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Zusammenfassung

Für religiöse Menschen ist Religion eine äußerst wichtige Angelegenheit, ja die wichtigste Sache überhaupt. Religiöse Menschen sind bereit, für ihre Religion notfalls in den Tod zu gehen oder sie halten es jedenfalls für ein Versagen, wenn sie dazu nicht bereit sind. Von dieser Position aus mag es vielleicht nahe liegen, Religion als etwas zu begreifen, das für ein authentisches Leben unverzichtbar zu sein scheint, so dass der Verlust der Freiheit zur Religionsausübung als menschenunwürdiger Zustand verstanden werden muss. So wichtig die eigene Religion für religiöse Menschen auch ist, so wenig Verständnis finden sie andererseits häufig bei jenen, die ihre Religion nicht teilen – sei es weil sie einer anderen Religion anhängen oder weil sie religionslos sind. Unverzichtbar für ein menschenwürdiges Leben ist für viele religiöse Menschen immer nur die eigene Religion und nicht die Religion der Anderen. Die Religion der Anderen unterscheidet sich aus der Sicht religiöser Menschen von der eigenen Religion häufig dadurch, dass sie nichts zur Authentizität ihrer Anhänger beiträgt, und zwar deshalb, weil die Religion der Anderen in irgendeinem Sinne irrig oder falsch ist, die eigene Religion dagegen wahr und richtig.

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Notes

  1. 1.

    Kant und mit ihm ein großer Teil der philosophischen Tradition unterscheiden zwischen Vernunft und Verstand. Ich gebrauche den Begriff der Vernunft dagegen eher im Sinne der Umgangssprache, die keine grundsätzliche Unterscheidung zwischen Vernunft und Verstand trifft.

  2. 2.

    Es gibt aber auch schon vor Otto Autoren, die diesen Ansatz verfolgt haben, nämlich Friedrich Heiler und Geo Widengren. Diese beiden betonten, dass es in der Religion um die Erfahrung einer überlegenen Macht gehe, die sie als Gott bezeichneten. Die Religion ist für sie der Ausdruck der Anerkennung dieser überlegenen Macht und der Einsicht, ihr hilflos und ohnmächtig ausgeliefert zu sein. Davon unterschieden sie die Magie als den Versuch, jene Macht doch irgendwie manipulieren zu können (vgl. dazu Hock 2008, 60). Ottos Theorie war in der Folge vor allem deshalb wirkmächtiger, weil er den Ausdruck des Göttlichen oder den Gottesbegriff vermied und damit insbesondere die Berücksichtigung des Buddhismus und des Konfuzianismus als Religionen ermöglichte, obwohl diese Weltanschauungen über keine oder jedenfalls nicht über eine mit der jüdisch-christlichen vergleichbaren Gottesvorstellung verfügen.

  3. 3.

    Max Weber fasste diese religiöse Unmusikalität als eine Art Behinderung auf, als ein tiefes Leiden, das am deutlichsten in seinem Brief an den älteren und zu jener Zeit weitaus berühmteren Kollegen Ferdinand Tönnies vom 19. Februar 1909 dokumentiert ist. Dort nimmt Weber zum einen diese sprachliche Metapher erneut auf, zum anderen offenbart er jedoch zugleich seine von ihm darüber empfundene „Krüppelhaftigkeit“ in religiöser Hinsicht: „Denn ich bin zwar religiös absolut ‚unmusikalisch‘ und habe weder Bedürfnis noch Fähigkeit irgendwelche seelischen ‚Bauwerke‘ religiösen Charakters in mir zur errichten – das geht einfach nicht, resp. ich lehne es ab. Aber ich bin [,] nach genauer Prüfung, weder antireligiös noch irreligiös. Ich empfinde mich auch in dieser Hinsicht als einen Krüppel, als einen verstümmelten Menschen, dessen inneres Schicksal es ist, sich dies ehrlich eingestehen zu müssen, sich damit – um nicht in romantischen Schwindel zu verfallen – abzufinden, aber […] auch nicht als einen Baumstumpf, der hie und da noch auszuschlagen vermag, mich als einen vollen Baum aufzuspielen. Aus dieser Attitüde folgt viel […].“ Zitiert aus: Dirk Kaesler: Religiös unmusikalisch. Bemerkungen zum Verhältnis von Jürgen Habermas zu Max Weber. http://www.literaturkritik.de/ (Nr. 6 [Juli] 2009)

  4. 4.

    Diesen Hinweis verdanke ich Klaus Hock.

  5. 5.

    Diese Aussage scheint im Widerspruch zu der obigen Aufzählung nicht-profaner Gegenstände zu stehen, wo auch die für das Judentum typischen Thora-Rollen und die christliche Hostie genannt werden. Indessen sind diese Phänomene kein Ausdruck des Monotheismus, sondern stehen für ältere religiöse Denkformen. Es ist dem Monotheismus nämlich nicht gelungen, diese älteren Formen, so sehr er sie auch bekämpft hat, auszurotten. Das Bedürfnis nach Anschaulichkeit und Sinnlichkeit hat vielmehr immer wieder dazu geführt, dass frühere religiöse Denkformen wiederbelebt oder tradiert wurden.

  6. 6.

    Der Begriff Palmström-Logik geht auf das Gedicht Die unmögliche Tatsache aus dem Gedichtszyklus Palmström von Christian Morgenstern zurück, wo es heißt: „Weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf.“ Positiv gewendet könnte man diese Schlussregel auch so formulieren: Denn, so kommt er zu dem Schluss, was sein soll, das auch sein muss!

  7. 7.

    Der Buddhismus dürfte die wichtigste Ausnahme von dieser Regel sein.

  8. 8.

    Dass diese Phase nach Stern sehr kurz ist und sich empirisch kaum ein vollständiger Null-Zustand entdecken lässt, sondern sich das Baby von Anfang an in einem Entwicklungsprozess des auftauchenden Selbst befindet, steht dem nicht entgegen.

  9. 9.

    Die Mystiker sprechen allerdings je nach dem religiösen Hintergrund, vor dem sie sozialisiert worden sind, von Leere oder von Vereinigung mit Gott und nicht von Verschmelzung mit der Welt. Aber das sind nur ontologische Deutungen. Das, was wirklich geschieht, spielt sich im Bewusstsein ab, das überflutet und überrollt wird, weil es die Fähigkeit zur Bildung von Identität nicht einsetzen kann, die uns beim profanen Blick auf die Wirklichkeit normalerweise zur Verfügung steht. Für einen Überblick über die europäische Mystik: Ruh 1990–1999.

  10. 10.

    Dazu auch die empirische Untersuchung von Kausch 2008.

  11. 11.

    Z. B. bei Hans Joas 2011, 18.

  12. 12.

    Vgl. auch salvator = Heiland, das nichts mit dem Wortfeld um sacer zu tun hat, sondern mit dem Wortfeld um salus.

  13. 13.

    Eine eher seltene Ausnahme von der Regel: Dietrich/Link 2002, 2004.

  14. 14.

    Der Ausdruck Traumatologie bezeichnet traditionellerweise einen Zweig der Chirurgie, der sich mit körperlichen Wunden und Verletzungen beschäftigt. Die Psychotraumatologie geht davon aus, dass es in analoger Weise seelische Verletzungen gibt, die aus einer Bedrohung elementarer Lebensbedürfnisse hervorgehen, also kurz aus dem, was wir hier als Erlebnisse des Sakralen bezeichnen.

  15. 15.

    Klassifikation F 43.1 der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, hrsg. von der Weltgesundheitsbehörde WHO, Version 10, 2006 (ICD-10).

  16. 16.

    Unter Flashback versteht man das blitzartige Aufkommen bestimmter Gefühle, die ursprünglich in der traumatisierenden Situation erlebt wurden und später aufgrund von Schlüsselreizen wiedererlebt werden (Maercker 2009, 18).

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Tiedemann, P. (2012). Was ist Religion?. In: Religionsfreiheit - Menschenrecht oder Toleranzgebot?. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-32709-4_5

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  • Publisher Name: Springer, Berlin, Heidelberg

  • Print ISBN: 978-3-642-32708-7

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