Skip to main content

2021 | Buch

Bildung nach reaktionären Revolutionen

Was sich von der TV Serie The Handmaid’s Tale lernen lässt

insite
SUCHEN

Über dieses Buch

Der vorliegende Band ist der neunte Band einer Reihe, in der sich eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich 2014 an der Technischen Universität Dresden unter der Bezeichnung WEITERSEHEN – interdisziplinäre Perspektiven Dresdner Serienforschung zusammengefunden haben, mit sozial- und kulturwissenschaftlichen Fragen im Kontext aktueller TV Serien beschäftigt. Der hier vorliegende Band ist einer der Düstersten, den die Gruppe bislang vorgelegt hat. Es geht um Bildung nach reaktionären Revolutionen oder die Frage, wie wir dem autoritären Sog begegnen, der in den westlichen Gesellschaften zunehmend sichtbar wird. Im Mittelpunkt dieses Bandes steht eine dystopische Erzählung. Eine Erzählung über reaktionäre Revolutionen, Umweltkatastrophen und Reproduktionskrisen. Eine Erzählung über Unfreiheit, sexualisierte Gewalt, Maskulismus und Macht. Die Erzählung ist dabei mehr als 30 Jahre alt und gleichzeitig so aktuell, dass man sich die Augen reiben möchte. Es geht um: The Handmaids Tale – eine Serie, deren Kostüme heute regelmäßig in Demonstrationskontexten auftauchen. Eine Serie, deren Urtext bereits zum kanonischen Bestandteil schulischer Pflichtlektüren geworden ist und die doch gleichzeitig als eine der aktuellsten Serienerzählungen zu bewerten ist.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Bildung nach reaktionären Revolutionen
Zusammenfassung
In diesem Beitrag soll die politische Bildungswirksamkeit der Serie The Handmaids Tale in den Blick genommen werden. Der Begriff der Bildungswirksamkeit verweist dabei in einer didaktischen Perspektive nicht unbedingt auf die Frage, was sich mit Hilfe dieser Serie lernen lässt – obwohl das angesichts der seit geraumer Zeit fest etablierten pädagogischen Nutzung dieses Materials in schulischen Kontexten eine durchaus relevanten Frage sein könnte. Die Perspektive dieses Beitrags ist eher umgekehrt auf die Frage gerichtet, welche Bildungsprozesse sich in der Serie spiegeln und was die politische Bildung durch Betrachtung dieser Prozesse über popularisierte und damit weit verbreitete Vorstellungen und Ängste lernen kann. Die Perspektive des beitrags ist eine sowohl pädagogisch also auch didaktisch interessierte Perspektive. Um Missverständnisse zu vermeiden bedeutet das allerdings nicht – oder zumindest nicht zwangsläufig – die Serie als Bildungsgegenstand oder Bildungsmittel für institutionalisierte Lernangebote zu empfehlen.
Anja Besand
Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft am Beispiel von The Handmaid’s Tale
Zusammenfassung
In diesem Beitrag wird aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive der Versuch unternommen die in der Serie The Handmaid’s Tale vorgestellten politischen Funktionslogiken eines fiktionalen Unrechtsstaates vor dem Hintergrund der Theorie von Hannah Arendt zu analysieren. Dabei interessiert sich der Autor insbesondere für die Diagnostik der Ursprünge totaler Herrschaft. Doch während bei Arendt die sozialpsychologische Konstellation den Antisemitismus und die sozialstrukturelle Konstellation des modernen Imperialismus zu den Ursprüngen des Totalitarismus zu zählen, werden in der Serie The Handmaid´s Tale an dieser Stelle Motive einer tiefgehenden Misogynie und die sozialstrukturelle Konstellation enthemmter neoliberaler Politik in einer hochfragmentierten Gesellschaft vorgestellt.
Mark Arenhövel
The Handmaid‘s Whiteness: ‚Race‘ in Roman und Serie
Zusammenfassung
Von Beginn ihrer Ausstrahlung an hat die TV-Adaption von Margaret Atwoods Roman The Handmaid's Tale ein enormes Echo in der US-amerikanischen Öffentlichkeit gefunden und wurde zu einem wichtigen Referenzpunkt in unterschiedlichen progressiver Medienpraktiken. In diesen Medienpraktiken spielen kritisch-skeptische Rezeptionen der Serie erwartungsgemäß eine untergeordnete Rolle. Dieser Beitrag nimmt die Spur solcher kritischen Lektüren gleichwohl auf – und zwar ausdrücklich nicht, um den politisch mobilisierenden und diskursanregenden Effekt der Serie zu schmälern. Vielmehr ist der Beitrag von der Überzeugung getragen, dass eine Unterhaltung über die Grenzen und blinden Flecke im progressiven Projekt von The Handmaid's Tale ihr Potential als Plattform für politischen Diskurs erst richtig ernst nimmt. Konkret geht darum zu fragen wie die Serie The Handmaid‘s Tale, wie sie mit ‚race‘ und dem diskursiven Erbe des Rassismus umgeht, und wie diese racial politics mit ihrem feministischen Projekt zusammengehen.
Katja Kanzler
Once upon a time nearby – Sakralisierung der Reproduktion und Reproduktion der Sakralität in Gilead
Zusammenfassung
Eines der erstaunlicheren Elemente der letzten Präsidentschaftswahlen in den USA war die hohe Zustimmung die Donald Trump aus evangelikalen Kreise erfahren hat. Tatsächlich unterstützten deutlich mehr Evangelikale seine Kandidatur, als dies bei Ronald Reagan oder George W. Bush der Fall war. Dabei entsprach sein Programm nur in einem einzigen Punkt der evangelikalen Doktrin: der Ablehnung von Schwangerschaftsabbrüchen. Für diesen Vorgang bieten sich zwei Erklärungen an. Die erste Möglichkeit besteht darin, dass die Frage der menschlichen Reproduktion vielen Evangelikalen so wichtig war und ist, dass alle anderen Probleme demgegenüber zurücktreten. Die zweite Möglichkeit könnte sein, dass die Evagelikalen aus einem Gefühl zunehmender Minorisierung heraus alles über Bord geworfen haben um an die Macht zu kommen. Beide Erklärungen berühren das Zentrum der Serie und des Buchs The Handmaid’s Tale. Denn die Geschichte handelt davon, dass die menschliche Reproduktion zu etwas Heiligem stilisiert wird und umgekehrt das Heilige um der Macht willen künstlich reproduziert wird. Die Serie zeigt dabei, dass beides nur um den Preis ihrer völligen Entkernung zu haben ist. In diesem Beitrag sollen beide Erklärungsmuster systematisch betrachtet werden. Dabei wird sich zeigen, dass die Sakralisierung der Reproduktion und die Reproduktion von Sakralität uns tatsächlich näher sind, als es uns lieb sein sollte.
Christian Schwarke
The Handmaid’s Tale zwischen Feministischer Erzählung und „Torture Porn“: Eine intersektionale Kritik
Zusammenfassung
Im Mittelpunkt des Beitrags steht die Frage um wessen Dystopie es sich bei The Handmaid’s Tale eigentlich handelt oder mit anderen Worten wen die Serie als Adressat*in narrativ ein- bzw. auszuschliessen in der Lage ist. In einem ersten Schritt werden in diesem Zusammenhang die Intersektionen von Sexismus und Rassismus im Serienmaterial untersuchen. Während diese Auseinandersetzung den narrativen Aufbau der Serie thematisiert, wird in einem zweiten Schritt die visuelle Ebene des vorliegenden Materials diskutieren. In diesem Zusammenhang gehen der Beitrag der bereits im Titel angerissenen Frage nach, ob und in wieweit eine Einordnung der Serie als „torture porn“ (vgl. Bernstein, A. (2018, 8. Mai). The future isn't female enough: the problematic feminism of The Handmaid's Tale. The Guardian. https://​www.​theguardian.​com/​tv-and-radio/​2018/​may/​08/​the-future-isnt-female-enough-the-problematic-feminism-of-the-handmaids-tale.) gerechtfertigt ist und wie dies ihre Verortung als feministisch beeinflusst. Abschließend werden wir untersuchen, welche narrative Funktion lesbische und schwule Charaktere in The Handmaid’s Tale innerhalb der Gesamterzählung einnehmen.
Mirjam M. Frotscher, Gesine Wegner
The Handmaid’s Space. Zu Maßstäben und Orten in The Handmaid’s Tale
Zusammenfassung
Der Beitrag nutzt die konzeptionellen Zugänge von scale und place, um danach zu fragen, welche Rolle räumliche Maßstäbe und Orte in The Handmaid’s Tale spielen. Wir möchten untersuchen, welche Maßstäbe und Orte in der Serie vorkommen, wie diese inszeniert werden und welche Aussagen sich daraus über die dargestellten Verhältnisse in Gilead ableiten lassen. Hierfür geben wir zunächst eine Einführung in die humangeographische Debatte um scale und place, um anschließend an ausgewählten Beispielen aus The Handmaid’s Tale die räumliche Skalierung und die Bedeutung konkreter Orte in der Serie zu diskutieren. Dabei ergänzen wir diese Analyse mit Zitaten aus dem gleichnamigen Roman von Margret Atwood. Am Ende des Beitrags steht ein Plädoyer dafür, die humangeographische Perspektive zu Maßstäben und Orten für ein vertieftes Verständnis gesellschaftlicher Verhältnisse in die Analyse von Filmen und Serien einzubeziehen.
Matthias Naumann, Nicole Raschke
Ein dystopischer Raum der Biopolitik: Der Report der Magd aus sozialgeographischer Perspektive
Zusammenfassung
Der vorliegende Beitrag setzt sich mit der Funktion von „Raum“ in der Inszenierung eines biopolitischen Zugriffs auf Frauen und ihre Körper auseinander. Raum wird dabei als gesellschaftlich produziert betrachtet und Gesellschaft wiederum als verräumlicht (Belina et al.,.Vogelpohl et al.Michel et al.Lebuhn et al.Hoerning et al.Belina (Hrsg), Raumproduktionen, Westfälisches Dampfboot, Münster, 2018, S. 7). Damit ist gemeint, dass „Raum“ nicht als abstrakte Kategorie oder Idee verstanden wird, die der Gesellschaft vorausgeht und von ihr nur noch angeeignet würde, sondern als gesellschaftlich produziert, verfestigt und wirksam gemacht. Die in The Handmaid’s Tale inszenierte Form biopolitischer Herrschaft lässt sich, als eine Praxis lesen, die Staat und Zuhause als zwei Maßstabsebenen gesellschaftlicher Organisation in eine skalare Beziehung zueinander setzt. Ziel des Beitrags ist dabei allerdings keine systematische Analyse gesellschaftlicher Räumlichkeit; es geht vielmehr darum zu zeigen, dass die Weise wie das biopolitisches Programm Gileads Raum (bzw. Räume) als Herrschaftsmittel darstellt, in dem Sinn realistisch in dem eine biopolitisch-totalitäre Herrschaft durch eine bestimmte Raumordnung verwirklicht wird. Die Serie kann damit als Entwurf einer konkret gewordenen Dystopie, als mögliche Realität verstanden werden, an der sichtbar wird, dass Biomacht – eine Macht bestimmter Räume des Verwaltens, Sichern, Entwickeln und Bewirtschaftens bedarf, die jene Praktiken erst ermöglichen, die sich zum Mechanismus der Biomacht zusammenfügen. Räume werden in Relation zu Praktiken dabei verstanden als Produkt von Praxis wie auch als eine ihrer (formierenden) Bedingungen.
Judith Miggelbrink
Die Zukunft als Albtraum
The Handmaid’s Tale – oder: Politische Bildung in Dystopischen Settings
Zusammenfassung
In diesem Beitrag soll die politische Bildungswirksamkeit der Serie The Handmaids Tale in den Blick genommen werden. Der Begriff der Bildungswirksamkeit verweist dabei in einer didaktischen Perspektive nicht unbedingt auf die Frage, was sich mit Hilfe dieser Serie lernen lässt – obwohl das angesichts der seit geraumer Zeit fest etablierten pädagogischen Nutzung dieses Materials in schulischen Kontexten eine durchaus relevanten Frage sein könnte. Die Perspektive dieses Beitrags ist eher umgekehrt auf die Frage gerichtet, welche Bildungsprozesse sich in der Serie spiegeln und was die politische Bildung durch Betrachtung dieser Prozesse über popularisierte und damit weit verbreitete Vorstellungen und Ängste lernen kann. Die Perspektive des beitrags ist eine sowohl pädagogisch also auch didaktisch interessierte Perspektive. Um Missverständnisse zu vermeiden bedeutet das allerdings nicht – oder zumindest nicht zwangsläufig – die Serie als Bildungsgegenstand oder Bildungsmittel für institutionalisierte Lernangebote zu empfehlen.
Anja Besand
„It can’t happen here“ – „But what could happen here?“ Zur dystopischen Aktualität von The Handmaid’s Tale
Jan-Philipp Kruse
Bildung nach fundamentalistischen Revolutionen. The Handmaid’s Tale als Ritornell und Rhizom
Zusammenfassung
Im Beitrag von Olaf Sanders wird die Serie The Handmaid’s Tale aus bildungstheoretischer Perspektive betrachtet. Sanders nutz dazu die Theorie des Philosoph Gilles Deleuze und sein Koautor, der Nicht-Philosoph Félix Guattari. Im Mittelpunkt seiner Überlegungen stehen dabei Kreise und Zirkeln. Denn Kreise und Zirkel können sich öffnen und auf diese Weise eine Differenz bilden.
Olaf Sanders
Magdwirtschaft: Adaptionspolitik in The Handmaid’s Tale
Zusammenfassung
Dieser Beitrag verortet The Handmaid’s Tale innerhalb der Adaptation Studies und ihrer zentralen Fragestellungen. Dabei wird u. a. mit Blick auf die zum Serienstart lancierten Paratexte diskutiert, wie die Serie offensiv als Adaptation um die Aufmerksamkeit des Zuschauers buhlt und ihre eigene Textlichkeit bzw. ihre Bindung an eine literarische Quelle und die Person der Schöpferin, Margaret Atwood, ausstellt. Im Gegensatz zur vorhergehenden Verfilmung des Romans durch Volker Schlöndorff (1990) verzichtet die Serie auf eine selbstkritische Befragung ihrer eigenen Medialität, statt dessen partizipiert sie an einer hier als,Magdwirtschaft‘ bezeichneten Werkpolitik, in der die Adaption stets nur als nachgestelltes Anhängsel zur ungleich höher geschätzten textlichen Quelle firmiert. Dieses Missverhältnis wird schließlich auch in der Serie selbst verortet, handelt es sich bei dem auf Schrifttreue bedachten, vermeintlich bibelfesten Regime von Gilead doch tatsächlich um eine Form des Totalitarismus, die auf einer hochgradig selektiven und fragwürdigen Adaptionspolitik beruht. Das in Gilead institutionalisierte Patriarchat weist zudem strukturelle Parallelen zu den geschlechtlichen Subtexten des auf fidelity, d. h. (Werk-)Treue, bedachten Adaptionsdiskurses auf, was im Widerspruch zu dem von The Handmaid’s Tale verfochtenen Emanzipationsnarrativ steht.
Wieland Schwanebeck
Serialisierte Allegorien: The Handmaid’s Tale als ein Narrativer Palimpsest des 21. Jahrhunderts
Zusammenfassung
Im Mittelpunkt des Beitrags steht die These, dass die Geschichte Gileads einen narrativen Palimpsest darstellt. Das heißt, dass „unter“ dem sichtbaren Text der Serienerzählung mehrere andere Texte existieren, die für die Tiefenbedeutung des darüber liegenden Textes extrem bedeutungsvoll sind. Mittels eines Palimpsests entstehen metatextuelle Ebenen, in denen Bezug auf verschiedene Texte oder Diskurse aus Geschichte und Gegenwart Bezug genommen wird. Die Serie kann in diesem Sinne als eine serialisierte Allegorie gelesen werden und verrichtet in diesem Kontext ihre kulturelle Arbeit.
Diese Zusammenhänge werden im Beitrag an drei Beispielen aus der ersten Staffel belegt: zunächst am spielerischen Umgang der Serie mit Homophonie, anschließend an der Art und Weise, wie die zentralen Protagonistinnen den patriarchischen Machtanspruch unterminieren, und schließlich, in engem Zusammenhang mit dem zweiten Aspekt, der Verhandlung von surrogate parenting.
Angelika Köhler
The Handmaid`s Tale – Eine Dystopie als Fragmente von Vergangenheit erzählen
Zusammenfassung
In diesem Beitrag wird die Serie The Handmaid’s Tale aus einer rezeptionsästhetischen Perspektive analysiert. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage welche Erinnerungen die Serie stimulieren kann wenn sie aus einer ostdeutschen Perspektive gelesen wird. Der Beitrag wählt – das sollte deutlich geworden sein – einen konsequent autobiographischen Zugang zum Material und betrachtet schlaglichtartig, Momente der Einsamkeit, Rituale der Unterwerfung und Entindividualisierung sowie das Verhältnis von Armee und Widerstand. Konkret werden einzelne Szenen der Serie in ein Verhältnis zu biographischen Episoden spezifisch ostdeutscher Erinnerung gesetzt.
Stefan Schönfelder
Erratum zu: Bildung nach reaktionären Revolutionen
Anja Besand
Metadaten
Titel
Bildung nach reaktionären Revolutionen
herausgegeben von
Prof. Dr. Anja Besand
Copyright-Jahr
2021
Electronic ISBN
978-3-658-32617-3
Print ISBN
978-3-658-32616-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-32617-3