbliebenen Ruinenteile, wobei der Nord-West-Eckturm und der Chor bereits gesichert waren. Auswirkungen des Einsturzes waren an diesen Teilen zwar sichtbar, jedoch ohne Auswirkungen auf die Standsicherheit.

Nach der Freilegung sind diese ersten Untersuchungen vertieft worden, und zwar im Hinblick auf brandgeschädigte Steine, zerstörte Mauerwerkspartien, Hohlräume im Inneren und zur Gewinnung von Aussagen über die Festigkeit des Mauerwerks. Besonderes Augenmerk verdienten stark beanspruchte Bereiche unter den Pfeilerfüßen und die beiden Apsispfeiler am Chor. Die Festigkeit der Apsispfeiler wurde anhand von Struktur- und Geometriekennwerten unter Nutzung seinerzeit aktueller Forschungsergebnisse bestimmt und schließlich experimentell nachgewiesen.

Bei der Ausführung der Sanierungsmaßnahmen erfolgte eine visuelle Kontrolle des Grundmauerwerks unter den Pfeilern mittels Endoskop über die Injektionsbohrungen. Das Mauerwerksinnere zeigte sich dabei in einem beachtlich guten Zustand. Die während der Enttrümmerung freigelegten Pfeilerfüße waren z.T. stark geschädigt und die Aufstandsflächen aus Steinen unterschiedlicher Qualität und mit teilweise sehr dicken Stoßfugen ausgeführt. Wir haben uns hier entscheiden müssen, zwei Schichten Mauerwerk unter den Aufstandsflächen herauszunehmen und durch abgestufte Bankette aus gesägten Steinen mit dünneren Fugen zu ersetzen. So konnte eine sichere Lasteinleitung in das historische Grundmauerwerk erreicht werden.

„Wiederaufbau unter archäologischen Gesichtspunkten mit behutsamen Hinzufügungen unserer Zeit.“ Was bedeutet diese Art des Umgangs mit historischer Bausubstanz für Sie im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau der Frauenkirche?

Als erstes war diese Zielstellung theoretisch zu untermauern, aufbauend auf der Hochachtung gegenüber der Leistung des Baumeisters George Bähr und aller damals am Bau Beteiligten. Es ging darum, die Kirche so wieder erstehen zu lassen, wie sie war, nicht nur vom Erscheinungsbild und der Raumstruktur sondern auch von der Konstruktion her. Es sollte wieder ein Bau aus Stein und „Eisen“ sein, der handwerklich gefügt und gestaltet wird.

Es war und ist bekannt, dass die Dresdner Frauenkirche hinsichtlich ihrer Statik und damit auch in konstruktiver Hinsicht nicht unumstritten war. Frühzeitig traten Risse auf und Regenwasser drang ins Innere. Mehrere Sanierungen mussten durchgeführt werden. Es galt für uns, die Ursachen dafür zu finden und sie durch Einführung unseres heutigen Wissens und behutsamer Verbesserungen zu vermeiden.

George Bähr war damals als Baumeister bis an die Grenzen seiner Zeit gegangen. Er hat ein beeindruckendes statisches Gefühl gehabt und war kühn in der Umsetzung seiner Ideen. Als aus dem Handwerk Stammender fehlte ihm allerdings die Fähigkeit, seine statischen Gedanken und Ziele zu quantifizieren. Die von ihm angesetzte Lastverteilung nach außen wurde durch unterschiedliche Setzungen des Baugrundes und Stauchungen der Pfeiler gestört. Bähr rang mit sich, in Hauptgesimshöhe einen Ringanker einzubauen, den er aber aufgrund des Baufortschrittes nicht mehr realisieren konnte. Er baute Ringanker an den richtigen Stellen und in der richtigen Größe in die Kuppel ein, jedoch unterlagen die Keilschlossverbindungen einem gewissen Schlupf, sodass die Kuppel in Schalenstreifen aufreißen konnte.

Bähr legte Wert auf die Materialauswahl und Qualität, stand aber auf der anderen Seite unter finanziellem Druck. Das wurde uns beim Rückbau eines geborstenen Pfeilers bewusst. Im Inneren befanden sich Steine geringerer Festigkeit und die scheinbaren Messerfugen wiesen im Inneren Dicken bis zu 8 cm auf.

Die Konstruktion an sich ist geblieben wie sie war. An den genannten Stellen haben wir unser heutiges Wissen eingebracht, indem wir das Mauerwerk den Beanspruchungen angepasst ausgebildet, einen Ringanker in Hauptgesimshöhe eingefügt und die Kuppel vorgespannt haben. Die Lösungen zu den Problempunkten zu finden, war eine große Herausforderung. Die Veränderungen sollten so gering wie möglich und lediglich unserem heutigen Sicherheitsverständnis geschuldet sein.

Im Rahmen der Verbesserung des Sandsteinbaus haben Sie eine spezielle bauvorhabenspezifische Mauerwerksrichtlinie außerhalb der geltenden Normen erarbeitet. Warum wurde diese notwendig?

Vor Beginn des Wiederaufbaus der Frauenkirche gab es verschiedene Vorschläge zur Vermeidung baulicher Defizite der alten Frauenkirche. Unabhängig vom unterschiedlichen Inhalt dieser Vorschläge war deren gemeinsame Feststellung, dass die statischen Nachweise nach den geltenden Normen nicht möglich sind.

Es flossen nach ersten Berechnungen im Gegensatz zu Bährs Annahme zu wenig Lasten nach außen ab und das Mauerwerk nach DIN 1053 mit ihrem Teil 1 von 1974 und dem Teil 2 von 1990 ließ auf der Basis des globalen Sicherheitskonzeptes die erforderlichen Mauerwerksfestigkeiten nicht zu. Die Norm war einfach zu rückständig. Wir wussten, dass Sächsischer Sandstein Festigkeiten wie Beton haben kann und dass sich mit dem in der DDR bereits in den 1980er-Jahren eingeführten Teilsicherheitskonzept Vorteile in der Materialausnutzung erwirtschaften lassen. Eilends haben wir am Lehrstuhl Tragwerksplanung der TU Dresden Versuche mit gesägten Sandsteinen und einem im Baustoffhandel für Porenbetonmauerwerk verfügbaren Dünnbettmörtel angesetzt. Das Ergebnis war überzeugend. Wir erreichten 85 % der Steinfestigkeit im Mauerwerk und damit etwa einen handelsüblichen Beton C35/45. Und der Blick in die DDR-TGLs zum „Einheitlichen Technischen Vorschriftenwerk Beton“ und zu den Lastannahmen gaben uns Recht, das Teilsicherheitskonzept anzuwenden. Bei dem hohen Eigengewichtsanteil des Sandsteinbaus ließen sich erhebliche Nachweisvorteile in Aussicht stellen. So wurde die Dresdner Frauenkirche zum Vorreiter der Einführung des Teilsicherheitskonzeptes im deutschen Mauerwerksbau, ganz im Sinne ihres Erbauers, neueste Erkenntnisse in den Bau einfließen zu lassen.  

Worin bestand für Sie als Tragwerksplaner die besondere Herausforderung beim Wiederaufbau der 9.000 Tonnen schweren Kuppel und der Laterne?

Wie beim gesamten Kirchenbauwerk galt es, Defizite der Baukonstruktion der alten Frauenkirche durch behutsam verbesserte Konstruktionen zu ersetzen. So stand die Wirksamkeit der von Bähr eingebauten vier umlaufenden eisernen Anker in Frage, weil die Verbindung der einzelnen Ankerteile Schlupf zugelassen hatte. Im Rahmen der letzten Sanierungsmaßnahmen vor dem 2. Weltkrieg waren bereits drei zusätzliche Ringanker aus Stahlbeton an der Innenseite der Kuppel angeordnet worden, um dieses Defizit zu kompensieren. Unsere neue Kuppel hat nunmehr 6 Ringanker aus hochfestem Edelstahl S690, die vorgespannt sind, sofort wirken und keinen Schlupf aufweisen. In Anlehnung an die Robustheit der Ursprungsanker wurden keine handelsüblichen Spannglieder, sondern Flachstähle verwendet.

Eine weitere besondere Herausforderung war die Herstellung einer steinsichtigen Kuppel ohne Einbau einer Dichtungsschicht so wie sie im Original war. Genau genommen stellt die Kuppel ein zweischaliges Mauerwerk dar, bei dem die Außenschale trägt und die Witterung abhält und die Innenschale für den Raumabschluss sorgt. Aus brandschutztechnischen Gründen musste der Zwischenraum zwischen Außen- und Innenschale zum Innenraum hin mit Glas abgeschottet werden, sodass sich die bauphysikalischen Bedingungen im Vergleich mit dem Original vollkommen verändert haben. Dazu wurden von Spezialisten umfangreiche Untersuchungen und Berechnungen angestellt.

Leider traten im oberen Kuppelbereich dennoch Durchfeuchtungen auf, die zu bestimmten Jahreszeiten im Putz sichtbar werden. Bei den Berechnungen ist man davon ausgegangen, dass nach innen hin eine ausreichende Verdunstungsmöglichkeit gegeben ist. Die Abschottung des Zwischenraumes, in dem sich der Aufgang befindet, der Innenverputz der Außenkuppelschale und die thermische Trägheit stehen dem aber entgegen. Hier muss durch ein entsprechendes Lüftungs- und Temperaturregime zukünftig nachgesteuert werden. Auch das Putzen der Innenseite der Kuppel hat sich als nicht vorteilhaft erwiesen.

Haben Sie mit Prof. Fritz Wenzel, dem Begründer des Weiterbildungs- und Beratungszentrums für Denkmalpflege und behutsame Altbauinstandsetzung „Villa Salzburg“ in Dresden sowie des Aufbaustudiengangs „Altbauinstandsetzung“ an der Universität Karlsruhe, schon zuvor bei ähnlich gearteten Projekten zusammengearbeitet?

Nein, das ging durch die politischen Verhältnisse nicht. Wir haben uns noch vor der Wende auf einer Konferenz zur Sanierung und Instandsetzung historischer Bauten im Frühjahr 1989 in Florenz kennen gelernt. Ich hatte dort zur Möglichkeit eines originalgetreuen Wiederaufbaus der Frauenkirche Dresden vorgetragen. Diese Chance eröffnete sich mir durch eine private Besuchsreise zu (weitläufigen) Verwandten in den Westen. Von da an riss die Verbindung zu Fritz Wenzel nicht mehr ab, bis wir uns dann gemeinsam als mögliche Tragwerksplaner der Stiftung Frauenkirche vorgestellt haben und den Zuschlag bekommen konnten.

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Wendehorst Bautechnische Zahlentafeln