Manager im Visier der Ermittlungsbehörden: Schon passives Wissen kann reichen, um als Beschuldigter zu gelten. Rafael van Rienen, Experte für Wirtschaftsstrafrecht, erklärt, wie sich Führungskräfte und Mitarbeiter im Ernstfall verhalten sollten.
Dr. Rafael van Rienen ist Fachanwalt für Strafrecht und Gründungspartner der Kanzlei Livonius | van Rienen Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB. Der Jurist befasste sich in der Vergangenheit schwerpunktmäßig unter anderem mit Cum/Ex-Verfahren, internen Ermittlungen wegen Korruptionssachverhalten, dem sogenannten Dieselskandal sowie dem Verfahrenskomplex Wirecard.
Livonius | van Rienen Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB
Springerprofessional.de: Die Cum-Ex-Verfahren oder der Fall Wirecard zeigen, dass es in Deutschland immer wieder zu Finanzskandalen kommt. Wie geraten Mitarbeiter von Finanzunternehmen in der Praxis ins Visier der Ermittlungsbehörden? Reicht bereits eine passive Mitwirkung oder ein Wissen über kritische Vorgänge aus, um als Beschuldigter geführt zu werden?
Rafael van Rienen: Staatsanwaltschaften müssen Ermittlungsverfahren einleiten, sobald ihnen Tatsachen bekannt werden, die die Begehung einer Straftat nach kriminalistischer Erfahrung als möglich erscheinen lassen - der sogenannte Anfangsverdacht. Die Quellen für solche Tatsachen sind in der Praxis höchst unterschiedlich. Hierzu gehören zum Beispiel Strafanzeigen, Angaben von Whistleblowern, Selbstanzeigen der Unternehmen, Mitteilungen anderer Behörden, vor allem Steuer- und Aufsichtsbehörden aus dem In- oder Ausland, andere Ermittlungsverfahren oder Presseberichte. Oft wird das Ermittlungsverfahren zu Beginn gegen Unbekannt geführt. In vielen Fällen werden aber jedenfalls formal Verantwortliche, insbesondere Vorstände, schon einmal als Beschuldigte eingetragen. Auch wenn konkret Verantwortliche noch nicht feststehen, kann eine Durchsuchung des Unternehmens erfolgen, in deren Rahmen Dokumente beschlagnahmt werden. Insbesondere auf Basis von E-Mails können sich dann Verdachtsmomente gegen Mitarbeiter ergeben.
Wann wächst der Kreis der Beschuldigten?
Neben der Auswertung von Dokumenten aus dem Unternehmen, aber auch durch Vernehmungen im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens kann, sich der Kreis von Beschuldigten erheblich erweitern. Eine passive Mitwirkung durch Unterlassen oder eine Kenntnis von möglicherweise strafbaren Vorgängen kann in diesem Stadium des Verfahrens durchaus für einen Beschuldigtenstatus ausreichen. Manchmal argumentieren Staatsanwaltschaften sogar damit, dass dies im Interesse des Betroffenen sei, weil er als Beschuldigter aufgrund des Schweigerechts zum Beispiel keine Angaben zum Sachverhalt machen muss.
Welche konkreten Maßnahmen können Beschäftigte und Führungskräfte vorbeugend ergreifen, um sich bei rechtlich fragwürdigen Vorgängen vor strafrechtlicher Verfolgung zu schützen? Reicht es aus, interne Bedenken zu dokumentieren oder Compliance-Stellen zu informieren?
Die eine Maßnahme, die jemanden mit absoluter Sicherheit vor der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens bewahrt, gibt es nicht. Wenn jemand aber von rechtlich fragwürdigen Vorgängen im Unternehmen erfährt, rate ich grundsätzlich immer dazu, diese eigenen Bedenken nicht zu ignorieren, sondern abzuklären. Wer sich dabei scheut, dies unternehmensintern anzusprechen, kann dies auch zum Beispiel durch Einholung externen Rechtsrats tun. Eine bloße Dokumentation der eigenen Bedenken halte ich regelmäßig nicht für ausreichend. Das fragwürdige Verhalten dauert ja fort.
Hilft es, sich an die Compliance-Abteilung zu wenden?
Die Meldung an Compliance kann zwar ein erster Schritt in die richtige Richtung sein. Wenn von dort aber keine zufriedenstellende Rückmeldung erfolgt und die Missstände nicht abgestellt werden, ist auch dies nicht ausreichend. Insbesondere bei Argumenten wie "das machen wir schon immer so", "das machen alle" oder "mein Vorgesetzter will das aber so" sollte man regelmäßig vorsichtig werden. Einen Schutz vor eigener strafrechtlicher Verantwortung bieten diese nämlich grundsätzlich nicht. Im äußersten Fall muss in Erwägung gezogen werden, das Unternehmen zu verlassen.
Wie bewerten Sie die Rolle der D&O-Versicherung in der strafrechtlichen Verteidigungspraxis? Wann greift diese zuverlässig und wann verlieren Betroffene ihren Versicherungsschutz am Ende doch - mit allen finanziellen Nachteilen?
Bei D&O-Versicherungen, wenn sie denn überhaupt eine Strafrechtsschutz-Komponente beinhalten, ergibt sich meines Erachtens ein zwiegespaltenes Bild in der Praxis. In manchen Fällen werden Verteidigerkosten von Anfang an übernommen, in anderen Fällen muss man um eine auch nur begrenzte Deckungszusage kämpfen. Regelmäßig sind auch die Beträge, die übernommen werden, gedeckelt. Oft lesen sich diese Summen zwar recht hoch, aber im Falle eines mehrjährigen Verfahrens mit entsprechendem Aktenumfang und möglicherweise einer lang andauernden Hauptverhandlung sind auch schnell sechsstellige Summen an Verteidigerkosten erreicht. Und wenn in einem solchen Fall die Kosten mehrerer Beschuldigter aus einem gemeinsamen Topf der Versicherung gezahlt werden und dieser ausgeschöpft ist, kann es auch passieren, dass mitten im Verfahren keine Zahlungen mehr erfolgen. Das ist dann für den Beschuldigten oft der Super-Gau.
Gibt es aus Ihrer Sicht typische Missverständnisse oder Fallstricke in den Bedingungen von D&O-Policen, etwa beim Thema Rückforderungsklauseln oder bei der Definition des Begriffs Verurteilung?
Das wichtigste bei einer D&O-Versicherung ist meines Erachtens, sich bereits im Zeitpunkt des Abschlusses die möglichen Ausschlussgründe sehr genau anzuschauen. Grundsätzlich sehen alle derartigen Versicherungen vor, dass im Falle einer Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Begehung vorverauslagte Verteidigerkosten von der Versicherung bei dem Betroffenen zurückgefordert werden. Der Teufel steckt aber oft im Detail. Manche Versicherungen verweigern eine Deckungszusage bereits dann, wenn zu Beginn des Verfahrens ein Vorsatzvorwurf erhoben wird - unabhängig davon, ob am Ende ein Freispruch oder eine Verurteilung wegen einer Fahrlässigkeitstat erfolgt. In diesen Fällen können die Kosten erst nach Abschluss des Verfahrens geltend gemacht werden, müssen also von dem Beschuldigten zunächst selbst vorverauslagt werden. Andere Versicherungen schließen auch im Falle einer Einstellung gegen eine Geldauflage - gerade in Wirtschaftsstrafsachen eine sehr häufige Möglichkeit der Beendigung eines Ermittlungsverfahrens ohne Schuldfeststellung - eine Rückforderung nicht grundsätzlich aus. Es gibt aber auch Versicherungen, die die Verteidigungskosten übernehmen und nicht zurückfordern, wenn das Verfahren mit einer Verurteilung im Strafbefehl trotz Vorsatztat abgeschlossen wird.
Welche Rolle spielt die aus Ihrer Erfahrung die Kommunikation von Ermittlungsbehörden oder die Berichterstattung über solche Verfahren?
Die Kommunikation zwischen Ermittlungsbehörden und Verteidigung kann eine sehr wichtige Komponente im gesamten Strafverfahren, einschließlich der Hauptverhandlung, sein. Oft bieten sich hier bereits in einem frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens Möglichkeiten, die Staatsanwaltschaft von einer Einstellung des Verfahrens zu überzeugen. Später, im Rahmen einer Hauptverhandlung, können auf diesem Weg auch verfahrensbeendende Absprachen eingeleitet werden. Kommunikation der Strafverfolgungsbehörden gegenüber der Presse und Presseberichterstattung als solche können hingegen eine oft von allen Beteiligten nicht gewollte Dynamik in ein Verfahren bringen, zum Beispiel wenn sich die Staatsanwaltschaft medial unter Zugzwang oder Erfolgsdruck sieht und Sachverhalte vorschnell zur Anklage bringt, oder wenn die Verteidigung sich im Lichte vorverurteilender Berichterstattung zu einer korrigierenden Darstellung außerhalb des Verfahrens gezwungen sieht. In den meisten Fällen ist all dies nicht hilfreich.
Welche juristischen Möglichkeiten hat ein Beschuldigter, sich gegen reputationsschädigende Medienberichte, berufliche Nachteile oder Maßnahmen von Aufsichtsbehörden während eines laufenden Ermittlungsverfahrens zu wehren?
Es besteht natürlich immer die Möglichkeit, den Rechtsweg zu beschreiten - sowohl gegenüber unzulässiger medialer Berichterstattung, als auch Maßnahmen von Aufsichtsbehörden oder des Arbeitgebers, wenn dieser ein laufendes Ermittlungsverfahren zum Anlass für arbeitsrechtliche Maßnahmen nimmt. Dies ist aber gerade bezogen auf aufsichtsbehördliche Maßnahmen nicht unbedingt immer der beste Weg, da es zu weiterer Eskalation führt und gegebenenfalls hier bereits Sachverhalt vorgetragen werden muss, der noch gar nicht Gegenstand des Ermittlungsverfahrens ist. Es kann aber durchaus zielführend sein, mit den Aufsichtsbehörden in einen Dialog zu treten und unter Darlegung der eigenen Verteidigungsposition im Ermittlungsverfahren zu versuchen, eine akzeptable Lösung zumindest bis zum Abschluss des Ermittlungsverfahrens zu erreichen. Schließlich gilt bis zur Rechtskraft eines Urteils die Unschuldsvermutung!
Viele Verfahren ziehen sich über Jahre. Gibt es aus Ihrer Sicht effektive Strategien, um schon in einem frühen Stadium - etwa während des Ermittlungsverfahrens - eine Einstellung zu erreichen und damit langfristige Belastungen zu vermeiden?
Auch hier gibt es kein Patentrezept, jeder Fall ist anders. Was aber in den meisten Fällen jedenfalls nicht zu einer Verkürzung der Verfahrensdauer führt, ist, sich im Ermittlungsverfahren zurückzulehnen und eine Hauptverhandlung abzuwarten. Vielmehr bieten sich meistens bereits im Stadium des Ermittlungsverfahrens Gelegenheiten, die Staatsanwaltschaft in einem konstruktiven Dialog von der Unschuld des Mandanten zu überzeugen oder Möglichkeiten zur Vermeidung einer Hauptverhandlung auszuloten. Solche können insbesondere eine Einstellung gegen eine Geldauflage, ein Strafbefehl oder die Einstellung jedenfalls bestimmter Teile des Verfahrens sein, um eine Begrenzung des Tatsachenstoffs zu erreichen.
Sollten die von der Staatsanwaltschaft erhobenen Vorwürfe aber in Gänze unbegründet sein, so fällt es mir regelmäßig schwer, dem Mandanten zu etwas anderem zu raten, als das Ganze bis zum Ende durchzufechten, auch wenn es eine langfristige Belastung bedeutet. Gerechtigkeit braucht manchmal ihre Zeit.