Gendern oder Nicht-Gendern? Diese Frage stellen sich auch Unternehmen. Kann gendergerechte Sprache ein Signal fortschrittlicher Gesinnung im Recruiting oder in der Kundenkommunikation sein? Über Risiken und Nebenwirkungen einer sprachpolitischen Positionierung.
Die Gender-Dämmerung hat inzwischen auch Unternehmen erreicht. Diese wollen mit gendergerechter Sprache auch einen Image-Gewinn erzielen. Aber tun sie das wirklich?
Bulat/stock.adobe.com
Dass jemand seinen Arbeitgeber verklagt, ist keine Seltenheit. Aber dass er dies tut, weil er sich von seiner Firma genötigt fühlt, eine Variante des Deutschen zu verwenden, die nicht der gültigen Sprachnorm entspricht, ist ein Novum in der deutschen Rechtsgeschichte. Ein Mitarbeiter der Firma Audi hat Anfang Mai 2021 Klage eingereicht, nachdem sein Arbeitgeber einen Gender-Leitfaden mit Richtlinien zur internen Kommunikation für das Unternehmen erstellt hat. Von Audianern und Audianer_innen ist darin die Rede.
Der Mitarbeiter sieht seine Persönlichkeitsrechte verletzt und möchte eine Unterlassung erwirken. Die Anwälte des Mannes wollen nun ein Grundsatzurteil in der Sache erstreiten. Unterstützt wird der Kläger dabei vom Verein Deutsche Sprache (VDS), seit einigen Jahren schon eine prominente Stimme unter der Gendersprachenkritikern. Es geht um die Frage, wie weit ein Arbeitgeber den Sprachgebrauch seiner Mitarbeiter regeln darf.
Genderstern vom Rat der Rechtschreibung nicht gebilligt
Neben der finanziellen Unterstützung durch den VDS darf sich der Kläger auf den Rat für Deutsche Rechtschreibung berufen – die zentrale Instanz in Fragen der deutschen Rechtschreibung. Erst Ende März 2021 stellte der Rat fest, dass die Nutzung von Schreibformen wie Student*innen (Genderstern) oder Student_innen (Gender Gap) "die Verständlichkeit, Vorlesbarkeit (…) sowie vielfach auch die Eindeutigkeit und Rechtssicherheit von Begriffen und Texten" beeinträchtige. Deshalb könnten diese Zeichen "zum jetzigen Zeitpunkt nicht in das Amtliche Regelwerk aufgenommen werden." Diese Formen des Genderns gelten also derzeit (noch) als normwidrig.
Gendern als Imagepflege
Viele Unternehmen setzen zur Zeit auf gendergerechte Sprache. Zum einen als Teil des Employer Brandings in der Hoffnung auf einen Attraktivitätsgewinn für die Rekrutierung jüngerer Mitarbeiter. Aber auch nach außen wollen diese Unternehmen ein Signal setzen und sich als fortschrittlich, aufgeschlossen und nicht-diskriminierend positionieren. Eine im März veröffentlichte Umfrage der "FAZ" und der Hochschule Darmstadt ergab, dass immerhin 16 der 30 Dax-Konzerne Gendersprache befürworten. Als Motiv gaben sie an, einen "diskriminierungsfreien Umgang" anzustreben. Die Verwendung gendergerechter Sprache zur Imagepflege kann vorteilhaft sein, politische Positionierungen bergen allerdings immer auch Risiken. Der Wind des Zeitgeistes kann schnell seine Richtung ändern und linksliberale Symbolpolitik verfängt nicht bei jedem Kunden als Verkaufsargument.
Gendern als Signal politischer Korrektheit
Der Sprachwissenschaftler Rüdiger Harnisch sieht in der Verwendung geschlechtergerechter Sprache in erster Linie ein "Signal politischer Korrektheit". Er hält die mit "Normverletzungen und Fehlern" einhergehende "Manipulation sprachlicher Formen und Ausdrucksweisen" für geeignet, unserem Sprachsystem Gewalt anzutun. Die feministische Sprachkritik der 1980er Jahre hat das Deutsche auf den OP-Tisch verfrachtet. Diagnose: "Männersprache".
Beherzte Eingriffe in den Sprachkörper sind notwendig, um den Patienten vom Sexismus zu befreien. In dieser Tradition steht die gendergerechte Sprache von heute. Man kann sie auch als Sprachmodifikationsprogramm zur Vermeidung des generischen Maskulinums definieren. Kritisiert wird, Frauen würden "unsichtbar", sie seien bei der Verwendung des Maskulinums lediglich mitgemeint, lediglich die Männer träten sprachlich in Erscheinung. Das generische Maskulinum unterscheidet jedoch nicht zwischen primär gemeinten Männern und sekundär mitgemeinten Frauen – es meint alle. Die Grammatik nennt diese Verwendung "sexusindifferent" – alle Geschlechter inkludierend.
Öffentlich-rechtliche Sender propagieren Sprachwandel
Die teilweise robusten Eingriffe in gewachsene Sprachstrukturen, begegnen uns seit 2020 auch immer häufiger im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Etwa wenn Anne Will vom "Bund der Steuerzahler*innen" spricht und dabei genüsslich eine Genderpause vor dem Suffix 'innen' zelebriert. Oder wenn in einem Radiobeitrag des Hessischen Rundfunks über Altersheime durchgehend von den "Bewohnerinnen und Bewohnern" der Einrichtungen die Rede ist, als hätten die Zuhörenden, wie es gendergerecht heißt, beim Wort 'Bewohner' tatsächlich nur Männer vor dem inneren Auge.
Dem missionarischen Eifer, mit dem öffentlich-rechtliche Medien seit rund einem Jahr Gendergerechtigkeit praktizieren, steht eine ausgeprägte Skepsis auf der Seite der Bevölkerung gegenüber. Umfragen zur Akzeptanz der Gendersprache ergeben oft nur niedrige Zustimmungswerte von 20 bis 30 Prozent. Wenn öffentlich-rechtliche Sender also, sicher in allerbester Absicht, unsere Sprache gendergerecht nachbessern, so dürfen sie davon ausgehen, dass eine Mehrheit ihrer Zuhörerschaft, solchen sprachpolitischen und spracherzieherischen Manövern skeptisch bis ablehnend gegenübersteht.
Nicht wenige Zuhörer fühlen sich von diesem Sprechstil bevormundet und erleben die Manipulationen am Kollektivgut Sprache als übergriffig. Und dies sind nicht nur alte, weiße Männer, die mit dem Verlust des generischen Maskulinums ihre Privilegien schwinden sehen, wie es Petra Gerster vom ZDF in einem Interview mit der "taz" argwöhnt, sondern auch junge Menschen, junge Frauen, die in der geschlechtergerechten Sprache kein geeignetes Instrument zur Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit sehen.
Vorteile und Risiken des Genderns
Insofern ist jedes Unternehmen, das sich auf das Abenteuer gendergerechte Sprache einlassen will, gut beraten, diesen Schritt gründlich zu reflektieren. Wie praktikabel, wie verständlich ist diese Sprache? Ist konsequentes Gendern möglich? Wie groß ist die Akzeptanz bei den Mitarbeitern? Sollte man im Vorfeld die Mitarbeiter dazu befragen, anstatt wie Audi den Angestellten einfach einen Gender-Leitfaden überzustülpen? Wieviel Risiken – auch in der Außenwirkung – birgt die politische Positionierung, die mit der Verwendung von Gendersprache einhergeht?
Die Zukunft wird zeigen, ob Gendersprache das Potenzial hat, sich dauerhaft zu etablieren. Aus rein sprachökonomischer Warte dürfte ihr kein allzu langes Leben beschieden sein, denn der Mensch ist bequem und bevorzugt auch in der Sprache Lösungen mit geringem Aufwand. So hält die Sprachwissenschaftlerin Ewa Trutkowski "nicht die Schaffung, sondern die Vermeidung unnötiger Komplexität" für eine der "Haupttriebfedern für Sprachwandel". Und so bleibt abzuwarten, wie gut es die Sprachevolution mit den Audianer_innen meint.
Empfehlung der Redaktion |
Bürger*innen, Bürger oder Bürgerinnen oder schlicht: Bürger? Niemand, der beruflich mit Sprache unterwegs ist, kommt heute am Thema Gendern vorbei. Seitdem der Genderstern seit 2020 dammbruchartig auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk Einzug gehalten hat, gewinnt die Debatte um das kontroverse Thema an Schärfe. Dieses Buch wirft einen kritischen Blick auf das Gendern. Erhältlich auf Springer.com |