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30.11.2020 | Corporate Governance | Schwerpunkt | Online-Artikel

Frischzellenkur für den Aufsichtsrat

verfasst von: Andrea Amerland

3 Min. Lesedauer

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Nicht erst seit dem Wirecard-Skandal tobt die Diskussion um die Qualität deutscher Aufsichtsräte. Mandatshäufungen, hohe Vergütungen und zu wenig Vielfalt stehen seit längerem in der Kritik. Investoren und Gesetzgeber fordern nun eine Reform der Corporate Governance.
 

"Um die kritische Grundhaltung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Unternehmensleitung zu stärken, fordert der DCGK [= Deutsche Corporate Governance Kodex] schon lange und nachgiebig, dass dem Aufsichtsrat eine angemessene Zahl unabhängiger Mitglieder angehören soll. Solche freien Personen sind bisher eher zufällig in den Aufsichtsrat geraten." So beschreibt Springer-Autor Sebastian Hakelmacher im Buchkapitel "Neue Bürden für Aufsichtsräte" die derzeitige Zusammensetzung deutscher Aufsichtsräte (Seite 116). 

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Aufsichtsräte sind zu lange im Amt

Eine aktuelle Studie der deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz (DSW) bestätigt, dass in den 30 Dax-Firmen jeder fünfte Aufsichtsrat, also insgesamt 95 Aufsichtsräte, davon 53 Anteilseigner- und 42 Arbeitnehmervertreter, seit drei oder sogar noch mehr Amtsperioden im Gremium sitzen. Womit sie "zum größten Teil das Unabhängigkeitskriterium nicht mehr erfüllen", wie die DSW das Ergebnis kommentiert.

Zudem nehmen die Aktionärsschützer besonders den Posten des Vorstandsvorsitzenden in den Blick und fordern, dass diese Position keinesfalls zwangsläufig als "zweite Karriere" nach dem Ausstieg aus dem Berufsleben zu betrachten ist. Eine Altersgrenze und eine zeitlich begrenzte Amtsperiode wie im Corporate Governance Kodex vorgeschlagen, sollen hier für die die nötige "Frischzellenkur" sorgen.

Dieter Schenk hat die meisten Amtsperioden als Aufsichtsrat

Die DWS untersucht seit 18 Jahren die Zusammensetzung der Gremien in Deutschland. In ihrer Analyse für 2020 finden sich wieder sehr viele altgediente Aufsichtsräte. So bringt es laut Studie Dieter Schenk auf 24 Jahre beim Gesundheitskonzern Fresenius Medical Care, Stefan Quandt und Susanne Klatten auf jeweils 23 Jahre bei BMW oder aber Paul Achleitner, langjähriger Chefkontrolleur der Deutschen Bank, auf 18 Jahre im Aufsichtsrat des Chemiekonzerns Bayer.

Die DWS verweist ausdrücklich drauf, dass die mangelnde Unabhängigkeit Einzelner "nicht notwendigerweise als Malus" zu betrachten ist. Erfahrung könne einen positiven Beitrag zur Aufsichtsratsarbeit leisten. Letztendlich sei die Mischung des Gremiums entscheidend und müsse durch eine ausreichende Zahl unabhängiger Mitglieder ergänzt werden, um eine gute Kontrolle der Unternehmensleitung zu gewährleisten.

Diversity verbessert die Überwachungsqualität

Einen Zusammenhang zwischen der Gender Diversity und der Überwachungseffektivität des Aufsichtsrat weisen jedenfalls Franziska Handschumacher und Willi Ceschinski in einer Studie nach, deren Ergebnisse in "Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung", Ausgabe 2/2020 veröffentlicht wurden. Demnach zeigt sich, "dass sich selbst bei lediglich einer Frau im Aufsichtsrat die vergütungsbezogene Überwachungseffektivität des Kontrollorgans verbessert." Daher schlussfolgern die Wissenschaftler, "dass – in Hinblick auf eine möglichst geringe übermäßige Vergütung – eine ausgeglichene Geschlechterrepräsentanz im Aufsichtsrat anzustreben ist."

Reformen bei Corporate Governance gefordert

Auch die Investoren betrachten die Zusammensetzung der Aufsichtsräte mit Blick auf Unabhängigkeit, Amtszeiten, Mandatszahl und Professionalität zunehmend kritisch. So plädieren sie in einem offenen Brief, die Amtszeit von fünf auf drei Jahren zu verkürzen. Ziel solle dabei sein, das Kompetenzprofil des Gremiums zu verbessern. 

Unabhängig davon hat die Bundesregierung offenbar aus dem Wirecard-Debakel gelernt und im Entwurf für das Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetzes (FISG) auch Vorschläge zur Verbesserung der Kontrollfunktion formuliert. Demnach soll sich im Aufsichtsrat jeweils ein Experte für Rechnungslegung und für Abschlussprüfungen befinden. Derzeit fehlt dieses Know-how häufig noch in den Gremien. So gab es etwa im Fall Wirecard lange Zeit nicht einmal die nötigen Fachausschüsse, die Bilanz- oder Compliance-Fragen behandeln. Dabei gehören zu den Überwachungsaufgaben des Aufsichtsrats laut Springer-Autor Ulrich Stache unter anderem (Seite 184):

  • die Geschäftsführung der Gesellschaft in vollem Umfang zu kontrollieren, 
  • sich von dem Gang der Angelegenheiten der Gesellschaft zu unterrichten,
  • Einsicht in die Bücher und Schriften der Gesellschaft zu nehmen, 
  • den Geldbestand sowie die Bestände an Wertpapieren und Waren zu prüfen, 
  • eventuelle Schadensersatzansprüche gegen die Geschäftsführer zu verfolgen, 
  • gegebenenfalls die Geschäftsführung zur Stellung eines Insolvenzantrages zu veranlassen, wenn ein Grund hierfür vorliegt.

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