Abwasserkanäle und Abwasserreinigungsanlagen können relevante Quellen von Kohlendioxid, Lachgas und Methan sein. Direkte Kohlendioxidemissionen sind klimaneutral, da die organischen Bestandteile im Abwasser überwiegend aus biologischen Quellen stammen. Dagegen haben direkte Methan- und Lachgas-Emissionen einen signifikanten Einfluss auf das Klima. Der derzeit vorliegende Entwurf der EU-Richtlinie für kommunales Abwasser 91/271/EWG (Urban Wastewater Treatment Directive) greift erstmals Treibhausgasemissionen aus Abwasserkanälen und Kläranlagen auf und zielt auf deren Monitoring, Reporting und Reduktion ab. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den direkten Gasemissionen von Methan und Lachgas aus Abwasserkanälen und Kläranlagen und deren Produktions- und Reduktionspfaden. Die Hauptemissionsquellen werden überblicksartig dargestellt und die Bedeutung dieser Emissionen wird auf nationaler Ebene eingeordnet. Potenziale und Maßnahmen zur Reduktion von Methan- und Lachgasemissionen aus dem Sektor Abwasser werden beleuchtet. Indirekte Treibhausgasemissionen aus dem Bezug von Strom sowie aus vorgelagerten Prozessen, wie z. B. aus der Herstellung und Transport von Fällmitteln, stellen auch wesentliche Emissionspfade dar. Die Relevanz der unterschiedlichen Treibhausgas-Emissionspfade der Abwasserentsorgung werden am Beispiel des CO2-Fußabdrucks von zwei Kläranlagen, einer mit simultaner aerober Schlammstabilisierung (SASS) und einer mit anaerober Stabilisierung (Schlammfaulung) diskutiert.
Hinweise
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
1 Einleitung
Der Treibhauseffekt wurde 1824 von Joseph Fourier erstmals beschrieben. Er entdeckte, dass die Erdatmosphäre einen Teil der einfallenden Wärmestrahlung zurückhält (Fourier 1824). 1856 erkannte Eunice Foot, dass ein höherer Anteil von Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre zwangsläufig zu höheren Temperaturen führen würde (Foot 1856). Wenige Jahre später (1862) erkannte John Tyndall, dass neben Kohlendioxid und Wasserdampf auch andere Gase wie Methan, Lachgas und Ozon einen Treibhauseffekt verursachen.
Die verschiedenen Gase haben eine unterschiedlich starke Klimawirksamkeit, das sogenannte Treibhauspotenzial (englisch: global warming potential, GWP). Ein hohes Treibhauspotenzial bedeutet eine hohe Infrarotabsorption und eine lange atmosphärische Lebensdauer des Treibhausgases (THG). Um die Wirkung verschiedener Gase zu vergleichen, wird die äquivalente Menge Kohlendioxid (kg CO2eq) angegeben, die den gleichen Treibhausgaseffekt bewirkt. Dieses Treibhauspotenzial ist als kg CO2eq für Methan (CH4) und Lachgas (N2O) in Tab. 1 angegeben (Forster et al. 2021). Dabei wird die Klimawirksamkeit für verschiedene Zeiträume betrachtet, z. B. 20 und 100 Jahre. Lachgas ist also zum Beispiel über 100 Jahre betrachtet 273-mal klimawirksamer als CO2. Die Treibhauspotenziale werden auf Basis neuer wissenschaftlichen Erkenntnisse stetig angepasst und in den „Assessment Reports“ der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) veröffentlicht.
Tab. 1
Treibhauspotenzial für CH4 und N2O als CO2eq für 20 und 100 Jahre Betrachtungszeitraum, ohne Climate-Carbon Feedbacks (Forster et al. 2021)
Stoff
GWP20
GWP100
CH4
80
27
N2O
273
273
Anzeige
Abwasserkanäle und Kläranlagen sind Quellen von Kohlendioxid, Lachgas und Methan (Daelman et al. 2012). Laut IPCC (2006), ist CO2, das direkt bei der Abwasserreinigung freigesetzt wird, klimaneutral, da der Kohlenstoff (hauptsächlich) organischen Ursprungs ist und daher in Bilanzen und im Emissionshandel nicht berücksichtigt wird. Tatsächlich stammen jedoch ca. 4 bis 14 % des Kohlenstoffs (als TOC) im Kläranlagenzulauf aus fossilen Quellen (Law et al. 2013). Einen guten Überblick über den Anteil an fossilem Kohlenstoff im Kläranlagenzulauf gibt das 2019 Refinement (Überarbeitung) der IPCC Guidelines (Bartram 2019).
Als Vertragspartei der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) ist Österreich verpflichtet, jährlich nationale Treibhausgasinventare zu erstellen. Die Beschreibung der Trends sowie der Berechnungsmethode, vorwiegend basierend auf den IPCC Guidelines, und die Detailergebnisse der Berechnungen werden im österreichischen nationalen Inventurbericht (NIR) veröffentlicht. Emissionen aus der Abwasserbehandlung und -ableitung werden als ein Teil des Sektors Abfall (Sektor 5) gemeldet.
In diesem Kontext ist die Verordnung (EU) Nr. 525/20131 über ein System zur Überwachung der Treibhausgasemissionen in der europäischen Gemeinschaft gültig. Die Reduktionsziele, die im Pariser Abkommen (2015) und im European Green Deal (2020) vereinbart wurden, wurden in Österreich durch das Klimaschutzgesetz festgelegt (BGBl. I 106/2011 und KSG-Novelle 2013). Dieses hatte das Ziel, eine koordinierte Umsetzung wirksamer Maßnahmen zum Klimaschutz zu ermöglichen und brach die österreichweit zulässigen Emissionen von Treibhausgasen auf verschiedene Sektoren herunter. Das KSG 2013 ist im Jahr 2020 ausgelaufen, derzeit existiert kein gültiges Nachfolgedokument.
In der derzeit laufenden Überarbeitung der kommunalen Abwasserrichtlinie der EU (91/271/EWG) wurden u. a. Emissionen von Treibhausgasen aus dem Abwassersektor erstmals berücksichtigt. Im derzeit vorliegenden Entwurf der Richtlinie vom 26.10.2022 werden zwar keine verpflichtenden Reduktionsziele für THG-Emissionen gefordert. Die Verpflichtung zur Reduktion resultiert jedoch aus der Förderung der Energieeffizienz und der Erzeugung erneuerbarer Energien im Abwassersektor, die auf nationaler Ebene auf Kläranlagen mit einer Ausbaugröße > 10.000 Einwohnerwerte (EW) stufenweise bis 2040 erreicht werden soll. Gleichzeitig sollen die Methanemissionen, die bei der Produktion und bei der energetischen Verwertung von Biogas anfallen, reduziert werden. Auch im Bereich der Überwachung und Berichterstattung über die Einhaltung der neuen Anforderungen der Richtlinie wurden die THG-Emissionen hinzugefügt. Die Forderung zur Überwachung und Berichterstattung ergibt sich zusätzlich aus der Vorgabe, öffentlichen Zugang zu den wichtigsten Leistungsindikatoren der Betreiber von Abwasserentsorgungsinfrastrukturen zu gewährleisten. Neben der erzielten Reinigungsleistung und den Behandlungskosten sollen künftig die verbrauchte und erzeugte Energie sowie der CO2-Fußabdruck angegeben werden. Ein Ausweisen des CO2-Fußabdrucks der Kanalisations- und Kläranlage auf der Gebührenabrechnung ähnlich dem Strommix auf der Elektrizitätsrechnung ist angedacht.
Anzeige
2 Direkte und indirekte Treibhausgasemissionen
Treibhausgasemissionen werden nach EN ISO 14064‑1 (Berichterstattung von Treibhausgasemissionen auf Organisationsebene) und dem Greenhouse Gas-Protokoll (https://ghgprotocol.org/corporate-standard) grundsätzlich in zwei Kategorien unterteilt:
1.
Direkte Emissionen, welche direkt aus dem betrachteten Prozess stammen. Im Bereich der Abwasserreinigung sind das zum Beispiel CH4, das im Kanal aus im Abwasser enthaltenen organischen Kohlenstoff entsteht und im Zulaufpumpwerk ausgestrippt wird, sowie Lachgas, das im Zuge der biologischen Stickstoffentfernung im Belebungsbecken gebildet und mit der Belüftungsluft ausgestrippt wird.
2.
Indirekte Emissionen, welche aus importierter Energie sowie aus vorgelagerten bzw. nachgelagerten Prozessen stammen, aber dem betrachteten Prozess zugeordnet werden können. Bei der Abwasserreinigung sind dies zum Beispiel die CO2-Emissionen durch Strombezug aus dem Netz oder Emissionen, die bei Produktion und Transport von Betriebsmitteln wie Polymeren und Fällmitteln oder bei der Schlammentsorgung entstehen. Tab. 2 gibt eine Übersicht über direkte und indirekte THG-Emissionen aus der Abwasserableitung und Abwasserbehandlung nach EN ISO 14064‑1.
Tab. 2
Direkte und indirekte THG-Emissionen aus der Abwasserableitung und -behandlung nach EN ISO 14064‑1
Direkte THG-Emissionen
Indirekte THG-Emissionen
Flüchtige Emissionen die durch die Freisetzung von THG in anthropogenen Systemen entstehen, wie z. B. CH4 im Kanalsystem, CH4 und N2O in Kläranlagen
Aus importierter Energie (z. B. Stromversorgung)
Aus stationärer und mobiler Verbrennung vor Ort (z. B. Blockheizkraftwerk, Kessel)
Aus Transport (z. B. Chemikalien, Schlamm)
–
Aus von der Kläranlage genutzten Produkten (z. B. Fällmittel, Polymere, Kapitalgüter, inkl. Emissionen aus der Produktion sowie Entsorgung und Wiederverwendung von Reststoffen z. B. Schlamm)
–
Aus anderen Quellen, z. B. als Folge der Einleitung des gereinigten Abwassers in das Gewässer
Im Jahr 2019 waren in Österreich ca. 1900 kommunale Kläranlagen mit einer Ausbaukapazität von 21,5 Mio. EWCSB und industrielle Kläranlagen mit einer Ausbaukapazität von 10,2 Mio. EWCSB in Betrieb (ÖWAV 2019).
Laut aktuellem NIR 2021 stammen in Österreich rund 0,2 % (187.979 t/a CO2eq, exkl. Landnutzung, Landnutzungsänderung, Land- und Forstwirtschaft) der nationalen THG-Emissionen aus dem Sektor der kommunalen Abwasserreinigung (Umweltbundesamt 2021). Bei den Emissionen aus dem Bereich Abwasser entfielen laut Umweltbundesamt (2021) im Referenzjahr 2019 90 % (168.631 t CO2eq/a) auf N2O und 10 % (19.348 t/a CO2eq) auf CH4. Darin wird jedoch nur ein Teil der direkten Emissionen an CH4 und N2O berücksichtigt. Tatsächlich werden im österreichischen NIR lediglich direkte Methanemissionen aus Senkgruben und 3‑Kammer-Gruben (sog. septic systems) geschätzt. Direkte Methanemissionen aus der Kanalisation und zentralen Kläranlagen werden zurzeit nicht berücksichtigt. Die direkten N2O‑Emissionen stammen hauptsächlich aus der biologischen Stickstoffentfernung im Belebungsbecken (141.252 t/a CO2eq) und aus dem Ablauf der Kläranlage (23.244 t/a CO2eq). Sie werden in Österreich mit einer eigenen Methodik geschätzt, die auf Messungen auf mehreren österreichischen Kläranlagen aufbaut (Parravicini et al. 2015; Umweltbundesamt 2021). Indirekte Emissionen werden im NIR in anderen Kategorien erfasst, wie z. B. der Stromverbrauch in Kategorie „1. Energie“, und sind somit in den oben genannten 0,2 % der gesamten CO2eq-Emissionen nicht enthalten.
Neben der Schätzung im NIR existiert in Österreich keine regelmäßige Berichterstattung über die direkten THG-Emissionen aus dem Abwassersektor. Im Zuge der Überarbeitung der kommunalen Abwasserrichtlinie (91/271/EWG) wurde unter anderem eine erste Abschätzung der direkten Methan-Emissionen aus dem Bereich der kommunalen Abwasserableitung und -behandlung in Österreich durchgeführt und in einem sogenannten „Factsheet Methane Emissions“ zusammengefasst (Tauber et al. 2021). Diese Abschätzung ergab durch die Berücksichtigung der Methanemissionen aus dem Kanal und den Kläranlagen grob eine Verdopplung der derzeit geschätzten direkten THG-Emissionen aus der Abwasserreinigung (Kanal und Kläranlage) auf ca. 0,5 % (408.000 t/a CO2eq) der gesamten österreichischen THG-Emissionen.
Die erste Abschätzung der gesamten (direkten und indirekten) THG-Emissionen im Abwassersektor auf EU-Ebene inkl. CO2eq-Emissionen aus der Infrastruktur wurde vor Kurzem veröffentlich (Parravicini et al. 2022b). Unter Berücksichtigung der indirekten Emissionspfade würde sich der Anteil der derzeit geschätzten CO2eq-Emissionen des österreichischen Abwassersektors auf rund 1 % der Gesamtemission auf nationaler Ebene erhöhen.
3 Direkte Treibhausgasemissionen des Abwassersektors
In Abb. 1 ist ein vereinfachtes Schema einer Kläranlage mit Schlammfaulung und in Abb. 2 ein vereinfachtes Schema einer Kläranlage mit aerober Schlammstabilisierung inklusive der wichtigsten direkten THG-Emissionsquellen von Lachgas und Methan dargestellt.
×
×
3.1 Direkte Methanemissionen aus Kläranlagen
Methanemissionen treten auf Kläranlagen vor allem dort auf, wo anaerobe Bedingungen herrschen. Dies sind zum Beispiel das Kanalsystem, das Vorklärbecken, schlecht durchmischte Bereiche von Belebungsbecken, wo sich Schlamm ablagert, sowie Vorlagebehälter, Schlamm-Eindicker, die Schlammfaulung (Faulbehälter) und Schlammlager/Schlammsilos.
Dabei sind die Orte der Produktion und der Emission nicht unbedingt gleich. Das Methan wird zum Beispiel im Kanal gebildet und bleibt teilweise im Abwasser gelöst, bis es später an einer anderen, turbulenten Stelle, z. B. in einem Pumpwerk im Kanal, dem Zulaufpumpwerk oder im Sandfang ausgestrippt und emittiert wird. Von mehreren Autoren wurde die Schlammlinie als Hauptquelle von Methan auf Kläranlagen identifiziert. Becker et al. (2012) gibt an, dass ca. 50 % der CH4-Emissionen aus der Schlammlinie kommen und die Emission stark von der organischen Belastung abhängt. In Tab. 3 sind EW-spezifische Emissionsfaktoren für Methan aus Kläranlagen dargestellt. Tauber et al. (2019) zeigten mit Messungen an einem österreichischen Faulbehälter, dass eine Verdopplung der organischen Belastung von 1,7 auf 3,4 kg CSB/(m3 · d) die Methanemissionen, die durch den Austrag von Faulschlamm verursacht werden, überproportional von 1 auf 9,7 g CH4/(EW · a) erhöhen.
Tab. 3
CH4-Emissionen von Kläranlagen. (Verändert nach Becker et al. (2012))
Sandfang, Vorklärung, Bio‑P, Nitrifikation
8 g CH4/(EW · a)
3 %
Denitrifikation
20 g CH4/(EW · a)
7 %
Statische Schlammeindicker
16 g CH4/(EW · a)
6 %
Schlammsilos (Faulschlammspeicher)
64 g CH4/(EW · a)
23 %
Schlammfaulung (Leckagen, gelöstes CH4, BHKW)
172 g CH4/(EW · a)
61 %
Summe
280 g CH4/(EW · a)
100 %
Als wichtigste Punktquellen für Methan wurden offene statische Schlammeindicker und offene Faulschlammlager mit langen Verweilzeiten sowie überlastete, schlecht betriebene Faultürme identifiziert. Summiert man die Methanemissionen der verschiedenen Quellen einer Kläranlage mit Schlammfaulung laut Literaturwerten, so ergibt sich eine geschätzte Gesamtemission von 115 bis 230 g CH4/(EW · a), was 4 bis 8 % der durchschnittlichen Methanproduktion in der Faulung entspricht (Tauber et al. 2021). Wobei manche Werte in der Literatur deutlich über oder unter diesem Bereich liegen. Die Methanemissionen einer neuen, emissionsoptimierten Faulungsanlage werden mit 65 g CH4/(EW · a) angegeben (STOWA 2010), was ca. 2,3 % der Methanproduktion entspricht (Annahme: Methanproduktion von 12 L CH4/(EW · d) für österreichische Kläranlagen in der Größenklasse > 20.000 EW, Lindtner 2008).
Auch Kläranlagen mit aerober Schlammstabilisierung verursachen Methanemissionen (Abb. 2). Hauptquellen sind Stabilisierungsbecken, Vorlagebehälter und Schlammspeicher. Langfristig gelagerter aerob stabilisierter Schlamm kann ebenfalls Methangas emittieren, die Menge variiert je nach Betriebsbedingungen und Lagerdauer (Parravicini et al. 2016; Wang et al. 2011). Die EW-spezifischen Methanemissionen aus Anlagen mit aerober Schlammstabilisierung werden mit ca. 200 g CH4/(EW · a) angegeben (Tauber et al. 2021).
Es wird angenommen, dass sich die Methanemissionen verschiedener Anlagen abhängig von deren Größe, Alter, Zustand, Konstruktion und einigen betrieblichen Parametern wie hydraulische und organische Belastung stark unterscheiden.
Die Minimierung dieser Emissionen ist von großer Bedeutung, wenn es um die Verbesserung des CO2-Fußabdrucks und der Energiebilanz von Kläranlagen geht. Aufgrund des hohen Anteils an erneuerbarer Energie in Österreich können zudem bereits geringe Methanemissionen die CO2-Gutschriften aus der Verwertung des erzeugten Biogases zunichtemachen. Das bedeutet: Überschreitet die Methanemission einen bestimmten Anteil, hat der aus dem Faulgas in Blockheizkraftwerken (BHKWs) produzierte elektrische Strom einen größeren CO2-Fußabdruck als der aus dem Stromnetz bezogene (in Österreich liegt er bei 344 g CO2eq/kWh (Ecoinvent 2020)). Hable (2019) sowie Tauber et al. (2021) zeigten anhand von Berechnungen, dass der Äquivalenzpunkt zwischen der CO2eq-Gutschrift aus der Faulgasverstromung und dem CO2eq-Ausstoß durch die CH4-Emissionen bei einer Methanemission von rund 6 % der Biogasproduktion auf österreichischen Kläranlagen erreicht wird. Liegt die Methanemission darüber, ist der CO2-Fußabdruck des aus dem Faulgas produzierten Stroms größer als der des aus dem Netz bezogenen.
3.2 Maßnahmen zur Reduktion der Methanemissionen
Durch gezielte Maßnahmen können die Methanemissionen unter optimalen Bedingungen um bis zu zwei Drittel reduziert werden (STOWA 2010; Tauber et al. 2021).
Im Betrieb:
Gut stabilisierter Schlamm führt zu einem geringen Restgaspotenzial, damit zu geringen Methanemissionen und gleichzeitig zu besserer Entwässerbarkeit und geringeren Entsorgungskosten.
Primärschlamm regelmäßig aus dem Vorklärbecken abziehen, Anfaulen vermeiden.
Möglichst kurze Aufenthaltszeiten der Schlämme in offenen Behältern (z. B. Eindicker).
Möglichst kurze Lagerzeit in Schlammsilos und des entwässerten Schlamms auf Halden bzw. bis zur Verbrennung.
Bei Kompostierung oder landwirtschaftlicher Verwertung den Schlamm möglichst rasch in einen aeroben Zustand bringen und halten, um die Methanproduktion zu stoppen.
Aerob stabilisierten, entwässerten Schlamm möglichst kurz lagern, um ein Anfaulen des Schlammes zu verhindern.
In der Planung/Bauphase:
Ausreichend hohe Faulzeit bzw. genügend Behältervolumen vorsehen.
Keine offenen Schlammbehälter.
Abdecken und Absaugen der Schlammbehälter (Schlammsilos, Eindicker, Vorlagebehälter).
Schlammschacht am Faulbehälter abdecken, bei Neubau geschlossen ausführen und absaugen.
Abgesaugte Luft behandeln (Verbrennungsluft für BHKW, Biofilter etc.).
Schlamm bis zur Entwässerung nur in geschlossenen Rohrleitungen und Behältern führen.
Verwendung von Blockheizkraftwerken mit hohem Wirkungsgrad und geringem Methanschlupf.
Zusammengefasst gilt: Was Geruchsemissionen reduziert, reduziert gleichzeitig Methanemissionen.
Da viele Bestandsanlagen in Österreich 30 bis 40 Jahre alt sind, bzw. der Lebenszyklus neuer Anlagen sehr lange ist, sollten diese Empfehlungen bei Umbau und Neubau unbedingt bereits in der Planungsphase beachtet werden.
3.3 Methanemissionen aus dem Kanalsystem
Direkte Methanemissionen aus geschlossenen Abwasserkanälen werden hauptsächlich von methanogenen Mikroorganismen verursacht, die in den tieferen Schichten der befeuchteten Biofilme und Sedimente wachsen, wo anaerobe Bedingungen herrschen. Die Methanproduktion unterliegt zeitlichen und räumlichen Schwankungen und wird von verschiedenen Parametern wie dem Kanaltyp (Freispiegelkanal oder Druckleitung), dem Gefälle, der hydraulischen Verweilzeit, dem Verhältnis von Oberfläche zu Volumen sowie der Abwassertemperatur und der CSB-Fracht beeinflusst (Liu et al. 2015b). In vollgefüllten Druckleitungen kann CH4 sogar über die Sättigungskonzentration des transportierten Abwassers hinaus produziert und akkumuliert werden und dann an belüfteten Stellen wie Pumpstationen, Schächten oder Zulaufsammlern und belüfteten Becken von Kläranlagen in die Atmosphäre freigesetzt werden. Das in Freispiegelkanälen erzeugte Methan wird in der Regel entlang des Kanalrohrs in die Gasphase freigesetzt, wobei die Emissionen an Orten mit höheren Abwasserturbulenzen intensiver sind (Liu et al. 2015a, b).
Derzeit liegen nur unzureichende Daten zur Quantifizierung der Emissionen aus Abwassersystemen vor. Untersuchungen deuten jedoch darauf hin, dass sich in der Kanalisation erhebliche Mengen an CH4 bilden können (Guisasola et al. 2008), und dass zumindest ein Teil des erzeugten CH4 als gelöstes CH4 in Kläranlagen gelangt, wo es dann während der Behandlung emittiert wird (Foley et al. 2011). Um diesen Anteil zu berücksichtigen, wird im 2019 Refinement der IPCC Guidelines (Bartram et al. 2019) ein Emissionsfaktor für zentrale Kläranlagen auf der Grundlage von Literaturwerten eingeführt, der die Emissionen aus Abwasserkanälen (nur aus dem gelösten CH4) zusammen mit dem in Absetzbecken und anderen anaeroben Zonen in der Wasserlinie der Kläranlage (Hauptstrom) erzeugten CH4 umfasst (die CH4-Emissionen aus der Schlammfaulung werden gesondert abgeschätzt). Der vorgeschlagene Emissionsfaktor beträgt 7,5 g CH4 (Bereich: 0,7–22,5) pro kg CSB-Zulauffracht, wobei der als Schlamm entfernte CSB abgezogen wird. Geht man von einer CSB-Zulauffracht von 120 g CSB/(EW · d) und einem als Primär- und Sekundärschlamm entfernten CSB von 65 g CSB/(EW · d) aus, entspricht dies ca. 150 g CH4/EW · a (Bereich 15–450 g CH4/(EW · a)).
Wesentlich höhere direkte CH4-Emissionen wurden von Liu et al. (2015b) geschätzt. Die Autoren machten eine Literaturstudie über den Stand der weltweiten Forschung zu Methanemissionen aus Abwasserkanälen und geben an, dass in vollgefüllten Druckleitungen die Emissionen im Durchschnitt 8,6 g CH4 pro m3 transportierten Abwassers ausmachen (Bereich 4,7–15 g CH4/m3). Geht man von einem spezifischen Abwasseranfall von 180 L/(EW · d) aus, so ergibt sich ein Emissionsfaktor von 560 g CH4/(EW · a). Es kann davon ausgegangen werden, dass die Emissionen in Freispiegelkanälen geringer sind. Aus diesem Grund wurde für Abschätzungen im Kanal in Österreich eine EW-spezifische Methanemission von 300 g CH4/(EW · a) angenommen (Tauber et al. 2021).
Es gibt Hinweise, dass Abwasserkanäle erheblich zu den CH4-Emissionen des Abwassersektors beitragen können. Dennoch muss die Anwendung von Emissionsfaktoren aus der Literatur zur Vorhersage von Emissionen aus österreichischen Abwasserkanälen kritisch bewertet werden, insbesondere aufgrund der relativ niedrigen durchschnittlichen Abwassertemperatur und der Häufigkeit von Freispiegelkanälen in Österreich.
Die Methanemissionen aus dem Kanal sind im Betrieb kaum beeinflussbar, sie sollten aber in Zukunft bei der Planung von neuen Abwasserkanälen mitbetrachtet werden.
3.4 Methanemissionen aus Kanal und Kläranlagen in Österreich
Mithilfe der oben aufgeführten EW-spezifischen Emissionsfaktoren für den Kanal, Kläranlagen mit Schlammfaulung und aerober Stabilisierung, wurden die direkten Methanemissionen für den österreichischen Abwassersektor abgeschätzt. Für Details zur Berechnung wird auf das „Factsheet Methane Emissions“ (Tauber et al. 2021) verwiesen.
In Summe ergibt sich eine Methanemission von 8720 t/a CH4, wobei 4440 t/a auf den Kanal und 4280 t/a auf die Kläranlagen entfallen (Tauber et al. 2021). Umgerechnet in CO2eq ergibt das 218.000 t CO2eq/a, was in der gleichen Größenordnung der derzeit im NIR 2021 geschätzten direkten Emissionen für den kommunalen Abwassersektor (187.979 t/a CO2eq) liegt. Das heißt, die Berücksichtigung der Methanemissionen aus den Abwasserkanälen und den Kläranlagen würde die derzeit gemeldeten Emissionen aus dem Sektor Abwasser auf ungefähr 406.000 t/a CO2eq verdoppeln. Es ist anzumerken, dass nur die Methanfrachten aus kommunalen Kläranlagen betrachtet wurden. Industrielle Kläranlagen wurden nicht berücksichtigt.
3.5 Lachgasemissionen aus Kläranlagen
Lachgasemissionen aus der Abwasserreinigung verursachen ca. 5 % der nationalen N2O‑Emissionen im NIR (Umweltbundesamt 2021). Aufgrund seines hohen Treibhauspotenzials dominieren i. d. R. die direkten N2O‑Emissionen den CO2-Fußabdruck von Kläranlagen (Parravicini et al. 2022b). Im Bereich der Kläranlage wird Lachgas (Distickstoffmonoxid) hauptsächlich in Zuge der biologischen Stickstoffentfernung im Belebungsbecken bzw. in der Trübwasserbehandlung im Nebenstrom gebildet und wird durch die Belüftung zum Teil aus dem Becken in die Umgebungsluft ausgestrippt. Ein Teil bleibt im Ablauf gelöst und wird im aufnehmenden Gewässer denitrifiziert oder gelangt an Stellen hoher Turbulenz in die Atmosphäre. Die Lachgasbildung kann auch in den aufnehmenden Gewässern als Folge der Einleitung des gereinigten Abwassers (Reststickstoffgehalt) stattfinden.
Entsprechend dem Stand der Technik, erfolgt die N‑Entfernung auf Kläranlagen durch die Kombination der beiden mikrobiologischen Prozesse Nitrifikation und Denitrifikation. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass N2O bei der Oxidation von Ammonium durch Ammonium oxidierende Bakterien (AOB) gebildet wird (z. B. Wunderlin et al. 2013). Nach dem heutigen Stand des Wissens kann bei der autotrophen Nitrifikation auf Kläranlagen zwischen zwei verschiedenen biologischen N2O‑Entstehungspfaden unterschieden werden: 1) biologische Oxidation von Hydroxylamin (NH2OH) und 2) die Nitrifikanten-Denitrifikation. Beide Prozesse sind in Abb. 3 grafisch beschrieben.
1.
Es gibt Hinweise, dass N2O als Nebenprodukt der nicht vollständigen Hydroxilamin-Oxidation z. B. durch biologische Reduktion von produziertem Stickstoffmonoxid (NO) freigesetzt werden kann. Stein (2011) deutet darauf hin, dass hohe Konzentrationen an Ammonium (und somit hohe Umsatzraten der AOB) für den Hydroxylamin-Oxidationspfad ausschlaggebend sein können. Es ist jedoch noch unklar, in welchem Ausmaß die N2O‑Freisetzung im Zuge der Hydroxylamin-Oxidation tatsächlich auf biologischem Weg stattfindet oder ob diese zusätzlich durch chemischen Zerfall der instabilen HNO-Moleküle hervorgerufen wird (Chemodenitrifikation).
Der zweite Schritt der Nitrifikation, die Oxidation von Nitrit zu Nitrat durch nitritoxidierende Bakterien, dürfte bei der N2O‑Produktion im Belebtschlamm eine untergeordnete Rolle spielen (Goreau et al. 1980; Law et al. 2012).
2.
AOB besitzen einen deutlich variableren Metabolismus als ursprünglich postuliert. So produzieren AOB bei niedrigerer Sauerstoffkonzentration als Endprodukt nicht nur Nitrit, sondern auch N2O, NO und N2 (u. a. Kuai and Verstraete 1998; Peng et al. 2014). Bei der Nitritreduktion soll das Zwischenprodukt Hydroxylamin als Elektronendonator fungieren. Die Nitrifikanten-Denitrifikation stellt somit eine Anpassung an O2-Mangelbedingungen dar, wodurch die Zellen Sauerstoff für den obligat aeroben NH4-Oxidationschritt zu NH2OH sparen können. Mit sinkender Verfügbarkeit von O2 nimmt die Freisetzung von N2O zu. Besonders bei O2-Konzentrationen zwischen 0,5 bis 1 mg O2/L scheint die N2O‑Produktion ihr Maximum zu erreichen (Peng et al. 2014; Tallec et al. 2006).
×
Darüber hinaus ist Lachgas ein obligates Zwischenprodukt der heterotrophen Denitrifikation (Prozess 3 in Abb. 3). Wird die Denitrifikation durch ungünstige Prozessbedingungen gestört, wird das gebildete Lachgas nicht vollständig reduziert und gelangt aus dem Belebungsbecken oder über den Ablauf in die Atmosphäre (Helmer-Madhok 2004). In der Literatur wird berichtet, dass verschiedene Faktoren einen negativen Einfluss auf den Prozess ausüben und zur Akkumulierung von N2O führen können, u. a. die Hemmung durch gelösten Sauerstoff (Tallec et al. 2008), Nitrit (v. Schulthess et al. 1995) bzw. Schwefelwasserstoff (Schönharting et al. 1998) sowie die eingeschränkte Verfügbarkeit an organischem Kohlenstoff (Hanaki et al. 1992; Park et al. 2000). Eine vollständige Denitrifikation wirkt hingegen als N2O‑Senke. Interessanterweise zeigen aktuelle Forschungsergebnisse, dass bei der heterotrophen Denitrifikation auch das bei der Nitrifikation gebildete gelöste N2O reduziert werden kann (Conthe et al. 2019).
Zusammengefasst entsteht die Höhe der emittierten Netto‑N2O‑Fracht einer Belebungsanlage durch das Wechselspiel der Nitrifikation als Quelle und der Denitrifikation als Senke von N2O. Das Zusammenspiel dieser beiden Prozesse wurde in kommunalen Kläranlagen nachgewiesen und kann helfen, die Intensität der N2O‑Emission vorherzusagen. In diesem Kontext wurden von Valkova et al. (2021) niedrigere N2O‑Emissionsfaktoren in Belebungsanlagen gemessen, die eine umfassende Denitrifikation erzielen. Der Zusammenhang zwischen Stickstoffentfernung und Lachgasemissionen konnte mit Messungen auf zehn österreichischen Kläranlagen gezeigt werden (Parravicini et al. 2016; Valkova et al. 2021). Der von Valkova et al. (2021) gezeigte Zusammenhang zwischen Lachgasemission aus dem Belebungsbecken und Stickstoffentfernung der Kläranlage ist in Abb. 4 dargestellt. Je vollständiger denitrifiziert wird bzw. je höher die Stickstoffentfernung der Kläranlage ist, umso geringer ist die Lachgasemission. Eine ähnliche Korrelation konnte auch für australische Kläranlagen erarbeitet werden (De Haas und Ye 2021). Die N‑Entfernung der Kläranlange als Schlüsselparameter für die Abschätzung direkter N2O‑Emissionen kombiniert die Auswirkungen mehrerer Betriebsparameter, welche die N2O‑Produktion und -Emission in Belebungsbecken beeinflussen. Diese Parameter sind u. a. 1) das aerobe Schlammalter, das indirekt die Belastungsverhältnisse des Belebungsbeckens und dessen Aufnahmefähigkeit gegenüber NH4+-Belastungsspitzen abbildet; 2) die Verfügbarkeit an organischem Kohlenstoff (CSB) für die Denitrifikation und die Flexibilität der Belüftungsregelung, das anoxische Volumen für die Denitrifikation nach den tatsächlichen Belastungsverhältnissen anzupassen.
×
Die Schwankungsbreite des N2O-Emissionsfators in Abb. 4 entspricht jener der Werte aus der Literatur für großtechnische kommunale Kläranlagen. Direkte N2O‑Emissionen (als N2O‑N) aus Belebungsbecken schwanken zwischen 0,003 % und 2,6 % der zufließenden Stickstofffracht (Literaturstudie in Parravicini et al. 2015; Vasilaki et al. 2019). Die festgestellte Streuung kann durch die hohe Abhängigkeit der N2O‑Produktion und -Emission von den Betriebsbedingungen auf Kläranlagen erklärt werden (Kampschreur et al. 2009; Wunderlin et al. 2013). Außerdem können die angewandte Messmethodik (Schneider und Rosenwinkel 2010) sowie die Beprobungsstrategie und -dauer (Daelman et al. 2013) die Emissionsergebnisse wesentlich beeinflussen. Die oben abgebildete Korrelation von Valkova et al. (2021) ermöglicht eine erste Einordnung des Ausmaßes der N2O‑Emission einer Kläranlage. Für die Abschätzung des Reduktionspotenzials und für die Entwicklung von gezielten Reduktionsmaßnahmen sind jedoch Messungen im Belebungsbecken erforderlich. Um die Variabilität der N2O‑Produktion und -Emission zu erfassen, sind Online-Messungen über einen Zeitraum von mehreren Wochen bzw. Monaten unabdingbar. Für eine detaillierte Beschreibung der vorhandenen Messmethoden wird auf Parravicini et al. (2022a) verwiesen.
Die Deammonifikation ist eine besondere Art der Denitrifikation, bei der die Nitritreduktion an die Ammoniakoxidation gekoppelt ist. Nach dem heutigen Stand des Wissens produzieren Anammox-Bakterien kein N2O (Desloover et al. 2012; Kampschreur et al. 2009). Im Vergleich zu konventionellen Nitrifikations- und Denitrifikationsprozessen wurden jedoch bei Deammonifikationsverfahren höhere N2O‑Emissionen gemessen, die aus der partiellen Nitritation (Oxidation von Ammonium zu Nitrit) durch AOB zurückzuführen sind (Ahn et al. 2010; Desloover et al. 2012). Die Implementierung der Deammonifikation zur Behandlung des Prozesswassers aus der Faulschlammentwässerung im Nebenstrom kann daher zu einer punktuellen Erhöhung der N2O‑Emissionen auf der Kläranlage führen. Wird jedoch durch die Deammonifikation im Nebenstrom Stickstoff ohne CSB-Verbrauch entfernt, kann das Belebungsbecken im Hauptstrom entlastet werden und der Denitrifikationsgrad und dadurch die Gesamtstickstoffentfernung der Kläranlage gesteigert werden. Der höhere Denitrifikationsgrad sowie das Vermeiden von kurzfristigen Ammoniumpeaks durch das stoßartige Zurückführen vom Prozesswasser kann sich zudem positiv auf eine vorteilhafte Reduktion der N2O‑Emission aus der Hauptstrombelebung auswirken. Wird außerdem berücksichtigt, dass die Fracht im Trübwasser nur ca. ein Fünftel der Stickstofffracht im Abwasser darstellt, kann die höhere N2O‑Emission im Nebenstrom durch die vermehrte N2O‑Reduktion im Hauptstrom kompensiert werden. Es ist deshalb eine ganzheitliche Betrachtung erforderlich, um die Auswirkung der Nebenstrombehandlung auf die direkten N2O‑Emmissionen der Kläranlage zu bewerten (Parravicini et al. 2015).
3.6 Maßnahmen zur Reduktion der Lachgasemissionen aus Belebungsbecken
Da die N2O‑Produktion (und -Emission) während der Nitrifikation mit dem Vorliegen von Ammonium gekoppelt ist, sind betriebliche Maßnahmen zur Vermeidung von höheren NH4+-Konzentrationen bzw. von ausgeprägten NH4+-Konzentrationsgradienten in Belebungsbecken von Vorteil. Auf Kläranlagen mit Faulung soll deshalb etwa für eine gleichmäßige Rückführung des Prozesswassers aus der Schlammentwässerung (z. B. Vermeidung von Stoßeinleitungen über einen Zwischenspeicher) gesorgt werden.
Günstige Denitrifikationsbedingungen lassen sich meistens durch betriebliche Maßnahmen wie Anpassung der Belüftungsregelung (Maximierung des anoxischen Volumens zum Beispiel durch Regelung der Belüftung über Ammoniumsonden) sowie Gewährleisten der CSB-Verfügbarkeit für die Denitrifikation (Kompromiss mit der Biogasproduktion) erzielen.
Bei der Auslegung neuer Abwasserreinigungsanlagen wäre zu beachten, dass diese mit einem ausreichend hohen Schlammalter betrieben werden können. Damit wird gewährleistet, dass eine ausreichende Reservekapazität für das Wachstum von AOB vorliegt, welche Belastungsschwankungen ohne ausgeprägte NH4+-Spitzen im Belebungsbecken auffangen kann.
Zudem soll gewährleistet werden, dass das Verhältnis zwischen Nitrifikations- und Denitrifikationsvolumen in Belebungsbecken dynamisch an die aktuellen Belastungsbedingungen angepasst werden kann und damit das maximal mögliche Denitrifikationsvolumen zur N2O‑Reduktion jederzeit genutzt wird.
4 Indirekte Treibhausgas-Emissionen
Indirekte Treibhausgasemissionen aus vorgelagerten Prozessen entstehen bei der Abwasserreinigung vor allem bei der Erzeugung und Aufbringung von Strom, durch die Herstellung von Polymeren zur Eindickung und Entwässerung des Klärschlamms, bei der Herstellung der Fällmittel (meist Eisen und Aluminiumsalze sowie Mischprodukte) und deren Transport. Welche indirekten THG-Emissionen in der CO2-Bilanz berücksichtigt werden sollen, hängt mit den gewählten Systemgrenzen der Bilanzierung zusammen. Dabei muss z. B. klar festgelegt werden, ob auch THG-Emissionen aus der Klärschlammverwertung/-entsorgung berücksichtigt werden sollen. Das Gleiche gilt für die indirekten Emissionen, die in den aufnehmenden Gewässern aufgrund der Einleitung des gereinigten Abwassers auftreten. Die letzteren werden in den THG-Inventuren nach IPCC Guidelines berücksichtigt und ermöglichen, die Reinigungsleistung der Kläranlagen in der CO2-Bilanz miteinzuschließen. Es soll jedoch auf die hohe Unsicherheit der vorgeschlagen Emissionsfaktoren für die N2O- und CH4-Emissionen aus den Gewässern hingewiesen werden. Darüber hinaus wird beim N2O‑Emissionfaktor nicht unterschieden, ob der Stickstoff im Ablauf als Ammonium oder als Nitrat vorliegt, was jedoch bei der Betrachtung der mikrobiologischen Vorgänge wesentlich ist.
Die Emissionsfaktoren für die Berechnung der indirekten Emissionen aus der Herstellung von Chemikalien und Hilfsmitteln hängen stark vom Herstellungsverfahren ab. Basierend auf den Datensätzen der Ecoinvent-Datenbank (Wernet et al. 2016) ist beispielweise die Herstellung von Eisenchlorid (FeCl3) aus Eisenerz und Salzsäure emissionsintensiver als jene über Beizsäure (96 % Schwefelsäure) und Chlorgas. Informationen über das Herstellungsverfahren sollten daher vorliegen, um eine realitätsnahe Abschätzung dieser indirekten Emissionen zu gewährleisten. Weil bei Mischprodukten (z. B. Fällmittel) die genaue Zusammensetzung nicht angegeben wird, können in diesem Fall die THG-Emissionen nur annährend aus den Reinprodukten geschätzt werden. Weiters soll auch hinterfragt werden, ob ein Produkt gezielt hergestellt wird oder als Nebenprodukt eines industriellen Prozesses entsteht. Im letzteren Fall soll das in der Allokation der THG-Emissionen dementsprechend berücksichtigt werden (Alvarez-Gaitan et al. 2014).
Weitere indirekte Emissionen entstehen bei der Errichtung und Renovierung der Kläranlagen, hauptsächlich durch den verbauten Beton, Bewehrungsstahl sowie die maschinelle und elektrische Ausrüstung der Anlagen. Beim Bau bzw. bei Sanierungsarbeiten in der Kanalisation lassen sich speziell im ländlichen Gebiet höhere indirekte THG-Emissionen als bei Kläranlagen erwarten (Parravicini et al. 2022b).
5 CO2-Fußabdruck der Abwasserentsorgung
In Abb. 5 ist der CO2-Fußabdruck inklusive direkter und indirekter THG-Emissionen für zwei einstufige Kläranlagen, einer mit Faulung und einer mit simultaner aerober Schlammstabilisierung abgebildet. Die Anlagen sind fiktive Modellanlagen mit einer Ausbaugröße größer 100.000 EWCSB120 für die Anlage mit Faulung (FA) und zwischen 30.000 und 100.000 EWCSB120 für die Anlage mit simultaner aerober Schlammstabilisierung (SASS). Beide Kläranlagen erzielen eine CSB-, N‑ und P‑Elimination (Anlage mit Faulung: 95 %, 75 %, 85 %; Anlage mit SASS: 95 %, 90 %, 85 %, als Jahresmittel). In der Systemgrenze wurde auch die Kanalisation miteinbezogen, die Entsorgung/Verwertung des Klärschlamms jedoch nicht. Die Bauphase und Sanierungsarbeiten wurden ebenfalls berücksichtigt. Der Betrachtungszeitraum für die Infrastruktur wurde bei 30 Jahren angesetzt. Die Beschreibung der Modellanlagen sowie der Berechnungsmethode für den CO2-Fußabduck ist in Parravicini et al. (2022b) im Detail dargestellt. Die jährliche Emission an CO2-Äquivalenten wurden auf EW120 als funktionelle Einheit bezogen. Auf diese Weise werden die CO2-Emissionen sinnvollerweise mit der im Abwasser enthaltenen Schmutzfracht in Beziehung gesetzt. Eine abwasservolumenbezogene Einheit kann die Vergleichbarkeit von Anlagen, die unterschiedlich stark belastetes Abwasser behandeln, erschweren (Hable 2019).
×
Wie in Abb. 5 dargestellt, ist der CO2-Fußabdruck der Modellanlage mit Schlammfaulung mit 59 kg CO2eq/(EW · a) nur ein wenig größer als jener der Anlage mit simultaner aerober Schlammstabilisierung (56 kg CO2eq/(EW · a)). Tatsächlich werden bei der Anlage mit Faulung mehr Treibhausgase emittiert (65,3 kg CO2eq/(EW · a)), ein Teil dieser Emissionen wird jedoch durch die Gutschrift aus der eigenen Stromproduktion aus dem Biogas (−6,1 kg CO2eq/(EW · a)) kompensiert. Die Hauptemissionen im Betrieb sind bei der Anlage mit Faulung das Lachgas aus dem Belebungsbecken und das Methan aus dem Bereich der Faulung mit 12,3 bzw. 5,5 kg CO2eq/(EW · a) sowie der Stromverbrauch mit 11,6 kg CO2eq/(EW · a). Durch die Erhöhung der Stickstoffentfernung von 75 % auf 85 % im Jahresmittel könnte die N2O‑Emission auf 6,2 kg CO2eq/(EW · a) halbiert werden (Valkova et al. 2021).
Bei der Anlage mit simultaner Schlammstabilisierung entfällt der größte Anteil auf den elektrischen Strom für die Belüftung (16,9 kg CO2eq/(EW · a)). Durch die geringere Ammoniumkonzentration im Belebungsbecken (höheres Schlammalter) und die hohe CSB-Verfügbarkeit für die Denitrifikation ist die geschätzte Lachgasemission der Anlage mit SASS mit 1,9 kg CO2eq/(EW · a) vergleichsweise geringer als bei der Anlage mit Faulung. Bei der Abschätzung der Methanemissionen wurden Emissionsfaktoren in Anlehnung an die „Best Practice“ definiert. Tatsächlich können Anlagen mit optimierungsbedürftigem Schlamm-Management (z. B. mäßige Stabilisierung, lange Lagerdauer) und alter Infrastruktur höhere CH4-Emissionen aufweisen.
Direkt in der Kanalisation auftretende CH4-Emissionen wurden in der CO2-Bilanz nicht quantifiziert, da die hohe räumliche und zeitliche Variabilität der Umweltbedingungen die Definition verlässlicher Emissionsfaktoren verhindert. Die Emissionen aus der Strippung des gelösten Methans, das in vorgelagerten Kanalnetzen entsteht und in der Kläranlage ausgestrippt wird, wurden nach IPCC et al. (2019) berücksichtigt. Diese Emissionen sind bei der Kläranlage mit Faulung in der gleichen Größenordnung wie die CH4-Emissionen aus der gesamten Schlammlinie.
Großen Einfluss auf die indirekten THG-Emissionen hat der CO2-Fußabdruck des eingesetzten Strommix, welcher in Österreich mit 344 g CO2eq/kWh (Erzeugung und Aufbringung) im internationalen Vergleich relativ gering ist (Ecoinvent 2020). Daraus ergibt sich, dass in Regionen mit höherem fossilem Anteil bei der Stromerzeugung die Anlage mit SASS deutlich höhere Emissionen als die Anlage mit Faulung verursachen würde.
Die Herstellung und der Transport der Chemikalien (Fällmittel und Polymere) sind bei beiden Anlagen vergleichsweise gering, jedoch nicht vernachlässigbar.
Der Beitrag der Bauphase in der CO2-Bilanz ist aufgrund der üblicherweise langen Betriebszeit von Kläranlagen nicht signifikant. Der Einfluss der Bauphase der Kläranlage ist im Vergleich zu den Betriebsaufwendungen in der CO2-Bilanz nicht relevant. Das ergibt sich aus der hohen Lebensdauer der Infrastruktur und dem intensiven Güterverbrauch in der Betriebsphase. Es ist jedoch zu erwarten, dass die Relevanz der Bauphase künftig bei fortschreitender Dekarbonisierung der Energiebereitstellung sowie durch vermehrte klima- bzw. ressourcenschonende Maßnahmen steigen wird. Es ist daher sinnvoll, Verfahren zu bevorzugen, die Einsparungen auch in diesem Bereich erzielen. Die Relevanz der THG-Emissionen aus Bau und Erhaltung der Kanalinfrastruktur scheinen mit 20 kg CO2eq/(EW · a) deutlich höher als jene der Kläranlagen zu sein.
6 Zusammenfassung und Schlussfolgerung
Die derzeit geschätzten direkten Treibhausgasemissionen (Methan und Lachgas) aus dem Sektor Abwasser betragen etwa 0,5 % der gesamten nationalen Emissionen in Österreich. Trotz dieses relativ geringen Anteils an den Gesamtemissionen ist jeder Sektor verpflichtet, emissionsreduzierende Maßnahmen zu setzen, um die gesetzten Klimaziele zu erreichen. Dividiert man diese direkte Emission für den Sektor Abwasser in Österreich (406.000 t/a CO2eq) durch die Ausbaukapazität, ergibt sich ein EW-spezifischer Emissionsfaktor von ca. 19 kg CO2eq/(EW · a) für die direkten THG-Emissionen aus dem Abwassersektor.
Berücksichtigt man zusätzlich zu den direkten die indirekten THG-Emissionen, liegt die EW-spezifische Emission beim Betrieb von Kläranlagen > 30.000 EW bei 33–36 kg CO2eq/(EW · a) inklusive Kanal, Kläranlage, Betriebsmittel, elektrischer Strom und Transport. Die EW-spezifischen Emissionen nehmen aufgrund von positiven Skalen-Effekten (z. B. Energieeffizienz) mit zunehmender Größe der Kläranlagen ab. Es ist daher zu erwarten, dass kleinere Kläranlagen einen höheren EW-spezifischen CO2-Fußabdruck aufweisen. Das betrifft nicht nur den Betrieb, sondern auch die Infrastruktur (z. B. Kanalnetz).
Durch die Berechnung des CO2-Fußabdrucks wird ermöglicht, die relevantesten THG-Quellen bei der Abwasserentsorgung zu identifizieren und zu quantifizieren. Auf dieser Datenbasis kann eine erste Abschätzung des Reduktionspotenzials erfolgen. Erste Berechnungen zeigen, dass die Relevanz der Emissionen und die Reduktionspotenziale im Kanal und auf Kläranlagen deutlich unterschiedlich sind.
Ein Vergleich zwischen Kläranlagen mit Faulung und simultaner aerober Schlammstabilisierung zeigt, dass die THG-Emissionen maßgeblich vom Strommix sowie von den Lachgasemissionen aus dem Belebungsbecken und den direkten Methanemissionen aus der Schlammbehandlung abhängen.
Die Methanemissionen aus den Kläranlagen können mit relativ einfachen Maßnahmen wie Abdecken von Behältern, Behandlung der Abluft und kurzer Lagerdauer von Schlämmen sowie durch Verwendung aktueller Blockheizkraftwerke mit geringem Methanschlupf deutlich reduziert werden. Im Bereich bestehender Abwasserkanäle lassen sich die Methanemissionen betrieblich kaum beeinflussen, sie sollten aber bei neu geplanten Kanälen berücksichtigt werden.
Die Lachgasproduktion und -reduktion im Belebungsbecken hängen stark von den betrieblichen Parametern ab. Durch optimale Betriebsbedingungen, v. a. durch Vermeiden von hohen Ammoniumkonzentrationen und eine möglichst hohe Stickstoffentfernung, können die Lachgasemission aus den Kläranlagen und den aufnehmenden Gewässern deutlich verringert werden. Eine möglichst hohe Stickstoffentfernung würde außerdem zu einer Reduktion des Stromverbrauchs für die Belüftung durch eine bessere Nutzung der Denitrifikation zur Kohlenstoffelimination führen. Durch die Verbesserung der Ablaufqualität (niedrigere N‑Ablauffracht) könnte auch ein weiterer Beitrag zum Gewässerschutz geleistet werden.
Während sich die meisten Emissionen aus der Errichtung der Infrastruktur auf vergangene Maßnahmen beziehen, ist es wichtig, Emissionen bei der Sanierung der Infrastruktur zu minimieren, insbesondere durch Recycling und Rehabilitierung der Materialien so weit wie möglich und durch Verwendung weniger invasiver Inline-Renovierungstechniken und grabenloser Bauverfahren. Zement und Kunststoffe mit reduziertem CO2-Fußabdruck sollten für zukünftige Bauarbeiten berücksichtigt werden.
Zusammengefasst leisten Verbesserungen in Richtung niedriger Stickstoff-Ablaufwerte, geringem Energieverbrauch, geringem Betriebsmittelverbrauch und Nachnutzung der Infrastruktur auch einen Beitrag bei der Reduktion der THG-Emissionen. Durch zusätzliche gezielte Reduktionsmaßnahmen kann der CO2-Fußabdruck der Abwasserwirtschaft reduziert werden. Aus heutiger Sicht kann jedoch Abwasser ohne Kompensationsmaßnahmen nicht klimaneutral abgeleitet und gereinigt werden.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.