Zusammenfassung
In den vorangegangenen beiden Thesen habe ich zunächst das Phänomen der SuchtPrävention beschrieben und wie man es in ein umfassenderes Dispositiv der Suchtprävention einbetten kann. Ein Dispositiv aus einem einschlägigen Diskurs und den darauf bezogene Apparaturen, das ‚autopoietisch’ sich selbst erhält und fort entwickelt, und zwar ganz unabhängig davon, ob es erfolgreich arbeitet oder nicht. Diese Frage, ob es erfolgreich oder erfolglos arbeitet, habe ich in der ersten These mit dem Verdikt des ‚Scheiterns’ beantwortet. Ein Urteil, das sich auf das offiziell angegebene Ziel bezieht, nämlich das süchtige Verhalten zu bekämpfen, den Drogen-Konsum zumindest zu beschränken oder doch bei den jüngeren Jugendlichen um einige Jahre aufzuschieben.
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Anmerkungen
Weswegen einst die von uns betreuten jugendlichen Strafgefangenen ihre ‚Fürsorger’ (wie die Sozialarbeiter hießen) gerne als ‚Für-sich-Sorger’ bezeichneten.
Allerdings weist Groenemeyer (2001;52) mit Recht darauf hin: „Tatsächlich bezieht sich Gesundheitsförderung keineswegs nur auf ‚weiche’ Methoden der Überzeugung, Information oder der gleichsam ‚ziellosen’ Stärkung von Selbstbewusstsein und Handlungsfähigkeit, auch wenn die einschlägigen Lehrbücher das nahe legen. Gesundheitsförderung orientiert sich implizit oder explizit an einem Modell von ‚lifestyle correctness’, die genauso über direkte Sanktionen und Repression eingefordert wird, wie sie auch auf informelle soziale Kontrollen des Entzugs von Solidarität baut“.
vgl. zu dieser gesamten Thematik die sehr spannende Analyse von Friedmann (1994)
„The observed associations between cultural values and substance use remained significant even after controlling for ethnicity and U.S. native status, as well other demographic covariates. This indicates that adolescents’ cultural values and attitudes, rather than their physical ethnicity or integration into the U.S. culture, may be the factor underlying their decisions about substance use”. Dieser „considerable overlap in cultural values across ethnic groups“ ergäbe sich in einer multikulturellen Gesellschaft immer dann, wenn Jugendliche kulturelle Werte aus unterschiedlichen Quellen bezögen, aus der Familie, von ihren Freunden wie aus den Medien: “Therefore, adolescents may acquire a mix of cultural values from several different cultures”.
vgl. zu diesen Konzepten ‚Stil’, ‚Mode’, ‚Jugend(sub)kultur’ prägnant Ferchhoff/Neubauer (1996)
vgl. zu diesen Vorlieben für Musikstile unter 10–18-Jährigen heute — von den Chansons (0%) über Deutsche Volkmusik und Schlager (1%;5%) bis zu Techno, Popmusik, Charts und Hip-Hop (33%, 39%, 43%,50%) — Zinnecker et al. (2002;144f)
S. zum Kokain in der Musik: Kemper (2001) und zur Antwerpener Kokainscene Decorte (2000)
vgl. zum craving die Sekundäranalyse der bisherigen Forschungsergebnisse von Gilbert/Warburton (2000;394), die aus methodischen Gründen (kaum objektiv messbar) wie aber auch aus erheblichen inhaltlichen Gründen (Craving während und nach Beendigung des Rauchens; positive Erwartung der Raucheffekte, äußere Schlüsselreize, Kontext; etc.) meinen: „Much time and effort have been spent researching ‚craving’ in tobacco withdrawal, when all that may be required is to establish the strength of the ‚desire to smoke’’, weshalb sie vorschlagen, „that craving is not a suitable term and should not be used for the measurement of subjective desire“.
Ein Ergebnis, das auch Snow et al. (2003;13f) in gleicher Weise für die von ihnen befragten — vergleichsweise jungen — australischen Studenten festhalten: „For a large number of university students drinking, together with what most health professionals would normally construe as ‚harms’ are integral parts of that period of a young person’s life when they attend university (...). Students themselves reported significant levels of harm exposure, but marked indifference, if not active resistance, to the notion that campus-based policies should be implemented as a means of addressing these harms”.
Und so ergab die sorgfältige Laborstudie von Dols et al (2002;92), dass etwa das craving eines Rauchers sehr viel weniger als üblich angenommen, durch bestimmte rauchbezogene Auslöser — wie Feuerzeug oder Zigarettenschachtel — ausgelöst wird, sondern vor allem durch die Erwartung, demnächst rauchen zu können: „Rather than limiting further the addict’s control over behaviour“ — etwa durch Sucht- und craving-Theorien — „ it might be more fruitful to increase a sense of control (self-efficacy) by showing that behaviour is not triggered by an uncontrollable urge but to a large extent is the result of personal (self-fulfilling) expectancies“.
ein rezentes Beispiel hierfür ist der typisch larmoyante mit Bildern von ‚prominenten Ex-Drogenkonsumenten’, Spritze und Kokain-line versehene Spiegelbericht eines ‚etablierten Journalisten und chronischen Junkies’ („Lass mich die Nacht überleben“; Der Spiegel 28;2003:116–121)
Beide Gruppierungen — Eskimo/Indianer versus Chinesen/Japaner — unterscheiden sich deutlich im Trinkverhalten, obwohl sie jeweils dieselbe ‚biologische’ Eigenart aufweisen, nämlich dieselbe biochemische Basis eines höheren acetaldehyde levels, wenn sie trinken, der sich im sog. ‚Oriental flush’ zeigt, eine erhöhte response rate zu Alkohol, die sich im sichtbaren Rotwerden nach dem Trinken äußert (Peele 1989;64)
in These 1.1 (S.37) besprochen
vgl. etwa Anderson (1998a) oder James et al. (2000) mit weiterer Literatur zum Einfluss von gender und race. So zeigte sich auch in unserem Projekt, dass etwa der Einfluss der ‚broken family’ auf den DrogenKonsum zwar in Holland, nicht jedoch in Dublin eine Rolle spielte (Quensel et al.2002)
Zwei Drittel aller 6–13-Jährigen sollen in einem Raucherhaushalt leben. „Insgesamt wachsen somit in Deutschland mindestens sechs Millionen Kinder bis zum Alter von 13 Jahren in Haushalten auf, in denen geraucht wird (...) in zwei von drei mit einem Raucher ist dies der Vater“. In einer Studie des RobertKoch-Instituts von 2002 gaben “ein Viertel aller Eltern an, regelmäßig in Anwesenheit ihrer Kinder zu rauchen. Andere empirische Daten aus Deutschland belegen, dass bis zu einem Drittel aller rauchenden Eltern im Beisein ihrer Kinder keine Einschränkungen im Rauchverhalten vornehmen“ (Bornhäuser/Pötschke-Langer 2003;8f)
>brikoliert<: aus verschiedenen kulturellen Vorlagen eigenständig zusammengefügt; >glokalisiert<: aus der Ambivalenz von globaler und lokaler Kulturangebote heraus eigenständig entwickelt
„Repressive Maßnahmen, insbesondere das Strafrecht, bilden eine traditionelle Säule der Drogenpolitik, mit der einerseits das Angebot an Suchtmitteln, andererseits die Nachfrage reduziert werden sollen“, wobei man sich nach außen gerne auf die organisierte Kriminalität einerseits und auf die organisierte ‚internationale Ebene’ der drei Konventionen andererseits beruft: „Vor allem gewinnt das Strafrecht als wichtiges Instrument für die Bekämpfung des illegalen Drogenhandels auf nationaler und internationaler Ebene an Bedeutung. Das Betäubungsmittel-Strafrecht ist weitgehend von internationalen Abkommen und zunehmend auch vom EU-Recht bestimmt“ lautet die versuchte Legitimation (der selber heftig mit vorangetriebenen Internationalisierung) dieser Art der Repression im Aktionsplan ‚Drogen und Sucht’ (2003;43)
Ein Detail: Das Schulungsprogramm für Polizeibeamte „zur Drogenerkennung im Straßenverkehr und zum Nachweis verkehrsrelevanter Beeinträchtigungen nach dem Konsum von Drogen sollte in spezifizierter Form auch zur Schulung von Beschäftigten im Bereich der Jugendhilfe eingesetzt werden, da sie mit der angesprochenen Zielgruppe dieser Maßnahmen in den Jugendeinrichtungen (Jugendclubs) arbeiten“ meint der Aktionsplan (2003;47), der andere präventive Maßnahmen in diesem Bereich — wie etwa ein Drug-checking im Disco-Bereich — beharrlich verschweigt. Oder, intensiver noch: Ein gutes Viertel (27%) der zumeist jungen Cannabis-Konsumenten in den Suchtberatungs-Stellen — deren Zunahme gerne als Beleg für die entsprechend zunehmende Behandlungs-Bedürftigkeit dieser Klientel gewertet wird — kommt dorthin „durch Vermittlung der Justiz und Behörden“, „15% nennen als Ziel die Erfüllung von Auflagen der Straßenverkehrsbehörde und 24% richterliche Auflagen“so dass dann „41% der Klienten“ — die von den beteiligten Beratungsstellen eine Diagnose „schädlicher Gebrauch“(F12.1) bzw. „Abhängigkeitssyndrom“ (F12.2) von Cannabis als Hauptdiagnose erhalten hatten — „weisen eine relativ niedrige Konsumintensität auf und zeigen kaum Beikonsum und Sekundärfolgen (Simon/Sonntag 2004;68,96,132). Vgl hierzu das recht interessante >FreD<-Modellprojekt der Bundesregierung (Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumenten), in dem von der Polizei jugendliche Drogenkonsumenten direkt an geeignete Drogenberatungsstellen (nicht: Jugendhilfe) verwiesen werden (Görgen u.a.2003)
vgl. allgemein: Peters (2002) sowie Cremer-Schäfer (2003) zur ‚Unlösbarkeit’ der hier anstehenden Probleme und Sott (2003) zur direkt benachbarten Problematik der Zusammenarbeit zwischen Polizei und Sozialarbeit in der ‚kommunalen Kriminalprävention’.
vgl. Dede (1994) sowie sein gesammeltes Material im >Deutschen Archiv für Temperenz und Abstinenzliteratur< in Magdeburg (www.sgw.hs-magdeburg.de/data)
Vgl. hierzu die spannende empirische Analyse dieser Machtbalance bei 10–15-Jährigen in Ost- und Westdeutschland (Krüger/Fuhs1996;170ff)
Einen guten Überblick über diesen höchst komplex miteinander verschachtelten Präventions-Archipel in Deutschland bietet Hüllinghorst (2000)
In: Neue Kriminalpolitik (2002, 14,4: 140)
dessen Lust-feindliche ‚Rausch’-Bezogenheit wir hinter dem präventiv erwachsenen ‚Sucht’-Etikett verdecken und verdrängen (s. Anm. 163)
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Quensel, S. (2004). Die Sucht-Prävention gründet in und beteiligt sich an einem kulturell ausgetragenen Konflikt zwischen den Generationen. In: Das Elend der Suchtprävention. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-07648-3_4
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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