Was man unter ‚guter’ Erziehung versteht, so könnte man eine berühmte Formulierung Schleiermachers variieren, darf als allgemein bekannt vorausgesetzt werden. Dies scheint zumindest eine der heimlichen Botschaften jenes bildungspolitischen und zugleich fachlichen Diskurses zu sein, der sich seit nunmehr einem Jahrzehnt um den Leitbegriff ‚Qualität’ gruppiert. Und offenbar ist es vor allem der Begriff selbst, der die Gewissheit erzeugt, alle würden über das Gleiche reden, wenn sie sich nur einer gemeinsamen Semantik bedienen, erinnert er doch – trotz oder gerade wegen seiner inhaltlichen Unbestimmtheit – in gleichsam apodiktischer Manier an ein „Evidenzerleben des Auszuzeichnenden“ (Fend 2001: 16), so als ob jedem mit diesem Ausdruck signifizierten Sachverhalt von sich aus eine inhärente Güte zugesprochen werden könnte. Hinzu kommt die geradezu epidemische Verbreitung, die er inzwischen – ausgehend von der Ökonomie – in allen Bereichen gesellschaftlicher Praxis gefunden hat. Schon die Forderung nach ‚Qualität’ ist unabweisbar, schon das Interesse an ‚Qualität’ ein allgemeines. So partizipiert auch der Diskurs um ‚Qualität’ im Erziehungs- und Bildungswesen an der in den gewöhnlichen Gebrauchsweisen des Begriffs kultivierten Überzeugungsmacht, die in der Vorstellung mündet, „Qualität“ repräsentiere „ihrer Natur nach ähnlich wie Wahrheit und Schönheit“ (Sallis/Hingley 1991: 3) einen universellen Wert: Wer will schon keine bestmögliche Praxis? Ganz gleich, ob es sich nun um Gütesiegelsysteme, Exzellenz-initiativen oder sogenannte Best-Practice-Modelle handelt, ‚Qualität’ wird nicht nur als etwas Erstrebenswertes beschworen, sondern auch als ein absolutes, den Merkmalen und Eigenschaften der ‚Dinge’ gleichsam eingeschriebenes Maß zur Bestimmung ‚guter Praxis’ angesehen, die sich durch den Grad der Verwirklichung ihrer objektiven Möglichkeiten als solche vor den messtechnisch geschärften Augen eines neutralen Beobachters selbst auszuzeichnen vermag. Ist Qualität das ‚Maß der Dinge’, dann erscheinen die ‚Dinge’ als messbares Maß ihrer selbst. Somit erübrigt es sich auf Anhieb danach zu fragen, wer über was in welcher Weise spricht. Wie allenthalben zu beobachten, geht es denn auch im Kontext der Qualitätsdebatte vor allem um Fragen der empirischen Kontrolle und verfahrensmäßigen Optimierung von Einrichtungen und Programmen, kaum jedoch explizit darum, unter welchen Bedingungen sich das ‚Gute’ überhaupt zu erkennen gibt. Der öffentliche Diskurs um die Qualität von Erziehung, Bildung und Betreuung ratifiziert Antworten auf Fragen, die so nie gestellt worden sind: Was eine ‚gute’ Kindertageseinrichtung bzw. eine ‚gute’ Schule ist, entscheidet sich allein danach, wie gut sie jeweils ist (vgl. hierzu bereits Honig 2002).
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Neumann, S., Honig, MS. (2009). Das Maß der Dinge. Qualitätsforschung im pädagogischen Feld1 . In: Friebertshäuser, B., Rieger-Ladich, M., Wigger, L. (eds) Reflexive Erziehungswissenschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91645-3_11
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