Insbesondere im Hinblick auf die Revision von Lizenzen für Wasserkraftwerke werden Konzessionen für einzelne Anlagen auf Jahrzehnte vergeben (Viers
2011; Young et al.
2011). Dies bedeutet, dass bei der Bewertung der Auswirkungen von Schwall-Sunk und möglicher gezielter Minderungsmaßnahmen auch die langfristige morphologische Entwicklung der flussabwärts gelegenen Flussabschnitte mitberücksichtigt werden sollte; – insbesondere bei Flüssen mit Mehrfachbeanspruchung („Multi-stressed-rivers“). Die vorliegende Arbeit befasst sich mit diesem wichtigen und bisher eher wenig beachteten Aspekt und beleuchtet zwei Fälle von Flüssen, die sich hinsichtlich ihrer langfristigen Entwicklung unterschiedlich verhalten (dokumentiert über einen Zeitraum von 20 Jahren). Die Bregenzerach bei Bregenz zeigte im untersuchten Zeitraum Verlandungstendenzen, hingegen wurden für den Inn flussauf von Telfs Sohleintiefungen dokumentiert. Verursacher dieser Entwicklungen sind (i) ein Sedimentüberschuss durch ein geringeres Gefälle des Flusses bzw. der Mündungssituation im Allgemeinen (z. B. Fagherazzi et al.
2015; Rinaldi et al.
2005) und (ii) der Mangel an grobem Sediment (Geschiebe) im Vergleich zur Transportkapazität auf der Streckenebene (Bravard et al.
1997; Kondolf
1997; Molnar et al.
2006). Die Eintiefung am Inn ist ein klassisches Beispiel künstlich veränderter Flusssysteme aufgrund erhöhter Transportkapazität (z. B. teilweise verbesserter Hochwasserschutz) (Reichholf
1976, Finnegan et al.
2007) und mangelnder Sedimentverfügbarkeit (Pfeiffer et al.
2019). Eine solche dokumentierte Entwicklung von Flussabschnitten in beide Richtungen (Anlandung/Eintiefung) hat jedoch verschiedene Auswirkungen in Bezug auf Schwall-Sunk.
Erstens verursachten die mit der Bildung von dynamischen Kiesbänken einhergehenden Entwicklungen von Fließgewässerabschnitten (z. B. Ashmore
1991; Church und Rice
2009; Desloges und Church
1987; Lisle
1982) keinen weiteren (signifikanten) Anstieg des Strandungsrisikos (im Vergleich zum Ausgangszustand von 1995) für Gewässerorganismen. Zweitens waren die Anlandungen in der Bregenzerach mit (Tendenzen) einer Zunahme der Varianz der benetzten Breite des ausgewählten Querschnitts verbunden. Die Zunahme der Varianz der benetzten Breite als Methode zur hydraulischen Bewertung des Lebensraums (vgl. Tharme
2003) wurde häufig als Parameter für die Heterogenität des Lebensraums und damit für die Lebensraumqualität dokumentiert (Jungwirth et al.
1993; Kaufmann et al.
1999). Ein wichtiger Aspekt in der Diskussion ist somit, dass morphologische Heterogenität das Strandungsrisiko mitunter erhöhen könnte, aber auch wichtige geeignete Lebensräume für verschiedene Lebensstadien bietet (Hauer et al.
2014,
2017). Es ist jedoch auch wichtig festzuhalten, dass es sich bei diesen Ergebnissen um eine Analyse „innerhalb des Flusses“ und eine relative Aussage über die dokumentierte Fluss‑/Kiesbank-Entwicklung und die quantitativen Zahlen (einschließlich des Anfangsstadiums im Jahr 1995) handelt. Im Vergleich zum zweiten untersuchten Standort (Inn) ist beispielsweise das Strandungsrisiko an der Bregenzerach um den Faktor zwei bis drei höher. Diese vergleichenden Ergebnisse im Zusammenhang mit der Querschnittsanalyse unterstreichen somit auch die Bedeutung der Berücksichtigung geomorphologischer Randbedingungen und ihrer Auswirkungen auf Gerinne- und Kiesbank-Entwicklung bzw. den Grundzustand der Gewässermorphologie in Bezug auf die Einflüsse von Schwall und Sunk.
Kiesbänke sind Makrostrukturen und Teil des sogenannten Riffle-Bar-Pool-Tripletts (Church und Rice
2009), welche einen kontinuierlichen Übergang von unterschiedlichen Lebensräumen, von hochenergetischen bis hin zu niedrigeren Flachwassergebieten aufweist (Hauer et al.
2009). Die Lebensraumnutzung von Salmoniden verändert sich im Laufe des ersten Jahrs von Larvenstadien zu Fischen im Herbst (0+), wobei hier die als Lebensraum geeigneten Strömungsgeschwindigkeiten und Wassertiefen zunehmen (Riley et al.
2006). In Bezug auf Schwall und Sunk wurden vor allem die sehr frühen Stadien in Niedrigenergie-Flachwassergebieten als „Flaschenhals“ im Populationsaufbau identifiziert (Auer et al.
2017; Halleracker et al.
2003; Saltveit et al.
2001). Die vorliegende Studie zeigte, dass die zeitliche Querschnittsentwicklung keinen signifikanten Einfluss auf eine Zunahme oder Abnahme des Strandungsrisikos von Gewässerorganismen sowohl für (i) einen Flussabschnitt mit Anlandungstendenz (Bregenzerach) als auch (ii) einen Fluss mit Eintiefungstendenz (Inn) hatte. Alle untersuchten Zeiträume (
n = 9) enthielten Querschnittsänderungen aufgrund von Hochwässern. Es ist bekannt, dass wiederkehrende Umlagerungen durch Hochwässer ein wichtiger natürlicher ökologischer Prozess (Nakamura et al.
2000) für die Lebensraumqualität von Makrowirbellosen (McCabe und Gotelli
2000) und Fischen (Leprieur et al.
2006) in verschiedenen Lebensstadien sind, sowie auch Bedeutung für das Wachstum semiaquatischer und terrestrischer Vegetation besitzen (z. B. Shafroth et al.
2002). Allerdings unterscheiden sich solche Störungen durch Hochwässer im Vergleich zur Schwall-Sunk-Hydrologie hinsichtlich Dauer, Jahreszeit, Häufigkeit und Ausmaß des Abflusses und bieten keine Möglichkeiten für Verhaltensanpassungen von Organismen (Lytle und Poff
2004; Hauer et al.
2024). Am Inn führten beispielsweise die morphologischen Veränderungen des 100-jährlichen Hochwassers 2005 zu einer deutlichen, aber nicht signifikanten Änderung des Strandungsrisikos (Queranstiegsgeschwindigkeit) mit einer Verschiebung der mittleren lateralen Sunkgeschwindigkeit um 9,24 cm min
−1 (1995) und 7,93 cm min
−1 (1998) auf 4,73–4,47 cm min
−1. Hervorgerufen wurde dies aufgrund der Eintiefung und der morphologischen Änderungen im Querschnitt. Ähnliche Ergebnisse konnten jedoch nicht für das HQ
100-Ereignis an der Bregenzerach im Jahr 2005 ausgewiesen werden.