Zusammenfassung
Michael Wagner113 habe ich das erste Mal im Sommer 1997, zwei Monate nach dem Ende seiner Schulzeit, in der Wohnung seiner Familie interviewt. Er sprach so ausführlich und lange über seine Schulzeit, dass die von beiden Seiten eingeplante Zeit für die Nachfragen nicht ausreichte. Wir trafen uns für den zweiten Teil des Interviews erneut nach 14 Tagen. Die beiden zu diesen Zeitpunkten aufgenommenen Interviews bilden die Grundlage der vorliegenden Fallanalyse. Ergänzend kamen im Analyseprozess ein weiteres Gespräch mit ihm und seiner Mutter sowie einige telefonische Nachfragen hinzu.
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Literatur
In dieser Ausrichtung auf eine argumentative, evaluierende Darstellungsebene durch die Frageinitiierung unterscheidet sich dieses Interview vom (Idealfall des) biographischen Interview, wie es durch eine bloße Erzählaufforderung initiiert wird, und bei dem die argumentativen Stellungnahmen in den Erzählablauf eingelassen sind (vgl. Schütze 1987).
Nittel spricht hier vom „durch die Reinterpretation der Biographie entstehende(n) Verblendungszusammenhang“, der die Funktion hat, „sich vor zutiefst unangenehmen und schmerzhaften Einsichten in das eigene Leben zu schützen“ (Nittel 1992: 315f.).
Die Abhängigkeit der Fähigkeit, in Rollen zu handeln von der Lage als ganzer Person beschreibt Michael Wagner auch bezüglich seiner Lehrer am Gymnasium, und zwar in einer Argumentation, nach der die außerhalb der beruflichen Rolle als Lehrer liegenden „Probleme“— die aus dem sich vollziehenden Transformationsprozess resultieren — das Handeln in ihrer professionellen Rolle beeinflussen (vgl. 4.1).
Dennoch bleibt hier die Frage bestehen, wie es dazu kommt, dass Michael Wagner nicht auch Distanz zu den Bemerkungen seiner Lehrer findet. Das weist abermals auf den familialen Sozialisationszusammenhang hin: die Familie fällt hier offenbar in ihrer Funktion als Schon- und Schutzraum vor den schulischen Anforderungen (vgl. Nittel 1992: 355) aus; es fehlen beispielsweise Erzählungen, die auf eine solche Funktion der Familie hinweisen würden (vgl. hierzu 4.4.2).
In dieser Interviewpassage wird die Annahme des durch die Interviewerin zugewiesenen Expertenstatus besonders deutlich: „mit 16 17 15 16 17 Jahrn merkt man einfach was ’n Lehrer ob een Lehrer och och menschlich’n Lehrer... ist“. Die Annahme der Expertenrolle im Interview gründet sich dabei hier auf ein mit den Schuljahren angesammeltes intuitives Wissen der Schüler in Hinsicht auf die Lehrer: Dieses Wissen befähigt die Schüler quasi als Experten zur Begutachtung und Klassifizierung ihrer Lehrer entlang den Dimensionen a) „was’n Lehrer“ist und b) „ob een Lehrer och och menschlich ’n Lehrer ist“. Interessant ist, dass sich diese Dimensionen auf das Agieren in der professionellen Rolle einerseits und das Handeln in diffusen Sozialbeziehungen (als ganze Personen, als ‚Menschen‘) andererseits beziehen. Dabei dokumentiert sich hier, dass es vor allem die zweite Dimension ist, die für Michael Wagner den Lehrer ‚eigentlich‘ zum Lehrer werden lässt (vgl. 4.6).
Die Ähnlichkeit mit dem Titel der Schrift von Honneth (1998) Kampf um Anerkennung erfolgt im Bezug auf diese. Die semantische Gleichheit des hier und in dieser Schrift verwendeten Begriffes der Wertschätzung bedeutet dabei jedoch keine Synonymität, da der in Bezug auf diese Falldarstellung verwendete Begriff auch Facetten der — bei Honneth auf die Ebene des Rechtes bezogenen — Anerkennung enthält (siehe z.B. das Problem des,Nicht-ernst-nehmens’; vgl. hierzu Honneth 1998: 179; zu einem ausführlichen Bezug auf Honneth siehe Kapitel 7; vgl. auch Sitzer/Wiezorek 2004).
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© 2005 VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden
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Wiezorek, C. (2005). Fallanalyse: Michael Wagner. In: Schule, Biografie und Anerkennung. Studien zur Jugendforschung, vol 26. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80615-4_5
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-80615-4_5
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-14341-5
Online ISBN: 978-3-322-80615-4
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