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23.03.2023 | Besteuerungsverfahren | Schwerpunkt | Online-Artikel

Politik kann Vermögenssteuer verfassungsgemäß gestalten

verfasst von: Angelika Breinich-Schilly

6:30 Min. Lesedauer

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Regelmäßig diskutieren Rechtsexperten, Wirtschaft und Politik über die Vor- und Nachteile einer Vermögenssteuer. Ein konkretes Vorhaben scheiterte 1995 vor dem Bundesverfassungsgericht. In Zeiten enormer finanzieller Belastungen bringt ein Rechtsgutachten das Thema wieder auf den Tisch.

Mit gutem Grund seien Diskussionen um die Vermögenssteuer in den vergangenen Jahren meist abstrakt geführt worden - ohne konkrete Gesetzentwürfe im Parlament, kommentiert Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) in einem Gastbeitrag das "Handelsblatt" im Spätherbst 2022 entsprechende Forderungen. "Den Befürwortern gelingt es nicht, ein rechtssicheres Konzept für eine effiziente und bürokratiearme Erhebung vorzulegen." Eine Abgabe auf Vermögen würde vor allem Mittelständler treffen und damit Investitionen hemmen.

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Unsere Wirtschaft ethisch überdenken

Eine Aufforderung

Es läuft ganz und gar nicht rund in unserer Wirtschaft: Kam bereits vor der Pandemie der Wohlstand nicht mehr bei allen an, wurde die soziale Ungleichheit durch Corona noch weiter verschärft. Dass wir die Ökonomie dringend mit der Ökologie versöhnen müssen, ist mittlerweile allen klar. Die Frage ist lediglich, wie das konkret aussehen soll. Eine Aufforderung zum Nachdenken und Diskutieren von Autor Detlef Pietsch. 

In der Wissenschaft herrscht Unsicherheit über die Vor- und Nachteile, die Detlef Pietsch im Buch "Die Ökonomie und das Nichts" auf Seite 384 beleuchtet: 

Auch die Vermögenssteuer, so sie in Deutschland wiedereingeführt würde, stellt den Staat vor administrative Herausforderungen: Die Schwierigkeiten ergeben sich bei der lückenlosen Bestandsaufnahme und Bewertung des Vermögens, etwa von Gemälden und Unternehmensanteilen. Was bedeutet die Vermögenssteuer für die Unternehmenssubstanz bei mittelständischen Unternehmern? Selbst eine reine Vermögenssteuer auf Privatvermögen muss sich mit einer wiederholten vollständigen Erfassung der Vermögensgegenstände befassen und würde hohe Unsicherheiten, Fehlerraten und vor allem einen enormen administrativen Aufwand bedeuten."

Gesetzgeber hat "erheblichen Spielraum"

In seinem aktuellen Rechtsgutachten stellt Alexander Thiele, Professor für Staatstheorie und Öffentliches Recht an der Business & Law School der Hochschule für Management und Recht in Berlin, allerdings einen "erheblichen Spielraum" des Gesetzgebers bei der rechtlichen Gestaltung einer entsprechenden Steuer fest. In seiner von der SPD-nahen Hans-Böckler-Stiftung geförderten Untersuchung kommt der Jurist zu dem Schluss, dass die Vermögensteuer nicht nur verfassungsgemäß ausgestaltet werden kann, sondern mit Blick auf die große finanzielle Ungleichheit in Deutschland sogar verfassungsrechtlich naheliege.

In seiner Analyse stützt sich Thiele auf den aktuellen Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Zudem seien die privaten Vermögen im Vergleich zu anderen EU- und OECD-Ländern mit ähnlicher Einkommenssituation besonders ungleich verteilt. Die untere Hälfte der Bevölkerung habe Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge keine nennenswerten Vermögen. "Dagegen besitzen die reichsten zehn Prozent rund zwei Drittel des gesamten Privatvermögens, das reichste Prozent der Bevölkerung bis zu 35 Prozent und allein die reichsten 0,1 Prozent der Bevölkerung verfügen über bis zu 20 Prozent", zitiert der Rechtswissenschaftler die DIW-Ergebnisse. 

Diese haben ihr Vermögen vor allem über renditestarke Anlagen wie etwa Aktien, Immobilien und Betriebsvermögen erwirtschaftet. Haushalte mit weniger Habe konzentrierten sich hingegen auf "risikoarme Anlagen, die aber besonders stark von einer hohen Inflation betroffen sind". Zudem müsse der Staat die milliardenschweren Kredite zur Bewältigung der multiplen Krisen der vergangenen Jahre abtragen. "Zusätzlich besteht ein riesiger Investitionsbedarf, um eine erfolgreiche sozial-ökologische Transformation zu ermöglichen."

Vermögenssteuer ist prinzipiell zulässig

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht im Juni 1995 die damalige Vermögensteuer für verfassungswidrig erklärt. Doch richte sich dieser Beschluss "keineswegs gegen eine Besteuerung von Vermögen an sich, sondern lediglich gegen die damalige konkrete Ausgestaltung". Das Grundgesetz stehe Thiele zufolge einer Vermögensbesteuerung nicht entgegen. Sie werde sogar "ausdrücklich als prinzipiell zulässige Steuerart aufgelistet". Darüber hinaus würde die Vermögensteuer dazu beitragen, das Prinzip der Leistungsfähigkeit, besser zu verwirklichen: Gleich Leistungsfähige müssen danach gleich, unterschiedlich Leistungsfähige unterschiedlich besteuert werden, lautet Thiels These. 

Ihm zufolge liefere bereits das Sozialstaatsprinzip in Artikel 20 des Grundgesetzes verfassungsrechtliche Argumente für eine Besteuerung von Vermögen, wenn die Ungleichheit ein nicht mehr zu rechtfertigendes Ausmaß erreicht hat. Seien Vermögen derart ungleich verteilt wie in der Bundesrepublik, drohe "das einigende Band der Gemeinschaft zu zerreißen, da deren Mitglieder nicht mehr in der Lage sind, sich als politisch gleich und folglich als Angehörige der gleichen politischen Gemeinschaft zu erkennen". In diesem Fall sei der Gesetzgeber gehalten, Maßnahmen zu ergreifen, um die Ungleichheit auf ein begründungsfähiges Niveau zu bringen.

Nur fünf OECD-Staaten haben Vermögenssteuer

Allerdings gingen viele OECD-Länder laut Ewald Nowotny und Martin Zagler einen anderen Weg und reduzierten in den vergangenen Jahren solche Steuerformen oder schafften sie ganz ab. Von insgesamt 24 Mitgliedsstaaten erhoben 2019 nur noch fünf Staaten eine Vermögensteuer, schreiben die Springer-Autoren im Buchkapitel "Vermögens-, Vermögenszuwachs- und Vermögensverkehrssteuern"  (Seite 340). Zum Kreis der Länder mit echten Vermögenssteuern gehören ihnen zufolge neben Norwegen die Schweiz (auf der Kantonsebene) sowie Frankreich und Spanien. Diese wenden "progressive Tarife mit differenzierten Steuersätzen" an. 

Allerdings hatte die spanische Region Andalusien im Herbst 2022 angekündigt, wie die Autonome Gemeinschaft Madrid auf die Vermögensteuer verzichten zu wollen, um attraktiver zu werden. Zeitgleich hat die Zentralregierung Spaniens auch Pläne für die Einführung einer befristeten Reichensteuer vorgestellt, mit der Belastungen breiter Bevölkerungsschichten durch die hohe Inflation abgefedert werden sollen. Gelten soll die Steuer für Vermögen über drei Millionen Euro für die Jahre 2023 und 2024. Gleichzeitig werden die Abgaben für Geringverdiener gesenkt.

Eine Besonderheit stelle die niederländische Regelung dar, so Nowotny und Zagler: "Die bis dahin eigenständige Vermögensteuer wurde 2000 ersetzt durch eine Art 'Sollertragsteuer' innerhalb der Einkommensteuer, die im Ergebnis wie eine Vermögensteuer mit einheitlichem Steuersatz von 1,2 Prozent wirkt". Unabhängig von den Ist-Erträgen werde dort ein Einkommensteuersatz von 30 Prozent auf einen fiktiven Ertrag in Höhe von vier Prozent des Reinvermögens erhoben.

Besteuerung von Sollerträgen möglich

Die Besteuerung von Sollerträgen aus Vermögenswerten ist laut Thiele verfassungsrechtlich unproblematisch. Besteuerungsgrundlage seien dabei die aus dem Vermögen erzielbaren Erträge, zum Beispiel potenzielle Mieteinnahmen und Zinseinkünfte, nicht hingegen die Vermögenssubstanz. Aber auch eine darüber hinaus gehende Substanzbesteuerung sei nicht per se ausgeschlossen. Sie könne "in Zeiten erheblicher und nur schwer begründungsfähiger Vermögensungleichheit" gerechtfertigt sein, wenn durch die Ungleichheit eine Gefährdung der demokratischen Gleichheit drohe.

Dem Rechtswissenschaftler zufolge können neben den privaten Vermögen im Grundsatz auch Betriebsvermögen dabei einbezogen werden. "Allerdings müssen Betriebsvermögen nicht zwingend in der gleichen Höhe wie private Vermögen besteuert werden." Es sei möglich, Betriebsvermögen zu privilegieren, da diesem eine besondere Bedeutung für die Prosperität einer Gesellschaft zukomme, so der Rechtswissenschaftler.

Vorschläge für eine Erbschaftssteuer und eine Vermögenssteuer sollten uns dabei helfen, die Verteilung der Einkommen und Vermögen wieder geradezurücken. Im Ergebnis sollte eine Gesellschaft entstehen, in der die Entwicklung alle Boote nach oben drückt und nicht Einzelne oder gar Gruppen von der gesellschaftlichen Entwicklung ausschließt", fasst es Springer-Autor Dirk Ehnts in seinem Ausblick zur Modern Monetary Theory auf Seite 51 zusammen. 

Unschärfen bei der Bewertung zulässig

Wichtig sei, dass Vermögensgegenstände so erfasst werden, dass sie annähernd dem Marktwert entsprechen, so Thiele. "Werden dabei unterschiedliche Maßstäbe angelegt, stünde dies im Konflikt mit dem Gleichheitsgrundsatz. Genau hier lag das Problem der bis in die 1990er-Jahre erhobenen Vermögensteuer, über die das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden hatte." So sei bei Bargeld oder Aktien eine Bewertung vergleichsweise einfach, komplizierter werde dies bei Kunstgegenständen und anderen Sachgütern sowie bei Immobilien. Hier sei der Staat auf die Ehrlichkeit der Steuerpflichtigen angewiesen. 

Allerdings seien gewisse "Unschärfen" bei der Bewertung von Vermögensgegenständen verfassungsrechtlich laut Thiele zulässig: Abweichungen von bis zu 20 Prozent vom "tatsächlichen" Wert seien verfassungsrechtlich denkbar, so der Jurist, und Pauschalierungen im Steuerrecht nicht unüblich. Bei einer Sollertragsteuer bleibe zudem die Vermögenssubstanz grundsätzlich unangetastet, sodass der damit bewirkte Eingriff in die Eigentumsfreiheit verfassungsrechtlich keine Probleme bereite. 

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