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2015 | Buch

Classical Hollywood und kontinentale Philosophie

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Über dieses Buch

​Die Autorinnen und Autoren nehmen paradigmatische Analysen von spezifischen Produktionen des Classical Hollywood aus genuin philosophischer Perspektive vor. Leitfragen weisen sie je kulturellen, generischen und/oder autorspezifischen Kontexten zu, wobei sowohl anthropologische, psychoanalytische, phänomenologische als auch poststrukturalistische Theorien der kontinentalen Philosophie den methodischen Horizont bilden. In dieser Hinsicht wird eine multiperspektivische Situierung der Untersuchungsgegenstände geleistet, um eine differenzierte Betrachtung des Systems von Classical Hollywood sicher zu stellen. Ziel ist, eine komparatistische Sicht auf unterschiedliche Genres, Filmemacher und Bildpraktiken zu ermöglichen, so dass die differenten Facetten des Classical Hollywood sichtbar werden.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Einleitung: Classical Hollywood und kontinentale Philosophie
Zusammenfassung
Ein Gespenst geht um in der europäischen Philosophie – das Gespenst des Films. Der vorliegende Band will dieser in den letzten Jahren verstärkt zu konstatierenden Auseinandersetzung kontinentaler Philosophen mit dem Medium Film nachspüren. Dabei liegt der Fokus auf dem US-Kino der klassischen Studio-Ära, das neben kanonischen „Klassikern“ des Art Cinema signifikanterweise auch den privilegierten Gegenstand der philosophischen Rezeption bildet. Französische Poststrukturalisten wie Gilles Deleuze, Jacques Rancière, Alain Badiou und Jean-Luc Nancy, slowenische Neo-Lacanianer wie Slavoj Žižek, Jean Copjec und Mladen Dolar, aber auch deutsche Postadorniten wie Martin Seel und Josef Früchtl, sie alle widmen sich intensiv einer Neu-Rezeption des Classical Hollywood. Dabei erschöpft sich ihre Beschäftigung mit dem Untersuchungsobjekt weder in einer reduktiven Ideologiekritik noch in einer abstrakten Arbeit am Begriff. Stattdessen ist ein ernsthaftes Interesse an Ästhetik, Politik und Metaphysik des klassischen Hollywood-Kinos festzustellen. Angesichts dieser Begegnung des Classical Hollywood mit der europäischen Philosophie lassen sich bisherige Forschungsergebnisse zur Geschichte des US-Kinos revidieren und eine der zentralen filmhistorischen Epochen neu lesen. Einen Versuch, diese Re-Lektüre simultan zu bilanzieren wie auch weiter voran zu treiben, stellt der Band „Classical Hollywood und kontinentale Philosophie“ dar.
Ivo Ritzer

Classical Hollywood und kontinentale Methoden

Frontmatter
„Hollywood“ ignorieren: Ein Selbstversuch
Zusammenfassung
Der Essay versucht zu eruieren, in welchem Sinn eine Philosophie des Films „Hollywood“ ignorieren kann, dies evtl. sogar tun muss. Seine zentrale These geht davon aus, dass Theorien des Films fehlgehen, wenn sie „Hollywood“, und ganz besonders das Hollywood der „klassischen“ Periode als den Normfall des Kinos begreifen. Er fordert ein, die theoretische Privilegierung von Hollywood zu vermeiden, um so einen klareren Blick für dessen ästhetische Qualität zu erhalten. Mit Erwin Panofsky, André Bazin und Theodor W. Adorno demonstriert der Autor, wie die Stärken von Classical Hollywood unterschätzt werden, gerade dann, wenn dessen Rolle methodisch überschätzt wird.
Martin Seel
Panofskys Hollywood: Ein Dialog von Kunstwissenschaft und kontinentaler Philosophie
Zusammenfassung
Obwohl kein Philosoph, hat der Kunsthistoriker Panofsky entscheidenden Einfluss auf Philosophien von Classical Hollywood genommen, sowohl in den USA (Stanley Cavell) als auch in Europa (Siegfried Kracauer). Panofskys dichter Aufsatz zu Style and Medium in the Motion Pictures fragt danach, wie die technologisch produzierten Bilder des Films sich in den Kanon der älteren Künste einordnen. Die Autoren verfolgen Panofskys Überlegungen entlang zentraler Thesen, um deren Stellenwert in Verbindung zu Classical Hollywood zu bestimmen. Dabei zeigen sie, wie die gegen Panofsky oft erhobenen Vorwürfe von idealistischem Anti-Modernismus zu kurz greifen und den Blick auf Denkfiguren versperren, die Panofsky mit bedeutenden Traditionen der kontinentalen Theoriebildung verbinden.
Thomas Meder, Ivo Ritzer
Am Kreuzweg von Magie und Positivismus: Die Hermeneutik des Verdachts und die „paranoiden“ Analysen der 1970er Jahre
Zusammenfassung
Der Beitrag spürt der Frage nach, wie Bedeutung im System von Classical Hollywood entsteht, ob diese fest fixiert oder frei flottierend zu betrachten ist. Seine historische Analyse von Zuschreibungen an das klassische Hollywood fokussiert dabei jene „paranoiden“ Analysen der 1970er Jahre, die, ausgehend von einer enttäuschten Cinéphilie, hinter der putativen Selbstevidenz von Classical Hollywood nach semantischen Exzessen wie Bedeutungsüberschüssen suchen und in ihren gleichsam ambitionierten wie ausufernden Analysen die Grenzen der Interpretation ausloten. Dabei konzediert der Autor den „paranoiden“ Analysen der 1970er somit nicht nur eine historische Bedeutung, vielmehr zeigt er ihre Signifikanz für eine Medienkultur des Postkinematographischen auf.
Malte Hagener
Der Mensch des (Hollywood-)Kinos: Eine Sichtung mit Edgar Morin
Zusammenfassung
Der Beitrag greift die medienanthropologische Position des Philosophen und Soziologen Edgar Morin auf, um mit ihr eine sowohl filmwissenschaftlich wie filmphilosophisch bislang vernachlässigte methodologischen Perspektive auf Classical Hollywood stark zu machen. Mit Morin wird die Kategorie des Fluiden als zentrale Medienspezifik des Films verstanden. Dieses Flüssige, im Sinne von Flüchtigem, leitet die Autorin aus jener transformatorischen Loslösung des Filmbildes aus der statischen Photographie ab, die neue raumzeitliche Bewegungen möglich macht. Sie legt dar, wie Morin die Fluidität des Bildes mit einer Affizierung des Menschen zusammen denkt, gleichsam als Mensch im Kino wie als Mensch des Kinos. Beide begreift sie als Strömungen, die im Licht des Projektionsstrahls zusammenkommen und das Kino mithin erst in ihrer Kopräsenz konstituieren.
Lisa Gotto

Cinéphilie und Politik

Frontmatter
Das Zeit-Bild des Classical Hollywood: Dwan und Deleuze
Zusammenfassung
Der Beitrag beschäftigt mit der einflussreichen Film-Philosophie von Gilles Deleuze, um deren methodologische Basis, medienästhetische Zuschreibungen sowie theoretische Konsequenzen kritisch zu diskutieren. Dazu führt er den Filmemacher Allan Dwan, in cinéphilen Zirkeln als klassischster aller klassischen Regisseure bekannt, als einen „Fälscher“ gegen Deleuze ins Feld, in eben jenem Sinne, in dem Deleuze selbst seine Kooperation mit Félix Guattari verstanden hat. Dieser Fälscher ist eine vermittelnde Instanz, die zwischen den Diskursen steht und deren Konzepte überprüft. Als ein Denker des Bildes entwirft Dwan kinematographische Zeit-Bilder, die bei Deleuze ansonsten für kanonisierte „Meisterregisseure“ des internationalen Art Cinema, gerade aber nicht für Akteure von Classical Hollywood reserviert sind.
Ivo Ritzer
Die gesprungene Wahrheit: Jacques Lacan, Delmer Daves und das Happy End
Zusammenfassung
Cinéphile Ambition des Beitrages ist es, Delmer Daves als ambitionierten Film-Philosoph anzuerkennen, dessen Bild-Denken auf derselben Komplexitätsstufe steht wie die komplexe psychoanalytische Theorie von Jacques Lacan. Dazu aber werden Daves’ Filme von Binotto nicht etwa – wie in einer konventionellen deduktiven Analyse – theoretisch unterfüttert, stattdessen geht es dem Autor vielmehr umgekehrt darum, wie Daves‘ Arbeiten auf unbewusste, d. h. besonders produktive Weise an Lacans theoretischen Überlegungen arbeiten, sie mithin gar weiter denken und radikalisieren. Speziell Daves’ Rekurs auf das konventionalisierte Happy End des klassischen Hollywood steht dabei im Fokus der Betrachtung: nicht als naive Lösung einer krisenhaften Konstellation, sondern als dialektische Aufhebung unlösbarer Konflikte.
Johannes Binotto
Nonstop Nonsolution Chaplins Slapstick als Denkbild von (Nicht)Philosophien politischer Macht bei Kracauer, Žižek, Badiou und Rancière
Zusammenfassung
Der Beitrag löst Bilder aus Charlie Chaplins wohl prominentestem Film The Great Dictator (1942) heraus, um sie als Denkorte zu perspektivieren, die auch von kontinentalen Philosophen wie Siegfried Kracauer, Slavoj Žižek, Alain Badiou oder Jacques Rancière bereits aufgesucht worden sind. Politische Theorien von Kracauer, Žižek, Badiou und Rancière dienen so als Diskursräume, die der Autor mit Chaplins Slapstick durchschreitet und dabei Denkbilder von Philosophien politischer Macht offen legt. Dieses Durchschreiten begreift er selbst als eine nicht-endende Nicht-Lösung politischer Fragen, die mit Brüchen und Unvollständigkeiten leben kann, ohne das negierende Pathos von Kunst und Konzept für sich zu reservieren.
Drehli Robnik

Philosophien des Western

Frontmatter
Die Seduktionstheorie des Films: John Ford im Spiegel kontinentaler Philosophie
Zusammenfassung
Mit John Ford widmet sich der Beitrag einem wichtigen Western-Regisseur, der das Classical Hollywood seit der Stummfilmzeit mit seinen Arbeiten geprägt hat. Er skizziert zunächst Fords Rezeption im Kontext der kontinentalen Philosophie, speziell bei den beiden deutschen Postadorniten Josef Früchtl und Martin Seel. Anschließend stellt er, aufbauend auf Überlegungen des Soziologen und Philosophen Jean Baudrillard, anhand von Fords klassischem Western Stagecoach (1939) das Modell einer seduktionstheoretischen Filmperspektive vor.
Marcus Stiglegger
Aspekte der Leiblichkeit im klassischen Western: Zur Krise des Körpers bei Anthony Mann
Zusammenfassung
Der Beitrag nimmt Bezug auf den Leib/Körper-Begriff und stellt dem Western-Genre somit ein zweites Paradigma gegenüber, das insbesondere für Diskurse der jüngeren kontinentalen Philosophie zentral ist. Unter Rekurs auf die phänomenologische Tradition nach Edmund Husserl und Maurice Merleau-Ponty einerseits sowie die genealogisch-machtanalytische Position Michel Foucaults andererseits befragt er Anthony Manns Western auf ihre korporalphilosophische Signifikanz. Die Autorin zeigt, dass Mann anstelle der Externalisierung innerer Zustände eine somatische Resonanz sucht, die äußere Impulse im Körper der Figuren finden. Sie liest diese inszenatorische Strategie als Symptom einer nationalen Traumatisierung, welche bei Anthony Mann auf besonders signifikante Weise als Körperdiskurs thematisch wird.
Ines Bayer
Imperium Americanum und der Mythos des Westens
Zusammenfassung
Der Beitrag konzipiert den Western als eine symbolische Form, die über Prozesse der Mythenbildung signifikant an der Konstitution der Idee eines „Imperium Americanum“ mitgearbeitet hat. In ihrer Ambivalenz zentral für das US-amerikanische Selbstverständnis, schlägt sich das Konzept des US-Imperiums auch in der Populärkultur des 20. Jahrhunderts nieder, und ganz besonders im Western von Classical Hollywood, der den Mythos der frontier in eben dieses Jahrhundert weiterträgt und dabei simultan neu erfindet. An Sam Peckinpahs The Wild Bunch (1969) – der mit einigem Recht zugleich als letzter klassischer und erster postklassischer Western gelten kann – forscht der Autor nach der mehrdimensionalen Überlagerung von imperialer Idee und Western-Mythos.
Josef Früchtl

Ausblick: Zur Persistenz von Hollywood und kontinentaler Philosophie

Frontmatter
Das Außen des Außen: Life of Pi und die Film-Philosophie
Zusammenfassung
Der Beitrag leistet eine Perspektive auf aktuelle Entwicklungen sowohl in der erstarkten Union von Filmwissenschaft und universitärer Philosophie wie auch in der Praxis von Hollywood selbst. Mit Blick auf Gilles Deleuze, Alain Badiou, Jacques Rancière, Jean-Luc Nancy und Friedrich Kittler rückt der Autor dabei das Verhältnis des Films zu Fragen von Bewegung, Wiederholung, Animation und Automatismus ins Zentrum seiner Überlegungen. Schließlich untersucht er am Beispiel des rezenten Hollywood-Films Life of Pi (2012), inwieweit Hollywood heute seine Produktion als mögliches Feld für Gedankenexperimente versteht. Letztere begreift er als Antwort auf die Frage nach der Ontologie des Films: Film nicht als Form der Kunst, sondern als Form des Lebens.
Thomas Elsaesser
Metadaten
Titel
Classical Hollywood und kontinentale Philosophie
herausgegeben von
Ivo Ritzer
Copyright-Jahr
2015
Electronic ISBN
978-3-658-06620-8
Print ISBN
978-3-658-06619-2
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-06620-8