Unternehmen befinden sich in einer neuen Phase der Digitalisierung. Eine aktuelle Teildisziplin dieser Entwicklung ist Cloud-Computing. Mark Klein führt aus, wohin Versicherer Ergo mit der Datenwolke steuert.
springerprofessional.de: Welche Anwendungsgebiete machen die Cloud für Versicherungen derzeit zu einer attraktiven Lösung im Rahmen der Digitalisierung?
Mark Klein: Die Zukunft der Unternehmens-IT liegt unbestritten in der Cloud. Sie ist de facto ein elementares Puzzleteil und Enabler für die digitale Transformation. Dabei geht es um die Disruption der gesamten Infrastruktur unserer Unternehmens-IT, von Plattformen und Anwendungen. Das stärkt die zukünftige Rolle der IT: Sie fungiert nicht länger nur als operatives Element beim Aufbau von Infrastrukturen, Plattformen und Applikationen, sondern ist vielmehr als Business Co-Creator gefragt. Digitale Projekte, die dabei helfen, Kosten zu senken und die Effizienz zu optimieren, erfreuen sich in den Vorstandsetagen daher breiter Unterstützung. So finden etwa Multi-Cloud-Strategien ihren Weg in die Organisation. Multi-Cloud basierte Plattformen liefern die notwendige Elastizität, um Arbeitslasten und Daten auf verschiedene Clouds zu verteilen. Das entschärft potenzielle Risiken und reduziert Ausfallzeiten.
Können Sie den Nutzen noch etwas konkreter fassen?
Konkret helfen uns Cloud-Lösungen dabei, die unterschiedlichen Geschäftseinheiten durch die übergreifende Bereitstellung von Daten und integrierte Entscheidungsprozesse wesentlich besser zusammenzuführen, um damit spürbar schneller Kundenprobleme zu lösen. Zudem haben wir die Möglichkeit, Security-Standards und -Systeme zu aktualisieren und zu erweitern. Durch eine dynamische Bepreisung der Cloud-Nutzung nach tatsächlich beanspruchten Compute-Ressourcen profitieren wir zudem von einer hohen Kosteneffizienz und können unsere IT-Ausgaben sehr granular kontrollieren. Der Einsatz neuer Technologielösungen hat noch einen weiteren, wichtigen Nebeneffekt: Er macht Ergo als Arbeitgeber für Digitaltalente attraktiv. Im War for Talents hilft er uns dabei, Zugang zu Experten mit gänzlich neuen Skill Sets wie etwa DevOps, Agile und UX zu bekommen.
Bei aller Cloud-Euphorie: Birgt die Nutzung von Cloud-Strukturen nicht auch Risiken und Nachteile? Den Verlust von Datenautonomie oder einen kollektiven technischen Totalausfall bei Problemen des Cloud-Servers?
Wie immer im Leben geht es auch hier um die richtige Balance. Systeme on-premise vorzuhalten oder in die Cloud zu verlagern ist eine Frage von Mix & Match. Ist die Entscheidung für einen Anbieter von Cloud-Lösungen einmal gefallen, ist es in der Regel nicht so einfach, sich davon wieder zu trennen. Auf veränderte Marktbedingungen zu reagieren, kann unter Umständen bedeuten, die gesamte Cloud-Architektur überarbeiten zu müssen, um anbieterkompatibel zu sein. Auch muss sichergestellt sein, dass rechtliche sowie compliance- und sicherheits-relevante Anforderungen eingehalten werden. In die Cloud zu gehen bedeutet aber vor allem einen massiven kulturellen Veränderungsprozess der Organisation. Ohne ein Klima einer offenen Unternehmenskultur, die gewillt ist, das Unternehmen fit zu machen für die Zukunft, wird die Transformation nicht gelingen.
Digitale Infrastruktur, die bisher nicht zum Kerngeschäft gehörte, wird vom ein oder anderen Finanzinstitut neuerdings ins Unternehmensgeflecht eingekauft oder per Ausgründung angehängt. Wie sieht es in dieser Hinsicht bei Ergo aus?
Wir haben uns mit Nexible etwa für den Aufbau eines rein digitalen Players entschieden, der mit seinem komplett digitalen Angebot seit Oktober 2017 erfolgreich am Markt agiert. Hierbei wird komplett auf das Thema Telefonie verzichtet und alle Abläufe sind so gestaltet, dass sie über Zeit voll digitalisiert sein werden. Nexible-Kunden melden ihre Schäden digital (90 Prozent), davon 75 Prozent mit der digitalen Schadenmeldestrecke, zeitnah (75 Prozent innerhalb von 24 Stunden) und sind offen für eine fiktive Abrechnung. Diese Fakten zeigen uns, dass es Zeit ist zu skalieren: Im deutschen Markt das Konzept "rein digital" auf andere Produktbereiche zu übertragen und weitere Märkte anzugehen.
Worin liegt der Vorteil für die Ergo?
Wir haben mit der Ergo Digital Ventures AG, zu der unter anderem Nexible gehört, ein eigenständiges Unternehmen gegründet, dessen einzige Aufgabe es ist, Digitalisierung in der Ergo voranzutreiben. Wir haben uns hier bewusst für unseren eigenen Weg entschieden, um Digitalisierung für unsere Kunden und unsere Mitarbeiter erlebbar zu machen. Mit Ergo Digital Ventures können wir dies am lebenden Objekt in der operativen Geschäftsverantwortung, auf der grünen Wiese und in der Vernetzung mit bereits bestehenden digitalen Ökosystemen. Die Gründung von Ergo Digital Ventures ermöglicht es mir als Vorstandsvorsitzender, Digitalisierung im eigenen Verantwortungsbereich von vorne bis hinten umzusetzen. Die hier gesammelten Erfahrungen können wir so leichter und schneller in andere Einheiten innerhalb unseres Konzerns hineintragen. Damit haben wir die besten Voraussetzungen, das Service-Erlebnis unserer Kunden moderner, einfacher und maßgeschneidert zu gestalten.
Wie stellen Sie als Versicherer in der Cloud die Sicherheit Ihrer eigenen Unternehmensdaten sowie der personenbezogenen Daten Ihrer Kunden sicher?
Der Einsatz von Cloud-Technologien ist innerhalb von Ergo ein fester Bestandteil und in bestehende Prozesse sowie die Tool-Landschaft integriert. Dazu gehören beispielsweise die Bereitstellung einer hoch standardisierten Cloud-Plattform, sowie für Projekte unmittelbar nutzbare Cloud-Services. Zusätzlich bedeutet Cloud aber auch ein Umdenken über den üblichen Technologie-Tellerrand hinaus: So haben wir insbesondere im Kontext Legal/Recht sowie Sicherheit und Compliance verpflichtende Standards und Prozesse implementiert, die die Vermittlung und Umsetzung einer ganzheitlichen Compliance sowie interner Cloud-Richtlinien sicherstellen.
Wo könnten in Zukunft noch weitere Anwendungsgebiete der Cloud für Ergo und andere Versicherungsunternehmen schlummern?
Cloud-basierte Lösungen helfen durch die On-Demand und Pay-as-you-go-Bereitstellung von Compute-Power und den Einsatz von hoch standardisierten und automatisierten Versicherungslösungen wie etwa SaaS, vor allem die IT-Kosten zu senken. Wenn wir über weitere sinnvolle Anwendungsgebiete in der Cloud für die Branche sprechen, dann reichen diese von der Vereinfachung und Digitalisierung der Schadenbearbeitung über die vorausschauende Instandhaltung der Systemlandschaft oder Smart Home-Anwendungen auf IoT-basierten Services bis hin zu Anwendungen für die Betrugsermittlung auf Basis künstlicher Intelligenz (KI). Über all diese Anwendungsszenarien hinweg geht es unterm Strich darum, diese Backend-Prozesse spürbar schneller zu machen.
Wieviel Zeit und Geld wird Ihr Haus in die Migration seiner Anwendungsgebiete bei Abschluss investiert haben?
Für unser Zukunftsprogramm "fit – digital – erfolgreich" werden wir von 2016 bis 2020 rund eine Milliarde Euro investiert haben, davon 400 Millionen Euro in den Bereich Digital. Innerhalb unserer Digitalisierungsoffensive ist das Thema Cloud-Computing ein Baustein neben weiteren zentralen Entwicklungen in den Bereichen KI, Robotics und Voice.
Welchen unmittelbaren Nutzen für Kunden bietet die Verlagerung der Daten in die Cloud?
Kunden profitieren vom Einsatz höchster Sicherheitsstandards bei der Verarbeitung ihrer Daten. Weiterhin kann durch die Nutzung moderner Technologien zur Entwicklung und Bereitstellung von Cloud-Services die Time to Market wesentlich verbessert werden. Das hat für beide Seiten den Vorteil, dass auf neue oder veränderte Kundenanforderungen schnellstmöglich reagiert werden kann, ohne das gesamte und teilweise komplexe Räderwerk der Legacy-Systemlandschaft bedienen zu müssen. Wir nutzen die Cloud nicht, um ihrer selbst Willen oder weil es gerade en vogue ist, sondern wägen genau ab, inwieweit Services aus der Cloud tatsächlich in realen Kundennutzen überführt werden können. Stichworte wie Kundenorientierung und Omnikanalfähigkeit spielen hier für uns eine zentrale Rolle.