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2025 | OriginalPaper | Buchkapitel

9. Der Bewerbungsprozess: Möglichst niedrigschwellig, bitte!

verfasst von : Henner Knabenreich

Erschienen in: Karriere‐Websites mit Wow!‐Effekt

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Im alles entscheidenden Moment der Candidate Journey geht bei den meisten Unternehmen alles schief. Da wurden tausende Euro in Employer-Branding-Maßnahmen gepumpt und eine State-of-the-Art-Karriere-Website mit relevanten Inhalten gebaut, die bei ihren Besuchern nur einen einzigen Wunsch auslöst: nämlich, sich zu bewerben. Und dann wird wieder alles vermasselt, weil man sich – wieder einmal – keine abschließenden Gedanken um die allergrößte Sollbruchstelle im Recruiting machte. Wenn keine Bewerbungen eintrudeln, gibt es dafür häufig einen einzigen Grund: Ihr Bewerbungsprozess ist eine regelrechte Bewerbervermeidungsmaschine. Klar, oft liegt das Problem beim Anbieter des Bewerbermanagementsystems, der sich in erster Linie auf die Verwaltung von Bewerberdaten konzentriert und nicht wirklich an einer positiven Bewerbungserfahrung der Jobsuchenden interessiert ist. Aber natürlich liegt es auch an den Recruiting-Verantwortlichen selbst, weil sie z. B. nicht darauf geachtet haben, auf eine Zwangsregistrierung bei der Bewerbung zu verzichten, dass das Bewerbungsformular nicht mobiltauglich ist oder nur in bestimmten Browsern funktioniert. Und das führt dann ganz schnell dazu, dass Bewerbungen ausbleiben. Vielleicht ist es ihnen aber auch egal, weil sie die Meinung vertreten, dass sie jemanden, der sich nicht erst umständlich für eine Bewerbung registrieren möchte, gar nicht als Bewerber haben möchten. Vielleicht handeln sie auch bewusst so, weil sie, wenn Sie Bewerber abschrecken, natürlich auch mehr Zeit für die wesentlichen Dinge im Tagesgeschäft haben. Tanzvideos für TikTok zu produzieren z. B. Oder wichtige Powerpoint-Präsentationen vorzubereiten. Oder Anschreiben sichten. Oder Zeit auf LinkedIn verdaddeln. Oder oder oder. Man (und auch Frau!) muss eben Prioritäten setzen, klar.

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Fußnoten
1
Korrigieren Sie mich gerne, aber genau diesen Eindruck vermitteln die meisten Bewerbermanagementsysteme. Die Prozesse sind für die Personaler optimiert, nicht für die Bewerber. Der Bewerber bleibt Erfüllungsgehilfe der Personalabteilung. Dass das nach hinten losgeht, sollte eigentlich klar sein. Dennoch scheint es den Unternehmen wichtiger zu sein, möglichst wenig Ressourcen in den Rekrutierungsprozess zu investieren, als Bewerbungen zu generieren.
 
2
Genauso ein hanebüchenes „Argument“ habe ich schon mehrfach gehört. Wer mit einer solchen Haltung Recruiting betreibt, sollte über einen Jobwechsel nachdenken, denn den hat er offensichtlich nicht verstanden. Vielleicht ist es ihm aber auch egal, dass er durch sein grob fahrlässiges Verhalten eine Bewerbervermeidungstaktik befeuert, die den Unternehmenserfolg gefährdet. Ist ja auch nicht seins, klar.
 
3
„So digital funktionieren Bewerben und Recruiting in Deutschland“ (https://​www.​stepstone.​de/​e-recruiting/​wissen/​stepstone-bpm-digitales-recruiting/​, aufgerufen am 14.04.2024).
 
4
„Recruiting-Fails: Was bei der Jobsuche nervt“ (https://​personalmarketin​g2null.​de/​2021/​02/​02/​was-bei-der-jobsuche-nervt/​, aufgerufen am 14.04.2024).
 
5
Fairerweise muss ich erwähnen, dass man die Felder natürlich anpassen kann. In welchem Umfang, das hängt ganz vom jeweiligen Anbieter ab. Aber man kann sich natürlich auch die Frage stellen, warum die Anbieter nicht von vornherein quasi als Default die „bewerbungsfreundlichste“ Lösung bereitstellen, sondern eben jene Formular-Ungetüme.
 
6
Candidate Experience Studie 2023, Softgarden.
 
7
Online-Recruiting Studie 2023, Wollmilchsau.
 
8
Klar, auch Bewerber ghosten. Und das zu Recht. Schließlich haben sie das über die Jahre so von den Unternehmen vorgelebt bekommen. Oder hatten Sie ernsthaft erwartet, so etwas hätte keine Konsequenzen?
 
9
Im Grunde reicht eine Abfrage von (1) Vorname, (2) Nachname, (3) E-Mail-Adresse, (4) Telefonnummer und (5) eine Upload-Möglichkeit für die Bewerbungsunterlagen (Lebenslauf). Jedes zusätzliche Formularfeld ist in den meisten Fällen eins zu viel. Mehr dazu lesen Sie auf den folgenden Seiten.
 
10
Streng genommen haben sie ihr eigenes Wohlergehen dabei alles andere als im Blick. Denn durch das Errichten solcher Hürden werden potenzielle Bewerber abgeschreckt; in der Folge bleiben Bewerbungen von genau denen aus, die doch ach so händeringend gesucht werden. Letztlich schneiden sie sich damit ins eigene Fleisch.
 
11
Beim CV-Parsing erkennt die verwendete Bewerbermanagement-Software automatisch und mit hoher Sicherheit die in einem Lebenslauf oder Social-Media-Profil hinterlegten Daten (z. B. Vorname, Nachname, Anrede, Geburtsdatum, Adressdaten u. v. m.). Auch zusätzliche Daten wie frühere Jobs, Arbeitgeber, Abschlüsse, Fachkenntnisse etc. können analysiert, extrahiert und anschließend in die korrekten Felder eingefügt werden. Und natürlich profitieren Sie auch als Recruiter vom CV-Parsing: 90 % Zeitersparnis und mehr sind drin, da Sie die Lebenslaufdaten nicht mehr manuell eingegeben müssen. Außerdem stärken Sie durch einen nutzerfreundlichen Bewerbungsprozess im Zweifelsfall sogar Ihr Employer Branding. Da schlagen Sie gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. Recruiterherz und Bewerberherz – was wollt ihr mehr?
 
12
„Recruiting-Fails: Was bei der Jobsuche nervt“ (https://​personalmarketin​g2null.​de/​2021/​02/​02/​was-bei-der-jobsuche-nervt/​, aufgerufen am 20.05.2024).
 
13
Das auf E-Recruiting spezialisierte Beratungsunternehmen Wollmilchsau wertete die Google-Analytics-Zugänge seiner Kunden bezüglich Conversion Tracking aus und ermittelte so dieses alarmierende Ergebnis (https://​web.​archive.​org/​web/​20220930125532/​. https://​wollmilchsau.​de/​hr-analytics/​hohe-absprungquote-durch-lange-bewerbungsformul​are-teil-2-recruitment-analytics/​, aufgerufen am (20.05.2024).
 
14
Ein typischer Einwand lautet: „Ja, aber dann bewerben sich ganz viele. Und auch viele, die sich gar keine Mühe machen oder die nicht passen. Das bedeutet mehr Arbeit für mich.“ Stimmt auffallend. Es werden sich viele bewerben. Und zwar deutlich mehr als vorher. Aber vor allem auch diejenigen, die aufgrund des umständlichen Bewerbungsformulars vorher nicht gewillt waren, sich zu bewerben, das jetzt aber gerne tun und unter denen sich jede Menge Talente verbergen. Also: Wollen Sie es sich so einfach wie möglich machen oder wollen Sie Ihre Stellen erfolgreich besetzen? Okay, war eine rhetorische Frage, die Erfahrung lehrt mich, dass Sie es gerne einfach haben.
 
15
Sie werden lachen, aber es gibt tatsächlich Formulare, bei denen Adelstitel oder sogar Namenszusätze über ein separates Feld abgefragt werden. No Joke.
 
16
Ja, das ist ein Mehraufwand. Aber lieber kurz einen Bewerber interviewen und möglicherweise einen heißen Aspiranten für den Job identifizieren, als gar nicht erst eine Bewerbung zu erhalten – oder?
 
17
Und klar, eine Datenschutzbestimmungen-gelesen-Option.
 
18
Diverse Studien belegen seit Jahren, dass Menschen mit nicht deutsch klingenden Namen im Bewerbungsprozess benachteiligt werden. Da kann der Lebenslauf noch so toll sein – wenn der Name türkisch [oder nach welcher Sprache auch immer] klingt, haben Bewerber schlechtere Chancen. Siehe dazu auch Abschn. 5.​5.​8 Konstruierte Vielfalt.
 
19
Apropos Unkultur: Auch hier greift die Signaltheorie. Denn tatsächlich zahlt wirklich alles, was ein Kandidat im Laufe seines Bewerbungsprozesses erlebt, auf die Arbeitgebermarke ein. Alles. Auch solche verkorksten Bewerbungsprozesse. Effektiver können Sie Ihre Employer-Branding-Strategie wirklich nicht vor die Wand fahren.
 
20
Da meine Empfehlung ohnehin lautet, auf die optionalen Felder zu verzichten, sind diese Erläuterungen eigentlich obsolet.
 
21
„Herr“ und „Frau“ in Formularen sind nicht genug (LG Frankfurt, Az. 2-13 O 131/20; OLG Karlsruhe, Az. 24 U 19/21). Mehr dazu auch hier: https://​personalmarketin​g2null.​de/​2022/​07/​25/​bewerbungsformul​ar-diskriminierung/​.
 
22
Dieser Hinweis erscheint mir dringend notwendig: Immer wieder stoße ich auf Bewerbungsformulare, die sowohl die Angabe des Alters als auch das Hochladen eines Bewerbungsfotos verlangen. Beide Angaben können einen Diskriminierungstatbestand darstellen. Lediglich bei minderjährigen Auszubildenden ist eine solche Altersabfrage zulässig. Und da Sie kaum Models rekrutieren (wo das Foto selbstverständlicher Bestandteil der Bewerbung ist), ist das verpflichtende Hochladen von Bewerbungsfotos tabu. Logisch, dass Sie die Felder auch dann streichen, wenn die Angaben eh nur optional sind, gell?
 
23
(Dieser Satz stammt aus dem Alten Testament. Als eines der Zehn Gebote heißt es dort: „ Du sollst den Namen Gottes, Deines Herrn, nicht unnütz brauchen.“ (2. Buch Mose, Kap. 20 und 5. Buch Mose, Kap. 5). Um den Namen Gottes im alltäglichen Sprachgebrauch nicht leichtfertig zu gebrauchen und dem Vorwurf der Gotteslästerung zu entgehen, hat man sich im Laufe der Zeit einiges einfallen lassen. Denn schon der spontane Ausruf „Mein lieber Herr!“ galt als eine solche Anrufung Gottes. Also suchte man nach anderen Begriffen. So entstand im 19. Jahrhundert, als die Gesangsvereine in Mode kamen, die Redewendung „Mein lieber Herr Gesangsverein“. Man ersetzte den Ausdruck einfach durch ein anderes Wort und vermied so die Blasphemie. Auch Ihre Bewerber sollten Sie nicht „unnütz brauchen“ für unnötige Hürden im Bewerbungsprozess).
 
24
Ich habe mit verschiedenen Recruiting-Verantwortlichen gesprochen, die mir ihr Leid geklagt haben. Obwohl sie gerne Felder anpassen oder auch ganz weglassen würden, ist dies in einigen Fällen gar nicht möglich. Auf Interventionen stellt sich das Unternehmen taub bzw. vertröstet auf unbestimmte Zeit. Ein Grund mehr, die Schnittstelle zu nutzen und einen kandidatenzentrierten Bewerbungsprozess zu modellieren.
 
25
Die Verwendung eines CAPTCHA ist eine Möglichkeit, der Welt mitzuteilen, dass Sie ein Spam-Problem haben, dass Sie nicht wissen, wie Sie damit umgehen sollen, und dass Sie beschlossen haben, die Frustration des Problems auf Ihre Nutzer abzuladen.“ „F**K CAPTCHA“ https://​90percentofevery​thing.​com/​2011/​03/​25/​fk-captcha/​index.​html, aufgerufen am 25.05.2024.
 
26
Neuesten Forschungen zufolge schützen Captcha nicht vor Bots, ersparen Google aber Milliarden von Dollar bei der Weiterentwicklung der Bilderkennung. Der Bewerber wird also missbraucht, um KI zu trainieren („Forget security – Google‘s reCAPTCHA v2 is exploiting users for profit“, https://​www.​theregister.​com/​2024/​07/​24/​googles_​recaptchav2_​labor/​, aufgerufen am 25.07.2024).
 
27
HRIS steht für „Human Resources Information System“, also ein Personalinformationssystem. Schon allein die Bezeichnung weckt ein ungutes Gefühl. Die meisten dieser Lösungen bestätigen dieses Gefühl. Eine HR Suite ist im Grunde das Gleiche, also eine Personalmanagement-Software, die verschiedene HR-Disziplinen abbildet.
 
28
D21-Digital-Index 2023/2024 – Jährliches Lagebild zur Digitalen Gesellschaft (https://​initiatived21.​de/​publikationen/​d21-digital-index/​2023-2024/​material, aufgerufen am 30.05.2024). Zwar ist gut die Hälfte der Offliner in Deutschland 76 Jahre und älter, aber auch in der Altersgruppe der 30- bis über 50-Jährigen gibt es Online-Verweigerer. Dabei nutzen Menschen mit niedrigerem Bildungsstatus digitale Angebote deutlich seltener. Viele der Offliner sind Arbeiter, Angestellte sind eher selten vertreten. Hauptgrund für die Nichtnutzung ist mangelndes Interesse am Medium Internet an sich. Weitere wichtige Aspekte sind der fehlende Nutzen, die Komplexität sowie Sicherheitsbedenken. Aber: Auch wenn 94 % der Bevölkerung online sind, heißt das noch lange nicht, dass sie absolute Nerds sind und jedes Angebot gierig aufsaugen. Und wenn man sich so manchen digitalen Bewerbungsprozess anschaut, versteht man schnell, warum man sich dann doch lieber per Post bewirbt. Unternehmen, die das nicht verstehen, sollten auch nicht über „Fachkräftemangel“ jammern.
 
29
„Unconscious bias“ bedeutet, dass wir unbewusst Vorurteile in uns tragen, die unsere Entscheidungen beeinflussen. Bei der Jobsuche kann das dazu führen, dass bestimmte Bewerber bevorzugt oder benachteiligt werden, ohne dass man sich dessen bewusst ist – etwa aufgrund des Namens, des Geschlechts, des Alters oder eben auch des Aussehens. Wobei letzteres bei einer Videobewerbung natürlich eher kontraproduktiv sein kann …
 
30
Tatsächlich habe ich im Laufe der Jahre einige Unternehmen kennengelernt, die Initiativbewerbungen grundsätzlich nicht anbieten. Die meisten behaupten, sie könnten das nicht handhaben oder hätten keine Prozesse, die das abbilden. Meines Erachtens handeln diese Unternehmen grob fahrlässig und verschenken viele Chancen. Wenn es Bereiche gibt, in denen das Unternehmen ohnehin an einer Flut von Bewerbungen erstickt, so könnte man diese durchaus ausschließen. Aber ein genereller Verzicht stellt in meinen Augen keine weise Entscheidung dar.
 
Metadaten
Titel
Der Bewerbungsprozess: Möglichst niedrigschwellig, bitte!
verfasst von
Henner Knabenreich
Copyright-Jahr
2025
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-47079-1_9