Die Digitalisierung muss auf wertschöpfenden Prozessen aufbauen, sagt Christian Schätz im Gespräch mit der Zeitschrift "Controlling & Management Review". Der Finanzexperte erklärt, warum ein standardisierter Business-Rhythmus wichtig ist und was Künstliche Intelligenz in Forecasting-Prozessen bringt.
Controlling & Management Review: Die Finanzfunktion bei Microsoft hat die Hoheit über sehr viele Daten. Wie legen Sie angesichts der Datenfülle fest, welche Kenngrößen regelmäßig berichtet werden?
Christian Schätz: Ich glaube, es ist ganz wichtig zu verstehen, dass die Digitalisierung einen großen Mehrwert bringen kann, wenn sie auf einem wertschöpfenden Prozess aufbaut. Wenn ein Prozess vorher nicht funktioniert, nützt er auch nichts, wenn er digitalisiert wird. Nur weil ich etwas technisch darstellen kann, entsteht daraus noch keine Wertschöpfung. Bevor wir in die "Modern Finance"-Initiative eingestiegen sind, haben wir schon viele Hausaufgaben abgearbeitet. Zum Beispiel haben wir eine Initiative namens "Core Finance" in Angriff genommen. Core Finance hat darauf abgezielt, einen standardisierten Business-Rhythmus zu etablieren. Dieser baut auf zentral zur Verfügung gestellten und standardisierten Reports auf, welche weltweit in allen Ländergesellschaften verwendet werden. Nebst der Standardisierung der Reports war es ebenso wichtig, die Prozesse anzugleichen und Klarheit zu erzielen, welchen Inhalt wir diskutieren möchten und auch welche Entscheidungen sich daraus dann ableiten.
Wie kann ich mir den Ablauf eines Business Reviews bei Ihnen vorstellen?
Als wir die Core-Finance-Initiative gestartet haben, wurde versucht, die Mitarbeitenden dafür zu sensibilisieren, nur die wirklich wichtigen Informationen für einen Business Review zu sammeln. Das Ergebnis war jedoch, dass die Dokumente mit Schriftgröße sechs ausgefüllt wurden und die Mitarbeitenden alles aufgelistet haben, was sie Gutes gemacht haben. Das hat keinen Mehrwert gebracht. Wir haben dabei aber auch gelernt, dass wir jemandem, der oder die einen Geschäftsbereich einer Filiale oder mehr verantwortet, nicht grundsätzlich das Recht absprechen können, den Status kurz wiederzugeben. Das haben wir gelöst, indem wir diesen Mitarbeitenden zu Beginn eines Meetings fünf Minuten geben, in denen sie alle aus ihrer Sicht wichtigen Punkte ansprechen können. In der Know-It-All-Kultur musste jede negative Zahl erklärbar sein, selbst wenn es sich um 2.000 Zahlen handelte. Das haben wir komplett umgedreht. Heute haben wir nur noch eine grafische Darstellung, die Abweichungen und die Wachstumsrate anzeigt. Daneben gibt es noch eine Spalte, in die Kommentare eingefügt werden können, aber das geschieht nur noch, wenn es große Anomalien gibt, die in der Grafik stark hervorstechen und Fragen aufwerfen. Ansonsten machen wir sehr viel im Gespräch. Früher haben wir sehr harte Business Reviews durchgeführt. Nun versuchen wir, die Dynamik der Meetings dahin gehend zu verändern, dass man sich die Marktdaten und die eigene Performance anschaut. Darauf basierend versucht man dann, ein vernünftiges Gespräch darüber zu führen, was funktioniert, was nicht funktioniert und was man besser machen kann. So haben wir den Rechtfertigungsdruck deutlich reduzieren können und sehen eine verbesserte Meeting-Kultur mit gestärkter Zielorientierung.
Neben dem Reporting ist das Forecasting eine der zentralen Aufgaben des Controllings. Wo stehen Sie bei der Automatisierung des Forecasting-Prozesses?
Wir haben früher unglaublich viel Zeit und Ressourcen im Forecasting-Prozess verschwendet, weil wir den Prozess nicht so genutzt haben, wie er eigentlich genutzt werden sollte. Es gab viele Business-Themen, die von dem eigentlichen Ziel ablenkten, so genau wie möglich vorherzusagen, wo man in der Zukunft landen wird. Wir haben sehr früh damit begonnen, den potenziellen Nutzen von Künstlicher Intelligenz in unseren Prozessen zu erkennen. Im Hintergrund gab es ein Machine-Learning-System, das drei Jahre lief. Als die Ergebnisse präsentiert aufzeigten, dass das System in drei Jahren eine durchschnittliche Abweichung von 1,6 Prozent erreicht hatte. Der beste manuelle Forecast hatte hingegen eine Abweichung von 1,8 Prozent und der Durchschnitt lag noch deutlich darüber. Da lag es für uns klar auf der Hand, den Weg der automatisierten Forecasts einzuschlagen. Heute ist es so, dass der Forecast, basierend auf Machine-Learning-Daten, zentral erstellt und dann an die Ländergesellschaften gegeben wird. Das machen heute zwei Mitarbeiter in zwei Tagen. Die Ländergesellschaften haben daraufhin eine Validierungszeit von drei Tagen und können bei Bedarf korrigieren. Die Maschine tut sich immer dann schwer, wenn es disruptive Veränderungen gibt. Ein Beispiel dafür ist das Großkundengeschäft. Wenn ich einen sehr großen Kunden habe und mit diesem einen Vertrag schließe, den es so noch nie gegeben hat, kann die Maschine ihn nicht berücksichtigen. Aus diesem Grund führen wir dem Machine Learning veschiedenste Datensätze zu und vernachlässigen auch das lokale Wissen in den Ländergesellschaften nicht. So haben wir über die Jahre eine sehr hohe Akzeptanz erreicht.
Die Charakteristika des Geschäfts entscheiden also darüber, wie Sie mit Predictive Analytics arbeiten?
Genau. Ich glaube, es ist von zentraler Bedeutung, die Frage zu stellen, was denn eigentlich der Zweck eines Forecasts ist. Was wir heute noch viel zu oft tun, ist, dass wir neue technologische Möglichkeiten verwenden, um die Prozesse der Vergangenheit aufzupolieren. Wir fragen uns aber nicht, welche Themen wir uns vielleicht in der Vergangenheit gar nicht zugetraut haben, weil es technisch nicht möglich war. Ich bin ein großer Fan von Technologie, aber Technologie ist kein Selbstzweck. Ich muss zuerst meinen Purpose entwickeln. Dann kann mir Technologie den Weg dahin unglaublich erleichtern. Die Technologie kann mir aber nicht den Weg zeigen. Ich muss wissen, wo ich hinmöchte, und ein klares Zielbild formulieren.
Das vollständige Interview mit Christian Schätz lesen Sie in der Zeitschrift "Controlling & Management Review" (Ausgabe 7 | 2022).