Der CO2-Grenzausgleichsmechanismus CBAM, wie von der EU im Fit-for-55-Paket vorgegeben, ist kompliziert, kann jedoch eine wirksame Maßnahme zur Verringerung der Emissionen darstellen. Sophie Casenave, Policy Affairs Analyst beim Dekarbonisierungsspezialisten Strive by STX, erklärt die Funktionsweise.
springerprofessional.de: Wie genau wird der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM, CO2-Grenzausgleichsmechanismus) funktionieren?
Sophie Casenave: CBAM hat das Ziel, sowohl den Klimawandel zu bekämpfen als auch die Verlagerung von kohlenstoffintensiven Industrien aus der EU in Länder mit niedrigeren Umweltstandards zu verhindern, indem eine gleichwertige Kohlenstoffbepreisung von Importen und einheimischen Produkten sichergestellt wird. CBAM soll daher den Preis für Kohlenstoff, der für EU-Produkte im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems gezahlt wird, sowie den CO2-Preis für importierte Waren angleichen. Konkret werden Importeure bestimmter Waren in die EU verpflichtet, für jede Tonne Kohlenstoffemissionen, die in ihren Gütern enthalten ist, digitale Zertifikate zu erwerben, deren Preis sich nach dem durchschnittlichen Wochenpreis für die Kohlenstoffzertifikate des EU-Emissionshandelssystems (ETS) richtet.
CBAM ist im Oktober 2023 mit einer Übergangsphase in Kraft getreten und es wird erwartet, dass die Regelung im Januar 2026 voll funktionsfähig ist. Dieses Datum fällt mit dem Beginn des Auslaufens der kostenlosen Zertifikate für bestimmte Branchen im Rahmen des ETS zusammen. Über einen Zeitraum von neun Jahren, von 2026 bis 2034, werden die kostenlosen Zertifikate schrittweise abgebaut – diese sollten bis dato das Risiko der Emissionsverlagerung („Carbon Leakage“) mildern. Gleichzeitig tritt CBAM in Kraft und wird nur für den Teil der Emissionen gelten, der nicht mehr durch kostenlose Zertifikate abgedeckt ist.
Was sind die Konsequenzen für Importeure und Exporteure?
Die Güter, die unter CBAM fallen, dürfen nur von einem zugelassenen CBAM-Anmelder in das Zollgebiet der Europäischen Union eingeführt werden. Daher müssen Importeure den Status eines autorisierten CBAM-Anmelders beantragen oder sich alternativ für einen indirekten Zollvertreter entscheiden, der die CBAM-Verfahren in ihrem Namen abwickelt. Neben der Einreichung von Anträgen fällt die Emissionsberichterstattung an – vierteljährlich müssen die Warenmenge, die Ursprungsländer der Güter, die darin enthaltenen Emissionen und der im Ausland gezahlte Kohlenstoffpreis angegeben werden –, und natürlich der Kauf der Zertifikate ab 2026.
Und obwohl es schwierig ist, die genaue Anzahl der CBAM-Zertifikate vorherzusagen, die von Importeuren gekauft werden müssen, da dies im Grunde bedeuten würde, die Importe pro Produkt sowie die Emissionsintensitäten - ohne Strom, nur zum Vergleich der Industrie - vorherzusagen, rechnen wir mit der Menge bis 2030 im Bereich von 100 Millionen Zertifikaten liegen. Bei den aktuellen CO2-Preisen würde dies für ETS-beteiligte Unternehmen Kosten in Höhe von rund 22,5 Milliarden Euro bedeuten. Die gesamten dadurch freiwerdenden Zertifikate fließen in den sogenannten Innovationsfonds, einen Topf für die Industrie, der innovative Projekte zur Emissionsreduzierung fördert. Auf diese Weise käme es zu einem Vermögenstransfer von allen Branchen zu denjenigen, die innovative Lösungen vorlegen, die unter den Innovationsfonds fallen.
Exporteure (in die EU) müssen ihre eingebetteten Emissionen berechnen und melden, d. h. sie müssen ihr Know-how und ihre Arbeitskräfte aufstocken, um den zusätzlichen Verwaltungsaufwand bewältigen zu können. Die Berechnungen werden ab 1. Januar 2026 von externen Prüfern verifiziert. Exporteure (aus der EU) werden vor die Wahl gestellt, ob sie Rohstoffe aus der EU oder aus dem Ausland verwenden, die beide einen höheren Preis haben werden. Die Verordnung wird sich natürlich auch auf die Hersteller auswirken, durch Geschäftsbeziehungen und Wettbewerb zwischen den Lieferanten. Ebenso werden die Preise für nachgelagerte Produkte voraussichtlich steigen.
Sowohl für Importeure als auch für Exporteure ist der sicherste Weg, die finanziellen Auswirkungen von CBAM zu begrenzen, indem sie die in den gehandelten Gütern enthaltenen Emissionen verringern.
Welche Branchen sind besonders betroffen?
Von den CBAM-Verordnungen werden jene Schlüsselsektoren erfasst, die derzeit hohe Kohlenstoffemissionen und ein hohes Risiko von Carbon Leakage aufweisen. Das sind zunächst die Branchen Eisen und Stahl, Zement, Aluminium, Düngemittel, Elektrizität und Wasserstoff. Der Geltungsbereich sollte auch auf bestimmte Zwischen- und nachgelagerte Produkte wie Schrauben und ähnliche Gegenstände aus Eisen oder Stahl ausgedehnt werden. Vor Ablauf der Übergangszeit wird die Kommission prüfen, ob der Geltungsbereich auf andere Waren ausgedehnt werden soll, bei denen die Gefahr einer Verlagerung von CO2-Emissionen besteht, darunter organische Chemikalien und Polymere. Die Einbeziehung aller Produkte aus dem EU-Emissionshandelssystem in CBAM ist bis 2030 geplant.
In Deutschland wird gerade das neue Klimaschutzprogramm diskutiert und wahrscheinlich bald verabschiedet. Welche Auswirkungen hat das auf CBAM?
Aufgrund der großen Bedeutung des Industriesektors ist eine der wichtigsten Prioritäten für Deutschland, die Verlagerung von CO2-Emissionen zu verhindern, damit umweltschädliche Aktivitäten nicht in Länder mit schwächerem Umweltschutz verlagert werden. Die Entscheidung, CBAM langsam einzuführen, wurde jedoch auch durch den Druck der deutschen Regierung beeinflusst. In ihrer jetzigen Form würde CBAM nur für Importe gelten, um eine ähnliche Behandlung von EU-Produktion und Importen zu gewährleisten. CBAM würde sich nicht auf Ausfuhren erstrecken, also die Wettbewerbsbedingungen für EU-Unternehmen, die Waren exportieren und mit Unternehmen aus Drittländern auf dem Weltmarkt konkurrieren, würden nicht angeglichen. Angesichts der Bedeutung der Exporte zögert die deutsche Industrie, sich auf einen ehrgeizigeren Zeitplan einzulassen. Auch sieht die Regierung die Gefahr, dass die Unternehmen in dem Szenario, in dem die kostenlose Zuteilung ausläuft und CBAM nur noch für Importe gilt, nicht vor Wettbewerbsnachteilen geschützt wären.
Beim kürzlich diskutierten Klimaschutzvertrag geht es darum, dass der Staat Unternehmen unterstützen kann, indem er eine Ausgleichzahlung bewilligt, wenn eine klimafreundliche Produktion teurer ist als die herkömmliche Herstellung. Der Klimaschutzvertrag sieht vor, dass die Unternehmen, sobald zusätzliche Einnahmen anfallen, diese an den Staat zurückzahlen. Damit bliebe der Vorteil Deutschlands beim Export seiner Waren ins Ausland erhalten. Die EU-Kommission muss diese Maßnahme erst noch genehmigen. Sie wird prüfen, inwieweit dies den Handel und den Wettbewerb innerhalb Europas verzerren könnte; sie wird auch untersuchen, ob die Regelung einen echten Anreizeffekt hat, also ob die potenziellen Begünstigten die Tätigkeiten auch ohne die öffentliche Unterstützung durchführen würden. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Regelung in ihrer jetzigen Form genehmigt wird, ist recht groß.
Es wird auch über das Verhältnis zwischen den Sektoren diskutiert, die am EU-ETS teilnehmen und denen, die es nicht tun. Wie könnte hier ein Ausgleich aussehen? Es gibt keine direkte Verbindung zwischen dem ETS und den CBAM-Systemen, keinen Austausch von Gutschriften zwischen den beiden Mechanismen und auch keinen separaten Markt für CBAM-Zertifikate. Mit anderen Worten: Das Preisniveau der CBAM-Zertifikate wird von der Entwicklung der EUAs, den EU-ETS-Zertifikaten, bestimmt.
Die einzige indirekte Verbindung besteht darin, dass EU-Emissionszertifikate zur Absicherung künftiger CBAM-Risiken verwendet werden könnten. So wie ein Kreuzfahrtunternehmen, das Tickets für das nächste Jahr verkauft, vielleicht schon jetzt Gewinne sichern möchte, indem es Emissionszertifikate kauft, damit sie an den Verbraucher weitergegeben werden können, könnte ein EU-Importeur diese Gewinnspannen sichern wollen – aber da CBAM-Zertifikate nur als Spot-Zertifikate und nicht als Termingeschäfte erhältlich sein werden, ist eine Absicherung für die Zukunft schwierig.
Eine Absicherung über den EUA-Markt wäre eine Möglichkeit, da die Preisgestaltung für CBAM-Zertifikate an die für ETS-Zertifikate gekoppelt ist. EUAs könnten also zum oder sogar vor dem Zeitpunkt der Produktion gekauft und später zum gleichen Zeitpunkt verkauft werden, zu dem CBAM-Zertifikate gekauft werden, wodurch das Preisrisiko von Emissionszertifikaten weitgehend gemindert wird. Strive by STX geht davon aus, dass solche Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber denjenigen haben werden, die ihre Gewinne nicht im Voraus festschreiben.
Kann mit CBAM auch sichergestellt werden, dass es nicht zu Missbrauch kommt?
Die wirksame Umsetzung ohne Schlupflöcher wird die Regulierungsbehörden vor Herausforderungen stellen. Eine gute Regulierung sollte in Richtung einer marktbasierten Wirtschaft führen. Um Missbrauch zu vermeiden, müsste es eine globale Kohlenstoffbepreisung oder Kohlenstoffsteuer geben. CBAM setzt sich dafür ein. Wichtig ist auch, dass CBAM die Strafen richtig einsetzt, wenn falsche Angaben gemacht oder kein CBAM-Zertifikat erworben wird. Die anfallenden Bußgelder müssen finanziell abschreckend wirken.
CBAM ist ein einzigartiges Pionier-Verfahren: Wenn es gut funktioniert, wird es viel bewirken, weil mehr Länder ähnliche Regelungen einführen. Wenn es jedoch scheitert, werden die Auswirkungen gravierend sein und Subventionen, aber auch Multilateralismus werden erschüttert.
Nach Einschätzung von Strive by STX ist es eine der umstrittensten Fragen, wofür die CBAM-Einnahmen verwendet werden sollen. Je nach endgültigem Umfang und Ausgestaltung dieses Instruments könnten zwischen 5 und 14 Milliarden Euro für die gesamte EU zusammenkommen. Sowohl die Kommission als auch der Rat befürworten die Verwendung der eventuellen Einnahmen für den EU-Haushalt. Nur das Europäische Parlament schlägt vor, dass die EU sich verpflichten sollte, die CBAM-Einnahmen zur Finanzierung der am wenigsten entwickelten Länder bei ihren Bemühungen um die Dekarbonisierung ihrer Industrie zu verwenden. Strive by STX ist der Auffassung, dass das Geld in die am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder fließen sollte, aber gleichzeitig müssen die Technologien unterstützt werden, die bereits die größten Auswirkungen haben. Und diese werden meist in den Industrieländern entwickelt und hergestellt.
Insbesondere Deutschland würde letztlich von einer beschleunigten Industrie- und Energiewende in Drittländern profitieren, da sich neue Handelsmöglichkeiten ergeben. Doch hier sind die Diskussionen noch nicht zu Ende geführt und wir dürfen gespannt bleiben.