Autor: Springer Professional
Mit alternativen Kraftstoffen könnten die Klimaauswirkungen von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren verringert werden. Eine Studie offenbart das Potenzial von Benzin aus Biomasse in Europa.
Großtechnische Anlagen könnten Biomasse im großen Stil zu Alkohol und danach zu Benzin verarbeiten.
Bertold Werkmann / Stock.adobe.com
Eine aktuelle Analyse* unter der Leitung der TU Darmstadt zeigt, dass aus bisher ungenutzter Biomasse jährlich rund 40 Mio. t nachhaltiges Benzin in Europa produziert werden könnten. Das sei genug, um etwa 49 % des heutigen Verbrauchs in der EU und weiteren europäischen Ländern zu decken und entspricht dem Jahresbedarf von rund 79 Mio. Pkw mit Verbrennungsmotor.
Die Studie untersucht das Potenzial sogenannter Biomasse der zweiten Generation, die der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED) III Anhang IX der europäischen Union entsprechen – darunter werden Rohstoffe verstanden, die nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion stehen. Dazu zählen:
- Landwirtschaftliche Reststoffe (Stroh)
- Mehrjährige Energiepflanzen auf marginalen Flächen
- Nebenprodukte der Forstwirtschaft
- Tierische Exkremente, Urin und Gülle
- Tierische und gemischte Lebensmittelabfälle, pflanzliche Abfälle, organischer Anteil des Hausmülls (verwertbare Abfälle)
Insgesamt liegt das theoretische Potenzial der gesamten landwirtschaftlichen Reststoffe in der EU27+ bei 431 Mio. t Trockengewicht (Trockengewicht ohne Feuchtigkeit). Die berücksichtigten Biomassepotenziale basieren dabei auf statistischen Werten für Europa einschließlich der Länder der EU27, Island, Liechtenstein, Norwegen, Schweiz, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Nordmazedonien, Albanien, Serbien, Türkei, Kosovo und Vereinigtes Königreich.
Alkohole aus Biomasse
Das theoretische Potenzial für verwertbare Abfälle liegt laut der Verfasser bei 151 Mio. t (59 Mio. t Trockengewicht). Das technische Gesamtpotenzial, das die realistisch verfügbare Menge an Biomasse unter der Annahme beschreibt, dass Deponieabfälle und Abfälle zur energetischen Verwertung zur Methanolherstellung verwendet werden, beläuft sich auf 63 Mio. t (26 Mio. t Trockengewicht).
Aus der verfügbaren Biomasse ließen sich nach den Modellrechnungen jährlich rund 22,5 Millionen t Ethanol und 72 Millionen t Methanol gewinnen. Diese Alkohole dienen als Vorstufen zur Herstellung biogenen Benzins. Durch verschiedene chemische Konversionspfade – darunter Methanol-to-Gasoline (MtG), Methanol-to-Olefins (MtO), Ethanol-to-Gasoline (EtG) und Ethanol-to-Olefins (EtO) – könnten zwischen 33,5 Mt bis 39,58 Mt Benzin (nach DIN EN 228) hergestellt werden. Durch die Verwendung von Biomasse als Rohstoff bieten diese Biokraftstoffe die Möglichkeit, einen geschlossenen Kohlenstoffkreislauf zu schaffen.
Biobenzin mit hohem Klimanutzen
Im Vergleich der Verfahren böten dabei EtO- und MtO-Pfade den höchsten Wirkungsgrad: Sie erzeugen nicht nur mehr Benzin pro eingesetztem Alkohol, sondern liefern auch andere Nebenprodukte wie Kerosin, Diesel, LPG und Brenngas, was die Wirtschaftlichkeit weiter verbessert. Aus der Simulation einer Anlage mit einer Alkoholzufuhr von 1 Mt/a ergibt sich, dass mit dem potenziell technisch verfügbaren, nachhaltigen Biomassepotenzial in Europa insgesamt etwa 24 (im Maßstab 4 Mt/a) oder 95 Anlagen (im Maßstab 1 Mt/a) erforderlich sind, um das berechnete Alkoholpotenzial zu nutzen.
Ein besonderer Vorteil der untersuchten Prozesse liegt im Klimanutzen: Die Umwandlung der Biokraftstoffe gelingt fast emissionsfrei, da ausschließlich erneuerbare Energiequellen und grüner Wasserstoff zum Einsatz kommen. Die Netto-CO₂-Emissionen des produzierten Benzins liegen damit rund 80 % unter denen konventionellen Kraftstoffs. Je nach gewähltem Verfahren ergibt sich eine jährliche Treibhausgasminderung von bis zu 122 Mio. t CO₂-Äquivalenten.
Ökonomische Bewertung
Während in Pilotanlagen die Produktionskosten pro Liter noch bei über 5 Euro liegen, könnte diese bei großindustriellen Anlagen (z. B. 4 Mt/a) auf unter 1,50 €/l sinken. Das gilt vor allem dann, wenn die Kosten für grünen Alkohol wie prognostiziert weiter fallen. Damit könnten biogene Kraftstoffe mittel- bis langfristig eine konkurrenzfähige Alternative zu fossilem Benzin werden. Die Berechnungen sind laut der Verfasser konservativ angelegt, da nur die in Europa anfallende Biomasse berücksichtigt wurde. Bestehende Nutzungen wurden abgezogen und Importe blieben unberücksichtigt. Auch die wachsende Nachfrage anderer Branchen – etwa nach nachhaltigem Flugbenzin oder biobasierter Chemie – ist in der Analyse nicht eingepreist.
Nachhaltiges Benzin aus Europa
Europa verfügt laut der Studie über genügend eigene Ressourcen, um den Verkehrssektor durch den Einsatz von fortschrittlichen Biokraftstoffen deutlich zu dekarbonisieren. Eine Modellierung der Entwicklung bis 2035 zeige zudem, dass durch verbesserte Technologien, eine optimierte Nutzung von Reststoffen und veränderte Anbaupraktiken noch eine Steigerung der Biomassepotenziale möglich wäre. Die Flexibilität der untersuchten Produktionsverfahren könnte darüber hinaus zur Stabilität der Energieversorgung beitragen. Da sich die chemischen Prozesse je nach Marktbedarf anpassen lassen, könnten je nach Situation auch Kerosin, Diesel oder andere Kraftstoffarten erzeugt werden – ein wichtiges Argument für Investoren, die auf Planbarkeit und wirtschaftliche Verwertbarkeit setzen.
Die Ergebnisse zeigen demnach, dass nachhaltiges Benzin aus europäischer Biomasse nicht nur ein ökologischer Hoffnungsträger ist, sondern auch ein wirtschaftlich realisierbares Konzept darstellt. Mit einer entsprechenden Förderung in einem politischen Rahmen könnten damit nahezu die Hälfte der heutigen Benzinverbräuche Europas klimafreundlich ersetzt werden.
* Dieser Beitrag entstand auf Grundlage des angehängten Vortrages "Analysis of the availability of sustainable, biogenic gasoline in Europe", der auf dem Internationalen Motorenkongress 2025 gehalten wurde.