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24.07.2014 | Baustoffe | Interview | Online-Artikel

"Kein Energieproblem, sondern ein Rohstoffproblem"

verfasst von: Christoph Berger

5 Min. Lesedauer

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50 Prozent des Rohstoffverbrauchs geht auf das Bauwesen in Europa zurück, so Schätzungen der Vereinten Nationen. Auch das Abfallaufkommen der Bauindustrie ist gigantisch. Wir unterhielten uns mit Valentin Brenner von Drees & Sommer über neue Denkkonzepte, die zu einem nachhaltigen Umgang mit Rohstoffen führen.

Springer für Professionals: Welche Idee steckt hinter Cradle to Cradle?

Valentin Brenner: Bei C2C handelt es sich eher mehr um eine Philosophie, um  eine Denkschule, als um ein feststehendes Konzept. Ziel ist, alle Rohstoffe, die in einem Bauwerk einstmals verbaut wurden, nach ihrer Nutzungszeit wieder vollständig zurückzugewinnen, sodass kein Abfall entsteht, sondern nutzbare Wertstoffe. So bleiben die Werte erhalten und die Umwelt wird geschont. Dies funktioniert aber nur, indem schadstofffrei und recyclingfähig gebaut wird. Nur dann gibt es keine Probleme bei der Rückführung.

Sie arbeiten dazu mit dem deutschen Chemiker Michael Braungart zusammen?

Ja, Michael Braungart hat das Konzept entwickelt, sich bisher damit aber vor allem auf die Niederlande und USA konzentriert – dort wurden die Ideen sehr offen angenommen. In Deutschland ordnete sich in den letzten Jahren hingegen alles dem Effizienzgedanken unter – man beschäftigte sich dabei weniger damit, was nach dem Bau und Betrieb kommen müsste. Doch der reine Effizienzgedanke, der ja meist nur mit dem Energieverbrauch im Betrieb verbunden wird, greift zu kurz, da wir langfristig kein Energieproblem, sondern ein Rohstoffproblem haben.

Von welchen Rohstoffen sprechen Sie?

Im Grunde geht es um alle verbauten Stoffe. Man kann jedoch zwei Herangehensweisen unterscheiden. Zum einen kann man sich um die Rohstoffe kümmern, die perspektivisch am schnellsten ausgehen. Dazu zählen beispielsweise Kupfer und seltene Erden. Bei Kupfer geht man etwa davon aus, dass schon heute die gleiche Menge an Kupfer in unseren Gebäuden und Städten verbaut ist, die noch in Minen vorhanden ist. Da haben wir also den Peak bereits erreicht. Auch viele andere Metalle oder Baukunststoffe werden knapp. Die andere Herangehensweise richtet sich nach der Abfallmenge. Hier kann man Beton oder Mauerwerk als Beispiele heranziehen. Für diese Stoffe ist heute beim Rückbau ein Downcycling mit erheblichem Qualitätsverlust der übliche Weg.

Doch wer in der Bau- und Immobilienbranche ist für die Einführung der C2C-Philosophie zuständig beziehungsweise wer könnte davon profitieren?

Ganz klar: alle. Wenn man nur mal bedenkt, dass der Materialkostenanteil bei Bauprojekten zwischen 20 und 30 Prozent liegt. Diese Werte gehen heute beim Abriss verloren. Kann man die Primärstoffe jedoch recyceln und bei den Rezyklaten das gleiche Qualitätsniveau erreichen, haben Gebäude beim Abriss einen nennenswerten Restwert. Zudem sind schadstofffreie Bauten für Mieter attraktiver, sodass auch hier ein Mehrwert erzielt werden kann. Diese Punkte betreffen das Bauherren-Nutzer-Verhältnis.
Auch die Produkt- und Baustoffhersteller würden ihre schadstofffreien Produkte gerne zurücknehmen, wenn sie die Materialien wieder in neue Produkte einfließen lassen könnten. Zudem könnten neue Geschäftsmodelle entstehen, beispielsweise der Leasing-Gedanke. Es gibt schon Teppichbodenhersteller, die ihre Teppiche verleasen, sie später schreddern und daraus wieder neue Teppiche herstellen
Außerdem bereitet die Europäische Union Regularien vor, welche die Hersteller stärker in die Verantwortung nehmen werden – Stichwort „Produktverantwortung“.

Ab welchem Zeitpunkt im Lebenszyklus von Bauprojekten sollte man sich mit der C2C-Thematik befassen?

Ab der Planung. Heute beginnt die Beschäftigung mit der Rückbaumasse in den meisten Fällen jedoch erst beim Abriss, dann, wenn der Abfall teuer zu entsorgen ist. Wird ein Bauwerk jedoch unter einem ganzheitlichen  Nachhaltigkeitsgedanken geplant, gehört auch die richtige Produktauswahl dazu, um die Hochwertigkeit der verwendeten Rohstoffe zu erhalten – Upcycling nennt man das. Nehmen Sie als Beispiel Beton mit Gipsputz – eine weitverbreiteter Wandaufbau. Der Betonbruch kann nicht mehr als Zuschlag in neuem Beton eingearbeitet werden, weil der enthaltene Gips quillt und treibt. Oder die Verbindung von verschiedenen Kunststoffen wie beispielsweise PE und EPS – mit einfachen Maßnahmen in der Planung, wie einer sortenreinen Trennbarkeit oder der Beachtung chemischer Recyclingverträglichkeiten, ließe sich hier ein hochwertiges Upcycling durchführen.

Es gibt zwei Kreisläufe, den biologischen und den technischen. Haben beide einen Einfluss auf die Bau- und Immobilienbranche?

Ja, Holz gehört beispielsweise zum biologischen Kreislauf, Metalle, Glas und Stahl zum technischen – alle genannten Stoffe sind wichtig für das Bauwesen.

Unterstützt das C2C-Konzept auch die Ziele der Energiewende?

Auf jeden Fall, denn perspektivisch müssen die Rohstoffe in die Energiebilanz von Bauwerken eingerechnet werden – bisher sprechen wir hier noch von der sogenannten „grauen Energie“. Bei der Wiederverwertung von Aluminium haben wir zum Beispiel eine Energieeinsparung von 95 Prozent gegenüber der Herstellung als Primärrohstoff. Auch bei Glas und Kunststoffen lassen sich enorme Energieeinsparungen erzielen. So werden wir auch unabhängiger von Rohstoffimporten.

Im April organisierte Drees & Sommer ein Cradle-to-Cradle-Forum. Wie war die Resonanz der Teilnehmer?

Im April dieses Jahres konnten wir etwa 100 Entscheider der deutschen Bau- und Immobilienbranche zusammenbringen. Viele Gäste hatten sich zwar schon mit der Thematik beschäftigt, trotzdem hatten einige ein regelrechtes Aha-Erlebnis als sie erfuhren, welcher Mehrwert dadurch tatsächlich erzielt werden kann. Jetzt geht es darum, wie das Thema in der Breite umgesetzt werden kann. Auffällig war auch, dass das Thema nicht nur Planer, Bauherren und die Industrie interessierte, sondern auch Investoren. Sämtliche Akteure müssen nun miteinander ins Gespräch kommen. Wir entwickeln beispielsweise gerade mit Herstellern eine Fassade und Innenwände auf Grundlage des C2C-Gedankens, sind auch im Gespräch mit Architekten, Nutzern und Investoren.

Herr Brenner, vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person

Valentin Brenner ist seit Anfang des Jahres beim Projektmanagement- und Immobilienberatungsunternehmen Drees & Sommer in Stuttgart Leiter des Expertenteams zum Thema Cradle to Cradle. Zuvor arbeitete er im Team des Architekten und Bauingenieur Werner Sobek. 
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