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28.01.2025 | Compliance | Interview | Online-Artikel

"Der EAA birgt ein großes Innovationspotenzial"

6 Min. Lesedauer

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Der European Accessibility Act verpflichtet Unternehmen, ihre Online-Angebote barrierefrei zu gestalten. Dass ist nicht nur eine bürokratische Hürde, sondern auch eine echte Chance für mehr Diversität, Inklusion und Innovation, so Expertin Anke Lenz im Gespräch.

springerprofessional.de: Der EU Accessibility Act verpflichtet Unternehmen, eine Reihe an Barrierefreiheitsanforderungen umzusetzen. Welche Produkte und Dienstleistungen sind konkret davon betroffen?

Anke Lenz: Der European Accessibility Act (EAA) ist eine EU-Richtlinie, die in Deutschland in Form des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) am 28. Juni 2025 in Kraft tritt. Sie umfasst eine Vielzahl an Produkten und Dienstleistungen, die für Menschen mit Behinderungen zugänglich gemacht werden müssen. Dazu zählen insbesondere digitale und physische Produkte, die in unserem Alltag allgegenwärtig sind. 

Im Bereich der Produkte sind dies zum Beispiel Computer, Smartphones, Geld- und Ticketautomaten sowie Selbstbedienungs-Terminals. Auf der Dienstleistungsseite betrifft der EAA insbesondere den elektronischen Geschäftsverkehr, Kommunikationsdienste, Bankdienstleistungen und das gesamte Spektrum des E-Commerce, einschließlich Online-Shops und deren digitale Schnittstellen. Auch Buchungsdienste im Transportsektor, die Informationen über Zug- und Flugreisen bereitstellen, sowie digitale Anwendungen im Bildungs- und Gesundheitssektor müssen barrierefrei gestaltet werden, um den neuen Anforderungen zu entsprechen.

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Welche Ausnahmen gibt es?

Ausgenommen sind Kleinstunternehmen, die Dienstleistungen erbringen. Kleinstunternehmen sind Unternehmen, die weniger als zehn Personen beschäftigen und die entweder einen Jahresumsatz von höchstens zwei Millionen Euro erzielen oder deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens zwei Millionen Euro beläuft. Für Kleinstunternehmen, die Produkte in den Verkehr bringen, gilt diese Ausnahme nicht. Für gewisse Produkte, wie beispielsweise Geldautomaten, sind Übergangsfristen definiert, sodass bereits bestehende Geräte nicht sofort umgerüstet werden müssen. Für den überwiegenden Teil der betroffenen Produkte und Dienstleistungen gibt es jedoch keine Übergangfristen. Bankdienstleistungen, E-Commerce und Online-Shops zum Beispiel müssen von den Wirtschaftsakteuren bis zum 28. Juni 2025 barrierefrei angeboten werden.

Bis zur Anwendung des EAA am 28. Juni 2025 ist nicht mehr so viel Zeit. Welche Maßnahmen sollten Unternehmen bis dahin unbedingt ergreifen, um die Anforderungen zu erfüllen?

Die Nichteinhaltung der Vorschriften kann unterschiedliche Sanktionen nach sich ziehen, darunter Bußgelder von bis zu 100.000 Euro und das Verbot des Weiterbetriebs der betroffenen Website oder des digitalen Services. Auch zivilrechtliche Ansprüche und Abmahnungen durch Mitbewerber sind möglich. Angesichts des nahenden Stichtags ist es daher dringend notwendig, dass Unternehmen jetzt handeln. 

Ich empfehle einen pragmatischen Ansatz, der zunächst die Barrierefreiheitsanforderungen der verwendeten digitalen Plattformen sowie eine Bestandsaufnahme des aktuellen Barrierefreiheitsstatus von Websites und Apps umfasst. Hierbei sollte eine Priorisierung erfolgen und der Fokus auf die Websites mit höchster Relevanz gelegt werden, etwa mit dem höchsten Nutzeraufkommen und den wichtigsten Geschäftstransaktionen.

Mittels automatisierter Test-Tools und manueller Prüfungen sollten Websites basierend auf den dem EAA zugrunde gelegten Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) überprüft werden, um notwendige Korrekturmaßnahmen zu definieren und umzusetzen. Es ist äußerst wertvoll, manuelle Tests von Menschen mit unterschiedlichen visuellen, kognitiven und motorischen Einschränkungen wie beispielsweise Seheinschränkungen, Farbenblindheit, oder eingeschränkter Tastaturnutzung durchführen zu lassen. So können verschiedene Nutzungsverhalten berücksichtigt und Barrieren auf Website identifiziert werden. 

Die Maßnahmen zur Erfüllung der Barrierefreiheitsanforderungen des EAA bis zum 28. Juni 2025 sollten keine einmalige Aktion bleiben. Wichtig ist eine nachhaltige Verankerung inklusiver Designprinzipien bereits im Entwicklungsprozess von digitalen Plattformen. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Entwicklern, UX-Designern und Barrierefreiheits-Experten. Auch sollte das Bewusstsein für digitale Inklusion auf allen Ebenen in der Organisation geschult und gefördert werden.

Sind auch Personalabteilungen von der Regelung betroffen? Hat der EAA Konsequenzen für Recruiting-Prozesse?

Der EAA fokussiert sich auf den Verbraucherschutz und weniger auf unternehmensinterne Mitarbeiterprozesse. Personalabteilungen sind vom EAA daher nur indirekt betroffen. Vielmehr kann der EAA als Chance begriffen werden, die Gestaltung und Barrierefreiheit von Recruiting-Prozessen auf den Prüfstand zu stellen. Ist der digitale Auftritt von Unternehmen inklusive ihrer Jobportale barrierefrei zugänglich? Sind alle Prozessschritte für eine Bewerbung - von der Findung passender Jobangebote über die Erfassung von Motivationsschreiben und Hochladen von Lebensläufen bis zur Terminfindung und Durchführung des Bewerbungsgespräches - für Menschen mit Einschränkungen oder Behinderungen vollumfänglich zugänglich und inklusiv gestaltet? Erfolgt die Auswahl der Bewerbenden nach einem festen Schema oder wird sich auf Diversität und auf ausgeprägte Stärken fokussiert?

In der Praxis bietet dies eine großartige Chance, die Vielfalt und Inklusion im Unternehmen zu fördern. Durch einen inklusiven Bewerbungsprozess wird ein breiterer Talent-Pool angesprochen und bestehende Barrieren abgebaut, die es Menschen mit Behinderungen oft erschweren, sich für Positionen zu bewerben. Digitale Barrierefreiheit im Recruiting zeigt Bewerber zudem, dass sich ein Unternehmen für Diversität einsetzt und Inklusion als Grundwert versteht. Dies macht Unternehmen als Arbeitgeber wiederum attraktiver.

Was bewirkt die digitale Inklusion intern in Unternehmen?

Digitale Inklusion ist eine grundlegende Voraussetzung für ein barrierefreies Arbeitsumfeld, in dem alle ihre Stärken einbringen und Potenziale voll entfalten können. Beispiele hierfür sind barrierefreie Online-Veranstaltungen, etwa über Teams mit Video und Untertiteln, die Berücksichtigung von Barrierefreiheitskriterien bei der Gestaltung von Präsentationen, E-Mails, Dokumenten und Trainingsmaterialien sowie der Zugang zu Tools und Informationen im Intranet für alle Mitarbeitenden.

Dies wirkt sich positiv auf die Unternehmenskultur aus, die sich durch Respekt, gegenseitige Wertschätzung, Chancengleichheit und Teilhabe auszeichnet. Ein inklusives Arbeitsumfeld, das die Bedürfnisse aller Mitarbeitenden berücksichtigt, stärkt nicht nur die Mitarbeiterbindung, sondern fördert auch Kreativität und Innovationskraft. Darüber hinaus erhöht digitale Inklusion das Bewusstsein für die unterschiedlichen Herausforderungen, denen Mitarbeitende in ihrem Arbeitsalltag begegnen, und stärkt das Engagement für soziale Verantwortung innerhalb des Unternehmens.

Welche Innovationspotenziale bringt das EAA mit sich?

Der EAA birgt ein großes Innovationspotenzial, da er Unternehmen anregt, neue Ansätze für barrierefreie Technologien und Dienstleistungen zu entwickeln. Dies schafft nicht nur einen Mehrwert für Menschen mit Behinderungen oder Einschränkungen, sondern für alle Menschen. Viele bereits existierende Funktionen, wie die Bereitstellung von Untertiteln, Text-to-Speech- und Speech-to-Text-Technologien sowie KI-gestützte Assistenzsysteme, wurden ursprünglich als innovative Lösungen für Menschen mit Behinderungen entwickelt.

Die Realität zeigt jedoch, dass genau diese Funktionen auch für andere von großem Nutzen sind. So helfen Untertitel nicht nur Menschen mit einer Hörbeeinträchtigung, audiovisuelle Inhalte zu verstehen, sondern auch allen anderen - beispielsweise, wenn sie sich in einer lauten Umgebung auf einen Dialog konzentrieren möchten. Darüber hinaus tragen Untertitel dazu bei, Sprachbarrieren zu überwinden und Inhalte einem breiteren, internationalen Publikum zugänglich zu machen. Barrierefreiheit bietet folglich einen Mehrwert für alle. Der EAA schafft außerdem Wettbewerbsvorteile und Wachstumschancen für alle Unternehmen, die über digital barrierefreie Produkte und Dienstleistungen eine größere Zielgruppe erreichen. Diese Unternehmen steigern ihre Marktpräsenz, stärken ihre Reputation und positionieren sich als sozial verantwortliche und inklusive Akteure im Markt.

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