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26.06.2020 | Betriebsstoffe | Interview | Online-Artikel

"Wir sind über den Punkt der Wirkungsgraddiskussion hinaus"

verfasst von: Marc Ziegler

7 Min. Lesedauer

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Im Interview der MTZ 7-8 2020 sprechen Dietmar Goericke (FVV) und David Bothe (Frontier Economics) über ihre Metastudie zu den Lebenszyklus-CO2-Emissionen im Verkehr. Dabei beleuchten sie auch Lehren aus der Corona-Krise.

MTZ / springerprofessional.de: Welche Technologien sind Ihrer Ansicht nach am effektivsten, um den Ausstoß an Klimagasen zu reduzieren?

Bothe: Da zeigen die Analysen, grün können eigentlich alle Technologien. Uns als Ökonomen interessiert ja immer die Effizienz, aber eben die wirtschaftliche, nicht unbedingt die physikalische. Insbesondere die Verbrennungstechnologien haben in allen Szenarien einen relevanten Anteil an langfristigen Zukunftsszenarien, weil es oft keine Alternativen gibt oder die Umstellung in Hinblick auf das CO2-Budget nicht sinnvoll wäre. Da können auch Technologien, die vielleicht physikalisch einen schlechteren Wirkungsgrad haben, systemisch trotzdem die optimalen Technologien sein, weil sie am besten mit der vorhandenen Infrastruktur oder mit dem Gesamtsystem interagieren können. Insofern würde ich mich hier zieren, die eine Technologie zu nennen, sondern nochmal betonen, dass es ein Mix sein muss. Aber gerade auch die angesprochenen Verbrennungstechnologien, Flüssigkraftstoffe – dann zukünftig auf erneuerbarer Basis – haben in allen großen Energieszenarien, die wir und andere gerechnet haben, einen ganz klaren, wichtigen Anteil am Gesamttechnologiemix.

Goericke: Das kann ich nur bestätigen. Ich denke, dass eine Antwort der Industrie auch sein muss, noch viel stärker zu kooperieren. Denn wir brauchen die Economy of Scales. Die Investments, die jetzt notwendig sind, um alle Optionen zu prüfen, kann kein Einzelner stemmen. Ein Thema ist mir noch wichtig: Die Bestandsflotte umfasst in Deutschland rund 45 Millionen Fahrzeuge plus Nutzfahrzeuge, die noch bis weit in die 30er Jahre, vermutlich bis 2040 im Bestand bleiben werden. Die werden im Augenblick sträflich vernachlässigt. Hier müssen wir Maßnahmen zur CO2-Reduzierung anbieten, wenn wir es mit dem Umweltschutz und dem Erreichen der Klimaziele ernst meinen. Das gilt natürlich weltweit. Wir müssen Kraftstoffe anbieten und so eine CO2-Reduktion in der Bestandsflotte ermöglichen. Das Thema wird viel zu wenig diskutiert. Eigentlich gar nicht.

Bothe: Da würde ich gerne ergänzen: Es betrifft eben nicht nur die Bestandsflotte, sondern auch viele Zukunftstechnologien, den Hybridbereich und die Plug-in-Hybride. Auch hier ist man auf flüssige Energieträger angewiesen und benötigt daher auch noch langfristig eine Infrastruktur für CO2-arme und -neutrale Kraftstoffe. Daher ist die Technologie sowohl für die Bestandsflotte als auch für die neuen, besonders effizienten Hybride wichtig.

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Die Diskussion zum Thema Energieproduktion und Herstellung synthetischer Kraftstoffe läuft immer wieder auf die Wirkungsgrade hinaus. Sie sagten, die Entwicklung, die Forschung und auch viele Studien gehen weiter von Wasserstoff als Energieträger der Zukunft aus. Geht es hier nur um Anwendungen in Brennstoffzellen oder auch um Wasserstoffverbrennungsmotoren?

Goericke: Um beides. Die Brennstoffzelle wird intensiv beforscht, und der Wasserstoffmotor kommt jetzt immer stärker hoch. Wobei wir ihn erst einmal nicht im Pkw sehen, sondern eher im Nutzfahrzeug und natürlich auch in anderen Anwendungen für größere Motoren. Natürlich kann die Technologie, wenn der Wasserstoff zur Verfügung steht, dann auch langsam in die Pkw-Flotte diffundieren, wenn man das möchte. Ich persönlich als Kunde möchte in Zukunft eigentlich nicht aus sieben verschiedenen Antriebsoptionen wählen müssen. Wie viele andere möchte ich mich möglichst günstig, bequem und mit geringem CO2-Ausstoß im Fahrzeug bewegen. Die Technologie steht diesem Wunsch nach.

Wenn Wasserstoff direkt eingesetzt wird, ist der Wirkungsgrad deutlich besser als der synthetischer Kraftstoffe. Sehe ich das richtig?

Goericke: Ja, natürlich. Aber ich glaube, wir sind über den Punkt der Wirkungsgraddiskussion hinaus. Wenn wir davon ausgehen, dass wir CO2-neutralen Kraftstoff brauchen, egal in welcher Form, ob flüssig oder gasförmig, und wir ihn effizient herstellen, transportieren und lagern können, ist es fast egal, ob das Fahrzeug einen halben Liter mehr oder weniger verbraucht. CO2 steht im Fokus. Die Gesamtbilanz eines jeden. Wenn ich meine persönliche Bilanz betrachte, mein augenblickliches Leben innerhalb der Corona-Krise, habe ich in den zurückliegenden Monaten sehr viel CO2 eingespart, weil sechs oder sieben Flugreisen nicht stattgefunden haben. Vermutlich muss ich zukünftig eben auch überlegen, wann, ob und wie ich reise.

Bothe: Physikalische Umwandlungsverluste der verschiedenen Energieketten sind nur ein Aspekt und nicht der entscheidende. Denn wie Dietmar Goericke sagt: In einer CO2-neutralen Welt ist die Effizienz nicht länger entscheidend, sondern viel mehr, was ist ökonomischer, also günstiger im Gesamtsystem. Viele Analysen zeigen, dass auch Ketten mit physikalisch höheren Umwandlungsverlusten – weil gasförmige Energieträger zu flüssigem synthetischen Kohlenwasserstoff umgewandelt werden – diesen Verlust darüber kompensieren, dass vorhandene Infrastrukturen, Logistik und Speichermöglichkeiten genutzt werden können. In Summe ist das dann noch immer deutlich effizienter, als neue Strukturen aufzubauen. Natürlich ist Wasserstoff effizienter, wenn ich die Produktion von Wasserstoff mit der von synthetischen Kohlenwasserstoffen in Europa vergleiche. Aber Kohlenwasserstoffe lassen sich eben leicht global transportieren, wodurch sich beispielsweise Energiequellen in Südamerika nutzen lassen, wo das gleiche Windrad die doppelte Energiemenge erzeugen kann. Dort habe ich Effizienzgewinne und die Gesamtkette ist effizienzmäßig betrachtet gar nicht mehr schlechter, obwohl man über Kohlenwasserstoffe geht. Dieses systemische Denken brauchen wir. Deshalb sollten wir Endanwendungstechnologien nicht davon abhängig machen, ob die Vorkette physikalisch einige Prozent besser oder schlechter ist. Das ist für die Frage nach der Technologie irrelevant.

Die Corona-Krise hat offen gelegt, dass unsere Lieferketten zu lang sind und dass wir zu abhängig von einzelnen Produktionsstandorten sind; Deutschland im Speziellen von China. Wenn wir Kraftstoff mit lokalem Strom in Südamerika, in Mena oder Australien herstellen, weil dort die Sonne länger scheint oder das Windrad besser funktioniert, haben wir genau dasselbe Problem einer langen Lieferkette. Energieautark kann Deutschland aus verschiedenen Gründen kaum werden. Was sollen wir also tun?

Bothe: Energie wird schon immer importiert. In Europa sind es heute zwei Drittel bis drei Viertel der Energie, in Deutschland eher drei Viertel, die von außerhalb kommt. Wir haben diese Abhängigkeiten also heute schon. Sie hatten es schon angesprochen: Rein von den physikalischen Verfügbarkeiten werden wir es nicht schaffen, energieautark zu werden. Ich glaube, das ist auch nicht notwendig, denn wir haben gerade im Bereich chemischer Energieträger wie Kohlenwasserstoffen und Gasen große Speichermöglichkeiten, die wir immer schon nutzen und auch weiterhin nutzen können. Damit lassen sich auch längerfristige Importprobleme überbrücken. Nach meinem Kenntnisstand sind Energieimporte von der Corona-Krise in keiner Weise betroffen. Im Gegenteil, wir sehen an den Energiemärkten, dass die Preise im freien Fall sind, weil ein Überangebot herrscht. Über unsere großen Zwischenspeicher können wir so zumindest für eine gewisse Zeit quasi autark werden.

Indem wir chemische Speicher nutzen?

Bothe: Genau. Nur dann können wir global handeln. Es wäre ökonomisch eher gefährlich, wenn die Corona-Krise dazu führen würde, dass wir generell die globale Arbeitsteilung und den Welthandel infrage stellen. Der hat massiv zu unserem aktuellen Wohlstandsniveau beigetragen, da sich jedes Land auf seine besonderen Stärken fokussiert. Wir müssen uns fragen, in welchem Ausmaß wir das machen und im Einzelnen ausbalancieren, ob wir etwas selbst machen oder ob wir auslagern und dann eben eine Abhängigkeit von der Transportkette akzeptieren. Eventuell müssen wir nachjustieren. Letztlich ist das ja auch ein ökonomisches Optimierungsproblem. In der Vergangenheit war der Transport von Gütern global kaum mit Kosten verbunden, wodurch Produktionskostenunterschiede sehr stark zum Tragen gekommen sind. Deshalb wurden die Ketten so lang. Wenn wir jetzt lernen, dass die Kosten im Unterbrechungsfall sehr hoch sind, führt das dazu, dass in Zukunft auch etwas teurere Produktionsstandorte wieder attraktiv werden, die dann mehr Redundanz in Ausnahmesituationen bieten. Ich sehe aber keine große Disruption, sondern glaube, wir werden das Ganze nochmal neu austarieren müssen. Wahrscheinlich auch mit einer etwas stärkeren Fertigungstiefe vor Ort, größeren Lagern et cetera; aber das alles im Rahmen der eh schon erfolgten ökonomischen Optimierung.

Vielen Dank Herr Goericke und Herr Dr. Bothe für dieses sehr interessante Gespräch.

Lesen Sie das komplette Interview in der Juli-August Ausgabe der MTZ.

Alle tagesaktuellen Beiträge rund um die Corona-Krise finden Sie hier

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