Das Kilombero Tal in Tansania ist eines der größten saisonalen Feuchtgebiete Ostafrikas mit großem landwirtschaftlichem Potenzial. Aktuell dominiert der kleinbäuerliche Regenfeld-Reisanbau, es gibt jedoch schon seit Mitte des 20. Jahrhunderts noch nicht umgesetzte Pläne zur Intensivierung der Landwirtschaft. Angesichts sich verändernder hydro-klimatischer Risiken und zunehmender sozioökonomischer Dynamiken stellt sich die Frage nach der Resilienz dieser Mensch-Umwelt-Interaktionen. Dabei geht es um eine nachhaltige Balance zwischen menschlichen Bedürfnissen und der Integrität der Ökosysteme. Eine sozial-ökologische Forschungsperspektive kann hierbei die Wechselwirkungen zwischen den sozialen und biophysikalischen Teilsystemen sowie das Handeln der in die Biosphäre eingebetteten Akteure in den Vordergrund rücken und die verschiedenen Teilsysteme auf verschiedenen räumlichen, zeitlichen und institutionellen Ebenen untersuchen. Die Auswirkungen von Landnutzungsvisionen auf bestehende Landnutzungsmuster und die Rolle der Umweltwahrnehmung werden untersucht, ebenso wie die Perspektiven unterschiedlicher Akteure und deren Einfluss auf Entscheidungs- und Handlungsspielräume. Der Beitrag diskutiert, wie Landnutzungsvisionen räumliche Realitäten schaffen und welche Anpassungsstrategien aus welchen Gründen gewählt werden.
Hinweise
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Einführung
Das Kilombero-Tal in Tansania zählt zu den größten saisonalen Feuchtgebieten Ostafrikas und bietet damit ein hohes Potenzial für die landwirtschaftliche Entwicklung. Bislang prägen kleinbäuerliche Strukturen den dominierenden Regenfeld-Reisanbau und es existieren nur wenige gemeindebasierte Bewässerungssysteme (Gebrekidan et al. 2020; Höllermann et al. 2021). Auf regionaler und überregionaler Ebene wird das Kilombero-Tal als Brotkorb Tansanias betrachtet und Pläne für eine landwirtschaftliche Intensivierung werden z. B. von staatlicher Seite mittels verschiedener politischer Strategien wie Kilimo Kwanza (Landwirtschaft zuerst) und deren Umsetzung im Rahmen der Wachstumskorridore der SAGCOT-Initiative diskutiert. Bislang wurden diese aber noch nicht erfolgreich umgesetzt (Milder et al. 2013; Sulle 2020; Tups und Dannenberg 2021). Aufgrund zunehmender hydroklimatischer Variabilität und der Auswirkungen von Landnutzungsänderungen auf die Wasserverfügbarkeit für die Landwirtschaft (Näschen et al. 2019a, b), besteht die Befürchtung, dass die Integrität des Feuchtgebiets und eine nachhaltige Bereitstellung von Wasser im Kontrast zu zukünftigen Landnutzungsvisionen stehen könnte, z. B. einer landwirtschaftlichen Intensivierung.
Landnutzungsvisionen beschreiben Idealvorstellungen für eine gewünschte Zukunft. Solche Visionen können Handlungen, die auf diese Vision ausgerichtet sind, in der Gegenwart prägen. Die Bereitstellung von Extension Services im Kilombero-Tal, die Trainings und Information zu landwirtschaftlichen Technologien und Praktiken anbieten, sind hierfür ein Beispiel (Gebrekidan et al. 2020). Die Visionen sind jedoch akteursabhängig und unterscheiden sich somit. Akteure im Kilombero-Tal sind nicht nur die auf regionaler und nationaler Ebene agierenden Akteure, sondern auch auf lokaler Ebene die Vielzahl der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern. Abb. 1 zeigt beispielsweise die Kleinbäuerin Salama vor den Reisfeldern ihres Dorfes. Sie ist Vorsitzende des örtlichen gemeinschaftlichen Bewässerungssystems und prägt mit ihren Vorstellungen (Visionen), ihrer sozialen Anbindung, ihrem Wissen und ihrer Umweltwahrnehmung, die zukünftige Ausgestaltung des Bewässerungsanbaus in ihrem Dorf.
×
Anzeige
Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Landnutzungsvisionen und der zunehmenden hydroklimatischen Variabilität stellt sich im Sinne einer adaptiven Governance die Frage, inwieweit die Integrität des Feuchtgebiets aufrechterhalten werden kann. Eine sozial-ökologische Forschungsperspektive, die die Interaktion von Gesellschaft und ihrer natürlichen Umwelt in den Fokus nimmt, bietet hier ein mögliches Instrument für eine integrierte Betrachtungsweise. Sozial-ökologische Systeme stellen die gegenseitigen Wechselwirkungen der sozialen und biophysikalischen Teilsysteme und damit das Handeln von Akteuren, die in die Biosphäre eingebettet sind und mit und in ihr agieren (müssen), in den Vordergrund (Berkes et al. 2000; Liu et al. 2023). Die betrachteten Teilsysteme bestehen dabei aus mehreren räumlichen, zeitlichen und institutionellen Ebenen, die wiederum miteinander auf unterschiedliche Weise verflochten und ineinander verschachtelt sind (Folke et al. 2010). Die Fähigkeit sozial-ökologischer Systeme, Störungen zu widerstehen oder sich dem Wandel anzupassen ohne wesentliche Funktionen einzubüßen, wird als Resilienz des Systems beschrieben (Walker et al. 2004). Anpassung und Transformation sind somit auch wesentlich für die Aufrechterhaltung der Resilienz (Folke et al. 2010). Eine Stärkung der Resilienz kann beispielsweise durch adaptive Governance (Berkes 2009) und durch Schaffung und Verbesserung von Kapazitäten zur Selbstorganisation, des Sozialkapitals, der Anpassungsfähigkeit und der Handlungsfähigkeit (Agency) (Cinner und Barnes 2019) unterstützt werden. Dorado (2005) unterscheidet beispielsweise routinemäßiges und strategisches Handeln. Strategische Akteure ergreifen aktiv Maßnahmen, um ihren Zustand zu verbessern und die Lücke zwischen dem aktuellen und dem angestrebten Zustand zu schließen (Rao et al. 2020). Routinemäßige Akteure verlassen sich wiederum auf bisherige Praktiken, wiederholen vergangenes Verhalten und versuchen nicht aktiv, ihren Handlungsspielraum zu erweitern (Dorado 2005). Resilienz ist somit eine nichtstatische Eigenschaft (Folke et al. 2004). Soziale Faktoren mit ihrer Heterogenität und Dynamik sind daher entscheidend für die Ausprägung der Resilienz. Im Fall des Kilombero-Tals können sich für Akteure Chancen eröffnen, indem sie von dem hohen landwirtschaftlichen Potenzial profitieren. Gleichzeitig können die natürlichen hydroklimatischen Variabilitäten Akteure vor Herausforderungen stellen.
Wie prägen also Landnutzungsvisionen aktuelle Landnutzungsmuster und welche Rolle spielt hierbei die Wahrnehmung der physischen Umwelt für landwirtschaftliche Entscheidungen? Inwieweit schätzen also die Akteure natürliche Prozesse, aber auch Veränderungen als förderlich, hinderlich und/oder bewältigbar ein? Für wen eröffnen sich welche Handlungsspielräume?
In diesem Beitrag wird insbesondere auf die Perspektiven unterschiedlicher Akteure eingegangen und darauf, welchen Einfluss deren Umweltwahrnehmung auf die jeweiligen Entscheidungs- und Handlungsspielräume haben. Aus einer sozial-ökologischen Perspektive wird so diskutiert, wie Landnutzungsvisionen räumliche Realitäten (er-)schaffen und welche Anpassungsstrategien von wem und warum gewählt werden. Dabei ist die Berücksichtigung heterogener Akteure und deren Aushandlungsprozesse entscheidend, um die Resilienz eines sozial-ökologischen Systems und somit die nachhaltige Balance zwischen menschlichen Bedürfnissen und Ökosystemintegrität zu verstehen oder zu unterstützen und um die Entwicklung von Maßnahmen zu forcieren, die auf die Erhöhung der Resilienz abzielen.
Multi-Methoden-Ansatz zum Verständnis von sozial-ökologischen Systemen
Eine sozial-ökologische Perspektive erfordert es, Systeme mit unterschiedlichen methodischen Zugängen zu betrachten und diese integriert oder kontextualisiert miteinander zu verbinden (Biggs et al. 2021). Im Kilombero-Tal wurden hydrologische und Landnutzungsmodellierung auf Einzugsgebietsebene (Näschen et al. 2019a, b; Proswitz et al. 2021), kollaborative Szenarienentwicklung mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Behörden und Interessensgruppen (Evers et al. 2021; Proswitz et al. 2021) und Befragung lokaler Kleinbäuerinnen und -bauern im Rahmen von Fokusgruppen in ausgewählten Dörfern (Höllermann et al. 2021) durchgeführt. Die über diese Methoden gewonnenen Erkenntnisse sind in diesem Artikel kombiniert (Tab. 1). Der Beitrag fokussiert sich insbesondere darauf, wie lokale und (über-)regionale Akteure in diesem System interagieren und welche Faktoren den Handlungsspielraum im sozial-ökologischen System Kilombero-Tal bestimmen.
Tab. 1
Übersicht Multi-Methoden Ansatz
Methoden
Weitere Informationen
Weitere Literatur
Experteninterviews
Unstrukturierte Experteninterviews, n = 12
Höllermann und Näschen (2018) (Unveröffentlichter Report)
Kollaborativer Workshop
2‑tägiger Workshop mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Praxis und Politik, n = 26
Evers et al. (2021) (Report); Proswitz et al. (2021)
Fokusgruppendiskussionen
Je 1 Gruppe in 5 verschiedenen Dörfern, n(gesamt) = 26
Mit der hydrologischen Modellierung (Soil Water Assessment Tool – SWAT Modell, Kalibrierung 1958–65, Validierung 1966–70, Szenarienzeitraum bis 2060) konnte die Dynamik des Systems in regionaler Auflösung dargestellt und der Einfluss von Umweltveränderungen, wie der kombinierte Effekt von Landnutzungs- und Klimawandel, auf z. B. Abfluss, Bodenfeuchte und Evapotranspiration simuliert werden. Gleichzeitig konnten im Rahmen eines zweitägigen Stakeholder-Workshops mit 26 Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, nationalen und regionalen Behörden, wie die Wasserbehörde, lokalen politischen Vertreterinnen und Vertretern, NGOs und der SAGCOT-Initiative, mittels kollaborativer Systemanalyse und Szenarienentwicklung die vielfältigen Perspektiven auf mögliche Zukünfte aufgezeigt werden. Die entwickelten Szenarien, jeweils ein Intensivierungsszenario und ein Ökosystemerhaltungs/-wiederherstellungsszenario, konnten so in Landnutzungsänderungen übersetzt werden. Die qualitative Beschreibung der Szenarienannahmen wurde in räumlich messbare Variablen übersetzt und die Landnutzungsänderung mittels Land Change Modeler (LCM) basierend auf Landnutzungs- und Landbedeckungskarten von Thonfeld et al. (2020) simuliert. Auf lokaler Ebenen tragen die Fokusgruppengespräche und Feldbegehungen mit Kleinbauern und -bäuerinnen dazu bei, subjektive Alltagserfahrungen und die unterschiedlichen Handlungsräume und Perspektiven zwischen lokalen und überregionalen Akteuren aufzuzeigen. Insgesamt wurden fünf Fokusgruppendiskussionen und Feldbegehungen in fünf Dörfern mit insgesamt 26 Reisbäuerinnen und Reisbauern durchgeführt (Abb. 2), wobei forschungsethische Grundsätze reflektiert und beachtet wurden (siehe Höllermann et al. 2021). Die transkribierten und ins Englische übersetzten Interviews wurden mittels thematischer Analyse nach Riger und Sigurvinsdottir (2016) nach den drei Themen landwirtschaftliche Entscheidungsmechanismen, Agency und Visionen der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern ausgewertet.
×
Lokale Kooperationen mit Universitäten und Behörden unterstützten sowohl die hydrologische Modellierung als auch Workshops und Fokusgruppendiskussionen im Erhebungszeitraum 2017–2021.
Das sozial-ökologisches System Kilombero-Tal
Das Kilombero-Tal liegt im Süden Zentral-Tansanias und wird im Norden und Westen von den Udzungwa-Bergen und im Süden von den Mbarika-Bergen und dem Mahenge-Hochland begrenzt. Insgesamt herrscht ein subhumides, tropisches Klima mit einer unimodalen Niederschlagsverteilung und einer Regenzeit von November bis Mai (Seregina et al. 2018). Allerdings ist die jährliche und saisonale Variabilität der Niederschläge hoch (Näschen et al. 2019b, 2018). Aufgrund einer relativ regelmäßig auftretenden Trockenperiode im Februar wird die Regenzeit auch oft in eine kurze und lange Regenzeit unterschieden. Hydroklimatische Variabilität stellt für das ökohydrologische System des Kilombero-Tals keine Besonderheit dar, die hydrologische Modellierung konnte allerdings zeigen, dass sich unter verschiedenen RCP-Szenarien die jährliche Abflussspitze verschiebt (RCP 4.5) und zusätzlich erhöht (RCP 8.5). RCP (Representative Concentration Pathways – Repräsentative Konzentrationspfade) geben den zusätzlichen Strahlungsantrieb in W/m2 im Jahr 2100 im Vergleich zum vorindustriellen Stand an. Dabei gilt: Je höher die Steigerung des Strahlungsantriebs, desto höher der Anstieg der globalen Temperatur. Gleichzeitig sinken gemäß der Modellierung die Niedrigwasserabflüsse unterhalb des historischen (1958–1970) Minimums (Näschen et al. 2019b). Für die Landwirtschaft bedeutet ein verzögerter Beginn der Regenzeit einen verspäteten Anbau der Feldfrüchte. Damit steigt das Risiko, dass das Blühstadium der traditionellen Reissorten auf den kühlen Juni fällt und mit Ernteausfällen zu rechnen ist. Die sinkenden Niedrigwasserabflüsse reduzieren zudem die Möglichkeiten eines weiteren Anbauzyklus mit Restbodenfeuchte. Die Berge und das Hochland sind Teil des Kilombero-Einzugsgebiets, welches sich über ca. 40.000 km2 erstreckt (Näschen et al. 2018). Das Überschwemmungsgebiet des Kilombero-Flusses ist das größte Süßwasserfeuchtgebiet Ostafrikas (ca. 8000 km2) und seit 2002 als Ramsar-Schutzgebiet ausgewiesen (Mombo et al. 2011; Wilson et al. 2017). Aufgrund der für die Landwirtschaft insgesamt günstigen Verhältnisse, erlebt das Kilombero-Tal eine dynamische sozioökonomische Entwicklung mit steigendem, über dem nationalen Durchschnitt liegenden und auch durch Binnenwanderung forciertem Bevölkerungswachstum und eine Ausweitung der Landwirtschaft (Gebrekidan et al. 2020; Msofe et al. 2019). Insgesamt zeigt sich ein Trend zur Umwandlung von Feuchtgebieten und Grasland in Ackerland für den Regenreisanbau, begleitet von Abholzung für Holz und Brennholz (Leemhuis et al. 2017; Näschen et al. 2019a). Die Umwandlung natürlicher Vegetation in landwirtschaftliche Nutzfläche hat zwischen 2004 und 2014 stark zugenommen (Thonfeld et al. 2020). Diese Veränderungen der Landnutzung und der Bodenbedeckung stellen Risiken für das biophysikalische System dar. Sie beeinträchtigen beispielsweise die Menge und den Zeitpunkt des Abflusses (Näschen et al. 2019b), der für die Erhaltung des Ökosystems und des menschlichen Wohlergehens essenziell ist (Daconto et al. 2018).
Vor diesem Hintergrund interessiert besonders die Perspektive lokaler und (über-)regionaler Akteure, die im Folgenden näher beleuchtet werden.
Akteure im sozial-ökologischen System Kilombero-Tal
Lokale Perspektive: Reisbäuerinnen und Reisbauern
Als Reaktion auf die hydroklimatische Variabilität, die sich u. a. in einem verspäteten Beginn der Regenzeit oder einer stärkeren Ausprägung der kleinen Trockenperiode im Februar ausdrücken kann, haben die Landwirte und Landwirtinnen im Kilombero-Tal spezifische Bewirtschaftungsstrategien entwickelt, um mit sich ändernder Wasserverfügbarkeit umzugehen. Insgesamt haben die im Tal lebenden Kleinbäuerinnen und -bauern, je nach geographischer Lage, unterschiedliche Ausgangsbedingungen für ihre landwirtschaftlichen Aktivitäten. So beeinflussen beispielsweise die Nähe zu Bergen, Wäldern und Überschwemmungsgebieten die Wasserverfügbarkeit. Darüber hinaus gibt es noch weitere Faktoren, die über die Art und Weise der Bewirtschaftung mitentscheiden, wie beispielsweise der Zugang zu Bewässerungssystemen oder Betriebsmitteln. Drei der fünf untersuchten Dörfer (Idete, Mbingu und Mkula) repräsentieren in diesem Beitrag exemplarisch die Heterogenität der physisch-geographischen Gegebenheiten.
Mkula liegt in unmittelbarer Nähe der Udzungwa-Berge, die in diesem Bereich unter Schutz stehen, und verfügt über das älteste und etablierteste gemeindebasierte Bewässerungssystem in der Region mit einer Größe von ca. 250 ha. Die Landwirtinnen und Landwirte in Idete und Mbingu sind auf Regenfeldbau angewiesen. Mit ihrer Lage im Tiefland des Kilombero-Tals, etwa 5–8 km von den bewaldeten Udzungwa-Bergen entfernt, stehen sie dabei exemplarisch für viele Gemeinden, die auf Regenfeldbau angewiesen sind, sich in ihren Strategien und ihrer Wirksamkeit bzw. Handlungsermächtigung (Agency) aber stark unterscheiden. Agency steht selbstverständlich nicht im luftleeren Raum, sondern ist auch immer Teil von Machtabhängigkeiten. Hierzu sei im Kontext des Kilombero-Tals auf Tups und Dannenberg (2021) verwiesen. In diesem Beitrag wird die Selbstwirksamkeit (Agency) insbesondere auf den Einfluss der Umweltwahrnehmung und Assets thematisiert.
Abb. 3 zeigt exemplarisch die Landnutzung und ihre Änderung seit 2013 in Mbingu. Auffällig ist hierbei die Umwidmung von Sekundärwald in landwirtschaftliche Fläche. Die höhere Wasserverfügbarkeit in den Tiefenlinien in Kombination mit dem Vorhandensein von natürlicher Vegetation auf den angrenzenden Erhebungen, durch die eine längerfristige Bereitstellung von Bodenfeuchte für den Reisanbau gewährleistet wird, wird von der Gemeinde durch Ausweisung von „heiligen“ und somit geschützten Waldflächen unterstützt. Allerdings zeigt die Entwicklung, dass die Waldfläche seit 2013 stark zurückgegangen ist. Die partizipative Feldbegehung in Mbingu hat zudem verdeutlicht, welche Herausforderungen eine konsequente Umsetzung der guten landwirtschaftlichen Praxis gegenüberstehen. Die Kleinbäuerinnen erkennen die Vorteile durchaus, Setzlinge vorzuziehen und in Reihe zu pflanzen, um gegenüber der Direktaussaat eine Ertragssteigerung zu erzielen. Diese wird jedoch nur auf einer kleinen, gemeinschaftlich genutzten Versuchsfläche tatsächlich praktiziert. Gegenüber der Direktaussaat erfordert die Setzlingmethode nämlich einen höheren Arbeitskraftaufwand und aufgrund der hydroklimatischen Variabilität und der fehlenden Bewässerung, wird das Risiko einer Missernte so hoch eingeschätzt, dass die Arbeitsleistung bevorzugt diversifiziert und für alternative Einkommensquellen genutzt wird. Andererseits wird in Zeiten des Saatgutmangels auf die Setzlingmethode zurückgegriffen. Die Landwirtinnen entscheiden also stark auf dem Hintergrund ihrer Umweltwahrnehmung, ihrer Assets (z. B. Zugang zu Netzwerken, Märkten, Arbeitskraft und Arbeitsmitteln) sowie ihrer Agency, in diesem Fall einer routinemäßigen Agency.
×
Im Kontrast hierzu stehen die Kleinbauern und -bäuerinnen aus Idete, die unter ähnlichen Bedingungen wirtschaften müssen. Sie haben einen sehr ausdifferenzierten Anbaumechanismus entwickelt, der sich sowohl nach der Geländehöhe als auch der verfügbaren Arbeitszeit richtet (Abb. 4). Zuerst werden traditionell hochwachsende Sorten in Tiefenlinien angebaut und zuletzt hybride, schnell wachsende Sorten auf erhöhten Standorten. Damit stellen die Landwirtinnen und Landwirte sicher, dass der Reis in den Tiefenlinien über dem zu erwarteten Wasserstand bleibt und, durch die hybride Sorte, die Blütezeit nicht in den kalten Juni fällt. Durch geschicktes Wassermanagement kann in den Tiefenlinien sogar während der Trockenzeit Reis angebaut werden. Die Kleinbäuerinnen und -bauern nutzen ihr Erfahrungswissen, um zielgerichtet ihre Ressourcen einzusetzen. Hierbei haben sie hohes Vertrauen in ihre Wirksamkeit und erweitern somit ihren Handlungsspielraum. Sie sind zudem offen für neue Entwicklungen, wie beispielsweise der Wechsel von Cassava auf Reisanbau, der in den 2000er-Jahren vollzogen wurde, oder die Nutzung von hybriden Sorten.
×
Die Kleinbäuerinnen und -bauern in Mkula verfügen über ein gut instandgehaltenes Bewässerungssystem, mit dem sie die Wassermengen während der Regen- und Trockenzeit steuern. Während der Regenzeit hat das Wassermanagement vor allem aufgrund der Trockenperiode im Februar die Funktion der Risikominimierung. Alle Regeln der guten landwirtschaftlichen Praxis werden angewendet (vgl. Abb. 1) und v. a. der angrenzende Wald als schützenswerte Wasserquelle anerkannt. Die Landwirte und Landwirtinnen verfügen hier über strategische Handlungsmacht, die sie gewinnbringend einsetzen. Die strategische Handlungsmacht verdeutlicht sich auch in den besuchten Trainings, die über die landwirtschaftlichen Praktiken hinausgehen und die sie mittlerweile aktiv einfordern. So hat die landwirtschaftliche Gemeinschaft in eine Lagerhalle und Mühle investiert, um den Reis zu veredeln und den Verkaufszeitpunkt selbstständig bestimmen zu können und um auch von den volatilen Preisen unabhängig zu sein.
Zusammenfassend zeigt sich, dass die lokalen landwirtschaftlichen Akteure im Kilombero-Tal ihren Handlungsspielraum unterschiedlich einschätzen und ihre Wirksamkeit nicht nur von ihren Assets, sondern auch stark von ihrer Umweltwahrnehmung wechselseitig mitgeprägt wird. Während die gewohnheitsmäßigen Akteure Klimavariabilität und die Verfügbarkeit von Wasser als unüberwindbare Grenzen begreifen: „… wenn das Wetter nicht gut ist, dann nützen keine landwirtschaftlichen Praktiken“ (Landwirtin in Mbingu), sehen die aktiven Akteure Möglichkeiten, den Herausforderungen zu begegnen: „Wir nehmen den Waldschutz sehr ernst, da wir so in Zeiten Niederschläge haben, wenn unsere Nachbarn schon vor Herausforderungen stehen“ (Landwirtin in Mkula). Wenngleich die Ziele unserer Fokusgruppenteilnehmenden zwischen einfacher Ernährungssicherung und Einkommenssteigerung durch Produktivitätssteigerung variieren, wünschen sie sich alle für ihre Nachkommen eine gute schulische Ausbildung und im Idealfall, dass ihre Kinder später außerhalb der Landwirtschaft arbeiten. Andere Studien zeigen für Tansania (Luxen et al. 2022) und Kenia (Mausch et al. 2021) ein ähnliches Bild, wonach die Bestrebungen, außerhalb der Landwirtschaft erfolgreich zu sein, unter jungen Menschen hoch ist.
Die aktiven Akteure sind sich sicher, dass sie mit ihren landwirtschaftlichen Aktivitäten ihren Nachkommen eine Entwicklung außerhalb der Landwirtschaft ermöglichen können. Die gewohnheitsmäßigen Akteure hingegen sehen – neben den hydroklimatischen Herausforderungen – Unwägbarkeiten wie unsichere Reispreisentwicklung, Steigerung der Lebenshaltungskosten und insbesondere Landnutzungskonflikte (z. B. Land Grabbing, Bevölkerungswachstum, Ausweitung der Schutzgebiete), denen sie aus ihrer Sicht nichts entgegensetzen können. Sie schätzen ihren Handlungsspielraum als eng ein und sehen sich den Handlungsspielräumen (über-)regionaler Akteure ausgeliefert.
Regionale Perspektive
Aufgrund der für die Landwirtschaft insgesamt günstigen Verhältnisse, wird auf überregionaler Ebene das Kilombero-Tal als Brotkorb Tansanias betrachtet und Pläne für eine landwirtschaftliche Intensivierung schon lange diskutiert (Msofe et al. 2019). Ein Beispiel hierfür ist die Initiative des „Southern Agricultural Growth Corridor of Tanzania (SAGCOT)“ mit dem selbstdeklarierten Ziel einer nachhaltigen landwirtschaftlichen Intensivierung (Milder et al. 2013). Die Auswirkungen der Initiative auf die Kleinbauern und -bäuerinnen bleiben jedoch ungewiss (Sulle 2020) und werden kontrovers diskutiert. Auch wenn die SAGCOT-Initiative mittlerweile an Bedeutung verloren hat, zeigt sich, dass die Vision der Intensivierung als überzeugendes Narrativ genutzt wurde (Tups und Dannenberg 2021) und sich auch in den Denkweisen unserer Workshop-Teilnehmenden wiederfindet. Eine andere Vision zeigt sich in der Bewahrung der diversen Schutzgebiete. Hierbei ist die Umweltwahrnehmung von dem Verlust von Wanderungskorridoren und Ökosystemfunktionen geleitet (Nindi et al. 2014). Im Rahmen des Expertenworkshops wurde eine Reihe möglicher Szenarien für das Kilombero-Tal entwickelt, u. a. die Vision der i) landwirtschaftlichen Intensivierung und kontrastierend die Vision der ii) Ökosystemerhaltung bzw. -wiederherstellung.
Abb. 5 zeigt die Übersetzung dieser Visionen in den Raum. Hierbei wird deutlich, dass im Szenario der Intensivierung ein starker Rückgang der natürlichen Vegetation sowie eine überwiegende Umwandlung des Feuchtgebiets wahrscheinlich sind. Gleichzeitig zeigt sich im Szenario der Ökosystemerhaltung, dass die Degradierung des Feuchtgebiets aufgehalten werden kann, allerdings auf Kosten der nicht geschützten Gebiete und mit einer einhergehende Landknappheit, da in diesem Szenario nicht alle Landnutzungsansprüche für Reisanbau erfüllt werden können. In beiden Szenarien steigt die landwirtschaftlich genutzte Fläche im westlichen Einzugsgebiet stark an (Proswitz et al. 2021), welche eine Änderungen der hydrologischen Prozesse wahrscheinlich macht (Näschen et al. 2019a) und die Integrität des Ökosystems an mögliche Grenzen führt.
×
Der Handlungsspielraum für diese Akteure wird somit auch durch ihre spezifische Umweltwahrnehmung, das Kilombero-Tal als Ressource bzw. als integres Ökosystem, und die damit verbundenen Visionen bzgl. Intensivierung und der Glaube an Wachstum und andererseits Naturschutz aufgespannt. Wie groß der tatsächliche Raum ist, wird über die Wahl der Politikinstrumente und deren Effektivität entschieden (vgl. Abb. 6).
×
Bedeutung der Umweltwahrnehmung für den Handlungsspielraum: Interaktion von lokaler und (über-)regionaler Perspektive
Der Umgang mit der Umwelt und möglichen Veränderungen kreiert einen Chancenkontext, der individuell bewertet (Rao et al. 2020) und genutzt wird (Westley et al. 2013). Die Größe des Handlungsspielraums wird jedoch auch maßgeblich von der Umweltwahrnehmung bestimmt sowie von den Fähigkeiten der Akteure, ihre Ressourcen wie Assets oder Politikinstrumente zu nutzen. Dabei werden sie durch die Wahrnehmung ihrer Selbstwirksamkeit (Agency) und ihren Visionen geleitet (Abb. 6) (Höllermann et al. 2021). Die Akteure nehmen ihre physische Umwelt also entweder so wahr, dass sie Strategien entwickeln, um möglichen Unsicherheiten zu begegnen oder passiv und ausweichend zu agieren. Wie eine Kleinbäuerin aus Mbingu feststellt, nützten die besten landwirtschaftlichen Praktiken nichts, wenn es nicht regnet. Die Wahrnehmung der Funktion des Waldes als Wasserspeicher und -spender wiederum erweitert den Handlungsraum, da durch den Waldschutz eine Wasserquelle gesichert werden kann, wie die Kleinbäuerinnen und -bauern aus Mkula berichten.
Die Interessensvertreterinnen und -vertreter für Intensivierung setzen u. a. auf die Durchführung und Ausweitung von Trainings zur guten landwirtschaftlichen Praxis, um die Produktivität zu steigern. Allerdings zeigt die Analyse der lokalen Perspektive, dass diese Maßnahmen nur teilweise erfolgreich sein können, da passive Akteure ihr weniger arbeitsintensives Direktsaatverfahren beibehalten und auf Setzlinge und Reihenaussaat nur in Zeiten von Saatgutmangel zurückgreifen. Diese Akteure vertrauen dem Produktivitätsgedanken nicht, da sie ihre Abhängigkeit von der hydroklimatischen Variabilität als größer einschätzen und durch Einsatz ihrer Arbeitskraft in anderen Bereichen so mögliche Ernteausfälle aufgrund von Wassermangel kompensieren können. Zudem schränkt die Befürchtung, dass wirksame Schutzgebiete den Druck auf die begrenzten Landressourcen erhöhen, den empfundenen Handlungsspielraum der lokalen Akteure auf ihren Lebensunterhalt ein. Sie sehen, im Gegensatz zu den überregionalen Akteuren, die sich für die Ökosystemerhaltung stark machen, keine neue Einkommensquelle durch z. B. Tourismus. Die Analyse der lokalen Akteure zeigt auch, dass diese sich umso wirksamer fühlen, je mehr sie über strategische Handlungsmacht verfügen, um auf die Umweltveränderungen zu reagieren (Höllermann et al. 2021). Akteure mit strategischer Handlungsfähigkeit erweitern ihren Handlungsspielraum durch z. B. aktiven Waldschutz, da sie darauf vertrauen, durch diese Investition einen gesicherteren Zugang zu Wasser zu erhalten. Im Gegensatz dazu führt mangelndes Vertrauen sowie fehlende Energie und Assets zu einem Festhalten an gewohnten Praktiken (Höllermann et al. 2021; Müller-Mahn et al. 2020).
Den Fokus auf die Umweltwahrnehmung und ihren Einfluss auf die tatsächlichen und empfundenen Handlungsspielräume zu legen und gleichzeitig den sich daraus ergebenden Einfluss des Handelns unter Unsicherheiten zu berücksichtigen, eröffnet eine vielversprechende Forschungsperspektive (Höllermann 2024). So tragen z. B. weitere Schulungen zur Bewältigung der zunehmenden hydroklimatischen Variabilität weniger bei, als Maßnahmen, die die Landwirtinnen und Landwirte in die Lage versetzen, ihren Handlungsspielraum durch Stärkung der Landrechte für Pächter und Pächterinnen zu sichern. Vor dem Hintergrund, Resilienz gegenüber diesen Veränderungen zu erhöhen, sollte zentral erörtert werden, für wen und warum sich Handlungsspielräume eröffnen. So gelingt es, die Auswirkungen von Strategien und Visionen auf individuelle Handlungsspielräume und -kapazitäten zu verstehen, was dazu dienen kann, politische Programme passgenau zu konzipieren oder die Breitenwirksamkeit verschiedener Maßnahmen zu evaluieren. Insbesondere aufgrund der möglichen negativen Auswirkungen auf die Integrität des Ökosystems durch projizierte Landnutzungs- und Klimaänderungen (Näschen et al. 2019a, b) besteht die Notwendigkeit, zwischen der lokalen und (über-)regionalen Perspektive zu vermitteln. Hier bietet es sich an, die Erkenntnisse der sozial-ökologischen Forschung im Rahmen von Wasser-Governance-Konzepten in einen politischen Kontext zu setzen. So kann sowohl die natürliche als auch die soziale Natur des Systems ausreichend berücksichtigt werden, was laut Perreault (2014) notwendig ist, um soziale und ökologische Gerechtigkeit zu erreichen.
Danksagung
Ein herzlicher Dank an alle Workshopteilnehmenden sowie Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, die diese Forschung mit ihrer Expertise und Zeit ermöglicht haben. Dank gebührt ebenfalls den Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich in Tansania geforscht habe. Die empirischen Untersuchungen, auf die im Artikel verwiesen werden, wurden mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des CRC/Transregio 228: Future Rural Africa (Projekt Nummer: 328966760) finanziert.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.