Der Begriff der Desinformation wurde aus unterschiedlichen Disziplinen beleuchtet und bisher konnte sich die Forschung noch nicht auf eine einheitliche Definition einigen. Dennoch lohnt es sich, eine kurze Abgrenzung des Begriffs vorzunehmen und im Folgenden die interdisziplinäre Ausgestaltung der Begrifflichkeiten zu ordnen.
2.1 Intentionen, Akteure und Kontexte
Desinformation wird als „intendierte Verbreitung von unwahren Informationen“ (Möller et al., 2020, S. 11) definiert. In diesem Sinne ist Irreführung Teil von Desinformation, dahingegen ist Misinformation nicht absichtlich irreführend. Letztere hat nicht unbedingt eine Agenda, es kann sich auch um einen Fehler handeln (Möller et al., 2020). Ein weiterer oft verwendeter Begriff ist Fake News. Dabei kann es sich einerseits um eine bewusste Verbreitung von pseudojournalistischen Berichten handeln, oder um die Instrumentalisierung des Begriffes zur Delegitimierung von Nachrichten und Medienberichten (Egelhofer & Lecheler, 2019). Pseudojournalistische Berichterstattung kann unterschiedliche Grade an Faktizität aufweisen, da der Begriff Fake News auch für Satire oder Parodien verwendet wird. Diese Verwendung wird jedoch aufgrund der entstehenden Unschärfe des Begriffs in der Wissenschaft zunehmend abgelehnt (Jaster & Lanius, 2018; Zywietz, 2018). Gleichzeitig dient der Begriff auch der Bezeichnung von propagandistischen oder komplett erfundenen Beiträgen, die so aussehen, als wären sie Nachrichten (Tandoc et al., 2018). Somit haben Fake News Beiträge einen niedrigen Wahrheitsgehalt und auch eine geringe Wahrhaftigkeit – die Inhalte wollen täuschen oder der Bezug zur Wahrheit ist den Verbreiter:innen nicht wichtig. Dies wird oftmals als Bullshit bezeichnet. Als Beispiel für Bullshit lässt sich zum Beispiel Donald Trump’s Aussage, er habe das beste Gedächtnis der Welt, nennen. Dieser scheint hier keinerlei Interesse zu haben, die Wahrheit zu sagen (Jaster & Lanius, 2018).
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In diesem Zusammenhang ist Fake News eine Methode der Delegitimierung oder wird als diskursive Waffe verwendet. Diese Methode wurde sowohl bei konservativen als auch liberalen Medien in den USA nachgewiesen. Medien wollten dabei in erster Linie Menschen oder Organisationen mit anderen politischen Einstellungen diskreditieren. Dabei ist eine kognitive Verzerrung in beiden Lagern zu beobachten (van der Linden et al., 2020).
Um Desinformation zu identifizieren und zu verstehen, spielt die Intention hinter der Informationsverbreitung eine bedeutende Rolle. Hierbei stellen die Täuschung (Möller et al., 2020) oder das Voranbringen politischer Ziele (Bennett & Livingston, 2020; Keller et al., 2020) einen wichtigen Intentionsgrund für die Identifikation verschiedener Arten der Desinformation dar. Die Intention kann außerdem die Verursachung von Schaden beinhalten (European Commission, 2018, 2022; Peukert, 2023). Der mögliche Schaden von Desinformation ist für die Rechtfertigung von Regulierung entscheidend. Die Intention Schaden bzw. politischen Schaden zu verursachen, lässt sich jedoch sehr schwer nachweisen und durch dieses Zuschreibungsproblem, werden Charakterisierungen von Desinformation ungenau (Keller et al., 2020).
Hameleers (2023) identifiziert vier Arten der Intention: Delegitimierung, Mobilisierung, Ideologie und finanzielle Vorteile. Um die Intention von Akteuren zu identifizieren, ist deren Kontext miteinzubeziehen. Delegitimierung bezieht sich dabei auf die Zunahme von Polarisierungen, des Schadens an anderen Ländern oder der Malinformation (Hameleers, 2023).
Malinformation wird als Information, die Schaden an einer Person, einer Organisation oder einem Staat verursachen soll, definiert. Diese Information wird als basierend in der Realität angesehen (Wardle & Derakhshan, 2017). Malinformation als Konzept wurde jedoch von der Forschung nicht mehr systematisch aufgegriffen.
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Desinformation kann zu Polarisierung führen. Polarisierung ist ein umstrittenes Konzept, kann jedoch destruktiv sein und eine Gefahr für die Demokratie darstellen (Esau et al., 2024). Desinformation weist außerdem oft Überschneidungen mit negativer und respektloser Sprache und Hassrede auf (Hameleers et al., 2022).
Mobilisierung als zweite von Hameleers (2023) identifizierte Intention von Desinformation bezieht sich auf die Unterstützung von politischen Agenden, das Konsolidieren von Machtungleichheiten oder dem Ausschalten der Opposition. Außerdem soll in Bezug auf Staaten, dadurch die eigene nationale oder internationale Reputation geschützt werden (Hameleers, 2023).
Desinformation wird oftmals im Rahmen einer größeren Strategie verbreitet, zum Beispiel mithilfe von Techniken, die die Wahrheit unterwandern und so die epistemologische Sicherheit einer Gesellschaft gefährden (Adler & Drieschova, 2021). In diesem Zusammenhang tritt Desinformation häufig in Form von Kampagnen auf. Diese Desinformationskampagnen wurden auch von der Europäischen Kommission als Gefahr für die europäische demokratische Gesellschaft eingestuft (Europäische Kommission, 2023).
Als Beispiel von Desinformationskampagnen wird oftmals Astroturfing genannt. Astroturfing sind Kampagnen, die den Anschein machen, spontan zu entstehen und Graswurzelbewegungen imitieren. Diese Kampagnen werden jedoch eigentlich von zentraler Stelle organisiert und gelenkt (Keller et al., 2020). In der Forschung wurden Desinformationskampagnen nachgewiesen, welche die US-Präsidentschaftswahlen 2016 beeinflussten (Benkler et al., 2018, 2020). Strategische Manipulation wurde in diesem Rahmen auf die Internet Research Agency (IRA), eine russische staatsnahe Informationsorganisation, zurückgeführt (Boyd et al., 2018; Xia et al., 2022). In diesem Kontext wird Desinformation oft mit Propaganda in Verbindung gebracht, die manchmal als eine Spielart von Desinformation angesehen wird (Möller et al., 2020). Propaganda bezieht sich auf die gezielte Verbreitung von Ideen, die systematisch die Wahrnehmung beeinflussen, das Denken manipulieren und das Verhalten verändern. Das Resultat soll dabei die Intention der Propagandisten entsprechen (Jowett & O’Donnell, 2015). Die Intention zielt entweder auf die Handlungen der Rezipient:innen ab (oft die Bevölkerung des eigenen oder eines anderen Staates) oder auf deren Inaktivität, zum Beispiel darauf, nicht wählen zu gehen (Baines et al., 2019).
Ein weiteres Motiv ist die Verbreitung einer Ideologie, wobei diese meist als „alternativ“ bezeichnet werden kann oder eine „persönliche Sicht auf die Wahrheit“ (Hameleers, 2023, S. 6, Übers. der Autorin) darstellt (Hameleers, 2023). Dabei sind die Inhalte von Desinformation und Desinformationskampagnen oftmals subversiv und richten sich gegen die politische und gesellschaftliche Ordnung, oder den als dominant wahrgenommenen Diskurs, so zum Beispiel während der Covid-19 Pandemie in Deutschland (Amlinger, 2023).
Letztlich identifiziert Hameleers (2023) auch den finanziellen Gewinn als Motiv Desinformation zu verbreiten. Das bezieht sich in erster Linie auf die Steigerung von Werbeeinnahmen, Profiten und auch das Verbessern der Unternehmensreputation (Hameleers, 2023).
Im weiteren Verlauf dieses essentials, wird die Intention des finanziellen Profits maßgeblich sein zur Einordnung von Desinformation, und die dazugehörenden Mechanismen werden genauer erläutert.
2.2 Aspekte von Desinformation
Desinformation wird in der Forschung auch über Taxonomien definiert, wobei unterschiedliche Konzepte und Begriffe dazugehören. So haben mehrere Autor:innen Aspekte definiert, die unter den Begriff der Desinformation fallen (Kapantai et al., 2021; Möller et al., 2020). Im Folgenden werden einzelne dieser Aspekte herausgegriffen und näher erläutert.
Dabei sind zuallererst Verschwörungstheorien zu nennen. Verschwörungstheorien erlebten eine Art Renaissance in der öffentlichen Wahrnehmung durch die Covid-19-Pandemie.
Mit Verschwörungen wird grundsätzlich auf ein gemeinsames Agieren und die Geheimhaltung dessen verwiesen – im Sinne der Wortbedeutung con („mit“) und spirare („atmen“) (Coady, 2006). Eine Verschwörung ist dabei oft ein Arrangement zwischen zwei oder mehreren Akteuren, die sich zum Beispiel, gegen das politische oder wirtschaftliche Establishment richten, bedeutende Geheimnisse bewahren wollen oder Regierungsinstitutionen zu ihrem eigenen Vorteil manipulieren (Uscinski, 2019b).
Verschwörungen existieren natürlich, zum Beispiel Watergate oder die Ermordung von Julius Cäsar. Da diese immer wieder aufgedeckt werden, gibt es ein kulturelles Wissen um solche Verschwörungen, das zur Existenz von Verschwörungstheorien beitragen kann. Verschwörungstheorien können benutzt werden, um unvorhergesehene Ereignisse zu erklären, da es einen Wunsch nach Erklärungen gibt, die dynamisch sind. Außerdem kann durch die Erklärung anhand von Verschwörungstheorien die Entlastung des Individuums von gesellschaftlicher Verantwortung bewirkt werden (Anton et al., 2014). Grundsätzlich sind Verschwörungen und auch ihre Beliebtheit nicht neu, diese sind zeitlos, jedoch „getrieben durch ihre Zeitgemäßheit“ (Uscinski, 2019a, S. 1, Übers. der Autorin) und wurden eine Art Merkmal des beginnenden 21. Jahrhunderts (Uscinski, 2019a). Viele Narrative werden jedoch neu verpackt und in das digitale Zeitalter übertragen. So geht die QAnon-Bewegung davon aus, dass eine elitäre Gruppe Kinderblut konsumiert, um ewiges Leben zu erlangen, und bezieht sich dabei auf Ritualmordlegenden, die in unterschiedlicher Form bereits im frühen Christentum erzählt wurden. Eine einflussreiche Erzählung stammt aus dem 12. Jahrhundert, nach der Juden und Jüdinnen ein christliches Kind entführt, rituell ermordet und sein Blut entnommen haben sollen. Bis zum 17. Jahrhundert sind bis zu 90 solcher Geschichten über Ritualmorde überliefert (Szegőfi, 2024).
Verschwörungstheorien können in unterschiedlichen Formen existieren und als politische Paranoia, Gegenkultur, Ästhetik oder kommerzielles Produkt auftreten (Thalmann, 2019).
Oftmals überschneidend sich mit Verschwörungstheorien mit sogenannten Pseudowissenschaften. Die Annahme, die Erde sei flach, geht dann mit der Theorie einher, dass eine mächtige Elite diese Information vor den Menschen geheim hält (McIntyre, 2021).
Pseudowissenschaften beziehen sich auf Problematiken, die im weitesten Sinne einem Themengebiet, das in der Wissenschaft verortet werden kann, zugehörig sind. Sie sind jedoch nicht erkenntnistheoretisch gerechtfertigt und Teil einer Doktrin, die verbreitet, dass sie gerechtfertigt seien (Hansson, 2009). Pseudowissenschaften werden abgegrenzt von nicht-wissenschaftliche Bereichen, wie Kunst. Außerdem müssen sie von den Parawissenschaften abgegrenzt werden, die angeben bessere Wege zu finden, zu Wissen zu gelangen, zum Beispiel, da sie sich auf altes Wissen beziehen, das nicht getestet kann. Außerdem gibt es Bereiche, die (noch) nicht ihre wissenschaftliche Kredibilität etablieren konnten, bzw. ihr Forschungsobjekt bisher nicht angetroffen haben, wie zum Beispiel die Suche nach außerirdischem Leben (Mukerji & Ernst, 2022).
Die Wissenschaft zeichnet sich durch ihre Methode aus. Diese verwendet – ganz allgemein zusammengefasst – Hypothesen, die sowohl erklärend als auch vorhersagend sein können und aus einer Beobachtung stammen. Schließlich wird eine Vorhersage gemacht, die mit der Hypothese einhergeht. Dann werden Experimente durchgeführt, um die Hypothesen zu widerlegen oder zu bestätigen. Falls eine Hypothese widerlegt wird, wird sie angepasst und erneut getestet. Sobald eine Hypothese zahlreich getestet wurde und genügend Kredibilität gewonnen hat, kann diese ein Modell oder eine Theorie darstellen. Letztere kann schließlich eine Gesetzmäßigkeit erklären (Wynn et al., 2017). Die Abgrenzung zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft ist oftmals schwierig, was als „Demarkationsproblem“ (Pigliucci, 2013, S. 9, Übers. der Autorin) bezeichnet wird. So führte Karl Popper (2005) das Kriterium der Falsifizierbarkeit als Demarkationskriterium ein, was jedoch als zu simpel kritisiert wurde. Daher wurden weitere Kriterien entwickelt, um die Abgrenzung eindeutiger zu machen. Unter anderem werden die wissenschaftliche Gemeinschaft, die Freiheit der Forschung von Zensur oder Ideologie, der freie Austausch ohne vorgegebene Doktrin, die philosophischen Grundannahmen, die Abwesenheit übernatürlicher Wesen oder Vorkommnisse und der Fokus auf Gesetzmäßigkeiten mit den Prinzipien der Nonzirkularität und Nichtwidersprüchlichkeit genannt. Grundsätzlich ist eine solche Liste jedoch weder abschließend noch immer erfüllbar. Sie kann jedoch Hinweise an die Hand geben, die Abgrenzung von Wissenschaftlichkeit vorzunehmen (Mahner, 2013). Neben den Pseudowissenschaften und den Verschwörungstheorien, weist Desinformation zahlreiche Überschneidungen mit weiteren Inhalten auf, wie zum Beispiel Hassrede (Hameleers et al., 2022). Außerdem wird Desinformation benutzt, um Hoaxes durchzuführen oder Gerüchte und Clickbait zu verbreiten (Kapantai et al., 2021).
Clickbait ist die Verwendung von Überschriften oder Bildern um „zum Klick [zu] ködern“ (Mayer, 2020, S. 67). Erst durch den Zugriff kann herausgefunden werden, ob die Inhalte relevant sind. Die Überschrift erzeugt das Gefühl einer Wissenslücke und regt die Neugier sowie Emotionen an, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Inhalte aufgerufen werden. Sie sind meist mehrdeutig, irreführend, berichten von unglaublichen Dingen, sind provozierend oder übertreiben (Mayer, 2020).
Der Zweck eines Clickbait-Artikels besteht ausschließlich darin so viele Klicks wie möglich zu erzielen. Diese Artikel enthalten oft (politische) Desinformation (Rehm, 2018). Gerüchte sind eine weitere verbreitete Kategorie von Desinformation und sie sind wohl so alt wie Informationsübertragung selbst. Manchmal ist es unmöglich sie zu korrigieren und oftmals bestätigen sie die eigenen Vorannahmen. Deshalb werden sie dann gerne geglaubt. Manchmal jedoch fehlen zusätzliche Informationen, die das Gerücht widerlegen könnten. Dabei handelt es sich um Tatsachenbehauptungen, die sich verbreiten und ihre Glaubwürdigkeit vor allem dadurch gewinnen, dass andere Menschen diese auch glauben. Daher müssen keine Beweise erbracht werden, die sie stützen (Sunstein, 2014). Diese verbreiten sich auch in den sozialen Medien sehr schnell – vor allem, wenn die Inhalte kaum überprüft werden. Dabei kursieren einerseits Gerüchte, die es schon sehr lange gibt und die sich hartnäckig halten. Andererseits gibt es auch Gerüchte, die in sich schnell entwickelnden Ereignissen entstehen, bei denen die Informationslage noch unklar ist (Zubiaga et al., 2019). Hoaxes hingegen sind eine Form der psychologischen Täuschung, die oft durch die Medien verbreitet und unkritisch übernommen werden. Manchmal handelt es sich dabei um kleine Vorkommnisse, die nicht sonderlich bedeutend sind. Oft verbreiten sie sich weit und werden zur Nachricht des Tages (Hancock, 2015). Diese beinhalten zum Beispiel die nachträgliche Annahme, eine Krise hätte nicht stattgefunden, und die Opfer eines tragischen Vorfalls seien nicht real (Sellnow et al., 2019).
Im nächsten Kapitel wird ausgeführt, inwiefern das Internet und Plattformen eine Rolle spielen, Desinformation zu verbreiten und die Möglichkeiten des finanziellen Profits beeinflussen können.
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