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18.03.2020 | Corporate Social Responsibility | Interview | Online-Artikel

"Vorurteile sind Fremdkörper im Betriebsklima"

verfasst von: Andrea Amerland

5:30 Min. Lesedauer

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Interviewt wurden:
Prof. Dr. Michel E. Domsch

ist Leiter des MDC Management Development Center e.V..

Prof. Dr. Désirée H. Ladwig

ist Lehrstuhlinhaberin an der FH Lübeck. 

Die Arbeitswelt ist voll von Vorurteilen, die Teams und ganze Firmen spalten. Wie Organisationen eine vorurteilsfreiere Unternehmenskultur etablieren können, erklären die Experten Désirée H. Ladwig und Michel E. Domsch im Gespräch.

springerprofessional.de: Welche Vorurteile sind im Arbeitsleben besonders stark verbreitet?

Michel E. Domsch: Vorurteile gibt es allen Bereichen des Arbeitslebens. Folgende fallen häufig auf: Stereotypen gegenüber älteren Arbeitnehmern. Typische Vorurteile: Ältere sind öfter krank, schneller gestresst, wollen nichts Neues mehr lernen, sind unflexibel und weniger motiviert, bringen geringere und schlechtere Leistungen. Wissenschaftliche Untersuchungen haben längst nachgewiesen, dass es sich hier um nicht bestätigte Vorurteile handelt. Aber auch Generationen wie die X, Y, Z werden oft pauschal charakterisiert. Es ist aber wissenschaftlich wie praxisbezogen nicht zulässig, ganze Generationenkohorten als homogen zu charakterisieren. Denn auch Angehörige anderer Generationen wünschen sich Arbeitszeitsreduzierung, mehr Flexibilität beim Arbeitsort oder selbstbestimmte Arbeitsabläufen. Hier wird auch deutlich, dass Vorurteile nicht immer nur negative Ausprägungen haben.

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Vorurteile im Arbeitsleben

Unconscious Bias erkennen, vermeiden und abbauen

Vorurteile sind in allen Bereichen des Arbeitslebens vorzufinden. Vorurteile können hier zu Fehlentscheidungen bei der Personalarbeit führen, zu Mobbing, sinkender Arbeitszufriedenheit, Leistungsabfall, Gruppenkonflikten und gar zur Abkehr von der eigentlich gewollten Unternehmenskultur.

Désirée H. Ladwig: Wer kennt nicht die oft versteckt geäußerten Vorurteile gegenüber Frauen im Führungsbereich, die trotz jahrzehntelanger Gender- Diversity-Diskussionen bestehen? Frauen wollen gar nicht ins Management. Sie werden sowieso schwanger und folgen ihrem Partner bei einem Ortswechsel.“ Also will man sie gar nicht erst fördern, denn das sei eine Fehlinvestition. Natürlich kann das vorkommen. Aber es rechtfertigt keineswegs die Übertragung auf alle Frauen. Hier werden gezielt oder unbewusst Vorurteile eingesetzt, um vielleicht persönliche Vorteile zu erzielen. Und so könnte man hier die Beispiele für immer wieder anzutreffende Vorurteile in großer Anzahl fortsetzen: Arbeitslose seien zumeist arbeitsscheu und wollen nur das Sozialsystem ausnutzen; Tätowierte sind Rechtsnationale und Unruhestifter, Migranten sind nur Wirtschaftsflüchtlinge, Lehrer sind mit ihrer Halbtagstätigkeit faule Typen uns so weiter. Es werden Urteile gefällt, ohne sich um den Wahrheitsgehalt zu kümmern.

Welche Probleme verursachen Vorurteile im betrieblichen Kontext?

Michael E. Domsch: Vorurteile führen immer zu Spaltungen, zu unerwünschten Ab- und Ausgrenzungen statt zu erfolgreichen Arbeitsfamilien und  produktiven Teamgemeinschaften. Das Betriebsklima leidet und die Arbeitszufriedenheit kann sinken. In Einzelfällen sind Vorurteile oft die Vorläufer von Mobbing und Diskriminierungen. Diese können zu Leistungsabfall, zu Krankheiten, letztendlich zum Verlust von wertvollen Mitarbeitenden führen. 

Désirée H. Ladwig: Ganze Gruppen, Abteilungen können sich damit das Leben schwer machen. "Denen gebe ich keine Informationen. Von denen soll doch wohl keiner zu uns versetzt werden. Sie sind doch nur die Lieblinge vom Chef.“ Darüber muss nicht immer gesprochen werden, manchmal folgt man nur einer Tradition oder einem unreflektiertem Gefühl. Hier ist es wichtig, sich unbewusster Vorurteile bewusst zu werden. Natürlich erfolgt das meistens nicht automatisch. Deshalb zählen viele Bemühungen darauf ab, durch Gesprächs- und Kommunikationstraining das Bewusstsein für die vielen Varianten von Vorurteilen zu schärfen, um sie zu vermeiden.

Wie lassen sich die sogenannten Unconscious Bias im Unternehmen erkennen?

Michael E. Domsch: Häufig, viel zu häufig gar nicht oder nur sehr schwer. Zum einen bin ich es ja vielleicht selbst, dem das Bewusstsein für das eigene kritisches Verhalten fehlt. Außerdem ist es auch mal ganz erholsam, über andere zu lästern und damit eine Handvoll Vorurteile loszuwerden. Aber eine Rechtfertigung gibt es dafür nicht. Immer verletze ich dadurch andere Personen, die erheblich – manchmal bis zum existentiellen Niedergang – darunter leiden können. Ich bin hier nicht nur für mich und mein Opfer verantwortlich, sondern muss auch andere darauf aufmerksam machen, wenn Vorurteile eingesetzt werden. 

Das heißt: Erkennen ist das Eine, Handeln das Andere?

Es gehört Mut und Macht dazu, denn ich versuche ja damit, andere in ihrem kritischen Verhalten wachzurütteln. Einfacher ist es, wenn Vorurteile offen kommuniziert werden, in Mitarbeitergesprächen oder Teamsitzungen Vorurteile zur Sprache kommen. Hier ist Diskussion und Kommunikation gefragt. Schwieriger wird es, wenn zu beobachten ist, dass Personen einfach nur handeln ohne zu argumentieren. So wird eben Frau Z trotz herausragender Qualifikation nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen. Denn da waren diese Erfahrungen mit der letzten Mitarbeiterin, die dann doch schwanger wurde. Herr XY wird nicht zur Fördermaßnahme empfohlen. Er war doch bis vor drei Jahren Betriebsratsmitglied und wird dann wohl nie ein gleichwertiger Leistungsträger im Management.

Désirée H. Ladwig: Bewusstseinsbildung kann sich entwickeln, wenn man sich mal Statistiken und Kennzahlen ansieht und nach Auffälligkeiten sucht: Analysen von Einstellungs-, Gehalts- oder Leistungsdaten, Ergebnisse aus Mitarbeiterbefragungen, Beförderungen. Ein Beispiel: Wie viele Frauen haben sich auf spezielle Ausschreibungen beworben? Wie viele Frauen wurden zum Assessment Center eingeladen? Wie viele wurden letztendlich eingestellt? Wie viele Frauen haben tatsächlich das Unternehmen verlassen und mit welcher Begründung? Wie viele sind wiedergekommen? Wie viele haben wir im Management? Dann muss man detailliert den Gründen nachgehen, warum es nur so viele oder wenige waren. Möglicherweise trifft man dann auf Vorurteile bei den jeweiligen Entscheidenden, die es auszuräumen gilt.

Wie lassen sich dann in im nächsten Schritt Vorurteile bei Mitarbeitern vermeiden beziehungsweise abbauen?

Michael E. Domsch: Die schlechte Nachricht ist: Vorurteile wird es immer geben. Natürlich auch im Arbeitsleben. Es gilt also, wachsam zu sein, zu kommunizieren, zu trainieren, offenzulegen, zu unterstützen und Missbrauch zu sanktionieren. Dies ist ein permanenter Prozess und keine Einmalaktion. Die gute Nachricht: Es gibt hierzu gute Ansätze, Vorurteile zu reduzieren. Dafür wollen wir mit unserer Veröffentlichung einen Beitrag liefern. Wie so oft gilt auch hier: Das Committment der obersten Führungskräfte bei dem Einsatz für Null-Toleranz bei dem Gebrauch von verletzenden Vorurteilen wirkt Wunder. Vorurteile sind Fremdkörper im gewünschten Betriebsklima. Sie sind sozial und wirtschaftlich betrachtet Schädlinge.

Welche Rollen spielen Führungskräfte bei dem Vorurteilsproblem im Arbeitsleben?

Désirée H. Ladwig: Führungskräfte sind natürlich auch nicht frei von Vorurteilen. Bei sich selbst immer achtsam zu sein und auch bei der Ausübung der Führungsrolle stellt hier eine doppelte Herausforderung für sie dar. Denn sie wünschen sich motivierte und leistungsstarke Mitarbeiter, die teamorientiert zusammenarbeiten. Vorurteile sind hier gefährliche Störfaktoren, die leicht zu Mobbing und Diskriminierungen führen können. Führungskräfte sind also als Klimaaktivisten gefordert, die beobachten, immer zu Gesprächen bereit sind, auf Vorfälle angemessen reagieren und möglichst schon im Vorfeld durch Diskussionen, Sensibilisierungen und Trainingsmaßnahmen  versuchen, Vorurteile erst gar nicht aufkommen zu lassen. Ein gutes Betriebsklima und ein entsprechender Führungsstil stehen hier im Fokus der Bemühungen.

Michael E. Domsch: Natürlich können auch Vorurteile gegenüber anderen Abteilungen und deren Mitglieder auftreten, die zu Abgrenzungen, Konflikten, Missachtungen führen. Hier sind die Führungskräfte aller beteiligten Einheiten gefordert, zum Beispiel gemeinsame Workshops zu gestalten, um Vorurteile zu thematisieren und zu reduzieren. Letztendlich sind auch Vorurteile gegenüber Kunden, Lieferanten oder Konkurrenten im Blick zu behalten und mit geeigneten Maßnahmen abzubauen. Denn Vorurteile sind Sand im Getriebe.

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