Stahlbeton hat eine regelrechte Erfolgsgeschichte geschrieben. Doch die Korrosion der Bewehrung war immer ein Problem. Ein Gespräch mit Dr.-Ing. Frank Schladitz, Vertreter des Vorstands des C³ – Carbon Concrete Composite e. V., über eine Weiterentwicklung: Carbonbeton.
Springer Professional: Können Sie kurz die Entwicklung zum Carbonbeton skizzieren?
Frank Schladitz: Beton gibt es seit über 2.000 Jahren und er ist noch immer der meistverwendete Baustoff weltweit. Das liegt vor allem an seinen Vorteilen: Beton ist druckfest, wasserundurchlässig und kann in jede beliebige Form gebracht werden. Da er zwar hohe Druckkräfte, aber kaum Zugkräfte aufnehmen kann, war die Formenvielfallt und Anwendung zunächst begrenzt. Vor etwa 150 Jahren wurde der Eisenbeton erfunden, den wir heute als Stahlbeton kennen. Dank der Stahlbewehrung im Beton können Betonbauteile nun beide Beanspruchungen aufnehmen. Seitdem kann man alles damit bauen – Brücken, Tunnel, Hochhäuser, alles was man sich vorstellen kann.
Eine Schwäche von Stahlbeton liegt in seiner Korrosionsanfälligkeit begründet. Die Medien berichten fast täglich über marode Brücken, Gebäude und Straßen. Der bewehrte Beton ist eine großartige Erfindung, daher bestehen nicht erst seit gestern die Überlegungen, dieses geniale System durch eine korrosionsbeständige Alternative zu ersetzen. Vor etwa 20 Jahren entstand in Dresden und Aachen die Idee statt Stahl eine textile Glasbewehrung einzusetzen.
Daher der Begriff Textilbeton?
Der Begriff Textilbeton entstand nur deshalb, weil der Prozess der Mattenherstellung ein textiler Prozess ist: Die Längs- und Querfäden werden abgelegt und anschließend vernäht. Der Begriff Textilbeton umfasst alle Materialien: Glas, Basalt, Carbon und wird auch so vermarktet. Allerdings klingt Textilbeton etwas veraltet und umfasst nicht die neuen Stabbewehrungen. Da meist dann doch Carbon benutzt wird, haben wir den Begriff Carbonbeton entwickelt, der sowohl die mattenartigen als auch die stabförmigen Bewehrungsformen umfasst – mit dem Wissen, dass wir damit Bewehrungen aus Glas und Basalt, zumindest auf den ersten Blick, nicht mehr ganz erfassen. Der allen Materialien und Formen gerecht werdende Begriff muss noch gefunden werden.
Was spricht nun für Carbonbeton – mal abgesehen von der ausbleibenden Korrosion?
Neben der Korrosionsbeständigkeit spricht auch der verminderte CO2-Ausstoß für Carbonbeton. Alleine schon durch die Zementherstellung werden jährlich etwa 2,4 Milliarden Tonnen CO2 ausgestoßen. Dazu ein Vergleich: In der gesamten Luft- und Raumfahrt werden jährlich ca. 800 Millionen Tonnen CO2 produziert. Da wir mit Carbonbeton erheblich dünner bauen und gleichzeitig langlebigere Konstruktionen schaffen, benötigen wir deutlich weniger Beton und damit weniger Zement. Außerdem können mit dünnen Schichten aus Carbonbeton bestehende Bauwerke verstärkt und damit länger erhalten werden. Für den Einsatz von Carbonbeton sprechen zudem die freie Formbarkeit, die Multifunktionalität und noch einiges mehr.
Und wie sieht es mit dem Preis aus?
Wenn man rein den Kilogrammpreis betrachtet, ist Carbonbeton verhältnismäßig teuer. Das Kilogramm Carbon kostet etwa 15 Euro, ein Kilogramm Stahl einen Euro. Zieht man einen direkten Vergleich, wird es interessant: Der Stahl hat eine Dichte von 7,85 Gramm pro Kubikzentimeter, Carbon hingegen von 1,7, also ein Viertel der Dichte. Wenn ich ein Kilogramm Carbon bekomme, erhalte ich schon einmal das vierfache Volumen von Stahl. Carbon hat des Weiteren die vier- bis fünffache Zugfestigkeit von Stahl – beim Bewehrungsstahl sind wir bei ca. 500 Newton pro Quadratmillimeter, bei Carbon bei ca. 2.500 Newton. Wenn man die vierfache Menge mit der fünffachen Zugfestigkeit multipliziert, erhält man den Faktor 20. Man erhält somit zum 15-fachen Preis das 20-fache an Tragfähigkeit. Somit ist Carbonbeton, in der reinen Materialbetrachtung, schon heute viel preiswerter als Stahl. Natürlich kommt dann noch die Herstellung der Bewehrung mit Maschinen etc. hinzu. Doch rechnet man auch die mit ein, wird ein etwa gleichwertiges Preisniveau erreicht.
Carbonbeton ist also bei der Herstellung von Bauteilen preiswerter?
In einem Fertigteilwerk ist alles so optimiert, dass Stahlbewehrungen automatisch konfektioniert und abgelegt werden. Beim Textil erfolgt vieles noch händisch, z. B. die Konfektion mit einer Schere. Das macht den Prozess teurer. Daher kann man nicht sagen: An der Wand nehmen wir einfach den Stahl raus und bauen Carbon ein. Dann wird es teurer. Wir betrachten Systeme, zum Beispiel Fassadenplatten. Wenn ich statt acht Zentimeter Dicke mit Stahlbeton unter dem Einsatz von Carbonbeton nur zwei bis drei Zentimeter benötige, brauche ich über 50 Prozent weniger Beton, die Aufhängung an der Wand fällt geringer aus, es können mehr Platten auf den LKWs transportiert werden etc. Rechnet man all dies zusammen, ist die Carbonbetonplatte günstiger als die Stahlbetonplatte.
Fällt die Rechnung für Verstärkungsmaßnahmen ähnlich aus?
Beim Verstärken einer Stahlbetonplatte werden derzeit etwa sieben Zentimeter Stahlbeton angebracht. Wir machen das gleiche mit ca. einem Zentimeter Carbonbeton und sparen damit ca. 80 Prozent Beton, der nicht gekauft, transportiert und verbaut werden muss. Da wir im Gesamtsystem preiswerter bleiben, kann auch hier die Bewehrung ruhig ein wenig teurer sein.
Wie sieht es mit der Marktreife aus?
Viele beeindruckende Anwendungen sind schon heute möglich. Für die Verstärkung gibt es seit fünf Jahren die allgemeine bauaufsichtliche Zulassung. Damit werden zum Beispiel Silos oder Brücken verstärkt. Die Firma Solidian GmbH verfügt über Zulassungen für Fertigteilgaragen und Sandwichwände. Derzeit planen wir die erste Straßenbrücke aus Carbonbeton in Sachsen entlang der S111, die übernächstes Jahr gebaut wird. Der Weg zur vollständigen Marktdurchdringung ist zwar noch lang, wir sind aber zuversichtlich, dass wir etwa 20 Prozent der Stahlbetonbauweise durch Carbonbeton ersetzen können.