Wenn man etwas als "das Beste der Welt" küren möchte, entwickelt man zur Bewertung der Optionen in der Regel einen Kriterienkatalog. Das beste Bier der Welt könnte man beispielsweise anhand der verkauften Menge und in Verbindung mit Konsumentenbefragungen oder auch mittels Laboranalysen aussuchen. Die beste Bank der Welt lässt sich zum Beispiel an der Kundenzufriedenheit und den besten Zinskonditionen oder auch am erwirtschafteten Gewinn bewerten. Und wenn man den besten Ort der Welt finden möchte, könnte man nach Wetter und Durchschnittseinkommen der dortigen Bevölkerung suchen sowie Millionen von Menschen zu ihrer subjektiven Sicht der Lebensqualität an ihrem Wohnort befragen.
Der Softwarehersteller SAS hat einen anderen Weg gewählt, um das Paradies auf Erden zu finden. Algorithmen einer Künstlichen Intelligenz haben im "wohl ersten rein Datenanalyse-gestützten Städteranking" den "besten Ort der Welt" ermittelt, wie das SAS Institute es selbst formuliert. "Paradise Found" nennt das US-amerikanische Unternehmen das Projekt, in dem West Perth, zugehörig zur westaustralischen Metropole Perth, den Titel gewonnen hat.
Für die KI gab es keinen vorgegebenen Kriterienkatalog und keine klassische Befragung. Vielmehr haben die Algorithmen selbst aus den gesammelten Daten mittels Machine Learning die wichtigsten 69 Kriterien ermittelt. Darunter von den knapp 150.000 Orten, die zur Wahl standen, das Wetter, den Arbeitsmarkt, die Gesundheitsversorgung, Preisindizes, Umweltbelastung, öffentliche Nahverkehr oder Grünflächen. Gradmesser für die Lebensqualität waren beispielsweise die Preise für ein Kilogramm Bananen, die Länge der Fußgängerwege, die Anzahl der Bäume, die Breite der Bürgersteige oder die Stunden, die ein Bürger jährlich im Stau verbringt, beschreibt SAS die Methode in einer Mitteilung zum Projekt.
Werkzeug für Geschäftsanalysen
Sechs Wochen brauchte SAS für das gesamte Projekt, die Analyse selbst auf Hochleistungsrechnern dauerte knapp drei Arbeitstage. Die großen Mengen an Big Data kamen aus insgesamt 1.124 Datenquellen, darunter ein Großteil internationaler Datenbanken beispielsweise von der Worldbank, der Unesco, der Europäischen Union, der Welthandelsorganisation (WTO) und so weiter. Mehr als fünf Millionen Datenpunkte zu exakt 148.233 Orten in 193 Ländern wurden gesammelt.
Die Lösung, die das Team um Projektleiter Andreas Becks, Head of Business Analytics SAS DACH, entwickelt hat, ist für den Softwarehersteller natürlich gut als Werbegag zu gebrauchen, zeigt aber vor allem die Möglichkeiten von KI als Werkzeug im Bereich intensiver Geschäftsanalysen.
Big Data und Digitalisierung nehmen einen breiten Raum in der öffentlichen Diskussion ein. Damit rückt auch die Datenanalyse zunehmend in den Fokus und gewinnt an Bedeutung. Immer umfangreichere Datenbestände werden gesammelt und gespeichert, ihren Nutzen für Wirtschaft und Gesellschaft können Daten jedoch erst durch eine zielgerichtete Auswertung entfalten."
Peter Chamoni und Peter Gluchowski in ihrem Fachbeitrag "Business Analytics – State of the Art" im Springer-Magazin Controlling & Management Review (4/2017, Seite 9).
"Machine Learning ist letztlich nur eine Menge an Algorithmen, die man auf bestimmte Dinge anwendet und die aus den Daten lernt, anstatt von einer Modellannahme auszugehen", sagt SAS-Projektleiter Andreas Becks. "Wir haben gezeigt, dass diese Verfahren auf alle Bereiche des Lebens anwendbar sind."
Business Analytics als Wunderwaffe
Wie die Professoren Peter Chamoni und Peter Gluchowski in einem Fachbeitrag im Springer-Magazin "Controlling & Management Review" (4/2017) schreiben, entwickeln die eigentlich längst bekannten Bausteine neuer "Wunderwaffen" in der Geschäftsanalyse, erst "durch die geschickte Kombination von bestehenden Verfahren und den Einsatz innovativer Technologiekomponenten" ihre neue Wirkung. "Waren bisher die zeitaufwendige Sammlung und Auswertung von Daten beherrschend, so rücken nun die Algorithmen und (Entscheidungs-)Modelle in den Vordergrund des Interesses", schreiben Chamoni und Gluchowski. "Hierbei lässt sich eine Entwicklung von der Beschreibung (Deskription) der relevanten Fakten über Kausalanalysen (Prädiktion) bis hin zur Festlegung der optimalen Handlungsempfehlungen (Präskription) beobachten."
Analysen von Marketing bis Finance und Controlling
Die möglichen Einsatzbereiche dieser Art Business Analytics sind laut Chamoni und Gluchowski in der betrieblichen Praxis "vielfältig und kaum überschaubar". Das Marketing und das Kampagnenmanagement dominierten noch immer das Feld von "BA", "denn die Analyse der Kundenpräferenzen ist für die Bearbeitung der Märkte für alle Unternehmen essenziell." "BA" finde zunehmend jedoch auch in den zentralen betriebswirtschaftlichen Funktionen Anwendung, beispielsweise im Finanzbereich.
"Im Zuge von 'Digital Finance' werden hier nicht nur die operativen Finanztransaktionen automatisiert, sondern auch die dispositiven und planerischen Prozesse. Von besonderer Bedeutung ist dies für das Aufgabengebiet des Controllings, wo sich bisherige manuelle Kerntätigkeiten durch Algorithmen ablösen lassen." Laut Studien planten etwa zwei Drittel der Unternehmen derzeit den Einsatz von Business Analytics im Bereich Controlling und Finance zur Kostenanalyse, Planung und Budgetierung.
Weitere Einsatzfelder für proaktives Handeln sind 'Predictive Maintenance' und 'Event Trigger' in Verbindung mit dem 'Internet of Things (IoT)', bei dem produktive Systeme und Lieferantennetzwerke mit Sensorik und Prognosemodellen ausgestattet werden. Der Einsatz autonomer Systeme in der Fertigung und der Logistik wird durch Vernetzung und BA zuverlässiger und 'intelligenter'." Chamoni und Gluchowski, CMR 4/2017, Seite 15.
Verbreitung von KI wird deutlich zunehmen
Auch Andreas Becks von SAS ist sich sicher: "Die Verbreitung von KI wird deutlich zunehmen. Diese Technologie ist für jedes Unternehmen, gleich welcher Branche interessant. Unser Fazit lautet: Monolithische Machine Learning Lösungen kann es nicht geben."
Übrigens: Wer dann künftig mehr Zeit hat, weil Algorithmen Teile seiner Arbeit erledigen, kann sich dann ja mal West Perth, das Paradies auf Erden, anschauen. Die Stadt punktete bei der Künstlichen Intelligenz von"Paradise Found" vor allem in den Kategorien "Restaurants und Shopping", "Kultur" sowie "Sicherheit und Infrastruktur". West Perth hat zudem die höchste Dichte an Self-Made-Millionären, dazu pro Einwohner eine Grünfläche, die fünf Tennisplätzen entspricht, und auch noch einen kostenlosen Personennahverkehr. Rang zwei im analytischen Ranking belegte Feijenoord, ein Stadtteil von Rotterdam, auf Rang drei landete New York City – offenbar auch lebenswert.
Nur so ganz perfekt ist dann doch keins der "Paradise": Sie sind nicht gerade um die Ecke.