2.1 Methodischer Hintergrund
Es wurden acht idealtypische Personas mittels der ursprünglich von Cooper (
2004) vorgestellten und weiterentwickelten Methode, als eine Form der nutzorientierten Gestaltung (DIN EN ISO 9241-210
2010), designt (Rönkkö et al.
2004; Chapman und Milham
2006; Junior und Filgueiras
2005). Die im Folgenden dargestellte konkrete Entwicklung der Personas orientiert sich an dem Vorgehen von Adlin und Pruitt (
2010), und Wobig (
2012).
Personas stellen hypothetische Archetypen aktueller Benutzer und Konsumenten dar (Cooper
2004; Grudin und Pruitt
2002; Junior und Filgueiras
2005; Miller und Williams
2006). Entstanden sind diese Archetypen im Kontext der Entwicklung und Evaluierung von neuer Software, mit der Frage nach potentiellen Benutzern (Nunes et al.
2010). Wichtige Merkmale bei ihrer Ausgestaltung sind der Präzisionsgrad und der Spezifikationsgrad. Diese entscheiden in einer narrativen Erzählweise, wie „echt“ die entworfenen Personas wirken (Schweibenz
2004; Cooper
2004; Miaskiewicz und Kozar
2011). Im Mittelpunkt der Beschreibung stehen die Interessen, Meinungen und Ziele potentieller Benutzer, welche sowohl durch die Datenlage, als auch durch fiktionale, vom Ersteller aber begründbare und nachvollziehbare Elemente, von Entwicklern designt werden (Konstan et al.
2012; Coney und Steehouder
2000; Pruitt und Grudin
2003). Durch Fotos und Zitate wurden diesen Personas anschaulichere, lebendigere und persönlichere Charakteristika verliehen.
2.2 Datenbasierter Hintergrund
In einer als Längsschnittstudie angelegten Untersuchung ging es um eine periodisch wiederkehrende Erfassung des Einsatzes von IKT-Technologien insbesondere im Hinblick auf medizinische Versorgungsprozesse bei älteren Erwachsenen (Mertens et al.
2017). Bestehende Instrumente wurden in der ersten Runde mit demographischen und gesundheitsbezogenen Standardinstrumenten und neuen Items kombiniert. Das Befragungsinstrument wurde thematisch in unterschiedliche Abschnitte unterteilt. Die zum großen Teil quantitativen Fragen wurden durch offene Fragen ergänzt, um vertiefende Beweggründe und Motive erfassen zu können.
Im ersten Abschnitt wurden demographische Daten abgefragt. Neben klassischen Variablen, waren auch altersspezifische deskriptive Werte, wie beispielsweise die Rentenjahre, der (frühere) Beruf und potentielle chronische Krankheiten, von Interesse. Daran anschließend wurde die durchschnittliche tägliche IKT- und Internetbenutzung thematisiert, gefolgt von dem Gebrauch von IKT und gesundheitsrelevanten Geräten. Der nächste Abschnitt befasste sich mit dem Thema gesundheitsbezogener Informationsbedarf und -verhalten. Schließlich erfolgte die Erfassung allgemeiner Anwendungen und der Benutzung von IKT im Alltag. Dann erfolgte die Abfrage etablierter und für die Zielgruppe bereits mehrfach erfolgreich eingesetzter Fragebögen: Die Computer Literacy Scale (CLS) (Sengpiel und Dittberner
2008), die Technikneigung nach Neyer et al. (
2012), die soziale Erwünschtheit (Winkler et al.
2006), und einer angepassten Version der Health Literacy Scale (HLS) nach Sørensen et al. (
2015). Am Ende des Fragebogens konnten die Teilnehmer eigene Bemerkungen hinzufügen.
Ein papierbasierter Fragebogen wurde an 5000 zufällig ausgewählte Personen innerhalb Deutschlands verschickt. Die Antwortrate der Teilnehmer lag bei 11 % (
N = 551) mit einem mit einem Durchschnittsalter von 69,71 Jahren (SD = 5,787). Das Geschlechterverhältnis der Stichprobe ist, mit einem Männeranteil von 51,3 % und einem Frauenanteil von 48,7 %, ausgewogen. Deskriptive Ergebnisse sowie eine detailliertere Beschreibung des Fragebogens finden sich bei Mertens et al. (
2017). Vertiefende Analysen dieser Studie sind bei Rasche et al. (
2018), Bröhl et al. (
2018) und Theis et al. (
2018) nachzulesen. Die Studie wird alle drei Jahre erneut durchgeführt werden, um auf Anforderungs- und Parameteränderungen in der Entwicklung der Zielgruppe reagieren zu können. Hintergrund ist die Annahme, dass durch die immer kurzzyklischere Entwicklung neuer technischer Produkte und deren Einzug in den Alltag von immer mehr Menschen eine valide Erfassung der Erfahrungen fundamental bei der kontinuierlichen Technikintegration auf die Einstellung gegenüber entsprechenden Unterstützungssystemen ist (Mertens
2014).
2.3 Auswertung der Datenbasis
Vor der Erstellung der datenbasierten Personas musste der Anwendungsbereich klar abgegrenzt werden. Konkret wurde das Problem der Gestaltung medizintechnischer Produkte für ältere Benutzer definiert. Entsprechend sollten verschiedene Typen der Benutzer nachgezeichnet werden, um Entwickler für deren Bedürfnisse zu sensibilisieren. In diesem Fall wurden vier Abstufungen der Technikaffinität gewählt, um so Nuancen in der Benutzung von IKT und Medizintechnik aufzeigen zu können. Sie wurde durch die Wahl der Technologien (Smartphone, Tablet-PC, Computer und weitere zu einer Kategorie zusammengefasste nicht-technische Medien), in Verbindung mit dem Gebrauch von Apps, abgebildet. Diese zeigte sich exemplarisch in der Verwendung unterschiedlicher Dienstleistungen, bspw. Online-Banking, Fahrkartenkauf oder der Benutzung sozialer Netzwerke. Die erste Gruppe, die am technikaffinsten einzustufen ist, umfasste dabei ein n = 29, die zweite ein n = 77, die dritte ein n = 102 und die vierte ein n = 135.
Die gebildeten Gruppen dienten als Ausgangspunkt für eine vertiefende Analyse der vorliegenden Daten. Darüber hinaus wurden das Geschlecht und die Benutzung von Apps bei der vertiefenden Analyse im besonderen Maße berücksichtigt, um erste spezifische Verhaltensweisen für die Persona abzuleiten. Während durch die Variable der Benutzung von Apps eine Abgrenzung der Abstufungen der Technikaffinität weiter geschärft werden sollte, wurden durch die Variable des Geschlechtes spezifische Verhaltensweisen und geschlechtertypische Unterschiede in der Benutzung technischer Geräte aufgezeigt (Marsden et al.
2014). Analysiert wurde außerdem, wie sich diese Ausprägungen auf die Einstellung gegenüber medizinischen Fragestellungen und medizintechnischen Gerätschaften auswirken. Der Datensatz wurde unter Zuhilfenahme der ausgewählten Ausprägungen deskriptiv ausgewertet.
Nach der Analyse der Daten erfolgte eine Zuordnung dieser in insgesamt fünf relevante Kategorien. Diese wurden in Anlehnung an die bisher existierende Methodik der Entwicklung von Personas (Abschn. 2.1) ausgewählt. Für die hier beschriebene Fragestellung ergaben sich in einem ersten Schritt vier Kategorien, für die Personas eine Rolle während des Entwicklungsprozesses von IKT und Medizintechnik spielen: persönlicher Hintergrund, gesundheitliche Situation, Informationsbedarf bei medizinischen Fragestellungen und die Einstellung gegenüber technischen Geräten (s. Tab.
1). Diesen Kategorien wurden Ergebnisse aus der Auswertung zugeordnet. Darüber hinaus wurde eine fünfte Kategorie gebildet, die weiterführende Informationen gesammelt wurden, um die Personas realistischer und greifbarer zumachen. Darunter fielen u. a. Zitate, die im Rahmen der Längsschnittstudie erhoben worden sind, potentielle Bilder für die Personas oder eine erste Auswahl von Namen und Berufen.
Tab. 1
Merkmale der datenbasierten Personas
Table 1
Characteristics of the data-based personas
(Geschlecht) | Krankheiten | Gesundheitskompetenz | Technikaffinität | Zitate |
Alter | Gesundheitskompetenz | Informationsbedarf | Technikerfahrung und -vorlieben | Fiktionale Elemente |
Wohnort und -art | Nutzung Gesundheitsapps | Zufriedenheit Informationsquellen | Gerätebesitz und Erwerbsgrund | Externe Datenquellen |
Bildungsabschluss | – | – | Internetnutzung | Bilderquellen |
Berufliche Karriere | – | – | Installation von Programmen | – |
– | – | – | Integration Technik im Alltag | – |
Nach der Auswertung der Daten erfolgte eine Auswahl der endgültigen Anzahl der Personas. Hierbei wurde ebenfalls Bezug zu der gängigen Literatur genommen. Basierend auf den identifizierten Kategorien wurde der Entschluss, unter Berücksichtigung der Variable Geschlecht, für eine Anzahl von acht Personas gefasst. Die gewählte Anzahl der Personas entspricht, so die Argumentationslinie von Marsden et al. (
2014), einer gängigen Anzahl in der Praxis. Durch diese Anzahl sollte einerseits sichergestellt werden, dass der Trend der Ergebnisse der Längsschnittstudie korrekt wiedergegeben wurde, andererseits individuelle Merkmale einzelner Gruppen Berücksichtigung finden würden.
Anschließend ging es darum die vorliegenden Daten und Quellen, die nicht zur Längsschnittstudie zählten, hinzuzuziehen. Dadurch sollte der Präzisionsgrad der Personas weiter steigen. Durch diese externen Daten wurde eine Nachvollziehbarkeit im Sinne bekannter und wiedererkennbarer Merkmale gesellschaftlicher (Teil‑)Gruppierungen der Personas angestrebt (Cooper
2004; Böhm et al.
2009). Beispielsweise wurden die Namen nicht zufällig ausgewählt, sondern dem Onlineverzeichnis „beliebte-vornamen.de“ entnommen, das die häufigsten vorkommenden Vornamen nach Jahrgängen sortiert. Ebenfalls wurden erhobene Krankheitsbilder weiter spezifiziert und passende Berufe für Berufs- und Ausbildungsgruppen ergänzt, wie bspw. durch die Homepage der Bundesagentur für Arbeit und der ICD-10-GM Version 2018 für Krankheiten. Unterschiedliche Alterskrankheiten, wie Bluthochdruck, Übergewicht und Arthrose, wurden bei der gesundheitlichen Situation in den Personas berücksichtigt. Darüber hinaus konnten spezifische Krankheitsbilder, wie Herzprobleme infolge eines Herzinfarktes, eine Schilddrüsenüberfunktion und Diabetes, identifiziert werden (OECD und EU
2016; World Health Organization
2016). Innerhalb der Personabeschreibungen werden diese spezifischen Krankheitsbilder mit einbezogen und der Umgang damit umrissen. Gleichzeitig wird das weitere Handeln der Personas im Kontext dieser Krankheitsbilder gesehen. Beispielsweise wurde ihr Interesse an Informationen im gesundheitlichen Sektor einerseits an das Krankheitsbild, dass ihnen zugeordnet wurde, angepasst, andererseits basierten Charaktermerkmale auf der Datenlage der entsprechenden gesundheitsbezogenen Kategorie. Darüber hinaus wurde der jeweilige Beruf als weiterer Bezugspunkt für die Personas gewählt. Um einen stärkeren Bezug zu den Personas herstellen zu können, wurden sie um passende Bilder, die den Charakteristika der jeweiligen Personas am ehesten entsprachen, ergänzt. Die Auswahl erfolgte gemeinsam mit einem interdisziplinären Expertengremium und Endbenutzern. Fragen, die zu der Auswahl führten, waren u. a.: Ist es potentiell möglich, sich die Person in dem gewählten Berufsbild und mit der ausgewählten Krankheit vorzustellen? Kann man sich die Person auf dem Foto mit der dargestellten Beschreibung vorstellen? Durch die gemeinsame Diskussion sollte sichergestellt werden, dass die individuellen Merkmale der einzelnen Personen sich in den Fotos widerspiegeln. Innerhalb der Diskussion um die Fotos wurden widersprüchliche Emotionen in Bezug auf die Fotos und ihren konkreten Wiedererkennungswert zu Personen festgestellt. Dies könnte sich auch negativ auf die Verwendung und auch die Entwicklung von Empathie von Personas auswirken. Da jedoch mit Long (
2009) postuliert werden kann, dass mit gänzlich abstrakten Fotos der Aspekt der Empathie stark abnimmt, wurden die Fotos real existierender Menschen nur mit einem Filter leicht abstrahiert. Anschließend wurden gewisse persönliche Informationen der Personas fiktional ergänzt, insbesondere wenn es um kennzeichnende Verhaltensmuster ging (Vincent und Blandford
2014). Es wurde darauf geachtet, dass die fiktionalen Elemente in sich schlüssig und nachvollziehbar waren und eine sinngebende Geschichte erzählen (Quesenbery
2006). Unter Berücksichtigung von Marsden et al. (
2014), wurde ein Wiedererkennungswert zwischen den Personas und real existierenden Personengruppen angestrebt, um sinnstiftende Personas zu schaffen. Aus diesen Grund erfolgte eine systematische und kritische Verwendung von Stereotypen. Innerhalb der Entwicklung von Personas ist es dabei üblich, sich diesen zu bedienen (Marsden et al.
2014; Pruitt und Grudin
2003). Darunter fiel zum großen Teil die familiäre Situation der Personas.
Anschließend wurden Steckbriefe der acht Personas angefertigt. Diese Steckbriefe wurden innerhalb eines interdisziplinären Expertengremiums (aus den Bereichen Medizin, Informatik, Ingenieurwissenschaft, Psychologie, Informationswissenschaft und Soziologie), evaluiert und entsprechend überarbeitet. Durch die Interdisziplinarität des Gremiums konnten die Personas aus mehreren Blickwinkeln, wie bspw. Sinnhaftigkeit, Sprache, Logik und textueller Verschriftlichung, während der Entwicklung betrachtet werden. Das führt zu einer, für einen Großteil der beteiligten wissenschaftlichen Disziplinen verständlichen und nachvollziehbaren Logik und Sprache. Darüber hinaus sollte durch eine exemplarische Weitergabe an potenzielle Endbenutzer sichergestellt werden, dass diese sowohl einen Zugang, als auch eine Verwendung für diese haben. Hierbei ging es primär darum sicherzustellen, dass die Personas für die spätere Gruppe der Anwender verständlich und anschaulich gestaltet sind. Die langen Versionen der Steckbriefe der Personas sind dem Anhand zu entnehmen.