In den letzten zwölf Jahren ging die Zahl der Aufsichtsratsmandate, die ein Dax-Vorstandsmitglied neben der hauptberuflichen Vorstandstätigkeit ausübt, kontinuierlich zurück. Von durchschnittlich fünf Aufsichtsratsposten im Jahr 2005 sank die Zahl auf vier Mandate in 2009, drei in 2013 und zwei in 2016. Die seit Anfang 2017 neu in die Führungsgremien von Dax-Unternehmen berufenen Vorstandsmitglieder beschränken sich im Schnitt auf maximal ein Aufsichtsratsmandat. Diese Ergebnisse liefert der 6. Dax-Vorstands-Report der Personalberatung Odgers Berndtson, für den die Lebensläufe aller Vorstände der Dax-Unternehmen in den Jahren 2005, 2009 sowie 2013 bis 2017 analysiert wurden.
Abschied vom Old-Boys-Network
Michael Proft, Managing Partner bei Odgers Berndtson und Leiter des Dax-Vorstands-Reports, erklärt die Entwicklung vor allem mit den strengeren Anforderungen an die Aufsichtstätigkeit durch das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) sowie die Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex'. Hieraus ergebe sich nicht nur ein höherer zeitlicher Aufwand je Mandat. Auch die Haftungsrisiken für die Aufsichtsräte sowie die Schadenersatzforderungen stiegen. Daher überlegten sich Top-Manager heute dreimal, ob sie ein Mandat annehmen. Stattdessen konzentrieren sich die Führungskräfte zunehmend auf ihren Hauptjob – und verabschieden sich damit gleichzeitig von den zwar karrieredienlichen, aber überkommenen Old-Boys-Networks in den Kontrollgremien.
Auf der anderen Seite nimmt laut den Aufsichtsratsstudien von Odgers Berndtson die Zahl derjenigen zu, die mit der Kontrolle von Unternehmen ihr Haupteinkommen erzielen. Auch glaubt jeder fünfte Aufsichtsratsvorsitzende in Deutschland, dass mehr Berufsaufsichtsräte die Arbeit der Kontrollgremien verbessern würden. Wobei das wichtigste Auswahlkriterium für ein Aufsichtsratsmitglied für rund Dreiviertel der Befragten nach wie vor Fachkompetenz ist. Gut die Hälfte fordert zudem, dass Interessenskonflikte vermieden werden.
Zwischen Ahnungslosigkeit und Interessenskonflikten
Doch genau daran bestehen vielfach Zweifel: Ob im Zusammenhang mit dem Debakel um den Bau des BER-Flughafens, dem Dieselskandal bei VW oder der Korruptionsaffäre bei der Rhein-Sieg-Abfallwirtschaftsgesellschaft – immer wieder stehen Aufsichtsräte wegen mangelhafter Ausübung ihrer Kontrollfunktion in der Kritik.
Die lückenhafte Überwachung von Unternehmen durch ihre Aufsichtsräte prangert auch Sebastian Hakelmacher an. In dem Buchkapitel "Corporate Governance oder die korpulente Gouvernante" skizziert er launig die "Risiken und Nebenwirkungen" des Aufsichtsrats, der "vorwiegend und abwägend anhand dürftiger Informationen und in wenigen Sitzungen die Geschäftsführung des Unternehmens" überwache (Seite 122). Als wesentliche Hürden, die eine effiziente Aufsichtsratsarbeit behindern, nennt Hakelmann folgende (Seiten 122-128):
Problemfaktoren der Aufsichtsratsarbeit |
Aufsichtsratsmandat als Nebentätigkeit bedeutet in der Regel wenig Zeit, um sich intensiv mit Themen zu befassen |
Anhäufung von Aufsichtsratsmandaten bei den einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern |
Gesetzliche Vorgaben zu Größe und Zusammensetzung der Aufsichtsräte |
"Abschieben" erfolgloser/ausgedienter Vorstände in den Aufsichtsrat |
Mangel an Fachwissen und -kompetenz |
Ein klares Anforderungsprofil fehlt
An Problembewusstsein mangelt es in Politik und Wirtschaft derweil nicht. So habe sich die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK) in den letzten Jahren vielfach mit der Frage nach der Qualifikation deutscher Aufsichtsräte beschäftigt, betont Manuel René Theisen in seinem Beitrag "Zur Professionalisierung des Aufsichtsrats" (Seite 290). Er verweist dabei auch auf die AReG-Aktiennovelle 2011/2016, die für Aktiengesellschaften von öffentlichem Interesse eine ergänzende Qualifikationsnorm für Aufsichtsräte fordert. Demnach muss nicht nur mindestens ein Aufsichtsratsmitglied über Sachverstand in Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen, sondern vorgesehen ist nun ferner, "dass die Mitglieder [...] in ihrer Gesamtheit mit dem Sektor, in dem die Gesellschaft tätig ist, vertraut sein müssen." (Seite 292)
Auch seien durchaus einige Empfehlungen des DCGK in das erklärte Verhalten der Aufsichtsräte eingegangen. "Wirklich konkrete und messbare Kriterien sind dabei aber ebenso eher die Ausnahme geblieben wie umsetzbare Ableitungen und Generalisierungen für die Generierung, Auswahl und Besetzung von Aufsichtsräten", resümiert der Springer-Autor (Seite 290). Letztlich mangelt es also insbesondere daran, dass bis heute kein klares Anforderungsprofil für die Überwachungsträger existiert.