Dem traditionellen Verständnis nach wurden im Bauprozess vor allem Aspekte der Gestaltung, Funktionalität, Baukonstruktion, Statik, Baustoffe und Bauwirtschaft bewertet. Heute entspricht das Bauen zunehmend einer Optimierungsaufgabe, bei der die Anforderungen der Nutzer an ein Gebäude mit dem Umweltschutz in Einklang zu bringen sind. Der moderne Lehmbau stellt sich dieser Herausforderung. Er punktet vor allem hinsichtlich seiner mittel- und langfristig spürbaren Vorteile. Allerdings müssen Hersteller industriell hergestellter Lehmbaustoffe künftig deren positive Ökobilanz nachweisen. Teil 4 der Serie Bauen mit Lehm.
Zentraler Grundsatz des nachhaltigen Bauens ist die Betrachtung des gesamten Lebenszyklus' eines Bauwerks. Dazu gehören
- die Rohstofferkundung,
- deren Gewinnung,
- die Aufbereitung zu Baustoffen,
- deren Verarbeitung zu Bauteilen und -konstruktionen,
- die Bauwerksnutzung einschließlich Instandhaltung,
- der Gebäudeabriss und das Recycling
mit den jeweils dazwischen liegenden Transportwegen und ihren prozessbegleitenden Stoff- und Energieströmen in Form einer Inventarisierung.
Der moderne Lehmbau ist weitgehend mechanisiert. Baustoffherstellung und Verarbeitung auf der Baustelle sind räumlich getrennt. So entstehen Energieaufwendungen und Transportwege. Heutzutage exportieren Hersteller von Lehmbaustoffen in verschiedenen europäischen Ländern ihre Produkte ins Ausland. Natürlich wirken sich lange Transportwege und hohe spezifische Energieverbräuche negativ in einer ökologischen Baustoff-Bilanzierung aus.
Eine realitätsnahe Bewertung muss jedoch alle Lebensphasen eines Bauwerks berücksichtigen, denn die Baustoff- und Gebäudeherstellung umfasst nur einen vergleichsweise kurzen Zeitabschnitt. Der Bonus "niedriger PEI“ kann so womöglich zu Lasten der Dauerhaftigkeit der Konstruktion gehen und einen erhöhten Aufwand für Instandhaltung bedeuten. Der kumulierte Energieaufwand (KEA) umfasst den Energiebedarf eines Gebäudes über den gesamten Lebenszeitraum. Er wird nach VDI 4600 über bestimmte Annahmen und Szenarien abgeschätzt.
Nicht per se umweltfreundlich
Bisher galten Lehmbaustoffe wie selbstverständlich als umweltfreundlich. Das muss aber künftig entsprechend nachgewiesen werden. Hersteller von industriell gefertigten Lehmbaustoffen müssen dann Ökobilanzen erstellen, um auch weiterhin am sich verschärfenden Wettbewerb zu bestehen. Für industriell hergestellte Lehmmörtel werden erstmals Ökobilanzen vorgelegt, die im erdfeuchten Zustand in ihrer Energiebilanz bezogen auf den Herstellungsprozess (vom Rohstoff bis zur Auslieferung ab Werkstor) im Vergleich zu Baustoffen aus Kalk und Gips einen um den Faktor 5 bis 10 niedrigeren Wert aufweisen.
Serie Bauen mit Lehm
Teil 1: Mit Lehm geregelt bauen
Teil 2: Verbindliche Normen im Lehmbau