Das chemische Recycling umfasst eine Reihe von Technologien, die das etablierte mechanische Recycling komplementär ergänzen können, um die Zirkularität von Kunststoffen zu steigern. Mit den Maßnahmenpaketen des Circular Economy Action Plan wurden wichtige Weichenstellungen für Investitionen in innovative Recyclingtechnologien vorgenommen. Neben vielfältigen technischen Herausforderungen zur Überführung der einzelnen Technologien in den kommerziellen Dauerbetrieb hängt die Zukunft dieser Technologien auch von der Ausgestaltung des regulatorischen Rahmens ab. In dem vorliegenden Beitrag werden die Verfahrenstypen des chemischen Recyclings eingeordnet und die aktuellen technischen und regulatorischen Herausforderungen dafür beschrieben und diskutiert. Darauf aufbauend folgt eine Analyse des Potenzials für das chemische Recycling und der aktuellen Marktsituation.
Hinweise
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
1 Einführung
Mit den Maßnahmenpaketen des Circular Economy Action Plan wurden in den zurückliegenden Jahren wichtige Weichenstellungen für die Steigerung der Zirkularität von Kunststoffen in der EU vorgenommen. Darunter fallen Maßnahmen wie die Verbesserung der Abfalltrennung und -sortierung, Steigerung von Recyclingquoten, Besteuerung nicht recycelter Kunststoffe und die Selbstverpflichtung der Industrie zum Rezyklateinsatz (10 Mio. t bis 2025). Besonders hervorzuheben ist die geplante Einführung von Rezyklateinsatzquoten, die einem Paradigmenwechsel gleichkommt. Während die langjährig etablierten Recyclingquoten eine Verpflichtung zur Erzeugung von Kunststoffrezyklaten festschrieb, blieb die Nachfrageseite unreguliert. In der Folge stand der Einsatz von Kunststoffrezyklaten in direkter Konkurrenz zur Primärware, die qualitativ einwandfrei und in Phasen niedriger Rohölpreise auch preislich günstiger waren als Rezyklate. Die Rezyklateinsatzquoten entkoppeln den Markt für Sekundärrohstoffe nun erstmals vom Ölpreis und schaffen damit Planungs- und Investitionssicherheit für Innovationen im Kunststoffrecycling. Der Innovationsbedarf resultiert aus der absehbar steigenden Nachfrage nach qualitativ hochwertigen, primärwareäquivalenten Rezyklaten, um diese künftig genauso wie Primärware sourcen und bei gleichbleibender Produktqualität gemeinsam mit Primärware einsetzen zu können.
Das chemische Recycling bietet hier den Vorteil, das etablierte mechanische Recycling komplementär zu ergänzen und auch aus bislang nicht recycelbaren Feedstocks hochwertige Rezyklate erzeugen zu können. Durch die Zerlegung der Polymerketten in molekulare Bruchstücke ermöglichen diese Verfahren auch die Entfernung sowohl von Verunreinigungen als auch der vielfältig in Kunststoffprodukten enthaltenen Additive.
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Verunreinigungen sowie Additive, Füllstoffe, Stör- und Schadstoffe wie z. B. Flammschutzmittel können mit mechanischen Recyclingverfahren nicht vollständig ausgeschleust werden. Außerdem sind die mechanischen Recyclingverfahren auf Thermoplaste beschränkt. Duroplaste wie Polyester‑, Epoxid- und Formaldehydharze sowie Polyurethane sind aufgrund ihres Polymeraufbaus grundsätzlich nicht mechanisch recycelbar (Hofmann et al. 2021). In Deutschland werden von rund 12,3 Mio. t Kunststoffprodukten pro Jahr aktuell nur 7,2 % in Form von Rezyklaten aus Post-Consumer-Abfällen eingesetzt (CEID 2021). Vor dem Hintergrund steigender Anforderungen an das Recycling von Kunststoffen und den Einsatz von Kunststoffrezyklaten in der Produktion neuer Güter einerseits und den beschriebenen Grenzen des etablierten mechanischen Recyclings andererseits, erfahren alternative Recyclingverfahren derzeit großes Interesse. Ausgehend von einem Aufkommen von Kunststoffabfällen von 5,67 Mio. t (2019) und aktuell werkstofflich verwerteten 2,03 Mio. t zeigen Abschätzungen, dass bis zu 2,7 Mio. t des Aufkommens für das chemische Recycling verfügbar sind (Schlotter 2021). Aufgrund perspektivisch steigender Mengen mechanisch recycelter Kunststoffabfälle geht der Autor davon aus, dass sich diese Menge auf etwa 2,3 Mio. t/a im Jahr 2045 reduziert.
Die Verfahren des chemischen Recyclings bieten damit große Chancen zur Steigerung der Zirkularität von Kunststoffen. Allerdings zählen die Verfahren noch nicht zum Stand der Technik und stehen vor verschiedenen Herausforderungen. Nachfolgend werden die Technologien eingeordnet und die bestehenden Herausforderungen beschrieben. Abschließend wird die globale Marktsituation beschrieben.
2 Recyclingtechnologien für Kunststoffabfälle
2.1 Werkstoffliches Recycling
Im Kontext der Kreislaufwirtschaft von Kunststoffen spielt das werkstoffliche Recycling eine zentrale Rolle, da es die chemische Struktur der Kunststoffe beibehält und als etabliertes Verfahren den Stand der Technik repräsentiert (Janz 2020; Ragaert et al. 2017). Dieser Prozess umfasst die Aufbereitung von Post-Consumer- oder Post-industriellen Kunststoffabfällen durch mechanische oder physikalische Methoden wie Sortieren, Waschen und Mahlen. Anschließend erfolgt das Umschmelzen durch Extrusion und Schmelzefiltration, um Rezyklate zu erzeugen, bei denen die werkstofflichen Eigenschaften und Zusammensetzungen des Kunststoffs weitgehend erhalten bleiben. Die Anpassung der Eigenschaften des Rezyklats wird durch die Zugabe von Additiven wie Stabilisatoren, Pigmenten, Flammschutzmitteln oder Fließverbesserern erreicht (Martens und Goldmann 2016). Dennoch stößt das werkstoffliche Recycling bei zunehmender Heterogenität, Verschmutzung oder Kontamination der Kunststoffabfälle an seine Grenzen, wobei Füll‑, Stör- und Schadstoffe in den Verarbeitungsanlagen oft nicht vollständig entfernt werden können. Hierbei zeigt sich, dass bestimmte Kunststoffarten wie Duroplaste, Multilayer-Kunststoffe oder faserverstärkte Kunststoffe werkstofflich kaum verwertbar sind.
Im Bereich der alternativen werkstofflichen Verfahren wird der Einsatz von Lösungsmitteln für die Reinigung und Auftrennung von Kunststoffabfällen untersucht (r+Impuls 2020; IVV 2020). Diese Verfahren ermöglichen es, vollständige Polymere zurückzugewinnen, wobei die Eigenschaften der gewonnenen Polymere weitgehend erhalten bleiben, weil die Einzelkunststoffe „im Ganzen“ voneinander gelöst werden und dabei Stör- und Schadstoffe abgetrennt werden (Schlummer et al. 2020; Schlummer und Wolff 2018; Mäurer et al. 2009). Die Verfahren zielen vornehmlich auf typische Verpackungsmaterialien aus Mischkunststoffen, u. a. Multilayerfolien aus Polyethylen (PE) und Polyamid (PA) oder Polypropylen (PP) und Polyethylenterephthalat (PET). Das Ausgangspolymer kann in nahezu ursprünglichem Zustand zurückgewonnen werden.
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Im Gegensatz zum Lösemittelbasierten Recycling verändern chemische Recyclingverfahren die Struktur der Polymerketten durch Aufspaltung in kleinere Moleküle oder Monomere, was meist durch lösemittelbasierte oder thermochemische Prozesse wie die Pyrolyse erfolgt (Lechleitner et al. 2020).
2.2 Chemisches Recycling
Beim chemischen Recycling wird zwischen Solvolyse und thermochemischen Verfahren unterschieden. Nachfolgend werden mit der Solvolyse, der Pyrolyse sowie der Vergasung die Hauptverfahrenstypen grob eingeordnet und beschrieben. Eine weiter ausdifferenzierte Beschreibung der einzelnen Verfahren findet sich in Franke et al. (2024).
2.2.1 Solvolyse
Unter Solvolyse werden Einzelverfahren wie z. B. Alkoholyse, Glykolyse, Hydrolyse und Aminolyse zusammengefasst, die sich insbesondere für Polyadditions- und Polykondensationspolymere wie PET, PA, Polylactid (PLA), Polyurethan (PUR) und auch für Additionspolymere wie Polystyrol (PS) eignen. Der Einsatzstoff wird unter Zugabe eines Lösungsmittels, eines Depolymerisationsreagenz, eines Katalysators und Wärme in Monomere, Monomerderivate und Oligomere aufgespalten. Diese Rezyklate bilden Ausgangsstoffe für neue Polymersysteme (Simòn et al. 2018). Die Verfahren sind wirtschaftlich für sortenreine Polykondensationskunststoffe und werden durch den Einsatz von Katalysatoren und/oder Mikrowellen unterstützt, was die Effizienz der Depolymerisation erhöht.
Die bei der Solvolyse erzeugten Monomere eignen sich direkt zur erneuten Polymersynthese. Die Vorteile dieser Methode liegen in der hohen Selektivität, da nur das gewünschte Kunststoffmaterial in Monomere zerlegt wird, sowie in den hohen Ausbeuten und der hohen erzielbaren Reinheit der Monomere, was zu geringen Kohlenstoffverlusten führt. Bei sehr starken Verunreinigungen des Einsatzmaterials gelangt die Solvolyse jedoch an ihre Grenzen. Die Handhabung der Lösungsmittel ist aufwendig und energieintensiv. Zudem sind Polyolefine wie PE und PP für solche chemischen Recyclingverfahren nicht geeignet, da sie überwiegend durch radikalische Polymerisationsverfahren hergestellt werden und eine andere chemische Struktur aufweisen (Hohenhorst et al. 2013; IN4climate 2020).
2.2.2 Pyrolyse
Zu den thermochemischen Konversionsverfahren zählen Pyrolyse- und Vergasungsverfahren. Die Pyrolyse bzw. das katalytische Cracken erfolgt bei Temperaturen über 300 °C unter Sauerstoffausschluss. Hierbei werden Polymere in kurzkettige Kohlenwasserstoffe als Öl sowie Gase (z. B. CO, CH4 oder H2) und Feststoffe (Karbonisat) zerlegt. Es gibt verschiedene Prozesstypen wie konventionelle Pyrolyse, katalytisches Cracken und hydrothermale Verfahren (mit überkritischem Wasser), die in unterschiedlichen Reaktortypen wie Festbett‑, Wirbelschicht‑, Drehrohr‑, Schnecken- oder Rührkesselreaktoren durchgeführt werden können.
Das bei der Pyrolyse gewonnene Öl kann direkt in petrochemische Verarbeitungsketten oder andere Syntheseprozesse eingespeist und zu neuen Kunststoffen oder anderen chemischen Erzeugnissen verarbeitet werden (IN4climate 2020; de Smet et al. 2019). Gas und Feststoffe werden bisher hauptsächlich energetisch verwendet, wobei die Gasphase für eine rohstoffliche Nutzung weitere Aufbereitungsschritte erfordern würde. Die Pyrolyse zeichnet sich durch eine hohe Flexibilität bezüglich des Einsatzmaterials aus und ermöglicht die Rückgewinnung von anorganischen Komponenten wie Metallen (Fraunhofer UMSICHT 2020a) oder Fasern, die beispielsweise in carbonfaserverstärkten Kunststoffen (CFK) oder anderen Verbundmaterialien enthalten sind (CFK Valley 2021).
Vorteile dieses Verfahrens sind die hohe Einsatzstoffflexibilität, da nahezu alle gängigen Polymere behandelt werden können, und die Robustheit gegenüber Verunreinigungen (bei nicht katalytischen Prozessen). Zudem enthält das Pyrolyseöl wertvolle Chemikalien. Nachteile sind das im Vergleich zu anderen Technologien breite Produktspektrum (bei nicht katalytischen Prozessen), was eine direkte industrielle Nutzung erschwert und eine Nachbehandlung (z. B. Destillation, Hydrierung) notwendig macht. Bei geeigneter Qualität kann das Öl als Rohöl oder Naphtha-Ersatz verwendet werden (IN4climate 2020; Fraunhofer UMSICHT 2020b). Die maximale Ölausbeute beträgt bei optimalem C:H-Verhältnis des Feedstocks bis zu 85 %. Werden die verbleibende Gasphase sowie der Kohlenstoff energetisch verwertet, geht dieser Kohlenstoffanteil dem Kunststoffkreislauf verloren.
2.2.3 Vergasung
Im Unterschied zur Pyrolyse wird die Vergasung bei unterstöchiometrischer Zugabe von Sauerstoff oder Wasserdampf bei Temperaturen zwischen 700 und 1600 °C und einem Druck zwischen 10 und 90 bar durchgeführt (Sasse und Emig 1998). Diese thermochemische Umwandlung ist exotherm. Die Kunststoffe werden in der Vergasungsreaktion in chemische Grundbausteine wie CO, H2 aber auch CH4 zerlegt, die als Synthesegas bezeichnet werden (Krzack et al. 2018; Quicker et al. 2017). Dieses Synthesegas kann in petrochemischen Verarbeitungsketten zur Synthese von Methanol und/oder Olefinen verwendet werden.
Für die Vergasung kommen verschiedene Reaktortypen zum Einsatz, darunter Flugstrom‑, Wirbelschicht- und Festbettvergaserreaktoren. Vergasungsprozesse von Kunststoffabfällen haben hohe energetische und verfahrenstechnische Anforderungen, die nur in Großanlagen realisierbar sind (Gräbner 2014). Dies wiederum erfordert große Feedstockmengen an einem Standort, verbunden mit hohen Transportkosten und nachteiligen ökologischen Auswirkungen. Die Reinigung des Produktgases ist besonders wichtig, da die Folgeprozesse und -reaktionen überwiegend katalytisch ablaufen und daher sehr empfindlich gegenüber Verunreinigungen sind (Nayeripour 2011).
Vorteile der Vergasung sind die hohe Flexibilität bezüglich der Feedstock-Eigenschaften, da eine große Vielfalt an Abfällen behandelt werden kann, sowie die vielseitige Verwendbarkeit des Produkts (Synthesegas) und die Tatsache, dass es sich um die am weitesten entwickelte Technologie handelt. Nachteile sind die Erzeugung niedermolekularer Produkte, der hohe Aufwand für die Re-Synthese von Kunststoffen sowie der hohe Aufwand für die Reinigung des Synthesegases (Lechleitner et al. 2020) (Tab. 1).
Tab. 1
Vor- und Nachteile chemischer Recyclingtechnologien
Technologie
Feedstock
Vor- und Nachteile
Lösemittelbasiertes Verfahren
Hauptsächlich PP, PS oder PA
+ Hohe Selektivität einzelner Polymertypen (z. B. PP, PE, PA, PS)
− Trennung und Aufreinigung des Lösemittels (energieintensiv)
− Limitierung bei heterogenen Gemischen mit geringer Konzentration des Zielkunststoffes
Solvolyse
Hauptsächlich PET, PUR, PA teils PS
+ Hohe Selektivität (nur der gewünschte Kunststoff wird in Monomere zersetzt), hohe Ausbeute und hohe Reinheit der Monomere nach der Aufreinigung)
− Trennung und Aufreinigung des Lösemittels (energieintensiv)
− Nicht für Polyolefine geeignet
− Limitierung bei heterogenen Gemischen
Pyrolyse
Gemischte Kunststoffabfälle
+ Hohe Flexibilität bei den Einsatzstoffen (fast alle gängigen Polymere können verarbeitet werden)
+ Robust gegenüber Verunreinigungen, Rohöl kann als Naphtha-Ersatz verwendet werden
− Breites Produktspektrum (ohne Katalysator: verschiedene chemischen Substanzen im Pyrolyseöl), Nachbehandlung manchmal erforderlich)
− Kohlenstoffverluste (Gase, Feststoffe, bei energetischer Verwertung)
Vergasung
Gemischte Abfälle
+ Höchste Flexibilität bei den Einsatzstoffen (eine große Vielfalt von Abfällen kann behandelt werden)
+ Vielseitig einsetzbares Produkt (Synthesegas)
+ Höchste Technologiereife
− Niedermolekulare Produkte
− Höchster Aufwand für die Re-Synthese von Kunststoffen und hoher Aufwand für die Synthesegasreinigung
− Kein lagerfähiges Zwischenprodukt, unmittelbare Folgesynthesen am Standort von Raffinerien erforderlich
− Große Anlagenkapazitäten mit entsprechenden logistischen Anforderungen an die Feedstockbereitstellung
Trotz der technischen Machbarkeit vieler chemischer Recyclingverfahren ist deren industrielle Umsetzung noch begrenzt, und umfassende ökonomische sowie ökologische Bewertungen sind erforderlich. Wie die Ausführungen zu den Technologien zeigen, weisen die einzelnen Verfahren technologiespezifische Stärken und Schwächen auf. Die Entscheidung für eine Verfahrensvariante muss daher immer vor dem Hintergrund der Randbedingungen des konkreten Einzelfalls getroffen werden. Teilweise können auch Technologiekombinationen bis hin zu Technologiekaskaden in Betracht kommen, um auch aus komplexen Mischkunststofffraktionen hohe Rezyklatausbeuten zu generieren (Vollmer et al. 2020). Neben der Steigerung der Rezyklatausbeute kann durch Technologiekombinationen teilweise auch die Energieeffizienz des Gesamtprozesses gesteigert werden. So ermöglicht z. B. die Kombination des lösemittelbasierten Recyclings mit der Pyrolyse die energetische Nutzung der Pyrolysegase zur anteiligen Deckung des Energiebedarfs für die Rückgewinnung der Lösemittel. Ein Beispiel für eine Kombination des werkstofflichen Recyclings mit verschiedenen chemischen Recyclingverfahren zeigt Abb. 1.
×
In der dargestellten Prozesskaskade können z. B. unmittelbar mechanisch recycelbare Kunststofffraktionen wie bisher den etablierten Prozessen zugeführt werden. Sortierreste und andere, werkstofflich nicht recycelbare Kunststofffraktionen können nach entsprechender mechanischer Vorkonditionierung die komplementären Verfahren durchlaufen. So können in der ersten Stufe (Lösemittebasiertes Recycling) Zielpolymere z. B. aus Multilayer-Kunststoffen und weiteren mechanisch nicht recycelbaren Kunststoffen gewonnen werden. Die nicht recycelbare Restfraktion aus dieser Prozessstufe kann der Pyrolyse als dem in dieser Prozesskaskade feedstockflexibelsten Prozess zugeführt werden. Neben der Ölphase für das chemische Recycling können aus metall- (z. B. Elektronikschrott) oder faserhaltigen Kunststoffgemischen (z. B. Glasfaserverstärkte Kunststoffe) auch diese Wertstoffe über die Pyrolyse gewonnen und einem Recycling zugeführt werden. Spezielle Polymerfraktionen wie PET, Polyurethan, Polyester und Polyamid können aufgrund ihrer chemischen Struktur über Solvolyseprozesse gezielt in ihre Monomere gespalten und durch erneute Polymerisation recycelt werden.
3 Herausforderungen im Chemischen Recycling
Derzeit gibt es nur wenige Anlagen, die chemisches Recycling mit einem Technologischen Reifegrad (TRL) von über 7 betreiben. Die aktuellen chemischen Recyclingverfahren stehen vor einer Reihe technischer und regulatorischer Herausforderungen, die für deren weitere Entwicklung entscheidend sind.
3.1 Technische Aspekte
Zu den primären technischen Herausforderungen zählen die Gewährleistung der Betriebsstabilität der Anlagen bzw. die Steigerung der Anlagenverfügbarkeit und der erzielbaren Jahresbetriebsstunden. Zudem ist der Scale-up der Verfahren in marktrelevante Größenordnungen zu vollziehen. Eine weitere Herausforderung betrifft die Erhöhung der Ausbeuten von Zwischenprodukten und die Gewährleistung konstanter Produktqualitäten bei variierenden Feedstockqualitäten. Eine wesentliche Aufgabe besteht hier darin, das Zusammenspiel der mechanischen Vorbehandlung und der nachgelagerten Produktaufbereitung durch Verfahren wie beispielsweise Filtration, Hydrierung oder Destillation zu optimieren (Kusenberg et al. 2022).
Sollen Pyrolyseöle als Cracker-Feedstock dienen, so sind die Spezifikationen der abnehmenden (petro-)chemischen Industrie zu erfüllen. Bislang werden diese Qualitäten häufig nicht erreicht und die Rohöle aus den Pyrolyseprozessen überschreiten die Anforderungen für den Einsatz im Steam-Cracker deutlich (vgl. Tab. 2). Aus diesem Grund besteht Bedarf an geeigneten Prozessen zur Entfernung von Störkomponenten aus dem Pyrolyseöl.
Tab. 2
Anteile verschiedener Elemente in einem beispielhaften Pyrolyseöl aus Kunststoffabfällen im Vergleich zu den Feedstock-Spezifikationen eines Steam-Crackers (Kusenberg et al. 2022)
Elemente
Anteil in einem beispielhaften
Pyrolyseöl [ppm]
Spezifikation für Steamcracker [ppm]
Schwefel
224
500
Stickstoff
1650
100
Sauerstoff
1250
100
Chlor
1460
3
Calcium
17
0,5
Phosphor
498
0,5
Blei
0,04
0,05
Quecksilber
–
0,005
Eisen
7
0,001
Wie Tab. 2 zeigt, werden nahezu alle elementspezifischen Anforderungen für den Einsatz im Steam-Cracker um ein Vielfaches überschritten. Insbesondere für stark vermischte Kunststoffabfälle und Verbundwerkstoffe, kontaminierte oder flammschutzmittelhaltige Fraktionen sind demnach Adsorptions- und Hydrierprozesse erforderlich, die speziell an Pyrolyseöle angepasst werden müssen. Rieger et al. (2021) konnten zeigen, dass die Chlor- und Bromgehalte im Pyrolyseöl von Shredderfraktionen der Elektroaltgeräteverwertung von Ausgangsgehalten von 5000 ppm (Chlor) sowie 2000 ppm (Brom) durch eine Kombination aus Filtration und fraktionierter Destillation um bis zu 99 % reduziert werden konnten. Weiterhin werden Katalysatoren und Adsorbentien für das chemische Recycling angeboten. Deren industrieller Einsatz ist allerdings bisher nicht etabliert. Eine Herausforderung besteht u. a. darin, die je nach Feedstock stark variierenden Gehalte an Störelementen verlässlich abzuscheiden.
3.2 Regulatorische und wirtschaftliche Herausforderungen
Die Implementierung des chemischen Recyclings erfordert signifikante Investitionen in die notwendigen Verarbeitungskapazitäten, während die daraus resultierenden Produkte in direkter Konkurrenz zu traditionell aus fossilen Rohstoffen hergestellten Basischemikalien und Monomeren stehen.
3.2.1 Rezyklateinsatzquoten
Vor diesem Hintergrund kommt der Implementierung und Ausgestaltung von Rezyklateinsatzquoten eine wesentliche Bedeutung zu. Für eine Förderung des chemischen Recyclings ist zunächst essenziell, dass die Quoten technologieoffen gehalten werden. Die Quoten können polymerspezifisch oder produktspezifisch ausgestaltet werden und ermöglichen jeweils unterschiedliche Lenkungsimpulse. Polymerspezifische Quoten regeln über die direkte Adressierung der Grundstoffproduzenten die Quantität von Rezyklaten im Markt und geben die quotierten Polymerarten vor. Ob Kunststoffneuware oder Holz und Beton substituiert werden, kann mit dieser Art der Quote allerdings kaum beeinflusst werden. Qualitative Anreize werden dagegen besonders durch Rezyklateinsatzquoten gesetzt, die auf Produktebene ansetzen. Würden beispielsweise besonders anspruchsvolle Anwendungen wie kontaktsensitive Verpackungen, medizinische und hygienische sowie sicherheitsrelevante Produkte durch die Quote adressiert, könnte der Rezyklateinsatz in diese bislang nicht erschlossenen Anwendungen ausgeweitet werden. Das chemische Recycling wäre mit der Fähigkeit, primärwareäquivalente Rezyklate aus Post-Consumer-Abfällen erzeugen zu können prädestiniert, diese anspruchsvollen Anwendungen zu erschließen.
3.2.2 Massenbilanzverfahren
Die effektive Mitbenutzung der bestehenden petrochemischen Infrastruktur für fossile Kohlenwasserstoffe ist aus ökonomischen und ökologischen Gründen essenziell für das chemische Recycling (Hofmann et al. 2021). Massenbilanzverfahren bilden die Basis in einem integrierten Prozess, um den Anteil an recyceltem Feedstock in den Endprodukten korrekt zuordnen zu können. In der Diskussion stehen der Fuel-Use-Exempt-Ansatz und der Polymers-Only-Ansatz. Fuel Use Exempt schließt nur die anteilig in energetische Anwendungen fließenden Anteile von der Anrechenbarkeit als Rezyklat aus und erlaubt die freie Allokation aller anteilig in stoffliche Verwendungen fließenden Mengen des rezyklierten Cracker-Feedstocks. Polymers Only fasst den Fokus dagegen enger und ermöglicht die freie Allokation auf Zielpolymere nur für die anteilig in Polymeranwendungen fließenden Anteile des rezyklierten Cracker-Feedstocks. Für die Wirtschaftlichkeit des chemischen Recyclings ist diese Weichenstellung essenziell. Je höher der auf die Rezyklateinsatzquote anrechenbare Anteil des rezyklatbasierten Cracker-Feedstocks ist, desto attraktiver sind Investitionen in das chemische Recycling.
3.2.3 Ende der Abfalleigenschaft
Die Frage, wann die Abfalleigenschaft bei Rezyklaten endet und wann die Produkteigenschaft beginnt, hat erheblichen Einfluss auf die damit verbundenen Rechtspflichten in der Wertschöpfungskette, da damit ein Übergang vom Abfallrecht ins Produktrecht verbunden ist. Besondere Relevanz für das chemische Recycling hat das Abfallende für den Einsatz der erzeugten Intermediate in den nachgelagerten Prozessen der Petrochemie (Qureshi et al. 2020). In Deutschland ist das Abfallende in § 5 in Verbindung mit § 7a des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG) geregelt. Demnach müssen die Stoffe (1) ein Recycling- bzw. Verwertungsverfahren durchlaufen haben, (2) so beschaffen sein, dass sie für einen bestimmten Zweck verwendet werden können, (3) sie alle für ihre jeweilige Zweckbestimmung geltenden technischen Anforderungen sowie alle Rechtsvorschriften und anwendbaren Normen für Erzeugnisse erfüllen (u. a. REACH), (4) eine Verwendung insgesamt nicht zu schädlichen Auswirkungen auf Mensch oder Umwelt führt. Werden diese Voraussetzungen durch das Erzeugnis erfüllt, kann dieses den Produktstatus erlangen. Das Unternehmerforum Chemisches Recycling des ThinkTank Industrielle Ressourcenstrategien hat in seiner Entscheidungshilfe anhand einer Checkliste aufgezeigt, wie die Anforderungen des KrWG zur Erfüllung der Abfallende-Kriterien für das chemische Recycling erfüllt werden können (ThinkTank IRS 2024).
3.2.4 Steuer auf nicht recycelte Kunststoffverpackungen
Die „Plastiksteuer“ zielt darauf ab, den Einsatz von Kunststoff in Verpackungsmaterialien zu reduzieren und das Recycling zu fördern. Die Steuer wird auf das Gewicht des nicht recycelten Kunststoffverpackungsabfalls berechnet, der in den einzelnen Mitgliedstaaten anfällt (European Commission 2019). Der festgelegte Steuersatz beträgt 0,80 € pro kg nicht recycelten Kunststoffverpackungsabfalls. Diese Gebühr wird von den einzelnen EU-Ländern an den EU-Haushalt abgeführt. Deutschland hat im Jahr 2021 etwa 1,3 Mrd. € an Steuergeldern für die Plastikabgabe an die EU überwiesen. Bislang wurden diese Kosten noch nicht an die Wirtschaft und die Verbraucher weitergegeben, was sich jedoch in Zukunft ändern könnte. So wurde verkündet, dass ab dem 1. Januar 2025 Hersteller und Importeure von Plastikprodukten die Plastikabgabe selbst tragen müssen (PlasticsEurope 2024b). Die Plastiksteuer soll nicht nur ökologische Vorteile bringen, indem sie die Menge an Kunststoffabfällen verringert, sondern auch wirtschaftliche Anreize für Unternehmen schaffen, nachhaltigere Verpackungslösungen zu entwickeln. Ausnahmen für recycelte Kunststoffe gibt es bisher noch nicht, könnten aber langfristig zu Innovationen sowohl im mechanischen als auch im chemischen Recycling und zu einer stärkeren Kreislaufwirtschaft führen.
4 Potenziale, Entwicklungsstand und Marktüberblick
4.1 Abfallaufkommen und Potenziale für das chemische Recycling
Die Nachfrage nach recycelten Kunststoffen wird in den nächsten Jahren aufgrund der beschriebenen regulatorischen Rahmenbedingungen (Abschn. 1) stark steigen. Hinzu kommt das weiter steigende Produktionsvolumen von Kunststoffen, das im Business-as-Usual-Szenario der OECD (2022) von 460 Mio. t auf 1,2 Mio. t im Jahr 2060 anwächst. Damit verbunden ist auch eine Verdreifachung des Abfallaufkommens (siehe Abb. 2).
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Während global derzeit nur 9 % der anfallenden Kunststoffabfälle recycelt werden, könnte dieser Anteil bis 2060 auf 17 % steigen (OECD 2022). Vor dem Hintergrund der beschriebenen Mengenentwicklungen müssten die globalen Recyclingkapazitäten von 33 Mio. t (2022) auf mindestens 176 Mio. t (2060) steigen. Dies entspricht einem Wachstumsfaktor von 5,3 (OECD 2022).
McKinsey (2022) geht dagegen bereits im Jahr 2030 von einer Kunststoffrecyclingquote von 21 % aus, bezogen auf eine jährlich anfallende Menge an Kunststoffabfällen von 470 Mio. t. Mit dem mechanischen Recycling werden diesen Schätzungen zufolge nur etwa 13 % der Abfälle (rund 60 Mio. t) verwertet werden. Maximal 8 % (etwa 40 Mio. t) könnten demnach durch chemisches Recycling abgedeckt werden, wenn bis dahin weltweit rund 40 Mrd. USD investiert würden. Dabei geht man bis 2030 von entstehenden Recyclingkapazitäten im Bereich der Pyrolyse von gemischten Kunststoffabfällen von etwa 4,25 Mio. t/a sowie der Depolymerisation von PET von etwa 2,8 Mio. t/a aus.
4.2 Entwicklungsstand und Marktüberblick
Eine aktuelle Marktstudie listet weltweit 127 Technologien und Technologieanbieter auf und nennt eine Anzahl von 340 geplanten und installierten Anlagen (Krause et al. 2023). Der Großteil der Verfahren basiert dabei auf Pyrolyse, gefolgt von Solvolyse, Vergasung und Lösemittelbasierten Prozessen.
Andere Studien, ergänzt und aktualisiert durch eigene Recherchen haben ergeben, dass bislang nur wenige großtechnische Anlagen (Kapazität > 10 t/d) für das chemische Recycling existieren (vgl. Abb. 3 und 4). Zudem gibt es kaum langjährige Betriebserfahrung hinsichtlich Prozessstabilität, Produktqualitäten sowie Energie- und Massebilanzen. Darüber hinaus verwerten die meisten großtechnischen Anlagen hauptsächlich reine Kunststoffabfälle wie Polyolefine und Polystyrol oder, im Falle der Solvolyse, reines PET. Gemischte Kunststoffabfälle wie die sog. „Mischkunststoff (MK)-350“-Fraktio (Rohstofffraktionsspezifikation 350 Mischkunststoffe nach „Der Grüne Punkt“.1) aus der Sortierung von LVP oder Ersatzbrennstoffe werden ebenfalls häufig verwertet, jedoch noch nicht im kommerziellen Maßstab oder nur mit vorgeschalteter spezifischer Sortierung des Einsatzmaterials. Andere, schwer zu rezyklierende Gemische, wie z. B. Schredderreste aus dem Elektronik- oder Automobilbereich, werden dagegen derzeit aufgrund ihrer komplexeren Zusammensetzung im industriellen Maßstab noch nicht thermo-chemisch verwertet (Charitopoulou et al. 2021).
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5 Ausblick und Fazit
Der prognostizierte Anstieg der globalen Kunststoffproduktion geht einher mit einem entsprechenden Anstieg des Aufkommens an Kunststoffabfällen (OECD 2022). Gleichzeitig wird vor dem Hintergrund der regulatorischen Rahmenbedingungen die Nachfrage nach hochwertigen Rezyklaten steigen. Beides macht Investitionen in entsprechende Recyclingkapazitäten erforderlich. Neben dem mechanischen Recycling bieten hier die chemischen Recyclingverfahren sowie die lösemittelbasierten Prozesse eine Chance, die etablierten mechanischen Recyclingverfahren komplementär zu ergänzen und so die Zirkularität von Kunststoffen signifikant zu steigern. Diese neuen Technologien befinden sich teilweise schon in einem weit fortgeschrittenen Entwicklungsstadium. Weiterer Forschungs- und Entwicklungsbedarf besteht aber noch in folgenden Bereichen:
Optimierung des Zusammenspiels zwischen mechanischer Vorbehandlung der für das chemische Recycling vorgesehenen Feedstocks und der nachgelagerten Aufbereitung der erzeugten Pyrolyseöle.
Nachweis der Betriebsstabilität sowie wirtschaftlicher und ökologischer Kennzahlen im Dauerbetrieb.
Erprobung und Demonstration von Prozesskombinationen und Recyclingkaskaden.
Steigerung der Produktausbeuten und -qualitäten der chemischen Recyclingverfahren.
Die zunehmende Anzahl geplanter sowie bereits realisierter Anlagen und Behandlungskapazitäten zeigt, dass eine spürbare Marktnachfrage nach Rezyklaten aus dem chemischen Recycling besteht. Die Absicherung der erheblichen Investitionen zur Skalierung und kommerziellen Umsetzung der Verfahren erfordert nun stabile regulatorische Rahmenbedingungen, die chemischen Recyclingverfahren einen diskriminierungsfreien Marktzugang gewähren. Weitere wichtige Punkte umfassen u. a. die abschließende Festlegung des Verfahrens der Massenbilanzierung, klare Vorgaben zum Ende der Abfalleigenschaft, die Ausgestaltung der Rezyklateinsatzquoten sowie eine lenkungswirksame Allokation der Steuer auf nicht recycelte Kunststoffe.
Interessenkonflikt
M. Franke, T. Rieger, A. Hofmann und T. Fehn geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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