Alle sitzen im Homeoffice und machen, was sie wollen? Was liegt für Chefs also näher, als die Mitarbeiterkontrollen zu verschärfen? Warum diese Idee nicht nur aus rechtlichen Gründen geradewegs in die falsche Richtung läuft, zeigen mehrere Studien auf.
Nicht wenige Chefs haben monatelang zähneknirschend gute Miene zum Homeoffice gemacht. Warum sie allmählich ungeduldig mit den Füßen scharren, ist nicht gänzlich unverständlich. Arbeitsergebnisse müssen stimmen, Ziele erreicht werden und die Performance von den auf Heimarbeitsplätze vereinzelten Teammitgliedern darf nicht einbrechen. Hinzu kommt eine nicht ganz unwesentliche Angst vor Regelbrüchen.
Das Vertrauen von Chefs in die Fähigkeit ihrer Mitarbeiter zur selbstgesteuerten Arbeit ist derzeit also gewaltig auf die Probe gestellt. Das scheint der ideale Zeitpunkt, um die Wirksamkeit von Kontrollmechanismen genauer unter die Lupe zu nehmen und endgültig mit dem eingefahrenen Glaubenssatz "Vertrauen ist gut - Kontrolle ist besser" aufzuräumen. Denn Mitarbeiterkontrollen scheitern vor allem an sich selbst.
Wenn die Mitarbeiterkontrolle zur Korsage wird
Die Springer-Autoren Sven Kette und Sebastian Barnutz erkennen eine Wechselwirkung zwischen gesteigerten Kontrollen mit "dysfunktionalen Effekten"(Seite 29). Was im Klartext bedeutet: Je engmaschiger Mitarbeiter kontrolliert werden, desto schneller erliegen sie den Verlockungen zum Regelbruch oder unerlaubten Maßnahmen, mit denen sie sich den Kontrollen entziehen wollen.
So berichten die Autoren von Mitarbeitern, die befürchteten, von ihren Arbeitgebern abgehört zu werden und daher dienstliche Angelegenheiten über private Mobiltelefone erledigten. Kontrollen verfolgen das eigentliche Ziel, Mitarbeiter zum Erreichen von Zielen auf vorgeschriebene Art und Weise zu motivieren. Warum das allzu oft misslingt, liegt daran, dass Unternehmen die Motive von Mitarbeitern bei Regelbrüchen falsch einschätzen.
Überhöhte Erwartungen führen zu Regelverstößen
Was Unternehmen übersehen ist: Individuelle Kalküle oder Kosten-Nutzen-Abwägungen führen deutlich seltener zu unerwünschtem Verhalten als eine kurzsichtige Organisationsstruktur mit überschätzten Erfolgschancen von "panoptischen Kontrollvisionen" (Seite 32). Denn nicht alle formalen Vorgaben sind mit der Arbeitsrealität ihrer Empfänger koordinierbar oder praktisch umsetzbar.
So entstehen Bedingungen, die es Arbeitnehmern nahezu unmöglich machen, vereinbarte Resultate zu erbringen und so eigenverantwortlich wie flexibel auf Unvorhergesehenes zu reagieren. Die Folge sind Regelverletzungen, "sei es, weil Mitarbeiter*innen sich widersprüchlichen formalen Erwartungen ausgesetzt sehen, oder weil sich eine informale Kultur der Abweichung herausgebildet hat" (Seite 29).
Kontrollierte Mitarbeiter handeln eigennütziger
Mit zwei Studien unterstützen auch Wissenschaftler der Gießener Justus-Liebig-Universität die Annahme, dass falsch verstandene Kontrollen unerwünschte Nebenwirkungen im Verhalten von Mitarbeitern erzeugen. In The Effect of Relative Performance Information (2020) kommt das Forscherteam um Corinna Ewelt-Knauer ebenfalls zu der Erkenntnis, dass Mitarbeiter, die streng kontrolliert werden, stärker gegen Regeln verstoßen als Mitarbeiter mit Freiheiten. Der Grund: Werden keine Kontrollen erwartet, entscheiden sie sich aufgrund ethischer Vorbehalte gegen den Regelverstoß.
Streng kontrollierte Mitarbeiter beurteilen den Regelbruch nach persönlichen Kosten-Nutzen-Vorteilen. In der anschließenden Studie Probabilistic Audits and Misreporting – The Influence of Audit Process Design on Employee Behavior (2021) erkennt das Wissenschaftsteam um Ewelt-Knauer positive Zusammenhänge zwischen regelkonformem Verhalten und Kontrollen mit persönlichem Kontakt: "Finden die Kontrollen dagegen ohne einen persönlichen Kontakt statt, haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefühlsmäßig weniger zu verlieren, sodass das Fehlverhalten steigt." Anhand der Studienergebnisse spricht die Wissenschaftlerin folgende Handlungsempfehlung zur Prüfung und Bewertung von Arbeit in den Homeoffices aus:
- Unternehmen und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sollen sich den pandemiebedingten hohen Anteil an Fernprüfungshandlungen gut überlegen.
- Der persönliche Kontakt zwischen Mitarbeitern und Prüfenden ist zu bevorzugen.
- Wenn persönliche Kontakte aufgrund aktueller Einschränkungen nicht möglich sind, sollten Mitarbeitende möglichst wenig Details über die Kontrollen kennen, um eigene Kosten-Nutzen-Abwägungen zu erschweren.
Und doch finden 28 Prozent von rund 400 Managern in einer von Getapp durchgeführten Umfrage, dass die Vorschriften zur Mitarbeiterüberwachung in Deutschland zu streng sind und Unternehmen mehr Möglichkeiten für die Überwachung haben sollten. Datenschutzbestimmungen scheinen sie dabei wenig zu stören. Denn 38 Prozent der befragten Führungskräfte setzen bereits Software zur Kontrolle von Mitarbeitern ein und wollen dies auch künftig so handhaben (72 Prozent).
Mitarbeiter frustfrei kontrollieren
Stattdessen sollten sie besser auf Mitarbeiterkontrollen ohne Vertrauensschwund setzen. Diese gehören für Springer-Autor Hartmut Laufer zur verantwortungsvollen Führung. Kontrollen dienen der Qualitätssicherung und reibungslosen Zusammenarbeit. Sie fördern außerdem eine verantwortungsbewusste Grundhaltung von Mitarbeitenden. Allerdings warnt auch Laufer davor, Mitarbeiter durch überzogene Kontrollen zu verunsichern, zu ineffizienten Handlungen und Nebensächlichkeiten zu animieren. Für die Notwendigkeit von Kontrollen werden Mitarbeiter sensibilisiert durch Vertrauen, eine gelebte positive Fehlerkultur, sinnvolle Kontrollziele sowie die gegenseitige Einsicht, dass gewisse Arbeitsabläufe nicht zu kontrollieren sind. Denn: "Die allumfassende, perfekte Kontrolle ist und bleibt eine Illusion." (Seite 97)
So lassen sich Mitarbeiterkontrollen positiv kommunizieren (Seite 98):
- Nur durch Kontrollen werden ihre Leistungen wahrgenommen und können anerkannt werden.
- Positive Kontrollergebnisse verschaffen den Mitarbeitern motivierende Erfolgserlebnisse.
- Kontrollen liefern die Grundlagen für gerechte Leistungsbeurteilungen und Entlohnungen.
- Durch Kontrollen können Arbeitsprobleme erkannt und notwendige Hilfen gegeben werden.
- Erkannte Über‐ oder Unterforderungen ermöglichen einen eignungsgerechten Arbeitskräfteeinsatz.
- Unzumutbare Arbeitsrisiken für die Mitarbeiter können erkannt und vermieden werden.
- Rechtzeitige Kontrollen bieten den Mitarbeitern die Chance, ihre Fehler beizeiten zu korrigieren und somit doch noch brauchbare Arbeitsergebnisse zu erzielen.
- Erkannte Fehler eröffnen den Mitarbeitern die Möglichkeit, daraus zu lernen und sich weiterzuentwickeln.
- Kontrollen nehmen den Mitarbeitern die Ungewissheit eventueller Fehler und entlasten sie somit.
Fazit: Kontrollen sind dann gut, wenn mit einem grundsätzlichen Vertrauen in Mitarbeiter, ihre Fähigkeiten und ihre Integrität einhergehen, wenn sie frei von Misstrauen ausgesprochen und durchgeführt werden. Oder wenn sie wertvolle Anhaltspunkte für Leistungssteigerung und Mitarbeiterentwicklung liefern. Einschnürende Kontrollen bewirken das Gegenteil und fördern unerwünschtes Verhalten bei allen Akteuren.