Die Türkei hat sich seit den wirtschaftspolitischen Reformen der 2000er-Jahre zu einem wachstumsstarken, aber auch krisenanfälligen Investitionsstandort entwickelt. Andauernde wirtschaftspolitische Krisen und daraus resultierende institutionelle Unsicherheiten führen zunehmend zu einer Neubewertung von Direktinvestitionen in der Türkei durch Unternehmen aus dem Ausland. Dies betrifft auch deutsche Unternehmen, die zu den wichtigsten ausländischen Investoren in der Türkei zählen. In diesem Beitrag wird untersucht, wie es deutschen Unternehmen in der Türkei gelingt, sich möglichst resilient gegenüber Krisensituationen in der Türkei zu positionieren. Die Ausführungen beruhen auf Interviews mit 32 Manager*innen deutscher Unternehmen in der Türkei und Experten*innen, die im deutsch-türkischen Wirtschaftskontext tätig sind. Die Ergebnisse zeigen, dass krisenresiliente Unternehmen über enge Netzwerkstrukturen zu anderen Unternehmen und politischen Entscheidungsträger*innen vor Ort sowie meist über interkulturelle Managementteams im Unternehmen verfügen. Aus den empirischen Ergebnissen werden Handlungsempfehlungen für Unternehmen und unterstützende Organisationen abgeleitet. Das Fallbeispiel deutscher Unternehmen in der Türkei liefert Einblicke in das strategische Verhalten von Unternehmen in einem von Krisen geprägten Marktumfeld.
Investitionsbeziehungen zwischen Deutschland und der Türkei
Krisen wie die Klimakatastrophe, die Covid-19-Pandemie oder der Ukrainekrieg haben zu einer vielfachen Neubewertung von ausländischen Direktinvestitionen (ADI) geführt. Für Wirtschaftsförderung, Politik und deutsche Unternehmen stellen sich die Fragen, wie unternehmerische Auslandsaktivitäten möglichst resilient gegenüber Krisensituationen gestaltet werden können und wie im Krisenfall bestmöglich zu reagieren ist. Dieser Artikel trägt zur Beantwortung dieser Fragen mithilfe von empirischen Erkenntnissen am Beispiel von deutschen Unternehmen in der Türkei bei. Aus diesen Erkenntnissen werden Handlungsempfehlungen für Unternehmen und unterstützende Organisationen (wie z. B. Wirtschaftsförderungseinrichtungen, wirtschaftsnahe Verbände und Außenwirtschaftsagenturen) abgeleitet. Bei der Einordnung der abgeleiteten Ergebnisse ist zu berücksichtigen, dass die untersuchten Unternehmen über bestehende Geschäftstätigkeiten in der Türkei verfügen. Die Ableitung der Handlungsempfehlungen basiert auf empirischen Erkenntnissen, die zum Teil bereits publiziert wurden (siehe Völlers et al. 2021).
Durch wirtschaftspolitische Reformen seit den 2000er-Jahren hat sich die Türkei zu einem international beachtenswerten Investitionsstandort entwickelt. Eines der wichtigsten Herkunftsländer für ADI in der Türkei ist Deutschland (GTAI 2022a, o. S.). Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung in der Türkei sind dabei unter anderem im Großhandel (Abb. 1) tätig.
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Die bilateralen Beziehungen beider Länder reichen über 100 Jahre zurück, so sind z. B. deutsche Unternehmen der Automobilbranche seit Jahrzehnten in der Türkei präsent (Abb. 2). Insbesondere seit dem Anwerbeabkommen von türkischen Arbeitsmigrant*innen im Jahr 1961 sind beide Länder wirtschaftlich-kulturell eng miteinander verflochten (u. a. Gumpel 1986; Müller und Franz 2019; Bagci et al. 2022).
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Seit den 2010er-Jahren haben innen- und außenpolitische Entwicklungen dazu geführt, dass sich die institutionellen Rahmenbedingungen innerhalb der Türkei verschlechtert haben. Der damit einhergehende Rückgang der Verlässlichkeit und Planbarkeit führt seither zu Verunsicherungen unter Unternehmen (Şahinöz und Coşar 2020). Die Standortvorteile werden zudem durch weitere Herausforderungen unterlaufen – wie etwa der anhaltend starken Importabhängigkeit, der Erosion monetärer Kontrollmechanismen, einem Rückgang der Rechtsstaatlichkeit und Qualitätsstandards von Institutionen (Völlers et al. 2021). So wurden beispielsweise die 2005 begonnenen EU-Beitrittsverhandlungen aufgrund von Menschenrechtsverletzungen, mangelnder Rechtsstaatlichkeit und Provokationen im östlichen Mittelmeer eingefroren (AA 2023).
Das Fallbeispiel deutscher Unternehmen in der Türkei gibt relevante Einblicke in das strategische Verhalten von Unternehmen in einem sozioökonomisch dynamischen Marktumfeld, insbesondere im Hinblick auf die bilateralen Spannungen zwischen Deutschland und der Türkei seit 2013 (Franz und Müller 2019; Völlers et al. 2021).
Die Befragung von unternehmerischen Entscheidungsträger*innen und Expert*innen bietet die Möglichkeit, die sozioökonomischen Prozesse im Gastland aus der Perspektive von in der Türkei eingebetteten Unternehmen zu beleuchten. Durch diese Betrachtungsperspektive ist es möglich, die strukturellen Krisendynamiken und die kontextspezifische akteursgebundene Wahrnehmung und Beurteilung des Risikoumfeldes zu analysieren (u. a. Franz und Schumacher 2020; Fuller 2022; Völlers et al. 2023). Dazu wurden 32 semistrukturierte Interviews im Erhebungszeitraum 2019–2022 durchgeführt. Aus der Automobil‑, Chemie‑, Logistik- und Pharmabranche wurden 17 Manager*innen, die für verschiedene deutsche in der Türkei tätige Unternehmen arbeiten, interviewt. Zusätzliche 15 Interviews wurden mit Expert*innen, die im deutsch-türkischen Wirtschaftskontext (Vertreter*innen aus dem Wirtschafts- und Bankensektor sowie von Beratungsunternehmen, Anwaltskanzleien und zivilgesellschaftlichen Organisationen) aktiv sind, geführt. Die Mehrzahl der zwischen 30 und 90 Minuten dauernden Interviews wurde aufgrund der Pandemiesituation über Videokonferenzsysteme durchgeführt. Die Interviews wurden im Rahmen einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet (Mayring 2000). Englischsprachige Interviewzitate wurden für den Artikel ins Deutsche übersetzt.
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Die Türkei als Investitionsstandort
Seit den 1990er-Jahren ist die türkische Wirtschaft von wiederkehrenden Phasen starken Wirtschaftswachstums und ökonomischer Krisen geprägt. Seit 1994 sind alle bisherigen Krisen durch einen massiven Rückgang der Kapitalzuflüsse gekennzeichnet. Dabei tragen ein anhaltendes Leistungsbilanzdefizit in Kombination mit einer starken Abhängigkeit von ausländischen Kapitalzuflüssen zur Krisenanfälligkeit der türkischen Wirtschaft bei (u. a. Babacan 2012; Apaydin und Çoban 2022). Trotz dieses Umstandes verzeichnete die Türkei im Zeitraum von 2010–2021 durchschnittlich ein jährliches Wirtschaftswachstum von 6,0 %, gemessen am Bruttoinlandsprodukt (The World Bank 2022, o. S.) und hat sich seither zu einem der größten Märkte in der Region entwickelt. Nach der Übernahme der Regierungsverantwortung durch die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) im Jahr 2002 entwickelte sich die Türkei für viele deutsche Unternehmen zu einem attraktiven Investitionsstandort. Gründe dafür sind wirtschaftspolitische Reformen und Investitionen in die Infrastruktur, eine solide Geldpolitik und die Angleichung an EU-Richtlinien. Im Jahr 2022 waren insgesamt knapp 8000 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung (STB 2023, o. S.) in der Türkei aktiv (Abb. 3).
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Dabei fungiert das Land aufgrund seiner Drehscheibenfunktion, durch seine geostrategische Lage an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien, auch als (Logistik‑)Hub für angrenzende Märkte (Struck 2005; Yavan 2010; Acar et al. 2015). Gleichzeitig bietet die Türkei Nearshoring-Potenziale als Zielregion für Standort- und Produktionsverlagerungen europäischer Unternehmen, um die Abhängigkeit von anderen asiatischen Ländern, wie China, zu reduzieren, die Versorgungssicherheit zu erhöhen und resilientere Liefernetzwerke zu etablieren. Denn als Produktionsstandort und Beschaffungsmarkt mit niedrigen Lohnkosten, einer qualifizierten Arbeitnehmer*innenschaft und einer guten Industrie- und Infrastrukturbasis stellt die Türkei einen vielversprechenden Investitionsstandort dar (Heinemann 2016; GTAI 2022b, o. S.; Senz 2023).
Innen- und außenpolitische Entwicklungen in der Türkei haben jedoch zu wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Krisen geführt, die unter anderem auf einen autoritärer werdenden Regierungsstil zurückzuführen sind – erkennbar z. B. anhand der Reaktion auf die Gezi-Park-Proteste 2013 und den gescheiterten Putschversuch 2016. Der in diesem Zeitraum einsetzende institutionelle Wandel in der Türkei hat zu einer wirtschaftspolitischen Abwärtsspirale geführt. Die Folgen dieser Entwicklung sind etwa eine internationale Herabstufung der Kreditwürdigkeit, ein gestiegenes Leistungsbilanzdefizit bei gleichzeitig gestiegenen Fremdwährungsverbindlichkeiten und eine hohe Inflationsrate. Gleichzeitig gefährdet das geopolitische Risikoumfeld der Türkei, vor dem Hintergrund von Krisen und Konflikten geprägten Anrainerstaaten wie Irak, Syrien und wiederkehrenden bilaterale Spannungen mit Griechenland (Zypernfrage, Erdgaskonflikt im östlichen Mittelmeer), die erwähnten Standortvorteile (vgl. Şahinöz und Coşar 2020; Uzgel 2020; Apaydin und Çoban 2022; Abb. 4).
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Deutsche Unternehmen in der Türkei – aufgeben oder bleiben?
Insbesondere im Nachgang des Putschversuches 2016 haben die türkischen Regierungsmaßnahmen eine Vertrauenskrise in den bilateralen Investitions- und Geschäftsbeziehungen ausgelöst, z. B. durch die Liste mit terrorverdächtigen deutschen Unternehmen, Entlassung von langjährigen unternehmensinternen Ansprechpartner*innen und dem Abbau der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei. Ein Vertreter einer Anwaltskanzlei, der Unternehmen in beiden Ländern betreut, berichtet im Interview über die Auswirkungen der innenpolitischen Entwicklungen in der Türkei:
„Und dieser Putsch war dann letztlich die Wende und dass Erdoğan auf eine Verfassungsänderung gedrängt hat … – seit 2016 … [ist] das Vertrauen in die Türkei massiv verloren gegangen … ich habe dann diese etwas perverse Entwicklung gehabt, dass ich plötzlich mehr Firmen [in der Türkei] liquidiert als neu gegründet habe“ (deutscher Experte Anwaltskanzlei 2022).
Gleichzeitig beurteilen Manager*innen weiterhin die Potenziale des türkischen Investitionsstandorts positiv und betonen die geostrategische Drehscheibenfunktion, eine gute Infrastrukturausstattung, attraktive Investitionsförderungsprogramme und Freihandelszonen, eine junge Bevölkerung und niedrige Lohnkosten. Dabei zeigen sich gegenseitige Abhängigkeiten zwischen langjährig eingebetteten Unternehmen und dem Gastland, die einen raschen Abzug verhindern und im Gegenteil weitere Investitionen fördern. „Wir produzieren jetzt hier in der Türkei unser wichtigstes [Produkt]. Das machen wir sonst normalerweise nicht, aber das war … ein Entgegenkommen, um sich an den Markt anzupassen“ (deutsche Managerin Pharma 2020).
Den wirtschaftspolitischen Risiken zum Trotz scheinen vor allem etablierte deutsche Unternehmen in der Türkei einen Umgang mit derartigen Krisen gefunden und optimistische Zukunftserwartungen hinsichtlich der Marktpotenziale zu haben: „Wir beobachten die Dinge sehr intensiv … [aber] wir glauben an das Land und machen weiter“ (deutscher Manager Automobil I 2020).
Widerstandsfähig durch lokale Einbettung
Doch wie schaffen es deutsche Unternehmen in der Türkei, sich möglichst resilient gegenüber Krisensituationen aufzustellen? Aus den Interviews lässt sich ableiten, dass die Einordnung von wirtschaftspolitischen Ereignissen, die daraus resultierende Risikoerwartung und das richtige Maß an strategischen Reaktionen des Unternehmens maßgeblich auf einem kompetenten und sozial eingebetteten Management im Gastland beruhen. „Eine starke Vernetzung ist hier [in der Türkei] erforderlich …“ (deutsch-türkischer Manager Automobil II 2020). Es zeigen sich drei Vorteile, die mit dieser Strategie verbunden sind:
1.
Vertrauensfördernde lokale sowie transnationale Netzwerke bieten den Unternehmen die Möglichkeit zum regelmäßigen Erfahrungsaustausch über Handlungsoptionen im Umgang mit spezifischen Problemlagen. Darüber hinaus können sie dabei unterstützen, etwaige Vorbehalte gegenüber dem Geschäfts- und Investitionsstandort zu relativieren oder innerhalb eines Unternehmens abzubauen.
2.
Über die geschaffenen Netzwerke ist der Kontakt zu politischen Entscheidungsträger*innen gegeben, um etwa auf Problemlagen aufmerksam zu machen.
3.
Gemeinsam formulierte Problembereiche können so relativ neutral, unabhängig von Einzelunternehmen, über die jeweilige Interessenvertretung an die Politik herangetragen werden.
Eine besondere Bedeutung haben für deutsche Unternehmen dabei Mitgliedschaften in (deutsch-)türkischen Kammern, Verbänden bzw. Interessenvertretungen. Die Interviews verdeutlichen, dass diese die Möglichkeit bieten, problemlösungsorientierte Lobbyarbeit betreiben zu können, die den direkten Kontakt zu Regierungsminister*innen einschließt. Demzufolge kann argumentiert werden, dass eine Intensivierung der lokalen Einbettung im Gastland nach dem Markteintritt zu einer verbesserten Anpassungsfähigkeit an dynamische Veränderungen des wirtschaftspolitischen Geschäftsumfeldes beiträgt (vgl. Völlers et al. 2021). Die Mitgliedschaft in Branchenverbänden, Vereinen oder Kammern, so lassen es die Ergebnisse schlussfolgern, verbessert vor allem die Resilienz von kleinen und mittelständischen Unternehmen. Schließlich können soziale und unternehmerische Netzwerke innerhalb wirtschaftspolitischer Krisenzeiten strategische Lösungswege aufzeigen oder sie bereitstellen: „die [Interessenvertretungen] [können] sehr gut unseren … Kollegen aus anderen deutschen Unternehmen … erklären, was hier [in der Türkei] passiert, … [neutral und] nicht nur zugunsten der Türkei und deshalb bin ich immer dafür, dass solche Organisationen noch viel aktiver sein müssten als in der Vergangenheit“ (türkischer Manager Automobil III 2021).
Auf der Unternehmensebene selbst zeigt sich, dass die Risikowahrnehmung und -bewertung abhängig von der gesellschaftlichen Einbettung der Manager*innen vor Ort ist (Fuller 2022). Interviewpartner*innen betonen ebenfalls die Rolle eines agilen und vertrauensvollen lokalen Managements, nicht nur im Hinblick auf die Risikobewertung, sondern ebenso um relativ schnelle Entscheidungsprozesse in einem dynamischen wirtschaftspolitischen Geschäftsumfeld zu gewährleisten (Völlers et al. 2021). Strategische Entscheidungsprozesse transnational tätiger Unternehmen profitieren somit von interkulturellen Managementteams, einer intensiven Kommunikation und einem robusten Vertrauensverhältnis auf der Managementebene. Dies kann etwa durch hochqualifizierte Personen mit deutsch-türkischem Migrationshintergrund, die an den organisationsinternen bzw. -externen Schnittstellen eine Brückenfunktion einnehmen (sog. Boundary-Spanner) ermöglicht werden (u. a. Yeniaras et al. 2020; Verfürth 2022).
Fazit und Handlungsempfehlungen
Die Ergebnisse zeigen, dass diejenigen deutschen Unternehmen in der Türkei gegenüber Krisen resilienter sind, die Netzwerkstrukturen vor Ort aufgebaut haben und über interkulturelle Managementteams verfügen. Daraus lassen sich folgende Handlungsempfehlungen für Unternehmen und unterstützende Organisationen ableiten:
Die unternehmerische Resilienz in Krisensituationen wird durch einen engen, vertrauensvollen und agilen Abstimmungsprozess zwischen In- und Auslandsmanagement gestärkt. Dieser Abstimmungsprozess sollte sich auf lokale und transnationale Netzwerkbeziehungen stützen, um Auswirkungen auf Geschäftspraktiken beurteilen zu können und um Krisensituationen zu bewältigen. In diesem Zusammenhang sind die historisch gewachsenen deutsch-türkischen soziokulturellen Beziehungen von besonderer Bedeutung, da sie einen hochqualifizierten und interkulturell kompetenten Personenkreis mit sich bringen. Neben einem sprachlichen und interkulturellen Kompetenzaufbau, dem Einsatz von Boundary-Spannern – wie z. B. deutsch-türkischen (Re‑)Migrant*innen – kann die Sensibilisierung des lokalen Managementteams hinsichtlich länderspezifischer Besonderheiten Teil eines unterstützenden Maßnahmenpakets sein (vgl. Verfürth 2022). Zum Beispiel durch Seminarangebote von Organisationen aus Politik und Wirtschaft oder die Anbindung an Expat-Stammtische im Gastland.
Gute Beziehungen der Unternehmen zur Regierung des Gastlandes sind auf vielen Ebenen von Bedeutung. Dennoch sollte ein sensibler Umgang gefunden werden, der die Balance zwischen politischen Kontakten und Neutralitätswahrung bei Vernetzungsinitiativen sicherstellt (vgl. Yeniaras et al. 2020; Völlers et al. 2021). In diesem Zusammenhang kann die Mitgliedschaft in Lobbyorganisationen ein Forum für den Austausch mit anderen Organisationen über unternehmensübergreifende Handlungsoptionen sowie ein Kommunikationskanal für gemeinsam formulierte Interessen gegenüber der Regierung des Gastlandes sein. Insbesondere angesichts der politischen Lage in der Türkei sollten aus einzelunternehmerischer Sicht Compliance-Regelungen, die den unternehmensinternen Umgang mit formellen und informellen Beziehungen berücksichtigen, eine größere Bedeutung beigemessen werden. Die Kontaktaufnahme mit Regierungsbehörden, vor allem über intermediäre Organisationen, bleibt wesentlich für krisensichere Geschäftstätigkeiten. Unterstützende Organisationen sollten somit verstärkt ihre vermittelnde Netzwerkfunktion ausbauen und kontextsensibel nutzen, um zwischen Unternehmen und Politik zu vermitteln.
Die Ergebnisse zeigen, dass sich ausländische Unternehmen in Schwellenländern ungeachtet wiederkehrender Krisensituationen nicht zwangsläufig und nachhaltig aus den Märkten zurückziehen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn diese Unternehmen über eine starke Einbettung und langjährige Geschäftserfahrungen im Gastland verfügen. Dabei können kontextspezifische Corporate-Social-Responsibility-Strategien dazu beitragen, lokale Netzwerkstrukturen und die soziokulturelle Einbettung von Unternehmen im Gastland zu stärken, z. B. durch gesellschaftliches Engagement vor Ort. Durch eine resiliente transnationale Einbettung können sich Unternehmen auf die lokale Risikobewertung gut vernetzter Auslandsmanager*innen stützen und Risikominderungsstrategien entwickeln, die sowohl auf lokale als auch auf transnationale Netzwerkbeziehungen zurückgreifen. Zudem können Corporate-Social-Responsibility-Maßnahmen dazu beitragen, die Reputation im Gastland zu stärken, indem beispielsweise Standards der Mitarbeiterführung etabliert und Mitarbeiter*innenvereinigungen gestärkt werden, die auch auf andere Unternehmen im Gastland ausstrahlen können. Eine gestärkte Reputation im Gastland kann überdies durch projektbezogenes gesellschaftliches Engagement im unmittelbaren Einbettungskontext erzielt werden (vgl. UNDP 2013). Im Rahmen dieser Handlungsorientierung ist es den Unternehmen möglich, ihre politische Verantwortung gegenüber der Aufnahmegesellschaft im Rahmen der unternehmerischen Grenzen wahrzunehmen.
Für unterstützende Organisationen (wie z. B. Wirtschaftsförderungseinrichtungen, wirtschaftsnahe Verbände und Außenwirtschaftsagenturen) lässt sich ableiten, dass diese besonnen und unterstützend reagieren sollten. Insbesondere in Krisensituationen ist es von entscheidender Bedeutung, Unternehmen eine verlässliche Beratung und partnerschaftliche Zusammenarbeit bereitzustellen. Demzufolge können unterstützende Organisationen auch außerhalb von Krisenzeiten eine Plattform bieten, um dazu beizutragen, Informationen und Wissen etwa durch Vernetzungsinitiativen bereitzustellen. Im Zuge dessen profitieren Unternehmen, in dem sie dabei unterstützt werden Risiken im Gastland kontextspezifisch einzuordnen und angemessen bewerten zu können. Zugleich können Empfehlungen für wirksame Risikominderungsstrategien und Präventionsmaßnahmen gemeinsam mit Unternehmen erarbeitet und organisationsspezifisch umgesetzt bzw. begleitet werden. Um Investitionsunsicherheiten bei Unternehmen zu verringern, wird ein politisch begleiteter (Wieder‑)Aufbau von Vertrauensbeziehungen mit der Unterstützung und lokalen Expertise von bestehenden transnationalen Netzwerkstrukturen empfohlen.
Danksagung
Wir möchten unseren türkischen Kollegen Nuri Yavan und Utku E. Bağcı für ihre Unterstützung danken.
Förderung
Diese Arbeit wurde im Rahmen des Förderprogramms Pro*Niedersachsen des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur (MWK) aus Mitteln des „Niedersächsischen Vorab“ finanziert [grant number 76202-14-6/17].
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