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Open Access 2025 | OriginalPaper | Buchkapitel

2. Das Bündnis Sahra Wagenknecht im deutschen Parteiensystem

verfasst von : Sarah Wagner, L. Constantin Wurthmann

Erschienen in: Bündnis Sahra Wagenknecht - Vernunft und Gerechtigkeit (BSW)

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Das Kapitel untersucht die ideologische Verortung des Bündnisses Sahra Wagenknecht im deutschen Parteiensystem. Es beginnt mit einer historischen Analyse der Stabilität und Entwicklung des deutschen Parteiensystems seit 1949, wobei die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu westeuropäischen Parteiensystemen hervorgehoben werden. Besonders beleuchtet wird die Entstehung und Entwicklung von Parteien wie der CDU, CSU, FDP, SPD, Die Grünen und Die Linke. Der Text beschreibt die Entstehung neuer Konflikte und Parteien, wie der AfD, und deren Einfluss auf das Parteiensystem. Ein zentraler Fokus liegt auf dem Bündnis Sahra Wagenknecht, das im Januar 2024 gegründet wurde. Die Partei wird im Kontext der sozioökonomischen und soziokulturellen Dimensionen des Parteiensystems analysiert und als linkskonservativ eingestuft. Das Kapitel untersucht die Positionen des Bündnisses in der Wirtschafts-, Sozial-, Gesellschafts-, Außen- und Sicherheitspolitik. Es wird deutlich, dass das Bündnis eine moderate konservative, sozioökonomisch linke und außenpolitisch NATO-kritische Position einnimmt. Die Analyse zeigt, dass das Bündnis eine Repräsentationslücke im linkskonservativen Spektrum füllt und sowohl traditionelle als auch neue Wählergruppen anspricht. Der Text bietet eine umfassende Einordnung und Analyse, die das Verständnis der aktuellen politischen Landschaft in Deutschland vertieft.

2.1 Eine ideologische Verortung der Partei

Das deutsche Parteiensystem hat sich seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1949 als vergleichsweise stabil in seiner Konfiguration erwiesen. Veränderungen westeuropäischer Parteiensysteme schlugen sich, mit wenigen Abweichungen, im Regelfall auch im deutschen Parteiensystem nieder. Ebenso weisen die meisten westeuropäischen Parteiensysteme in ihrer Zusammensetzung eine Reihe beachtlicher Gemeinsamkeiten auf, die auch schon früh als solche beschrieben worden sind (Lipset & Rokkan, 1967). Ein Beispiel lässt sich in der Entstehung christlicher, christdemokratischer oder christsozialer Parteien wie der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands (CDU) sowie der Christlich-Sozialen Union in Bayern e. V. (CSU) finden, ebenso aber auch in liberalen Parteien wie der Freien Demokratischen Partei (FDP). Gemeinsam haben diese Parteiensysteme ferner die Entstehung kommunistischer, sozialistischer oder sozialdemokratischer Parteien wie – im deutschen Fall – der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD).
Ende der 1970er Jahre wurde in westlichen Parteiensystemen ein neuer Konflikt zwischen materialistisch-wirtschaftlichen Interessen einerseits und postmateriell-ökologischen Interessen andererseits beschrieben. Traditionelle Werte wurden durch einen neuen liberalen Zeitgeist herausgefordert, der Feminismus, Minderheitenrechte, demokratische Mitbestimmung und Klimaschutz betonte. Dies führte zur Entstehung grüner oder grün-alternativer Parteien, darunter die Partei Die Grünen in Westdeutschland. Nach der Wiedervereinigung fusionierte die Partei mit dem in Ostdeutschland aus Kreisen der Bürgerrechts- und Ökologiebewegung entstandenen Bündnis 90 schließlich im Jahr 1993 zu Bündnis 90/Die Grünen. 1990 wurde zudem die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), ehemals Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED), deren Mitglied Sahra Wagenknecht noch im Jahr 1989 wurde, Teil des deutschen Parteiensystems. Die PDS selbst benannte sich 2005 in Linkspartei.PDS um, trat zur vorgezogenen Bundestagswahl mit der Partei Arbeit & soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative (WASG), eine Abspaltung der SPD um den früheren SPD-Parteivorsitzenden und späteren Ehemann Wagenknechts, Oskar Lafontaine, auf einer gemeinsamen Wahlliste an. 2007 folgte die Fusion beider an der Wahlliste beteiligten Parteien zur Partei Die Linke (Wurthmann, 2022).
Nachhaltige Veränderungen im deutschen Parteiensystem zeigen sich erst wieder durch Entstehung der Alternative für Deutschland (AfD) im Jahr 2013, die zunächst als konservative und wirtschaftsliberale Professorenpartei beschrieben wird. In den Folgejahren wird die Partei einen rasanten Wandel vollziehen, zunächst hin zu einer rechtspopulistischen und spätestens nach 2017 sukzessive einer in weiten Teilen rechtsextremen Partei (Pfahl-Traughber, 2019). Obgleich die beiden Parteien an entgegengesetzten Polen des politischen Spektrums stehen, stellt die AfD auch für Die Linke eine ernstzunehmende Konkurrenz dar. So wechselten bei den Bundestagswahlen 2013 und 2017 jeweils Hunderttausende Wähler, insbesondere in Ostdeutschland, von der Linken zur AfD (Hilmer & Gagné, 2018). Jesse (2018) erklärt dies damit, dass frühere Protestwähler der Linken in der AfD eine neue Alternative sahen. Mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) entsteht im Januar 2024, insbesondere hervorgegangen aus dem näheren Umfeld Sahra Wagenknechts, eine neue Partei.
Bei der analytischen Klassifizierung von Parteiensystemen Westeuropas, und damit auch dem Deutschlands, wird unterschieden in sozioökonomisch linke und sozioökonomisch rechte sowie soziokulturell liberale und soziokulturell konservative Positionen. Sozioökonomisch linke Positionen sind etwa die Befürwortung einer starken Umverteilung, höhere Steuern für Gutverdienende und staatliche Eingriffe in das Marktgeschehen. Sozioökonomisch rechte Positionen sind etwa Abwehrmaßnahmen von staatlichen Eingriffen in das Marktgeschehen, ein Abbau sozialstaatlicher Maßnahmen sowie niedrigere Steuern und ein höheres Maß an Eigenverantwortung. Soziokulturell liberale Positionen zeichnen sich durch einen Ausbau von Minderheitenrechten, Priorisierung von Individualismus über Traditionen und eine liberale Zuwanderungspolitik aus. Soziokulturell konservative Positionen stellen eine restriktivere Migrationspolitik, Traditionalismus und Patriotismus sowie in Teilen auch religiöse Werte in den Vordergrund (Marks et al., 2006; Norris & Inglehart, 2019; Dassonneville et al., 2024; Debus & Wurthmann, 2024). Wie sich die deutschen Parteien entsprechend einordnen lassen, zeigt im Folgenden die Abb. 2.1.
Abb. 2.1
Das deutsche Parteiensystem 2024 in zweidimensionaler Darstellung.
(Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung, auf Basis von Thomeczek et al., 2024a)
Demnach lassen sich vier Quadranten politischer Ausrichtungen ausmachen. Ein (1) rechtskonservativer Quadrant, in welchem CDU, CSU und AfD positioniert sind, ein (2) rechtsliberaler Quadrant, welchen die FDP besetzt, ein (3) linksliberaler Quadrant mit Linken, SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie ein (4) linkskonservativer Quadrant, in welchem das BSW durch Expertinnen und Experten verortet wird.1
Dass in diesem links-konservativen Spektrum, in welchem das BSW positioniert wird, durchaus eine politische Repräsentationslücke vor Gründung der Partei bestand, haben eine Reihe von Studien, auch mit Blick auf Deutschland, dokumentieren können (Hillen & Steiner, 2020; Steiner & Hillen, 2021; Rosset & Kurella, 2021). Es ist kein Zufall, dass Wagenknecht in ihrem Buch Die Selbstgerechten – das sowohl als Abrechnung mit ihrer damaligen Partei, Die Linke, als auch mit der deutschen Politik insgesamt verstanden werden kann – dieses Repräsentationsdefizit wie folgt beschreibt:
„Wertkonservativ und zugleich links zu sein ist kein Widerspruch. Zugespitzt könnte man ein solches Programm als linkskonservativ bezeichnen, auch wenn dieser Begriff mit dem Risiko lebt, von beiden Seiten abgelehnt zu werden: von denen, die sich als Linke verstehen, weil sie daran gewöhnt sind, im Konservatismus den politischen Gegner sehen, und von denen, die aus der konservativen Tradition kommen, weil sie nicht im Traum für möglich halten würden, dass sie zugleich links sein könnten. Die konservative und die linke Erzählung haben sich immer aus ihrem Gegensatz heraus definiert. Dessen ungeachtet haben erfolgreiche Parteien, nicht zuletzt erfolgreiche sozialdemokratische Parteien, historisch oft genau das gemacht: linkskonservative Politik“ (Wagenknecht, 2022, S. 275).
Auch aus diesem Grunde wurde schon vor Gründung des BSW antizipiert, dass es Wagenknecht mit einer neuen Partei gelingen könne, eben jenes ideologische Spektrum zu besetzen (Wagner et al., 2023).

2.2 Positionen des BSW zur Bundestagswahl 2025

Am 12. Januar 2025 hat das BSW sein erstes Bundestagswahlprogramm verabschiedet. Erste Analysen zur Programmatik des BSW basieren auf dem Gründungsmanifest, dem Europawahlprogramm 2024 sowie ersten Landtagswahlprogrammen (Holzhauser, 2024; Franzmann et al., 2024; Wurthmann & Wagner, 2024; Arzheimer, 2024; Thomeczek et al., 2024; Wurthmann, 2025). Diese kommen zu der Erkenntnis, dass das BSW durchaus moderat konservativ, sozioökonomisch eher links sowie außen- und sicherheitspolitisch eher NATO-kritisch und EU-skeptisch eingeordnet werden kann. Allerdings stellt Holzhauser (2024, S. 12) als wichtige Einschränkung fest, dass „sich das BSW-Programm jeder sozialistischen Analyse oder grundsätzlich antikapitalistischen Forderung enthält. Jedenfalls werden die identifizierten Problemlagen nicht als systemische Schwächen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung interpretiert, sondern als Elitenversagen“. Auch im Bundestagswahlprogramm 2025 ist kein solches, klassisch sozioökonomisch linkes Bekenntnis zu finden.
Wirtschafts- und Sozialpolitik
Dennoch sind die Forderungen des BSW in weiten Teilen durchaus als sozioökonomisch links zu verstehen. Die Partei fordert einen Mindestlohn von 15 €, grundsätzlich höhere Renten und einen abschlagsfreien Renteneintritt mit 63 Jahren, wenn zuvor 45 Jahre Arbeitsleben absolviert wurden. Geringverdiener und Angehörige der Mittelschicht sollen bis zu einem Einkommen von 7500 € monatlichem Brutto entlastet werden, während sehr hohe Einkommen mit einem Spitzensteuersatz versehen werden sollen. Auch fordert das BSW eine Vermögenssteuer mit einem Steuersatz von einem Prozent ab einem Vermögen von 25 Mio. Euro, welches gestaffelt ist, bis drei Prozent ab einem Vermögen von einer Milliarde Euro. Aktienrenten, die etwa die FDP befürwortet, werden als Spekulationen mit der Rente abgetan. Dies ist im Einklang mit allgemein nicht sonderlich offenen Einstellungen gegenüber dem Aktienmarkt. So schreibt das BSW, es sei „höchste Zeit, eine Finanztransaktionssteuer für alle Wertpapier- und Derivategeschäfte einzuführen, um hochspekulatives Handeln (und die Entkopplung der Finanzmärkte von der Realwirtschaft) einzudämmen und zu besteuern“ (BSW, 2025, S. 17). Ebenso, klassisch sozioökonomisch links, fordert das BSW eine Abkehr der Unterscheidung von gesetzlichen und privaten Krankenkassen und die Einführung einer für alle gleichermaßen geltenden Bürgerversicherung. In der Wohnungs- und Baupolitik wird ein verstärkter gemeinnütziger Wohnungsbau gefordert, ergänzt durch einen bundesweiten Mietendeckel – letzterer insbesondere als Alternative zu der von der Partei als ineffektiv kritisierten Mietpreisbremse. Gleichzeitig beschreibt das BSW ausführlicher, dass gesunde Ernährung inzwischen zu einem luxuriösen Lebensstil geworden sei, den sich nicht mehr alle Menschen leisten könnten. Daher fordert die Partei eine Mehrwertsteuersenkung „auf 0 % für Grundnahrungsmittel wie Fleisch, Getreide, Milchprodukte, sowie Obst und Gemüse [und] ein kostenloses, gesundes Mittagessen in Kitas und Schulen“ (BSW, 2025, S. 31).
Dass die Partei eine Anpassung des Lohnniveaus von Beschäftigten in Ostdeutschland an westdeutsche Standards fordert, höhere Tarifquoten, eine Stärkung von Gewerkschaften und die Erleichterung und juristisch stärkere Absicherung von Betriebsratsgründungen, ist ebenso mit einem sozioökonomisch linken Profil im Einklang. Interessant ist allerdings, dass im Wahlprogramm ebenso deutliche Forderungen nach einer Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe und des Mittelstands enthalten sind. Ferner fordert das BSW explizit keine Abkehr von der Schuldenbremse, allerdings sehr deutliche Reformen. Beispielsweise ist die Partei der Auffassung, man müsse „Investitionen in Brücken, Straßen, Schienen, Schulen, Wohnungen und Netze aus der Schuldenbremse ausklammern und den dramatischen Investitionsstau, der zum Verfall unserer Infrastruktur führt, ohne weiteren Verzug durch ein großes Investitionsprogramm beheben“ (BSW, 2025, S. 15).
Gesellschaftspolitik
In gesellschaftspolitischen Fragen nimmt das BSW moderate bis konservative Positionen ein. Es will mehr Sichtbarkeit der Polizei im öffentlichen Raum und irreguläre Migration, damit meint die Partei explizit illegale Grenzübertritte, deutlich eindämmen. Verbunden wird dies mit einer Grundsatzkritik am europäischen Asylrecht, welches als dysfunktional beschrieben wird. Kombiniert wird dies mit euroskeptischen Nuancen, bei denen europäische Institutionen als nicht bürgernahe skizziert werden. In diesem Kontext fordert das BSW daher, Kompetenzen von der Europäischen Union an die Nationalstaaten zurückzuverlagern und zunächst keine Erweiterungen der EU vorzunehmen. Sehr klar macht das BSW dabei, dass es hierbei insbesondere eine EU-Erweiterung um die Ukraine ablehnt (BSW, 2025, S. 9).
Wenig konservativ ist die BSW-Forderung, Schwangerschaftsabbrüche bis zur 12. Schwangerschaftswoche grundsätzlich straffrei zu stellen. In weiteren Aspekten ihres frauenpolitischen Programms positioniert sich das BSW allerdings als Gegner des erst kürzlich eingeführten Selbstbestimmungsgesetzes für trans* Personen. Die Partei fordert in diesem Zusammenhang „Frauenrechte statt Gender-Ideologie“ (BSW, 2025, S. 33). Auch dies ist weniger überraschend, nachdem Wagenknecht gemeinsam mit der trans*-exklusiven Radikalfeministin (auf Englisch auch transexclusionary radical feminist [TERF] genannt) Alice Schwarzer den „Aufstand für Frieden“ im Februar 2023 organisiert hatte.
Das BSW bekennt sich zwar klar zum Pariser Klimaabkommen, kritisiert aber Mittel und Wege, wie versucht werde, dieses einzuhalten. Insbesondere (vermeintliche) deutsche Alleingänge in der Emissionspolitik werden als den Wirtschaftsstandort Deutschland schädigend beschrieben. Gleichzeitig wird der Neubau konventioneller Atomkraftwerke abgelehnt. Deutlich verteidigt die Partei wiederum die Stromerzeugung durch Kohle und den Ausbau von erneuerbaren Energien. Explizit will die Partei „die Errichtung von [Photovoltaik]-Anlagen auf öffentlichen Gebäuden, auf Parkplätzen, Ställen und Werkshallen fördern“ (BSW, 2025, S. 11–12). Auch fordert das BSW, Gaslieferungen aus Russland durch die noch bestehende Nord-Stream-Pipeline wieder einzusetzen.
Ferner fordert das BSW eine Aufarbeitung der Corona-Politik und eine Amnestie für Menschen, die während der Höchstphase der Pandemie aufgrund der Nichtbeachtung von Maßnahmen belangt wurden – hierzu hat Wagenknecht noch 2021 angekündigt, sich beispielsweise nicht gegen Corona impfen zu lassen (Tagesspiegel, 2022).
Außen- und Sicherheitspolitik
Themen der Außen- und Sicherheitspolitik sind nur schwerlich in die zweidimensionale Einordnung Schematisierung des deutschen Parteiensystems sowie westeuropäischer Parteiensysteme im Allgemeinen zu integrieren (Wurthmann & Wagner, 2024). Gleichzeitig hat sich die Position von Wagenknecht und dem BSW im Speziellen als einer der Faktoren erwiesen, anhand derer Unterstützung und Wanderungen von Wählerinnen und Wählern zum BSW feststellbar sind (Roosen, 2024; Heckmann et al., 2025). Es erscheint naheliegend, dass die Partei sich daher beschreibt als „die einzige Friedenspartei im Deutschen Bundestag, die die aktuelle Hochrüstung ebenso konsequent ablehnt wie Waffenlieferungen in Kriegsgebiete“ (BSW, 2025, S. 2). Ausführlich warnt die Partei vor der Gefahr eines Atomkriegs, positioniert sich gegen jegliche Aufrüstungen und fordert ein allgemeines Verbot von Rüstungsexporten. Ferner plädiert das BSW – im Mantra der klassischen Friedensbewegung – dafür, Frieden könne nur ohne Waffen geschaffen werden. Stattdessen werden diplomatische Bemühungen gefordert, „um einen Waffenstillstand ohne Vorbedingungen“ (BSW, 2025, S. 7). Dass dies in letzter Instanz bedeuten würde, im Zweifel allen Forderungen des russischen Aggressors Putins zu entsprechen, klammert die Partei hierbei allerdings, wenig verwunderlich, aus. Mit Blick auf den Nahen Osten verurteilt das BSW in seinem Programm sehr deutlich die israelische Regierung Netanjahus und fordert „ernsthafte Verhandlungen über eine Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israel und den Palästinensern“ (BSW, 2025, S. 8).
Zusammenfassend sind vorangegangene Einordnungen zur Ausrichtung des BSW zur Bundestagswahl 2025 weiterhin gültig. Die Partei besetzt mit sozioökonomisch linken und soziokulturell in weiten Teilen moderaten bis konservativen Ansichten das linkskonservative Spektrum, welches eine Einordnung im entsprechenden Quadranten rechtfertigt (siehe u. a. Holzhauser, 2024; Franzmann et al., 2024; Wurthmann & Wagner, 2024; Arzheimer, 2024; Thomeczek et al., 2024; Wurthmann, 2025). Außen- und sicherheitspolitische Positionen können in dieses Schema allerdings nicht integriert werden. Gerade diese Positionen machen allerdings einen enormen Bestandteil der BSW-Identität aus und haben in der Vergangenheit zum Vorwurf geführt, die Partei befinde sich auf „Linie mit der russischen Propaganda“ (Siggelkow, 2024). Dass die Partei in ihrem Programm die Auffassung darlegt, „der Krieg in der Ukraine, der von Russland begonnen wurde, wäre durch eine andere US-Politik im Vorfeld vermeidbar gewesen“ (BSW, 2025, S. 38), wird zumindest, so darf man annehmen, im Kreml in Moskau sicherlich nicht zu Verärgerung geführt haben.

2.3 Einstellungen und Motive der BSW-Wahl vor der Bundestagswahl 2025

Dem BSW gelingt es, Menschen anzusprechen, die eher eine migrationskritische und pro-wohlfahrtsstaatliche Einstellung haben (Heckmann et al., 2025; Jankowski, 2024). Allerdings haben eine Reihe von Untersuchungen auch Indizien dafür vorgelegt, dass die Unterstützerinnen und Unterstützer der neuen Partei sozioökonomisch zentristische bis in Teilen wirtschaftsliberale Tendenzen aufweisen (Wagner et al., 2023; Roose, 2024; Braband & Candeias, 2024; Wurthmann & Wagner, 2025). Gleichwohl zeigen weitere Untersuchungen, dass primär sozialpolitisch links orientierte Menschen zur Europawahl 2024 zum BSW übergelaufen sind (Heckmann et al., 2025). Unstrittig ist allerdings die starke Migrationsskepsis als BSW-Wahlmotiv (Roose, 2024; Wurthmann & Wagner, 2024, 2025; Jankowski, 2024; Steiner & Hillen, 2024; Heckmann et al., 2025), die durch eine ausgeprägte Angst vor Zuwanderung begleitet wird (Hirndorf, 2024).
Mitunter ein Grund dafür, dass Unterstützerinnen und Unterstützer des BSW, wenn sie denn vor die Wahl gestellt werden, sich zwischen Wirtschaftswachstum oder Bekämpfung des Klimawandels zu entscheiden, eher für Wirtschaftswachstum entscheiden (Roose, 2024; Wurthmann & Wagner, 2025), mag darin zu finden sein, dass sie keine Angst vor der globalen Klimaerwärmung und seinen Folgen haben (Hirndorf, 2024). Mitunter erklärt dies auch, weswegen bei ihnen grundsätzlich keine Abneigung gegenüber fossilen Brennstoffen und Atomkraft vorliegt (Roose, 2024; Wurthmann & Wagner, 2024). Sehr große Sorgen haben die Anhängerinnen und Anhänger allerdings vor einem Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft und den Folgen dieser Krise (Hirndorf, 2024). Entsprechend ist zu erklären, weswegen die Empfindung, Deutschland befinde sich in einer Rezession, ein leitendes Motiv war, bis zur Europawahl 2024 zum BSW überzulaufen (Heckmann et al., 2025).
Wurthmann und Wagner (2024) zeigen mit Blick auf das BSW, dass Unterstützerinnen und Unterstützer der Wagenknechtpartei einerseits Waffenlieferungen an die Ukraine nahezu kompromisslos ablehnen, andererseits der Überzeugung sind, die russische Invasion der Ukraine sei durch die NATO provoziert worden. In der Tat eine interessante Kongruenz zum BSW-Wahlprogramm bei der Bundestagswahl 2025, welches deutlich vorsichtiger formuliert, aber in eine ähnliche Richtung deutet. Auch aufgrund dieser klaren programmatischen Überschneidung von Sahra Wagenknecht, die sich selbst als letzte verbleibende Stimme der Friedensbewegung inszeniert (Arzheimer, 2024; Wurthmann & Wagner, 2024), den Positionen der Partei und den Präferenzen der eigenen Anhänger, ist es wenig verwunderlich, dass die Ukraine-Politik zu einem treibenden Faktor wurde, zum BSW überzulaufen (Heckmann et al., 2025; Wurthmann & Wagner, 2025).
Menschen mit BSW-Wahlintention sind weniger zufrieden damit, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert (Roose, 2024; Jankowski, 2024). Allerdings sind sie aufgrund dieser Unzufriedenheit nicht automatisch antidemokratisch eingestellt (Wagner et al., 2023). Dass sich hieraus ein Motiv für eine BSW-Wahlentscheidung ergibt, findet Roose (2024) auf Basis einer umfangreichen Repräsentativbefragung nicht.
Erste Analysen zum BSW und seinen möglichen Potenzialen formulierten die vorsichtige Annahme, dass es dem BSW gelingen könnte, Anhängerinnen und Anhänger der AfD von sich zu überzeugen (Wagner et al., 2023; Braband & Candeias, 2024). Ein Befund, der mit Blick auf die Europawahl 2024 bestätigt wurde (Jankowski, 2024), wenngleich dabei zu betonen ist, dass es sich hierbei um primär zwischen 2021 und 2023 zu dieser Partei übergelaufene handelt, weniger um langfristige AfD-Unterstützerinnen und -Unterstützer (Heckmann et al., 2025). So ist auch zu erklären, dass zwar weit über 70 Prozent der Anhängerinnen und Anhänger der etablierten Parteien CDU/CSU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke bei dem Gedanken, die AfD könne an einer Regierung beteiligt werden, Angst verspüren. Bei den Anhängern des BSW sind es hingegen nur 49 Prozent und bei der AfD – wenig verwunderlich – nur drei Prozent (Hirndorf, 2024). Auch insgesamt lassen sich eine Reihe systematischer Unterschiede zwischen Wählerinnen und Wählern des BSW und der AfD feststellen, die Ausdruck dessen sind, hier keineswegs eine in sich homogene Gruppe anzutreffen (Pickel et al., 2024).
Insgesamt zeigt sich, dass das BSW in seiner ideologischen Positionierung, der inhaltlichen Ausrichtung des Wahlprogramms und den Motiven der eigenen Anhängerinnen und Anhänger ausgesprochen kongruent ist. Das gilt vor allem mit Blick auf gesellschaftspolitische und außen- sowie sicherheitspolitische Aspekte. Die derzeit noch wechselhaften Befunde zum sozioökonomischen Profil der Anhänger können einerseits Ausdruck weiterhin bestehender Unsicherheiten sein. Andererseits können sie auch ein Indiz dafür sein, dass das BSW verschiedene Teile der Gesellschaft auch in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen für sich gewinnt. Denn sehr groß sind die Schwankungsbreiten gerade in dieser Frage keinesfalls.
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Fußnoten
1
Es sei an dieser Stelle allerdings darauf hingewiesen, dass diese zweidimensionale Darstellung einerseits nicht in der Lage ist, antidemokratische Positionen hinreichend abzubilden, was insbesondere mit Blick auf die AfD von nicht zu unterschätzender Relevanz ist. Andererseits sind auch außenpolitische Einstellungen, die insbesondere vor dem Hintergrund der russischen Invasion in der Ukraine eine sehr zentrale Rolle für die BSW-Unterstützung spielen (Wurthmann & Wagner, 2024; Heckmann et al., 2025; Wurthmann & Wagner, 2025), hierbei nicht hinreichend abgebildet.
 
Metadaten
Titel
Das Bündnis Sahra Wagenknecht im deutschen Parteiensystem
verfasst von
Sarah Wagner
L. Constantin Wurthmann
Copyright-Jahr
2025
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-48042-4_2