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2005 | Buch

Bedingungen gerechten Handelns

Motivations- und handlungstheoretische Grundlagen liberaler Theorien

verfasst von: Annette Schmitt

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

Buchreihe : Forschung Politik

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Vorwort
Zusammenfassung
Die Themen der vorliegenden Arbeit haben mich in unterschiedlicher Form über viele Jahre begleitet. Zunächst beschäftigte ich mich, aus der politischen Philosophie kommend, intensiv mit Begriffen — vor allem mit dem Begriff der Verantwortung und mit dem Bürgerbegriff. Wozu aber diese Analysen dienen sollten — worauf das Ganze letztlich hinauslaufen würde —, war mir lange nicht klar. Erst im Laufe der Zeit stellte sich die Erkenntnis ein, dass es im Wesentlichen nicht ein genuin philosophisches Problem war, das mich interessierte, sondern ein sozialpsychologisches, nämlich: Unter welchen Umständen sind Menschen „wie du und ich“bereit, Regeln freiwillig zu befolgen, d. h. ohne Androhung von Strafe, aber auch ohne Versprechen von Belohnung?
Annette Schmitt
1. Einleitung
Zusammenfassung
Zu allen Zeiten haben sich politische Philosophen um eine Antwort auf die Frage bemüht, wie das Zusammenleben von Menschen geordnet werden soll. Und so unterschiedlich ihre Entwürfe auch sein mögen, die meisten von ihnen gehen davon aus, dass ihre jeweilige Vorstellung vom guten Staat realisiert werden könnte und dass eine nach ihren Anweisungen gestaltete Gesellschaft auch stabil wäre. Selbst Piaton, der häufig als Vater der Utopie bezeichnet wird (vgl. Morus 1965, 27), also als Schöpfer eines Genres, in dem Idealstaatsvorstellungen zum Ausdruck kommen, die auf dieser Welt „keinen Platz, nirgends“haben, wagte es kaum, Sokrates die radikaleren Vorschläge zur Schaffung seiner Politeia in den Mund zu legen, weil er befürchtete, dem Publikum könne seine „Rede nur wie ein frommer Wunsch erscheine[n]“(Piaton 1992, 173). Er hingegen verstand seine Anregungen im Sinne eines Reformprogramms und hoffte, den Herrscher von Syrakus für seine Ideen zu gewinnen, um „sein Staatsideal mit [dessen] Hilfe in das Leben einzuführen“ (Gomperz 1996,415).
Annette Schmitt
2. Das Bürgermodell
Zusammenfassung
A Theory of Justice liegt ein normatives Modell des Bürgers1 zugrunde. Demnach handelt es sich bei den Bewohnern der Rawls’schen Theoriewelt um moralisch gleiche und freie, rationale und vernünftige Personen. Bei einem solchen Modell geht es offenkundig nicht nur um eine Abstraktion, sondern zugleich auch um eine Idealisierung2 der Realität mit dem Ziel, die Aufmerksamkeit auf die zentralen Zusammenhänge zu lenken, die für die Untersuchung des zu analysierenden Sachverhalts ausschlaggebend sind (vgl. Schelling 1978, 87). Der Sachverhalt, der im Mittelpunkt der weiteren Untersuchung steht, ist der Gerechtigkeitssinn, und der Rawls’sche Modellbürger ist dementsprechend so beschaffen, dass er mittels der Argumente, die Rawls für die beiden Prinzipien der Gerechtigkeit anbietet, von ihrer Richtigkeit überzeugt werden und infolgedessen den Gerechtigkeitssinn — eine stabile und wirksame, positive Einstellung zu gerechtem Handeln — erwerben kann.
Annette Schmitt
I. Der Gerechtigkeitssinn als motivierter Wunsch
Zusammenfassung
Mit der Rationalität und der Vernünftigkeit des Menschen gehen nach Rawls bestimmte moralische Fähigkeiten einher, nämlich zum einen die „capacity for a conception of the good“ und zum anderen die „capacity for a sense of justice“ (PL 52). Unter dem Gerechtigkeitssinn versteht Rawls
„a normally effective desire to apply and to act upon the principles of justice, at least to a certain minimum degree“(ToJ 505).
Die Fähigkeit, einen solchen Wunsch zu entwickeln, sei „bei der überwältigenden Mehrheit der Menschen vorhanden“; wer nicht über dieses Vermögen verfuge, leide unter einem „natürlichen Gebrechen oder [der] Auswirkung von Mißständen“ (Rawls 1975, 549; ToJ 506). Im übrigen handele es sich dabei um eine „natürliche Fähigkeit wie andere auch“ (Rawls 1975, 550; ToJ 506), die ein jeder — mehr oder minder — besitzt.
Annette Schmitt
II. Der Gerechtigkeitssinn als stabile Einstellung
Zusammenfassung
Während im ersten Teil der Arbeit die Frage behandelt wurde,ob die Mehrheit der Bürger prinzipiell die Fähigkeit hat, einen motivierten Wunsch wie den Gerechtigkeitssinn zu entwickeln, beschäftigen sich die nun folgenden Ausfuhrungen mit der Frage nach dem „wie“. Genauer gesagt, sollen die Umstände untersucht werden, unter denen Bürger den Gerechtigkeitssinn tatsächlich erwerben können.
Annette Schmitt
III. Der Gerechtigkeitssinn als wirksamer Wunsch
Zusammenfassung
Wie in Teil I erörtert, haben nach Rawls’ internalistischer Auffassung Menschen im Prinzip die Fähigkeit, den Gerechtigkeitssinn — „a settled disposition to adopt and to want to act from the moral point of view insofar at least as the principles of justice define it“(ToJ 491) — zu entwickeln. In Teil II wurde argumentiert, dass eine intensive Beschäftigung mit den Gründen für die Gerechtigkeitsprinzipien prinzipiell zum Erwerb eines solchen Gerechtigkeitssinns im Sinne einer stabilen Einstellung fuhren kann. Eine solche systematische Auseinandersetzung ist nicht nur empirisch vielversprechend, sie ist zudem aus liberaler Sicht normativ geboten, da nur solche Prinzipien als legitim erachtet werden, denen Bürger aus vernünftigen Gründen zustimmen können. Die Erkenntnis, dass Gerechtigkeitsprinzipien auf diesem Weg möglicherweise zugleich Legitimität und Legitimation verschafft werden kann, ist aus liberaler Sicht äußerst erfreulich. Wenn wir uns aber an Rawls’ Erkenntnisinteresse erinnern, Prinzipien für eine gerechte und stabile Gesellschaft zu formulieren, dann genügt es selbstverständlich nicht, dass die Mehrheit der Bürger dauerhaft geneigt ist, gerecht handeln zu wollen; sie muss es auch tun
Annette Schmitt
15. Fazit
Zusammenfassung
Höffe übertreibt nicht, wenn er A Theory ofJustice als den „vielleicht… wichtigste[n] Beitrag zur Politischen Ethik des zwanzigsten Jahrhunderts“(1998, 3) bezeichnet. Es ist ein großartiges Weik, das eine unglaubliche Bandbreite von klassischen und modernen Ideen aus Philosophie, Ökonomie, Politikwissenschaft, Soziologie, Sozial- und Moralpsychologie zu einem komplexen Theoriegebilde verknüpft. Es hat die politische Philosophie vor der drohenden Bedeutungslosigkeit bewahrt, indem es die Abkehr vom Logischen Empirismus und der reinen Sprachanalyse einerseits (wonach normative Philosophie keine wissenschaftliche Beschäftigung sein kann) und vom Utilitarismus (dem Nachfolger der klassischen Vertragstheorie) andererseits bewirkte (vgl. Kersting 1994, 260 f.). Und es hat eine nicht enden wollende Diskussion in Gang gesetzt, zu der auch diese Arbeit einen Beitrag leisten will.
Annette Schmitt
Backmatter
Metadaten
Titel
Bedingungen gerechten Handelns
verfasst von
Annette Schmitt
Copyright-Jahr
2005
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-322-80825-7
Print ISBN
978-3-531-14883-0
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-80825-7