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2012 | OriginalPaper | Buchkapitel

7. Bewerten als Zugang zum Beobachten

verfasst von : Roswitha Lehmann-Rommel, Dr.

Erschienen in: Beobachtung in der Schule – Beobachten lernen

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Zusammenfassung

Roswitha Lehmann-Rommel macht zum Ausgangspunkt ihrer Betrachtungen über das Beobachten die vielfältig ablaufenden komplexen Bewertungsprozesse im Klassenraum. Die Autorin betrachtet Bewertungen als Teil von beobachtbarem Verhalten in einer Situation. Sie zeigt, wie Krisen und Überraschungen zu neuen und wichtigen Informationen über die eigene Beobachtungsperspektive führen können. Die theoretischen Unterscheidungen und Aussagen im Blick auf Situationen werden an Fallbeispielen illustriert. Sichtbar wird, dass nicht nur die Reflexion von Rahmungen, sondern auch handelndes Experimentieren jenseits vertrauter (Bewertungs-)Routinen eine wichtige Ressource für die Veränderung von Wertungen und die Erweiterung von Handlungspotentialen ist.

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Fußnoten
1
Habitualisierte Wertungstendenzen sind Teil von impliziten Rahmungen, welche die Menschen im Laufe ihres Lebens stillschweigend erwerben. Menschliches Denken verläuft zu 95 % in automatisierten habits unterhalb der Schwelle des Bewusstseins – so Lakoff und Johnson im Anschluss an ihre empirischen Forschungen zwischen Gehirnforschung, Kognitionswissenschaft und Philosophie (Lakoff und Johnson 1999, S. 13). „Each of us goes through life armed with philosophical views about all manner of things: morality, politics, God, knowledge, human nature, the meaning of life, and a vast array of other important life issues. Most of these views we inherit from our culture. We are seldom, if ever, conscious what such philosophical views are, we find it difficult to articulate them explicitly, and we tend to be unaware of all their implications for our lives.“ (Lakoff und Johnson 1999, S. 539) Diese Sichtweisen („views“) bilden die Rahmungen („frames“) für alle Wahrnehmungen und Bedeutungen, die wir generieren. In diesem „kognitiven Unbewussten“ („cognitive unconscious“) sind die abstrakten Einheiten angelegt – z. B. Freundschaft, Fehler, Lernen und Kommunikation, welche alle sprachlichen Überzeugungen, alles Argumentieren und Überlegen, alles Wahrnehmen und Erfahren wie durch eine „verborgene Hand“ steuern.
 
2
Dieses Fallbeispiel wurde von der Studentin Lisa (= „Betreuerin“) in ein Seminar eingebracht, in dem mit eigenen Fallbesprechungen gearbeitet wurde. Sie hatte den Ausgang der transkribierten Szene explizit als deutliche Irritation erlebt und stellt die Szene vor, weil sie sich Unterstützung wünschte. Ich habe dieses Fallbeispiel aus verschiedenen Gründen ausgewählt: einerseits kommt hier ein Muster zum Tragen, das in Situationsbeschreibungen von Studierenden immer wieder zu finden ist: ein Schülerverhalten wird negativ bzw. als Fehler bewertet. Automatisch wird dies als Herausforderung an sich als Lehrende verstanden, direkt einzugreifen und dieses „Defizit“ bzw. diesen „Missstand“ abzuschaffen, wobei es die Tendenz gibt, sich ein Scheitern dann selbst als fehlende Kompetenz anzulasten. Andererseits nimmt Lisa in der Situation Irritationen zum Anlass, auf Unerwartetes zu reagieren, indem sie ein neues Handlungsmuster ausprobiert.
 
3
„Wahrnehmung“ gebrauche ich als den weiteren Terminus gegenüber dem Begriff „Beobachtung“, welcher sich in der pragmatistischen Tradition stärker auf Dinge als auf Zeichen bezieht. Beobachten ist eng an einen kategorialen Zugriff bis hin zur Subsumtion unter vorgängige Hypothesen gebunden. „Wahrnehmung“ meint demgegenüber eine rezeptive, nicht fokussierende, eher schweifende Aufmerksamkeit für eine Situation als Ganzes. Diese umfasst das Unbekannte in konkreten Situationen und wird damit auch Quelle von ästhetischem Erfahren (vgl. dazu ausführlicher Lehmann-Rommel 2005). Gemäß dieser Unterscheidung gibt es auch zwei Arten, wie die Tyrannei der Identifizierung mit eigenen Rahmungen und automatisierten Bedeutungszuschreibungen unterbrochen werden kann: eine Ausdifferenzierung der Beobachtung umfasst Metakognitionen, ein Beobachten zweiter Ordnung und das Untersuchen von Rahmungen. Eine Erweiterung der Wahrnehmung bedeutet eher eine Unterbrechung im Strom des Denkens – in dem Sinn, dass ein Gewahrwerden des inneren Monologs zu Freiheit vom automatisierten Kommentieren, zu erhöhter Präsenz, Stille und erweiterter Gegenwartserfahrung führt, wie es u. a. in Praktiken fernöstlicher Philosophien und in Kunsttheorien beschrieben wird. Beides kann – wie Dewey und Weick in ihren Ausführungen zu Intuition und Improvisation zeigen – durchaus miteinander verbunden werden.
 
4
Schön nennt diese auch „double vision“ und bestimmt diese als „the capacity to keep alive, in the midst of action, a multiplicity of views of the situation“ (Schön 1983, S. 281) oder „a redirection of attention to the system of knowing-in practice and to reflexion-in-action itself“ (Schön 1983, S. 282).
 
Literatur
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Metadaten
Titel
Bewerten als Zugang zum Beobachten
verfasst von
Roswitha Lehmann-Rommel, Dr.
Copyright-Jahr
2012
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-18938-3_7