Skip to main content

2008 | Buch

Das Weltsystem des Erdöls

Entstehungszusammenhang, Funktionsweise, Wandlungstendenzen

verfasst von: Lutz Zündorf

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

insite
SUCHEN

Über dieses Buch

Diesem Buch liegt die Vorstellung zugrunde, dass Erdöl eine nicht verme- bare, für viele Zwecke nutzbare und daher international umkämpfte Resso- ce ist, um deren Kontrolle sich ein komplexes und dynamisches System von Staaten, Unternehmen, Organisationen und Märkten herausgebildet hat, das man als Weltwirtschaft des Erdöls bezeichnen kann. Dieses System umfasst Öl verbrauchende Industrieländer und Öl exportierende Entwicklungsländer, multinationale Mineralölkonzerne aus den industriellen Importländern und Staatskonzerne aus den Exportländern, Märkte für Rohöl und Ölprodukte, sowie die OPEC als internationales Kartell der Exportstaaten und Geg- macht zu den multinationalen Konzernen der Industrieländer. Dieses pol- ökonomische Netzwerk hat sich von den Vereinigten Staaten ausgehend mit fortschreitender Industrialisierung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts an auf immer mehr Länder ausgedehnt und umfasst nahezu die ganze Welt. Die Globalisierung des Mineralölkomplexes kann aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Aus historischer Sicht ist vor allem der P- zess von Interesse, in dem Öl geschichtsmächtig wird und den Gang der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung beeinflusst. Historiker identi- zieren historische Weichenstellungen und rekonstruieren Entwicklungspfade, Kontinuitäten und Brüche. Geologen gehen von der Tatsache aus, dass es sich bei Erdöl um eine nicht vermehrbare Ressource handelt, die auf dem Globus ungleich verteilt ist und in den verschiedenen Regionen zu besti- baren Zeiten erschöpft sein wird. Auf der Basis theoretischer Überlegungen und empirischer Daten über Ölfunde, Fördermengen und Reserven ent- ckeln sie Hypothesen über den Produktionsverlauf und die statistische Rei- weite des Öls. Ökonomen befassen sich vorrangig mit der In-Wert-Setzung und Bewertung des Erdöls.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Einleitung
Auszug
Diesem Buch liegt die Vorstellung zugrunde, dass Erdöl eine nicht vermehrbare, für viele Zwecke nutzbare und daher international umkämpfte Ressource ist, um deren Kontrolle sich ein komplexes und dynamisches System von Staaten, Unternehmen, Organisationen und Märkten herausgebildet hat, das man als Weltwirtschaft des Erdöls bezeichnen kann. Dieses System umfasst Öl verbrauchende Industrieländer und Öl exportierende Entwicklungsländer, multinationale Mineralölkonzerne aus den industriellen Importländern und Staatskonzerne aus den Exportländern, Märkte für Rohöl und Ölprodukte, sowie die OPEC als internationales Kartell der Exportstaaten und Gegenmacht zu den multinationalen Konzernen der Industrieländer. Dieses politökonomische Netzwerk hat sich von den Vereinigten Staaten ausgehend mit fortschreitender Industrialisierung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts an auf immer mehr Länder ausgedehnt und umfasst nahezu die ganze Welt.
1. Struktur und Dynamik der kapitalistischen Weltwirtschaft
Auszug
Der theoretische Bezugsrahmen zur Analyse der Strukturbildungen, der Funktionsweise und der Entwicklungsdynamik der Weltwirtschaft des Erdöls besteht aus einer Konfiguration von drei miteinander verbundenen Begriffskomplexen: „Weltwirtschaft“, „Kapitalismus“ und „lange Wellen“. Mit „Weltwirtschaft“ ist nicht die Wirtschaft der ganzen Welt gemeint, sondern lediglich ein Ausschnitt, eine Mehrzahl von Ländern, die durch weltweite Arbeitsteilung und internationalen Austausch miteinander verbunden und voneinander abhängig sind. „Weltwirtschaft“ repräsentiert den sich nur langsam verändernden strukturellen Rahmen, in dem der Kapitalismus als Profit orientierte, innovative und expansive Wirtschaftsweise seine eigentümliche Dynamik entfaltet und dabei auf Struktur und Funktionsweise der Weltwirtschaft zurückwirkt. Der Begriff der langen Wellen bezieht sich auf die grundlegenden Reproduktions- und Entwicklungsmechanismen von Weltwirtschaft und Kapitalismus und unterstellt, dass sich beide nicht kontinuierlich sondern zyklisch, in Abfolgen von Konjunkturen und Krisen, verändern. Die drei Leitbegriffe werden im Folgenden weiter ausgearbeitet, um einen raum-zeitlich umfassenden und strukturell differenzierten Bezugsrahmen für die empirische Analyse der Weltwirtschaft des Erdöls zu erhalten.
2. Die langen Wellen der ölbasierten Wirtschaft
Auszug
In diesem Kapitel geht es um die Bedeutung des Erdöls als nicht vermehrbaren Rohstoff, als Schlüsselfaktor der wirtschaftlichen Entwicklung und als strategische Ressource im Weltsystem. Den drei Bedeutungen des Erdöls entsprechen drei Typen von langen Wellen: die lange Welle der Weltölförderung, der vierte industriewirtschaftliche Kondratieff-Zyklus und der politökonomische US-Hegemonialzyklus. Die lange Welle der Weltölförderung liefert den quantitativen Rahmen für die beiden ökonomisch-politischen Zyklen; ohne massenhafte Verfügbarkeit billigen Öls hätte dieser Rohstoff nicht zum Schlüsselfaktor der wirtschaftlichen Entwicklung avancieren und ohne diese Qualifikation keine global-strategische Bedeutung gewinnen können. Umgekehrt hätte sich die Weltölförderung ohne die technologischen Innovationen des vierten Kondratieff-Zyklus und die zunehmende strategische Bedeutung dieses vielfältig nutzbaren Rohstoffs nicht in dem beobachteten Maße entwickeln können. Quantitative und qualitative Faktoren wirken also aufeinander ein, verstärken sich gegenseitig und müssen in ihren Wechselwirkungen analysiert werden.
3. Die Inkorporation externer Regionen
Auszug
Thema dieses Kapitels ist die Eroberung und Erschließung der weltweiten Erdölvorkommen unter Führung der Hegemonialmächte Großbritannien und der Vereinigten Staaten von Amerika. Mit dem Leitbegriff der Inkorporation untersuchen wir die wirtschaftlichen und politischen Prozesse, in deren Verlauf externe, noch außerhalb der Weltwirtschaft liegende Regionen zu Peripherien, d. h. zu integralen Bestandteilen des erweiterten Systems werden und darin unentbehrliche Funktionen erfüllen, im vorliegenden Fall die Versorgung der industriellen Verbrauchsländer mit Rohöl. Indem die Einnahmen aus dem Rohölexport über den Import von Industrieerzeugnissen und Dienstleistungen aus den Zentrumsländern in diese zurückfließen, schließt sich der Kreis und begründet sich eine wechselseitige Abhängigkeit von Zentrum und Peripherie.
4. Gegenmacht aus der Peripherie
Auszug
Im vorigen Kapitel haben wir mit dem Begriff der Inkorporation den im Prinzip interaktiven Prozess der Eingliederung externer Regionen in die Weltwirtschaft aus der Perspektive der Zentrumsländer betrachtet. Ausgangspunkte waren die asymmetrische Grundstruktur des Weltsystems und die polit-ökonomischen Interessen der Zentrumsländer, die die Auswahl der Regionen und die Methoden ihrer Einbindung in die arbeitsteilige Weltwirtschaft weitgehend bestimmt haben. Dabei zeigte sich, dass die strukturelle Asymmetrie zwischen Zentrum und Peripherie keine konstante Größe ist, sondern im Verlauf der Inkorporationsprozesse in den verschiedenen Ländern stark variierte. Konstellationen, in denen die Konzerne und Regierungen der Zentrumsländer beinahe allmächtig erschienen und die Eliten der peripheren Gastländer offenbar beliebig manipulieren konnten, wechselten mit Situationen, in denen inländische Machthaber ausländische Konzerne unter erheblichen Druck setzten und zu signifikanten Verhaltensänderungen bewegen konnten. Inkorporation ist eben nicht nur ein Verhandlungsprozess, sondern auch ein Machtkampf, der in unterschiedlichen Formen und Intensitäten ausgetragen wird und in dem sich die Machtbalancen diskontinuierlich verändern.
5. Weltwirtschaftliche Integration
Auszug
In diesem Kapitel geht es um die Frage, wie Unternehmen und Regierungen des Zentrums und der Peripherie die Phase der Konfrontation überwunden und neue Koordinationsmechanismen gefunden haben, nachdem ihnen klar geworden war, dass sie ihre jeweiligen Interessen nicht gegen, sondern nur mit der jeweils anderen Seite verwirklichen können. Eine Rückkehr zum alten Regime der multinationalen Konzerne kam ebenso wenig in Frage wie die Aufrechterhaltung des revolutionären Regimes der OPEC. Schon in der ersten und verstärkt in der zweiten Ölkrise hatten sich Marktmechanismen in Form von Spotmärkten spontan entfaltet und dazu beigetragen, das festgefahrene System aufzulockern und die antagonistischen Blöcke voneinander abzupuffern. Als Vorteil des Marktes erwies sich seine Grundeigenschaft, Koordination ohne übereinstimmende Ziele der Tauschpartner beziehungsweise Tauschgegner herstellen zu können. Damit kommen wir zu der Hypothese, dass aus der Phase der gegenläufigen Machtbildungen eine neue Integrationsweise hervorgeht, in der weder die multinationalen Konzerne (wie in der Inkorporationsphase), noch die Regierungen der Öl exportierenden Länder (wie in der Revolutionsphase), sondern „neutrale“ Marktmechanismen das bestimmende Integrationselement bilden. Dieser Integrationsmodus dauert bis heute an.
6. Die Zukunft des Erdölsystems
Auszug
Die Frage nach der Zukunft des globalen Erdölsystems lässt sich aus der strukturalistischen Weltsystemperspektive und den mit ihr verbundenen Modellen zyklischen Wandels nur in sehr allgemeiner Weise beantworten. Obwohl diese Konzeptionen raum-zeitlich weit reichen, sind sie doch auch selektiv. Wie jedes theoretische Bezugssystem ist auch das hier verwendete auf bestimmte Aspekte und Ausschnitte der Wirklichkeit fokussiert und blendet andere aus. Diese unausweichliche Begrenzung ist in der sozialen Welt, in der alles irgendwie mit allem zusammenhängt, eine Quelle der Ungewissheit und des Irrtums. Unerkannte oder für unbedeutend gehaltene Ereignisse der Vergangenheit können sich im Nachhinein als Ausgangspunkte folgenreicher Entwicklungspfade erweisen. Langsame, kaum merkliche „tektonische“ Verschiebungen können zu plötzlichen Strukturbrüchen führen. Unvorhersehbare Wirtschaftskrisen, politische Revolutionen, Kriege und andere Katastrophen können Sozialstrukturen zerstören, Funktionsmechanismen außer Kraft setzen, Entwicklungstrends umlenken.
7. Anhang
Backmatter
Metadaten
Titel
Das Weltsystem des Erdöls
verfasst von
Lutz Zündorf
Copyright-Jahr
2008
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-91217-2
Print ISBN
978-3-531-16085-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-91217-2