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Erschienen in:

Open Access 2025 | OriginalPaper | Buchkapitel

4. Der Desinformationsmarkt: wer profitiert?

verfasst von : Rita Gsenger

Erschienen in: Die Finanzierung von Desinformation

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Der Beitrag untersucht die komplexen Mechanismen und Akteure, die hinter der Verbreitung von Desinformation stehen. Es wird aufgezeigt, wie Unternehmen, Influencer und Plattformen durch die Verbreitung von (Des-)Informationen erhebliche Gewinne erzielen. Unternehmen nutzen spezialisierte Dienstleister und Trollfarmen, um Desinformation zu verbreiten und somit ihre finanziellen Interessen zu fördern. Influencer und Content Creators nutzen ihre Reichweite und Glaubwürdigkeit, um durch die Verbreitung von Desinformation monetäre und politische Vorteile zu erlangen. Plattformen und Werbeträger profitieren durch die Monetarisierung von Werbung, die auf Seiten mit Desinformation geschaltet wird. Der Text beleuchtet die verschiedenen Strategien und Methoden, durch die diese Akteure ihre Ziele erreichen und wie sie die öffentliche Meinung beeinflussen. Besonders interessant ist die Analyse der parasozialen Beziehungen, die Influencer zu ihren Followern aufbauen, um ihre Botschaften effektiver zu verbreiten. Zudem wird die Rolle von generativer künstlicher Intelligenz und Programmatic Advertising in der Verbreitung von Desinformation untersucht. Der Beitrag bietet eine tiefgehende Analyse der wirtschaftlichen und politischen Interessen, die hinter der Verbreitung von Desinformation stehen und wie diese systematisch genutzt werden, um Profit zu generieren.
Die Systematisierung von Desinformationsakteuren wurde in der Literatur bereits vielfach vorgenommen (siehe z. B. Benkler et al., 2018). Diese Akteure verfolgen unterschiedliche Motive, die Außenstehenden nicht immer eindeutig zugänglich sind. Die Motive können rein finanzieller Natur sein, ideologische und politische Hintergründe haben oder zum eigenen Vorteil genutzt werden. Außerdem schließen sich diese Motive nicht gegenseitig aus, und trotz ihrer Unzugänglichkeit ist ihre Bedeutung für das Verständnis des Handelns der Akteure nicht zu unterschätzen (Jerónimo & Esparza, 2022). Grundsätzlich kann die Verbreitung von Desinformation auch aus Unwissenheit oder durch Ignoranz erfolgen, wobei in diesem Fall eher von Misinformation gesprochen werden muss (Vraga & Bode, 2020). Im Folgenden spielt das Wissen der Verbreiter:innen über den Wahrheitsgehalt oder um die potenzielle Schädigung anderer durch die Informationsverbreitung keine Rolle. Stattdessen werden die unterschiedlichen Arten von Profit durch die Verbreitung von (Des-)Information aufgezeigt.
Dafür werden drei Methoden des Profits näher beleuchtet, die stets in Verbindung mit den jeweiligen Akteuren stehen. Zunächst wird der Profit von Unternehmen erläutert. Danach werden die Strategien von Influencer:innen und Content Creators ausgeführt, und im letzten Abschnitt wird der Profit von Werbeträgern und Plattformen näher erklärt.

4.1 Profit von Unternehmen

Akteure verbreiten Desinformation oft nicht selbst, sondern beauftragen Unternehmen, die auf die Verbreitung von Desinformation oder die Durchführung von Desinformationskampagnen spezialisiert sind (Lenk, 2024). Akteure können somit entweder die Ersteller:innen der desinformativen Inhalte sein oder diese schließlich weiterverbreiten (George et al., 2021). Dies geschieht dann zum Beispiel durch die Erstellung und Verbreitung von Clickbait oder durch das Beauftragen von Trollfarmen (Benkler et al., 2018).
Trolle sind dezentral organisierte Gruppen, die sich im Internet zu einer Subkultur mit eigener Sprache und Symbolen als Erkennungszeichen entwickelt haben. Anfangs ging es vor allem darum, Menschen zu ärgern und Memes zu erstellen und zu verbreiten. Diese Gruppen blieben lange abseits der öffentlichen Aufmerksamkeit aktiv und hielten sich vor allem auf der Plattform 4chan auf, die anonymes Posten erlaubt und Inhalte nicht moderiert (Phillips, 2015). Beim Trolling werden provozierende Kommentare, Bilder oder Memes erstellt und verbreitet, die Konflikte auslösen sollen. Oftmals beinhalten sie persönliche Beleidigungen und herabwürdigende Sprache (Hardaker, 2010). Sie können jedoch auch primär satirisch und humoristisch sein, und Trolle handeln oft aus ideologischen Motiven heraus (Sanfilippo et al., 2018). Trollfarmen oder Trollfabriken hingegen haben die Methode der Disruption industrialisiert und monetarisiert (Ong & Cabañes, 2019).
Akteure sind oftmals ideologisch motivierte Gruppen oder staatlich bzw. staatsnahe Akteure. Staaten können das Ziel verfolgen, Kritiker:innen im In- oder Ausland zum Schweigen zu bringen bzw. die öffentliche Meinung zu ihrem Vorteil lenken (Iosifidis & Nicoli, 2021). Außerdem können fremde Staaten Einfluss nehmen (Wagnsson & Barzanje, 2021), oder Gruppierungen können innerhalb eines Staates Politiker:innen oder Medien diskreditieren (Hameleers, 2023). Ein bekanntes Beispiel ist die Internet Research Agency (IRA), die wiederholt versucht hat, Einfluss auf Online-Debatten zu nehmen und damit auch Erfolg hatte. Die IRA hat ihren Sitz in St. Petersburg und wird vom russischen Staat gesteuert. Sie begann bereits 2014, Einfluss zu gewinnen, wobei mehrere hundert Personen Informationen auf Twitter, Facebook und Instagram verbreiteten, die sowohl konservative als auch liberale Positionen vertraten. Insgesamt sollen ungefähr 126 Mio. US-Amerikaner:innen mit dem verbreiteten Material in Berührung gekommen sein (Kaden, 2021). In erster Linie wurde nachgewiesen, dass die IRA versuchte, Einfluss auf die US-Wahlen 2016 zugunsten von Donald Trump zu nehmen (United States of America v. Internet Research Agency LLC, 2018). Außerdem verbreiteten IRA-Accounts Informationen über die Black Lives Matter Bewegung (Arif et al., 2018) oder über Impfungen (Broniatowski et al., 2018). Dabei ging es vor allem darum, einen öffentlichen Konsens oder Dissens vorzutäuschen. Diese Stimmen werden dann von den Medien aufgegriffen und als Beispiele für die Meinung der Bevölkerung dargestellt, wie Lukito et al. (2020) am Beispiel der US-amerikanischen Medien gezeigt haben. Auch das deutsche Auswärtige Amt veröffentlichte 2024 einen Bericht, der dokumentiert, dass prorussische Inhalte in sozialen Netzwerken (vor allem auf der Plattform X) verbreitet wurden. Dabei wurde generative künstliche Intelligenz benutzt, um diese Inhalte so schnell wie möglich zu verbreiten, und die Kampagne verfolgte das Ziel, die deutsche Unterstützung für die Ukraine zu unterminieren (Auswärtiges Amt, 2024). Trolling wird jedoch nicht nur vom russischen Staat eingesetzt, auch Berichte aus anderen Staaten, wie zum Beispiel den Philippinen (Ong & Cabañes, 2019), Ägypten, Tunesien und dem Irak (Ayeb & Bonini, 2024), sind bekannt.
Neben Trollen wird auch Einfluss durch falsche Nachrichtenseiten angestrebt. So wurden zahlreiche Nachrichtenseiten auf Facebook identifiziert, die traditionellen Medien sehr ähnlich sehen, jedoch von anderen Akteuren betrieben werden und Inhalte verbreiten, die nicht stimmen oder verzerrt sind, um eine (meist pro-russische) Agenda zu verfolgen (European Commission, 2023). Andere Akteure veröffentlichen diese nicht aus ideologischen, sondern ausschließlich aus Gründen des monetären Profits (Size, 2020).
Unternehmen sind jedoch nicht unbedingt gesichtslose Trollfabriken oder Fake-News-Farmen. Auch erfolgreiche Medienpersönlichkeiten können zu Unternehmen werden, indem sie ihre Personenmarke verkaufen. Diese können auch durch die Verbreitung von Desinformation erfolgreich werden, wie im Abschn. 4.2 näher ausgeführt wird.

4.2 Profit von Influencer:innen und Content Creators

Meinungsführer:innen oder Opinion Leader beeinflussen die Meinungsbildung oft stärker als die Massenmedien, wie Lazarsfeld und Katz bereits in den 1950er-Jahren in Bezug auf das Fernsehen feststellten (Katz & Lazarsfeld, 2017). Meinungsführer:innen haben eine relativ hohe Stellung in ihrem sozialen Netzwerk inne, sind starke Persönlichkeiten und verfügen über eine hohe kommunikative Kompetenz. Oftmals sind sie Expert:innen in einem bestimmten Bereich (Duckwitz, 2019). Dabei können Meinungsführer:innen, die sich zuvor eher im Privaten geäußert haben, nun ein großes öffentliches Publikum erreichen, indem sie ihre Meinungen online teilen (Duckwitz, 2019). Meinungsführer:innen im digitalen Bereich, etwa in den sozialen Medien, werden oft als Influencer:innen bezeichnet.
Influencer:innen in den sozialen Medien sind Ersteller:innen von Inhalten (Content Creators), die das Verhalten der Nutzer:innen beeinflussen und deren Kaufentscheidungen lenken können. Außerdem sind sie oftmals Teil der sozialen Gruppe der Nutzer:innen. Erfolgreiche Influencer:innen werden auch als „Micro-Celebrities“ bezeichnet (Yesiloglu, 2021, S. 11).
Den tatsächlichen Einfluss von Influencer:innen zu messen, ist jedoch schwierig, da die bloße Reichweite noch nicht genug über die Verhaltensänderung aussagt. Dabei spielt auch die Interaktion des Publikums mit den Inhalten eine Rolle (Yesiloglu, 2021).
Digitale Influencer:innen sind Akteure in den sozialen Medien, die sehr unterschiedliche Intentionen und Inhalte vertreten. Sie werden als „neue Öffentlichkeitsakteure“ (Emmer, 2022, S. 62) bezeichnet, die sowohl Informationen als auch Meinungen vermitteln. Dabei werden Humor, Unterhaltung und Fachwissen vermischt (Emmer, 2022). Für manche haben sich YouTube und andere Plattformen als Möglichkeit erwiesen, sehr viel Geld zu verdienen. Forbes veröffentlicht jährlich eine Liste der finanziell erfolgreichsten Content Creators, die 2024 vom YouTuber MrBeast mit einem Verdienst von 85 Mio. Dollar und 503 Mio. Follower:innen angeführt wird (Bertoni, o. J.). Finanzieller Profit kann einerseits durch die Monetarisierung von Inhalten über die Plattforminfrastruktur generiert werden. Erfolgreiche Online-Influencer:innen oder Content Creators können beispielsweise über das YouTube-Partnerprogramm, Geld direkt von der Plattform erhalten. Dies gilt allerdings nur für Inhalte, die sehr erfolgreich sind und häufig geklickt und geteilt werden (Frühbrodt & Floren, 2019).
Influencer:innen werden auch für Marketingzwecke von Unternehmen rekrutiert, um Produkte online zu bewerben. Sie können eine bestimmte Glaubwürdigkeit vermitteln, wenn sie als Expert:innen in einem Bereich wahrgenommen werden, zum Beispiel durch Erfolge im Sport. Mithilfe von Influencer:innen können Unternehmen, beispielsweise eine Marke aufbauen, neue Mitarbeiter:innen rekrutieren und die Reputation sowie den Profit steigern (Pleil & Bastian, 2022). Die Zusammenarbeit mit Online-Influencer:innen hat sich für Unternehmen als sehr profitabel erwiesen, vor allem, wenn sie eine jüngere Zielgruppe erreichen wollen (Southgate, 2017). Außerdem kann eine erfolgreiche Zusammenarbeit das Unternehmen über Suchmaschinen leichter auffindbar machen (Uzunoğlu & Misci Kip, 2014).
Dabei hat sich die Tätigkeit der Meinungsführerschaft an sich professionalisiert (Duckwitz, 2019), und sehr erfolgreiche Influencer:innen können selbst zur Personenmarke werden.
Der Erfolg von Influencer:innen kann durch parasoziale Beziehungen der Follower:innen oder Fans verstärkt werden.
Der Begriff parasoziale Beziehungen wurde bereits 1956 in Bezug auf die Massenmedien, vor allem das Fernsehen, geprägt (Horton & Wohl, 1956). Parasoziale Beziehungen sind einseitige Beziehungen und soziale Interaktionen mit Medienpersönlichkeiten, so z. B. auch Influencer:innen auf einer sozialen Plattform. Diese werden als illusorisch bezeichnet, da jene nicht auf Gegenseitigkeit beruhen. So kann sich die Medienpersönlichkeit zwar an seine oder ihre Fans bzw. Follower:innen richten, eine Videobotschaft aufnehmen oder auf Kommentare antworten, diese Beziehung findet jedoch nicht auf einer Ebene statt (Breves et al., 2021).
Parasoziale Beziehungen können den Erfolg einer Marke, die durch den/die Influencer:in beworben wird, steigern (Colliander & Dahlén, 2011), da sich diese Beziehung unter anderem positiv auf die Glaubwürdigkeit des/der Influencer:in auswirken kann, was wiederum das Vertrauen in die Marke und die Intention, ein Produkt dieser Marke zu erwerben, steigern kann (Reinikainen et al., 2020). Dabei stören sich Nutzer:innen weniger an Werbung von Influencer:innen, denen sie in den sozialen Medien folgen (Breves et al., 2021). Parasoziale Beziehungen in einem medialen Kontext involvieren ähnliche psychologische Mechanismen und dieselben sozialen Fähigkeiten, wie zwischenmenschliche Beziehungen in der Offline-Welt (Tukachinsky, 2010).
Tukachinsky und Stever (2019) haben ein Modell entwickelt, das die unterschiedlichen Stufen der Entwicklung einer parasozialen Beziehung zwischen Follower:innen und Influencer:innen beschreibt. Jede dieser Stufen zeigt sich in verschiedenen kognitiven, affektbetonten und verhaltensorientierten Mustern, wobei diese nicht auf alle Nutzer:innen in gleicher Weise zutreffen. Zuallererst wird die Stufe der Initiation beschrieben. Dabei wird ein erster Eindruck geformt, kognitiv gesehen ist die Unsicherheit hoch, und im positiven Sinne nimmt das Publikum affektiv eine Anziehung wahr und sucht daher weitere Auseinandersetzung mit der Medienfigur. Dies kann sich in einem Verhalten zeigen, zum Beispiel indem Nutzer:innen einen Kanal abonnieren. Nach einem anfänglichen Eindruck finden Nutzer:innen mehr über die Medienpersönlichkeit heraus, um Unsicherheiten zu minimieren. Dafür werden zum Beispiel weitere Inhalte auf anderen Kanälen gesucht, und die Beziehung wird in der Stufe der Intensivierung weiter verfestigt. Nutzer:innen bringen sich zunehmend ein, entwickeln eine stärkere Affinität für die Medienpersönlichkeit und denken auch im täglichen Leben manchmal an sie. Das führt dazu, dass sie mehr Inhalte des oder der Influencer:in suchen und auch zusätzlicher Kontext, wie Hintergrundaufnahmen, konsumieren. Schließlich kommt es zur Stufe der Integration, in der Individuen eine soziale Identität teilen, viel Zeit miteinander verbringen und sich vertrauen. Im Falle einer parasozialen Beziehung, wird das Fan-Sein ein Teil der sozialen Identität. Dabei verbringen sie viel Zeit mit Aktivitäten, die mit dieser Medienpersönlichkeit in Verbindung stehen (Tukachinsky & Stever, 2019). Dies zeigt sich auch im Verhalten, so verbringen Fans gerne Zeit mit anderen Fans, besuchen Conventions, oder sammeln Memorabilia. Auf emotionaler Ebene fühlen sie oft eine spezielle Beziehung zur Medienpersönlichkeit und distanzieren sich von Menschen, die diese nicht mögen. Eine solche Beziehung kann sich daher auch pathologisch oder obsessiv auswirken (McCutcheon et al., 2003). Außerdem gibt es negative parasoziale Beziehungen, die sich in negativen Gefühlen gegenüber einer Medienpersönlichkeit äußern (Mardon et al., 2023).
Parasoziale Beziehungen entstehen ebenso mit Influencer:innen und Content Creators, die Desinformation verbreiten. Influencer:innen und Content Creators profitieren oft selbst von der Desinformation und den Verschwörungstheorien, die sie verbreiten. Der Profit kann dabei monetär sein, sich jedoch auch über Erfolg, bis hin zu politischem Einfluss erstrecken. Ein Beispiel hierfür sind Influencer:innen aus dem Wellness-Bereich, die vor allem während der Covid-19-Pandemie sehr erfolgreich wurden. Diese empfehlen alternative Gesundheitspraktiken und befördern zugleich Verschwörungsdenken (Baker, 2022). Zudem sind sie Teil einer Industrie, die sich vor allem gegen Impfungen richtet. Das Center for Countering Digital Hate (CCDH) hat in einem Bericht aus dem Jahr 2020 Anti-Impf-Accounts klassifiziert und mehrere Archetypen definiert. Dabei gibt es einerseits Aktivist:innen, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen, diese Ideen zu popularisieren. Dazu gehören auch Non-Profit-Organisationen, die diese Ideen verbreiten. Dann gibt es die Unternehmer:innen, die durch ihr Engagement in der Anti-Impf-Bewegung ihr eigenes Geschäft voranbringen wollen. Normalerweise beginnen sie mit Inhalten, die nichts kosten, die Nutzer:innen jedoch zu bezahlten Produkten und Dienstleistungen führen (z. B. Bücher oder alternative Heilmittel). Schließlich nennt das CCDH auch Verschwörungstheoretiker:innen, die ähnlich agieren wie Unternehmer:innen, jedoch eher einen Fokus auf Verschwörungen legen. Zudem gibt es Gemeinschaften, die sich gebildet haben, um diese Ideen zu diskutieren und zu teilen, zum Beispiel im Rahmen von Facebook-Gruppen. Manche dieser Gruppen werden auch von Unternehmer:innen betrieben (CCDH, 2020). Ein interessantes Beispiel hierfür sind Gesundheits-Influencer:innen. Neben der Beziehung, die Influencer:innen zu ihren Fans aufbauen, wurden bei alternativen Gesundheits-Influencer:innen auch andere Techniken beobachtet. So versuchen sie, das Vertrauen in institutionelle Autoritäten wie Gesundheitsbehörden oder die etablierte Medizin und Wissenschaft zu schwächen. Dabei wollen sie nicht objektiv sein, sondern stärken die parasoziale Beziehung zu ihrem Publikum, indem sie persönliche Anekdoten, Geschichten oder Schicksale teilen. Dadurch wollen sie authentischer wirken als zum Beispiel die traditionellen Medien, die in der Verdeckung der Wahrheit als instrumental angesehen werden. Diese ablehnende Haltung gegenüber dem Mainstream kann auf konspiratives Denken hinweisen, da angenommen wird, dass die Gesellschaft von einer korrupten Elite kontrolliert wird. Häufig wird dabei ein Narrativ eines verfolgten Helden oder Heldin vermittelt, der oder die sich gegen den Mainstream stellt (Baker, 2022). Moran et al. (2024) untersuchten in einer Studie auf Instagram Wellness-Influencerinnen, die Anti-Impf-Inhalte verbreiteten. Sie stellten fest, dass persönliche Inhalte mit konspirativen Inhalten vermischt werden. So identifizierten sie evangelikale und religiöse Inhalte, die sich vor allem auf die Sicherheit von Kindern konzentrieren. Andere Accounts, die eher das Zuhause und eine natürliche Lebensweise auf einem Bauernhof zeigten, verbreiteten Verschwörungstheorien über die Regierung und die Notwendigkeit, das eigene Überleben zu sichern. Alle untersuchten Accounts hatten gemeinsam, dass sie die Entgiftung von durch Impfungen verbreiteten Stoffe bewarben, sich gegen Impfvorschriften und das Tragen von Masken wandten und die Impfung von Kindern mit der Entstehung von Autismus in Verbindung brachten. Dabei posteten sie Instagram-Stories für kurze Ausschnitte aus ihrem täglichen Leben und veranstalteten Livestreams, die die Interaktion mit den Nutzer:innen ermöglichten. Um schließlich Profit zu machen, boten die untersuchten Influencer:innen Produkte an, zum Beispiel ein Spray zur Entgiftung von Schwermetallen, Artikel für ein autarkes Leben abseits der öffentlichen Versorgung wie Solarpaneele oder Generatoren sowie Vitamine und weitere Nahrungsergänzungsmittel. In diesen Fällen wurden die Anti-Impf-Inhalte genutzt, um Follower:innen von der Notwendigkeit der angebotenen Produkte zu überzeugen. Eine Influencerin verwendete diese Inhalte, um Publikum anzuziehen und zu binden, das dann auf Links in ihrem Profil klicken sollte, die zu empfohlenen Produkten führten. Zum Beispiel wurden Amazon-Affiliate-Links eingesetzt, über die die Influencer:innen beim Kauf eines Produkts eine Provision erhielten. Manche der Produkte wurden auch von Multilevel-Marketing-Unternehmen vertrieben (Moran et al., 2024).
Bei größerer Bekanntheit vertreiben Influencer:innen auch ihr eigenes Merchandise, zum Beispiel T-Shirts. Die Marketingstrategie unterscheidet sich jedoch je nach Inhalten der Kanäle. So stellten Hua et al. (2022) fest, dass auf YouTube je nach Themenbereich des Kanals unterschiedliche Marketingstrategien (abseits der Monetarisierung des Accounts) angewendet werden. So nutzen Lifestyle- und Modekanäle am häufigsten Affiliate-Links, um Produkte zu verkaufen. Außerdem nutzen die Kanäle mit zunehmender Popularität auch alternative Monetarisierungsstrategien. Neben Affiliate-Marketing, bitten sie auch um Spenden oder werben für Patreon-Mitgliedschaften. Manchmal wird explizit um Spenden in Form von Kryptowährungen gebeten (Hua et al., 2022). So fordert beispielsweise die Gruppe Querdenken 711 explizit um Spenden in Bitcoin (Querdenken-711, 2025).
Auch Crowdfunding und Fundraising werden als Methode angewandt, um Profit zu machen. Davon profitieren einerseits die Individuen, die Geld sammeln, andererseits aber auch Crowdfunding-Plattformen, wie GoFundMe. Crowdfunding kann die Wahrnehmung der Dringlichkeit bestimmter Anliegen erhöhen. Eine Studie, die sowohl das Crowdfunding von Politiker:innen als auch von Akteuren, die 5G-Verschwörungstheorien verbreiten, untersuchte, fand heraus, dass der Großteil der gesammelten Gelder auf der Plattform für Gerichtskosten vorgesehen war (Elmer & Ward-Kimola, 2022). Eine weitere Methode des Crowdfundings, die von zahlreichen Content Creators genutzt wird sind Mitgliedschaften auf Plattformen, die regelmäßige Zahlungen ermöglichen, wie zum Beispiel Patreon. Dabei wird eine höhere Loyalität vorausgesetzt, da sich Nutzer:innen auf regelmäßige Zahlungen einlassen. Diese ermöglichen außerdem regelmäßigen Kontakt mit der unterstützen Person und Zugang zu zusätzlichen Inhalten, die durch die Mitgliedschaft freigeschaltet werden (Sanyoura & Anderson, 2022).

4.3 Profit von Plattformen und der Werbeinfrastruktur

Plattformen, die Desinformation verbreiten, finanzieren sich meist über Werbung.
Der Werbemarkt ist stark konzentriert und schwer durchschaubar. Grundsätzlich muss zwischen den Unternehmen, die Werbungen schalten (wobei Google und Meta einen signifikanten Teil ausmachen), und denen, die Netzwerke und Server bereitstellen, unterschieden werden (Thomas, 2018). Studien fanden heraus, dass Clickbait und Werbung, besonders ansprechend wirken und eingängige Titel verwenden, häufiger auf Websites zu finden sind, die Desinformation und Falschnachrichten verbreiten. Diese tragen zur Finanzierung des gesamten Ökosystems bei. Die Werbung auf diesen Seiten ist oft auch völlig legitim, und Werbeträger profitieren davon (Papadogiannakis et al., 2023). Die Infrastruktur, über die Werbung geschaltet und organisiert wird, ist dieselbe wie bei legitimer Werbung, Hoaxes und Clickbait.
Seit 2010 hat sich der digitale Raum, in dem Werbung geschaltet werden kann, deutlich vergrößert, mit neuen Geräten, Plattformen und einem starken Anstieg an Nutzer:innen. Außerdem ermöglichen neue Werbetechnologien auch kleineren Unternehmen und Organisationen, große Werbekampagnen zu schalten (Thomas, 2018). Die Werbeindustrie verwendet, wenn möglich, große Mengen an Daten, um ihre Angebote zu personalisieren (Zuboff, 2019). Außerdem werden Veröffentlichungen durch Werbung subventioniert, indem Teile davon für Werbung verkauft werden, also zum Beispiel Teile eines Videos oder einer Zeitung für Werbung genutzt werden. Um jedoch zu evaluieren, ob diese Werbung funktioniert, werden Daten generiert, traditionell durch Publikumsbefragungen und Erhebungen (zum Beispiel bei Werbung im Fernsehen). Inzwischen hat jedoch das Internet die größte Bedeutung für den Werbemarkt. 2024 machte digitale Werbung 60,8 % des Umsatzes des gesamten Werbemarktes aus und dieser Anteil soll weiter steigen (Statista, 2025). Außerdem bietet das Internet die Möglichkeit, einen Kauf sofort durch den Klick auf die Werbung auszuführen (Sinclair, 2016). In den letzten Jahren hat vor allem „Programmatic Advertising“ (Offierowski, 2017, S. 11) zugenommen und verdrängt digitales Marketing zunehmend. Dazu werden Algorithmen genutzt, um die Zielgruppe einer Werbung genauer zu bestimmen und zu erreichen. So stellen einerseits Werbetreibende ihre Inhalte und ein Budget zur Verfügung, andererseits bieten Webseiten Inventar an. Dabei kommt es zu einem Bietvorgang in Echtzeit, dem „Real Time Bidding“ (Offierowski, 2017, S. 12), wobei eine Auktion auf der Plattform Ad Exchange stattfindet. Die Werbetreibenden bieten schließlich, um ihre Werbung auf dem Inventar der Publisher zu schalten. Sobald die Plätze gebucht sind, entscheidet der Algorithmus, welche Anzeige welchem/r Nutzer:in gezeigt wird. Um dies zu erreichen, müssen Daten zur Verfügung stehen oder erhoben werden, entweder durch den Publisher selbst (z. B. demografische Kund:innendaten, erhoben beim Besuch der Website) oder durch Partnerorganisationen, wie ein anderes Unternehmen, das seine Daten zum Tausch anbietet. Die Daten können auch von Drittanbietern bezogen werden, zum Beispiel von Google (Offierowski, 2017). Durch die Möglichkeit, Daten in Echtzeit zu erheben und das Nachverfolgen von Spuren, die jede:r Nutzer:in im Internet hinterlässt, können unterschiedliche Individuen mit verschiedenen Botschaften für dasselbe (oder unterschiedliche) Produkte personalisiert angesprochen werden. Dies kann dazu führen, dass der Preis desselben Produkts je nach Publikum variiert (Couldry, 2014). Google ist dabei einer der wichtigsten Akteure im Werbemarkt, da das Unternehmen das Monopol bei Werbung in Suchmaschinen inne hat. Dies liegt vor allem an der großen strukturellen Bedeutung von Suchmaschinen (Sinclair, 2016). Gleichzeitig führt diese dazu, dass Nutzende Desinformationsseiten ausgesetzt sein können, vor allem da jene sehr gut für den Algorithmus von Suchmaschinen optimiert sind. Der Vergleich von legitimen Nachrichtenseiten und sogenannten „Junk News“ (Taylor et al., 2020, S. 4) sowie Websites die Desinformation vertreiben, ergab außerdem, dass alle zu einem großen Anteil Werbung nutzen, um sich zu finanzieren. Zudem ranken Letztere relativ hoch in den Ergebnissen von Suchmaschinen, was zu ihrer Verbreitung beiträgt (Taylor et al., 2020). Grundsätzlich ist es jedoch schwierig nachzuvollziehen, wie und warum Werbung auf Websites landet, die vor allem Hoaxes oder falsche Nachrichten verbreiten, da das Ökosystem äußerst komplex und opak ist (Braun & Eklund, 2019). Ein weiterer Aspekt ist der Betrug mit Online-Werbung. Dazu wird zuallererst eine Website erstellt und danach werden Unternehmen bezahlt, die versprechen, Besucher:innen auf die Website zu bringen, indem sie sie dazu bringen, auf Links zu klicken, die in den sozialen Medien und auf anderen Seiten beworben werden. Ein großer Teil dieses Webverkehrs wird jedoch aufgekauft und von Bots (also automatisierten Systemen) oder Clickworkern generiert (Braun et al., 2017).
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Titel
Der Desinformationsmarkt: wer profitiert?
verfasst von
Rita Gsenger
Copyright-Jahr
2025
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-48048-6_4