Dieser Beitrag stellt die Ergebnisse einer explorativen Untersuchung vor, die dem Erleben von leerstehenden Ladenlokalen in der Fußgängerzone von Bad Bergzabern aus der Perspektive der Atmosphärenforschung nachgeht. Viele Zentren von Kleinstädten sind gegenwärtig mehr oder weniger dauerhaft von Leerstand im Einzelhandel betroffen. Er stellt für diese Städte auch deshalb ein Problem dar, weil er die Aufenthalts- und Erlebnisqualität der Zentren mindert. Mit ihrem Fokus auf die Gestimmtheit von Räumen und den Einfluss der unmittelbaren Umgebung auf das subjektive Befinden von Personen, ermöglicht die Atmosphärenforschung, diesen Zusammenhang zu erfassen und differenzierter zu verstehen.
Die Untersuchung baut empirisch auf der Methode der „Parcours commentés“ auf. Als Ergebnisse konnten mit Tristesse, Abwendung und Beschleunigung drei Grundeffekte des Erlebens von Leerstand herausgearbeitet werden. Sie verdeutlichen, auf welche Weise Leerstand grundsätzlich den Aufenthalt und das Erleben in einer Fußgängerzone beeinflusst. Zudem wird sichtbar, durch welche subjektiven Faktoren auf der einen und durch welche konkreten physisch-materiellen Erscheinungen des Leerstandes auf der anderen Seite die Grundeffekte akzentuiert werden. Hieran anknüpfend werden Handlungsmöglichkeiten für einen Umgang mit Situationen längerfristigen Leerstands diskutiert.
Einführung
Der Leerstand von Ladenflächen für Einzelhandel, Dienstleistungen und Gastronomie ist für Kommunen ein vielschichtiges Problem. Neben dem Verlust von Steuereinnahmen, einer verminderten Zentralität mit entsprechend eingeschränkten Versorgungsmöglichkeiten hat Leerstand auch eine sinnliche Dimension und manifestiert sich in der Verminderung der Erlebnisqualität öffentlicher Räume. Insbesondere in den Zentren von Städten tragen die Schaufenster von Ladenflächen sowie die Auslagen vor den Geschäften zu einer positiven Gesamterscheinung des städtischen Raums bei. Im besten Fall geht von ihnen sowohl eine Anziehung als auch eine positive Ausstrahlung aus, die bei leerstehenden Ladenflächen fehlt.
Dieser Verlust an Erlebnis- und Aufenthaltsqualität berührt eine wichtige Funktion städtischer Zentren. Sie fungieren heute in zuvor nicht gekannter Form als Erlebnisorte (Wiegandt 2015). Innenstädte befinden sich in einem Attraktivitätswettbewerb, der nicht nur auf die touristische Klientel abzielt, sondern auch auf Unternehmen und Bewohner:innen ausgerichtet ist. Die Auseinandersetzung mit dem Erleben von Leerstand ist vor diesem Hintergrund eine wichtige Problemstellung der angewandten Stadtforschung, die Anregungen für den planerischen und gestalterischen Umgang mit dieser Problematik verspricht. Sie erhält durch die sich andeutende Verstätigung des Leerstandes in kleineren Mittelzentren, insbesondere in strukturschwachen Regionen, zusätzliche Relevanz (Rauh 2020; Berroir et al. 2019). Leerstand und ein damit verbundenes Leerstandsmanagement sind durchaus Gegenstand in der aktuellen Stadt- und Regionalforschung, wobei Leerstand vielfach in Verbindung mit demografischen und ökonomischen Fragestellungen untersucht wird (Kühn 2017). In der akademischen Einzelhandelsforschung wird Leerstand eher als Randphänomen wahrgenommen und als Ergebnis eines Trading Down von Einzelhandelsagglomerationen beschrieben (Kulke 2020). Gegenwärtige Arbeiten einer stärker anwendungsbezogenen Stadtforschung befassen sich vermehrt mit innerstädtischem Leerstand im ländlichen Raum. Der Fokus liegt dabei auf der Entwicklung konkreter Maßnahmen zum Umgang mit Leerstand und einer Wiederbelebung der Innenstädte (Hilpert et al. 2018; Mensing 2019; Hilpert und Merz 2020). Neben verschiedenen Nutzungskonzepten (zu Formen der Zwischennutzung vgl. Hilpert et al. 2018; zu kreativen Mietkonzepten vgl. Mensing 2019; allgemein zur zukunftsweisenden Nutzungsvielfalt von Innenstädten vgl. Diringer et al. 2022) sind Aspekte wie Multifunktionalität, ein integriertes Leerstandsmanagement (Funk und Markert 2008; Hilpert et al. 2018; Arnold 2019) sowie die Kombination privater und kommunaler Initiativen (Krämer 2017; Wener 2022; für erfolgreiche Transformationen des Einzelhandels kleiner Städte vgl. Ekström und Jönsson 2022) wichtige Themen. Die Frage nach der innerstädtischen Aufenthaltsqualität und dem Erleben von leerstehenden Ladenflächen wird in den praxisbezogenen Arbeiten durchaus angesprochen, aber nicht differenzierter untersucht (bspw. Hilpert et al. 2018).
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An dieser Stelle setzt unser Beitrag an. Basierend auf einer explorativen Untersuchung der Fußgängerzone von Bad Bergzabern thematisiert er das Erleben von Leerstand aus der Perspektive der Atmosphärenforschung. Sie ermöglicht es, zu einem kleinräumig differenzierten Verständnis des Erlebens von Leerständen betroffener Innenstädte zu gelangen. Nach der Vorstellung einiger Kernelemente des Atmosphärenbegriffs, dem Untersuchungsraum und dem methodischen Vorgehen werden mit atmosphärischen Grundeffekten von Leerständen und deren Akzentuierungen die Ergebnisse der empirischen Untersuchung präsentiert sowie daraus ableitbare Handlungsmöglichkeiten für die Planung angesprochen.
Kernelemente des Atmosphärenbegriffs
Der Atmosphärenbegriff nimmt den Menschen als sinnliches Wesen in den Blick, der jederzeit über all seine Sinne mit seiner unmittelbaren Umgebung verbunden ist. Die menschliche Sinnlichkeit wird mit dem Atmosphärenbegriff als das Spüren der eigenen Anwesenheit in der konkreten Umgebung gedacht, die sich in einem spezifischen Befinden manifestiert. In der deutschsprachigen Diskussion werden insbesondere die Gefühle als Ausdruck des Befindens in den Vordergrund gerückt (Böhme, 2001, S. 79; Hasse 2002). Atmosphären können sich auf der subjektiven Seite jedoch auch in Form einer spezifischen Aufmerksamkeit ausdrücken (Kazig 2007, S. 173f) oder auf der Ebene der Gestik und Motorik manifestieren (Thibaud 2003, S. 288ff.). Diese Unterscheidung ist für die empirische Forschung hilfreich, um das atmosphärisch beeinflusste subjektive Befinden zu erfassen.
Mit einem spezifischen subjektiven Befinden geht eine Weise der „Welterfahrung“ (Böhme 2001, S. 81) einher. Mit dem Atmosphärenbegriff kommt also auch in den Blick, dass Räume als gestimmt, von einer affektiven Tonalität (Thibaud 2015, S. 221ff.) geprägt erscheinen. Die empirische Forschung zu Atmosphären kann auf der subjektiven Seite also sowohl am Ausdruck des subjektiven Befindens als auch dem Empfinden der Gestimmtheit von Räumen ansetzen.
Atmosphären im sozialwissenschaftlichen Verständnis beschreiben ein Phänomen, das sich zwischen dem Menschen und seiner unmittelbaren Umgebung im Zusammenhang mit einer konkreten Aktivität entfaltet. Sowohl mit der Sozialisation erworbene Sensibilitäten als auch die Einbindung in Aktivitäten beeinflussen das Empfinden von Atmosphären. Insofern sind sie nicht als deterministische Kräfte zu verstehen, die sich gleichermaßen im Empfinden aller Menschen an einem Ort niederschlagen. Bisher liegen zu dieser Problematik keine empirischen Arbeiten vor. Auf Basis der Ergebnisse der empirischen Atmosphärenforschung ist jedoch davon auszugehen, dass die sinnlichen Qualitäten der Umgebung in gewissem Maß die Effekte einer Atmosphäre vorgeben.
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Methodisches Vorgehen und Vorstellung des Fallstudienortes Bad Bergzabern
Um das Erleben von Atmosphären beim Gehen – das heißt der üblichen Fortbewegung bei der Nutzung einer Fußgängerzone – erfassen zu können, wurde in dieser Untersuchung eine bei der Auswertung der Daten leicht abgewandelte Form der von Thibaud (2001) entwickelten Methode der „Parcours commentés“ angewandt. Sie besteht darin, dass die Proband:innen während eines begleiteten Gangs in situ auf einem weitgehend vorgegebenen Parcours ihre Wahrnehmungen und Empfindungen beschreiben. Nach dem Parcours erfolgt in einer klassischen Interviewsituation – mithilfe einer Karte – ein Gespräch, in dem die Empfindungen während des Parcours erinnert und gegebenenfalls als einheitlich empfundene Abschnitte des Parcours abgegrenzt werden. Der Parcours erfolgte mit der Anleitung, das Wahrnehmen und Empfinden beim Gang durch die Fußgängerzone zu beschreiben. Am Ende des sich anschließenden Gesprächs wurde eine Frage zum Erleben und Empfinden des Leerstandes gestellt, sofern dieser Aspekt nicht von den Teilnehmenden selbst angesprochen wurde.
Zudem wurde die sinnliche Qualität des Untersuchungsortes erhoben, um in der Auswertung das Zusammenspiel von Umgebungsqualitäten mit dem subjektiven Befinden nachvollziehen zu können. In der Fallstudie erfolgte dies in Form einer Kartierung des Leerstandes und von Fotoaufnahmen des Untersuchungsraums.
Die Parcours wurden in der ungefähr 240 m langen Fußgängerzone von Bad Bergzabern durchgeführt (Abb. 1), die neben historischen Gebäuden von einigen Bauten aus den 1970er-Jahren gerahmt ist (Abb. 2).
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Zum Zeitpunkt der Untersuchung im November 2019 standen von den 36 Ladenlokalen in der Fußgängerzone 16 leer (Abb. 3a, b), von denen fünf als Ausstellungsräume genutzt wurden.
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Insgesamt wurden zehn Parcours durchgeführt. Von den zehn Teilnehmenden waren vier ortsansässig, drei kannten die Fußgängerzone aus früheren Besuchen und drei waren ohne Ortskenntnis. Bereits mit den zehn Parcours lag eine ausreichende Menge an verwertbarem Interviewmaterial vor, auf dessen Basis wir die vorgestellten Ergebnisse erarbeiten konnten. Die Untersuchung schließt damit an eine Reihe von qualitativen Arbeiten der empirischen Atmosphärenforschung an, die bereits mit einer geringen Anzahl von Parcours zu belastbaren Ergebnissen gelangen (bspw. Sumartojo et al. 2019 und Scholtz und Strüver 2017). Sowohl die Parcours als auch die Nachgespräche wurden vollständig transkribiert und mithilfe der Software MAXQDA (VERBI GmbH, Berlin, Deutschland) ausgewertet.
Die Daten aus den Parcours und der Kartierung wurden im Rahmen einer Bachelorarbeit im November 2019 erhoben (Bartmus 2020) und für diesen Beitrag neu ausgewertet. Dabei haben wir im Unterschied zu Thibaud (2001) – sowie auch zur Bachelorarbeit von Bartmus (2020) – keine Rekonstruktion des Erlebens entlang des kompletten Parcours vorgenommen. Vielmehr haben wir den Fokus in der Auswertung auf die besonders markanten, von mehreren Proband:innen geteilten subjektiven Effekte bei der Begegnung mit Leerstand gelegt. Um den möglichen Einfluss der Jahreszeit berücksichtigen zu können, erfolgte im Sommer 2021 zusätzlich eine Introspektion von zwei Autor:innen bei einem Gang durch die Fußgängerzone. Bei den individuell durchgeführten Introspektionen wurde, wie bei den Parcours, das Empfinden und Wahrnehmen beim Gehen beschrieben und in ein Aufnahmegerät gesprochen. Zur Auswertung wurden lediglich die besonders markanten Effekte bei der Begegnung mit Leerstand transkribiert.
Tristesse, Beschleunigung und Abwendung: Atmosphärische Grundeffekte des Leerstands und ihre Akzentuierung
Im Rahmen dieses Beitrags werden drei besonders markanten Effekte auf das subjektive Befinden bei der Begegnung mit dem Leerstand in der Fußgängerzone in den Fokus gerückt. Wir haben diese als atmosphärische Grundeffekte bezeichnet und wollen damit zum Ausdruck bringen, dass es eine Grundorientierung der atmosphärisch vermittelten Betroffenheit bei der Begegnung mit Leerständen gibt, die durch spezifische Rahmenbedingungen in ihrer Intensität akzentuiert wird. In der Kombination können die drei Grundeffekte als Merkmale einer typischen Atmosphäre des Leerstandes verstanden werden und insofern als ein weiterer Typus die von Kazig (2008) begonnene Typologie städtischer Atmosphären ergänzen.
Grundeffekte
Die Leerstände schlagen sich auf der emotionalen Ebene in Form eines negativen Empfindens bei den Proband:innen nieder, wie es ganz allgemein in dem folgenden Zitat ausgedrückt wird:
„Gerade ist es [kurze Pause] ganz negativ in mir. Ganz negativ. Hier mal ein Geschäft, hier wieder nichts.“ (Frau N, ehemals ortsansässig)
Dieses negative Empfinden spiegelt sich in dem Erleben von Teilen der Fußgängerzone als leblos, trist, traurig oder ungemütlich wider. Von den leerstehenden oder zugeklebten Schaufenstern gehen keine positiven Eindrücke durch ausgestellte und inszenierte Waren aus (Abb. 3b). Leerstehenden Ladenlokalen fehlt zudem das Potenzial, bei geöffneten Türen durch die Ausstrahlung von Gerüchen, Gesprächsfetzen oder Musik den Straßenraum zu beleben. Durch den Leerstand nimmt zudem die Passant:innenzahl ab, wodurch das Empfinden einer Tristesse beim Aufenthalt in der Fußgängerzone zusätzlich verstärkt wird.
Auf der motorischen Ebene lassen sich mit der Beschleunigung und Abwendung zwei Grundeffekte bei der Begegnung mit Leerständen unterscheiden, die in enger Verbindung zum Empfinden der Tristesse stehen. Auf der einen Seite hat sich bei Proband:innen der Untersuchung ein Impuls der Beschleunigung eingestellt, wie der folgende Gesprächsausschnitt verdeutlicht.
„Ein bisschen ungemütlich sagen wir mal. Ungemütlich. Einfach nich kuschelig, ne sondern so: naja, hm, gehen mal schnell durch, dass wir irgendwo hinkommen, wo es hübscher is.“ (Frau D, ortsfremd)
Die Fußgängerzone, die eigentlich zum Flanieren – das heißt zu einem tendenziell langsamen und in gewissem Maß genießerischen Durchschreiten – einladen sollte, wird so zu einem Durchgangsbereich, den man als Passant:in möglichst zügig durchqueren möchte.
Der dritte atmosphärische Grundeffekt äußert sich auf motorischer Ebene in Form einer Abwendung von den Leerständen.
„Ich hab’ ein paar Geschäfte gesehen, die leer waren und wo nichts drin gewesen scheint. Aufgefallen ist mir das schon, aber ich habe nicht viel drüber nachgedacht. … Ich weiß nicht, ich hab’ dann so auf andere Sachen geachtet.“ (Herr E, ortsfremd)
Durch die Abwendung von einer eindrücklichen sinnlichen Begegnung mit den Leerständen kann eine bewusste Auseinandersetzung mit dieser Gegebenheit und dem sie begleitenden negativen Empfinden weitgehend vermieden werden. Die Fußgängerzone von Bad Bergzabern bietet in den meisten Bereichen trotz der Leerstände mehr oder weniger attraktive Reize, die es ermöglichen, den negativen Effekten der Ausstrahlung der Leerstände auch ohne Beschleunigung zu entkommen.
Akzentuierungen
Diese angesprochenen Effekte werden durch verschiedene Einflussgrößen akzentuiert. Sie können einerseits von der konkreten sinnlichen Gegebenheit der Fußgängerzone, andererseits von der subjektiven Disponiertheit gegenüber den Effekten von Leerständen ausgehen.
Die Jahreszeit hat sich als eine Einflussgröße herausgestellt. Mehrere Teilnehmer:innen haben in der im Winter durchgeführten Studie zum Ausdruck gebracht, dass sie sich für die Sommermonate durchaus ein positiveres Erleben der Fußgängerzone vorstellen könnten bzw. dass sie – als mit dem Ort vertraute Personen – diese im Sommer schon ganz anders erlebt haben. Die Introspektion beim Gang durch die Fußgängerzone im Monat Juli hat allerdings deutlich gemacht, dass auch im Sommer die stark vom Leerstand geprägten Bereiche eher als trist erlebt wurden und der Effekt einer Beschleunigung gegeben war.
Die Nutzung leerstehender Ladenflächen als Ausstellungsflächen trägt tendenziell zu einem angenehmeren Erleben der Fußgängerzone bei (Abb. 4). Durch die Nutzung als Ausstellungsfläche geht von den Schaufenstern eine positive Ausstrahlung aus. Allerdings kann dieser Effekt bei Passant:innen abgeschwächt werden, die bemerken oder wissen, dass hinter einem Schaufenster letztendlich kein Betrieb besteht. Auch die Qualität der Inszenierung und die Gepflegtheit der Erscheinung des Schaufensters beeinflusst den positiven atmosphärischen Effekt der Nutzung als Ausstellungsfläche.
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Zudem hat die Art der Schaufenster einen Einfluss auf die atmosphärischen Effekte des Leerstandes: Während ein Leerstand bei bodentiefen Schaufenstern stark negativ in den Bereich der Fußgängerzone strahlt (Abb. 3b), sind die Effekte bei halbhohen Schaufenstern weniger stark ausgeprägt (Abb. 5).
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Die Fallstudie hat außerdem verdeutlicht, dass die Einbettung eines Leerstandes in eine attraktive Umgebung die negativen Effekte abschwächt. Der mittlere Teil der Fußgängerzone – mit einigen attraktiven Geschäften, attraktiven Fassaden sowie einer gepflegten Bepflanzung und Begrünung – wurde von den Proband:innen trotz mehr als der Hälfte leerstehender Ladenlokale tendenziell als positiv erlebt (Abb. 6).
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Wie zuvor bereits betont wurde, sind die atmosphärischen Effekte von Leerständen von individuellen oder kollektiv geteilten Dispositionen mitbestimmt. In der Fallstudie hat sich angedeutet, dass ortsansässige Personen tendenziell stärker von der empfundenen Tristesse betroffen sind. Sie vergleichen das Erleben der aktuellen Situation vielfach mit ihren Erinnerungen an eine lebendigere, noch nicht oder weniger von Leerstand geprägten Innenstadt. Die Tristesse erscheint dadurch noch stärker empfunden zu werden. Unterschiedliche Dispositionen werden von dem Interesse geschaffen, das mit dem Besuch der Innenstadt verbunden wird. Probanden, die eher an einem Erleben von Architektur interessiert sind, werden in geringerem Maß von den atmosphärischen Effekten des Leerstand betroffen als solche, die die Innenstadt in erster Linie als Einzelhandelszentrum ansehen.
Handlungsmöglichkeiten für die Praxis
Ausgehend von diesen Ergebnissen lassen sich Handlungsmöglichkeiten für einen Umgang mit Situationen längerfristigen Leerstands formulieren bzw. erhalten durchaus bekannte Vorschläge eine neue Dimension der Rechtfertigung und Evaluierung. Sie zielen darauf ab, trotz andauernden Leerstands den Verlust an Erlebnis- und Aufenthaltsqualität der betroffenen städtischen Zentren zu begrenzen.
An erster Stelle steht die Pflege von Leerständen durch die Nutzung der Schaufenster als Ausstellungsräume für Künstler:innen und Kulturschaffende oder nicht direkt in der Nachbarschaft ansässige Einzelhändler:innen (vgl. Grünzig 2005, S. 46; Krämer 2017). Die Schaufenster können dadurch als Quellen von Attraktion und positiver Ausstrahlung erhalten bleiben. Dabei gilt es zu beachten, dass diese Effekte insbesondere dann erreicht werden können, wenn die Schaufenster durch Sauberkeit, eine möglichst professionelle Gestaltung sowie Beleuchtung auch während der Dunkelheit gekennzeichnet sind. Diese Maßnahmen können – hinsichtlich ihres Einflusses auf die Atmosphären des Zentrums – einen Einzelhandelsbetrieb allerdings nicht vollständig ersetzen, weil sie kaum zusätzliche Passant:innen anziehen und die Ausstrahlung durch geöffnete Ladentüren fehlt.
Die negativen atmosphärischen Effekte von Leerstand können auch durch eine attraktive Gestaltung von Fassaden oder des öffentlichen Raumes abgemildert werden. Der Gestaltung und Bepflanzung öffentlicher Räume (vgl. Hilpert et al. 2018) kommt deshalb gerade in stark von Leerstand geprägten Städten eine besondere Bedeutung zu. Durch finanzielle Anreize können private Eigentümer angeregt werden, die Fassaden ihrer Immobilien zu pflegen oder zu erneuern.
Die geringere Betroffenheit von negativen atmosphärischen Effekten des Leerstandes jener Personen, die die Innenstadt nicht in erster Linie als Orte des Einkaufens ansehen, regt schließlich dazu an, die Funktion von Fußgängerzonen als Einzelhandelszentren zu hinterfragen. Sie lädt dazu ein, über die Entwicklung von stark von Leerstand geprägten Zentren als zentralen Orten der Begegnung und nicht konsumfokussierter Aktivitäten nachzudenken und entsprechende Transformationen experimentell mit temporären Projekten zu testen. Dies kann Ausgangspunkt der Vernetzung städtischer, wirtschaftlicher und ziviler Akteure für ein gezieltes kommunales Leerstandsmanagement sein (Arnold 2019, S. 234 ff.).
Fazit
Die explorative Untersuchung hat deutlich gemacht, wie Leerstände – vermittelt durch die atmosphärischen Grundeffekte der Ausbreitung von Tristesse, der Beschleunigung und der Abwendung – die Aufenthaltsqualität in der Fußgängerzone von Bad Bergzabern verschlechtern. Sie hat zudem gezeigt, wie diese Effekte durch die konkrete physisch-materielle Erscheinung der Leerstände und ihres Umfeldes akzentuiert werden. Hieran können Maßnahmen ansetzen, um auch bei andauerndem Leerstand einer dauerhaften Verschlechterung der Aufenthaltsqualität in den Zentren entgegenzuwirken.
Die Auseinandersetzung mit den atmosphärischen Effekten von Leerständen kann als ein Teil einer weiter gefassten, noch zu entwickelnden Forschung zu Atmosphären von „Einzelhandelslandschaften“ verstanden werden, um der sinnlichen Dimension der Präsenz des Einzelhandels im städtischen Raum auf die Spur zu kommen, sie zu beschreiben, in ihrer Entstehung zu analysieren und damit für die Stadtentwicklungspolitik handhabbar zu machen.
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