Europäische Jungunternehmen haben 2019 vor allem in späteren Entwicklungsphasen große Summen von Investoren eingesammelt. Ihr Interesse, über einen Börsengang an Kapital zu gelangen, sinkt dagegen kontinuierlich, wie aktuelle Studien belegen.
Vor allem in den späteren Wachstumsphasen finden Start-ups wichtige Geldgeber außerhalb der europäischen Grenzen.
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Im Geschäftsjahr 2019 haben sich nur fünf Tech-Start-ups ein Initial Public Offering (IPO) zugetraut. 2018 wagten noch 21 den Schritt aufs Börsenparkett. 2017 gingen insgesamt 36 junge europäische Technologieunternehmen an die Börse. Das zeigt eine aktuelle Analyse, die die Online-Plattform Stripe gemeinsam mit dem Infoportal Tech.eu durchgeführt hat.
Dieses Ergebnis passt zu den Zahlen, die eine IPO-Studie des Hamburger Beratungshauses Kirchhoff Consult für den streng regulierten Prime Standard ergab. Der zufolge ist 2019 das schwächste Jahr für Börsengänge in Deutschland seit der globalen Finanzkrise. Vor allem die Unwägbarkeiten hinsichtlich des EU-Austritts von Großbritannien, schwelende Handelskonflikte und Rezessionsängste hemmten die Lust vieler Unternehmen, an der Börse nach Kapital zu suchen. Mit nur drei IPOs bildet das 2019 einen neuen Tiefpunkt seit 2009. Im Jahr 2018 habe es insgesamt 16 Börsengänge mit einem Emissionsvolumen in Höhe von 11,6 Milliarden Euro gegeben.
Start-ups setzen auf Venture Capital
Vor allem Start-ups aus der Technologiebranche wollen laut Stripe-Analyse ohne Börsen- oder öffentliches Kapital wachsen. Sie setzen bei der Finanzierung ihrer Geschäftsmodelle lieber auf Venture Capital (VC). Über alle Start-up-Reifegrade hinweg seien Fintech, Software as a Service (SaaS) und Medtech die beliebtesten Branchen der Investoren. Im Mobilitätssektor und Transportwesen seien die Wagniskapitalgeber meist in den Spätphasen der Start-ups aktiv. Bei den Investitionssummen haben laut Studie Jungunternehmen aus Deutschland, Großbritannien und Frankreich die Nase vorn. Aber auch Schweden und die Schweiz belegen über alle Phasen hinweg vordere Plätze.
Was die einzelnen Entwicklungsphasen hinsichtlich der benötigten Kapitalausstattung bedeuten, das erläutert Nino Röhr im Buchkapitel "Grundlagen der VC-Finanzierung" auf Seite 14 in einer Grafik:
Abbildung der Finanzierungsphasen
Nino Röhr in "Der Vertrag zwischen Venture Capital-Gebern und Start-ups" (2018), Seite 14
"Mit der Entwicklung eines Unternehmens geht auch das Durchlaufen verschiedener Phasen einher. Jede Ausprägung dieser Phasen zieht einen anderen Kapitalbedarf des Unternehmens nach sich", führt der Springer-Autor aus.
Für jede Phase brauchen Start-ups Kapital
Wie die Analysten berichten, konnten europäische Start-ups die Summen bei den Early-Stage-Investitionen von 875 Millionen Euro im ersten Halbjahr 2015 auf mehr als 3,6 Milliarden Euro im ersten Halbjahr 2018 steigern. Das Gesamtkapital, das 2017 in der Frühphase junger Tech-Unternehmen investiert wurde, betrug 19 Milliarden Euro. Das ist ein Plus von 36 Prozent gegenüber 14,3 Milliarden Euro im Jahr 2016.
Aber auch in späteren Phasen brauchen die Gründer Kapital. In dieser Late-Stage-Phase verfügten die Unternehmen bereits über einen positiven Cashflow, schreibt Röhr auf Seite 16. "Zu einem weiteren oder eventuell neuen Engagement einer VC-Gesellschaft kann es durch besondere Unternehmenssituationen kommen [...]. Dazu zählt eine Überbrückungsfinanzierung. Diese beschreibt die Finanzierung zur Überwindung von Wachstumsschwellen oder der Zeit bis zum Börsengang", erklärt der Autor.
Für Investitionen in diesen Spätphasen war der Stripe-Analyse zufolge 2019 sogar ein Rekordjahr. Bis Ultimo gehen die Analysten von voraussichtlich rund 70 großen Finanzierungsrunden mit jeweils 100 Millionen Euro oder mehr aus. Das sei mehr als in den letzten drei Jahren zusammen. Diese Megadeals brachten Unternehmen wie Deliveroo (UK), N26 (Deutschland), Glovo (Spanien), Doctolib (Frankreich), Klarna (Schweden) oder Outsystems (Portugal) von Januar bis Ende September 2019 Kapital in Höhe von rund zwölf Milliarden Euro.
Unterschiedliche VC-Investoren sind aktiv
Die aktivsten Investoren in der Wachstumsphase waren 2016 bis 2018 Bpi France, die sich in insgesamt 55 Finanzierungsrunden engagierten. Auf den Rängen zwei und drei folgen Balderton Capital mit 40 und Idinvest Partners mit 36 Runden. Platz vier belegt Index Ventures (34 Runden) und auf Position fünf liegt Partech Ventures mit 33 Runden. Obwohl Deutschland als Investitionsziel beliebt ist, seien deutsche Wagniskapitalgeber im eigenen Land nur selten aktiv. So komme mit Holtzbrinck Ventures erst an siebter Stelle ein hiesiges VC-Unternehmen.
In späteren Entwicklungsphasen seien es mit einem Anteil von fast 75 Prozent außereuropäische Interessenten, die in europäische Tech-Unternehmen investieren. Dabei handele es sich neben VC-Gesellschaften auch um Private-Equity-Investoren, Großunternehmen wie Microsoft und Amazon, Hedgefonds oder Staatsfonds.
VC-Gesellschaften scheuen weniger Risiko
Wagniskapitalgeber suchen häufig eine besondere Risikobereitschaft der jungen Unternehmen in späteren Entwicklungsphasen, schreiben Jörg Freiling und Jan Harima im Buchkapitel "Entrepreneurial Finance" auf Seite 298. "Bestimmte Investorengruppen, die Eigenkapital zur Verfügung stellen, haben Interesse an der spezifischen Chance-Risiko-Konstellation und fordern geradezu die Bereitschaft, extreme Risiken zu schultern. Auf diese Weise können sie durch eine Beteiligung am Unternehmen im Erfolgsfall hohe Renditen erzielen", schreibt das Autoren-Duo.
Der Nachteil: Beteiligungskapitalgeber erwerben häufig nicht nur Miteigentum am Unternehmen, sondern haben im Einzelfall auch erhebliche Mitwirkungsrechte, warnen die Autoren. Dies könne von der Überwachung und dem regelmäßigen Reporting bis zum Eingriff in die Führung des Start-ups reichen.